Wie alt ist der Weihachtsbaum und wo ist seine Heimath?

Textdaten
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Autor: Alexander Tille
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Titel: Wie alt ist der Weihachtsbaum und wo ist seine Heimath?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 831–834
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Wie alt ist der Weihnachtsbaum und wo ist seine Heimath?
Von Alexander Tille.

Wie alt ist der Weihnachtsbaum und wo ist seine Heimath? Klingt diese Frage nicht wie eine Ketzerei angesichts der Tatsache, daß am Christfest, soweit die deutsche Zunge reicht, auf jedem Weihnachtstische der Lichterbaum flammt? Von Ostpreußen bis zum Elsaß, von Nord- und Ostsee bis über die Donau ist er fast durchgängig der Schmuck des Christfestes. Bisweilen wird er durch die sogenannte Pyramide ersetzt. Diese besteht aus einem reisigumwundenen senkrechten Stabe, an welchem in bestimmter Abständen wagerechte Stäbe angebracht sind, die denselben grünen Schmuck und dazu vergoldete Aepfel und Nüsse, Pfefferkuchen und Lichter tragen gleich den Zweigen des Tannenbaumes, oder sie ist ein pyramidenartiges festes Holzgestell, welches in ähnlicher Weise geschmückt ist. Selten tritt ein angeputzter Kronleuchter an ihre Stelle. Durch die Herzogin Helene von Orleans hat der Weihnachtsbaum um 1840 in Frankreich und durch den Prinzen Albert in England Eingang gefunden, wo man ihn heute auch aus Eisen herstellt. Nach den Niederlanden, nach Rußland, besonders nach St. Petersburg und Moskau, wo er jedoch nur in den höchsten Kreisen üblich ist, nach Schweden wie nach Italien ist er ebenfalls aus Deutschland gekommen, und in Amerika, wo er immer mehr heimisch wird, gilt er vielfach geradezu für ein Merkzeichen des Deutschthums. 1830 kam er nach Ungarn, wo er jedoch noch heute nur in deutschen Bürgerkreisen und in hohen magyarischen Geschlechtern üblich ist. Im Jahre 1807 fand er sich bereits auf dem Weihnachtsmarkte zu Dresden[1] Hier wurde er mit glänzendem Rauschgold, bunten Papierschnitzeln, goldenen Früchten und Kerzen verkauft. Um dieselbe Zeit war er in Norddeutschland ziemlich allgemein üblich. In Hamburg kommt er bereits im Jahre 1796[2] vor. Hier heißt es bei Gelegenheit einer Beschreibung des Weihnachtsfestes im Wandsbecker Schlosse: „Hoch oben am Weihnachtsbaum hing ein Apfel, so schön, so kunstreich vergoldet, wie kein anderer. Den holte er (Fr. Perthes) plötzlich mit halsbrecherischer Kunst herab und dunkel erröthend gab er ihn zur nicht geringen Berwunderung der Anwesenden dem ahnenden Mädchen (Caroline Claudius).“ Aber nicht einmal bis in dieses Jahr können wir den Christbaum allgemein zurück verfolgen. Schon unsere ältesten Leute können sich auf eine Zeit besinnen, wo er noch nicht auf dem Weihnachtstische stand. Aber auch die Zeit seines erstmaligen Auftretens und seine eigentliche Heimath sind uns unbekannt. An vielen Orten tritt er mit einem Male aus dem Dunkel hervor, mit einem Schlage ist er da, und niemand weiß, wo er hergekommen. Nachweisbar reicht er nur bis in das 17. Jahrhundert zurück, und wenn ihn Scheffel[3] ins 10. Jahrhundert setzt oder Schwerdtgeburth ihn auf seinem berühmten Lutherbilde[4] verwendet und sein Vorkommen somit bis ins 16. Jahrhundert ausdehnt, so entbehrt das jeder thatsächlichen Grundlage.

Im allgemeinen tritt der Weihnachtsbaum in Norddeutschland früher auf als im Süden. Während ihn nach München die Königin Karoline erst um 1830 brachte, führten ihn die preußischen Offiziere und Beamten in Danzig[5] und im Münsterland bereits 1815 ein. Im Jahre 1799 war der Weihnachtsbaum in Leipzig noch völlig unbekannt; denn Magister G. A. Eberhard erwähnt in seinem Buche über die Feste des Jahres[6] kein Wort davon, während er doch der Christbescherung, des gegenseitigen Beschenkens mit Wachsstöcken, der Umzüge des Knechtes Ruprecht und einer Menge Weihnachtsaberglaubens von Holstein bis Nürnberg ziemlich ausführlich gedenkt. Vierzehn Jahre früher, 1785, aus welcher Zeit wir eine ziemlich ausführliche Schilderung des Leipziger Weihnachtsmarktes haben, findet sich der Tannenbaum auf dem Christmarkte in dieser Stadt noch nicht. Dagegen soll er bereits 1765 in Leipzig vorgekommen sein. Als nämlich der junge Goethe in diesem Jahre im Hause der Großmutter des Dichters Theodor Körner, der Gattin des Kupferstechers Stock zu Leipzig, Weihnachten feierte, soll er hier einen Christbaum aufgestellt gefunden haben[7], mit allerlei Süßigkeiten behängt, darunter Lamm und Krippe mit zuckernem Christuskinde, Mutter Maria und Josef nebst Ochs und Eselein, davor aber ein Tischchen mit braunem Pfefferkuchen für die Kinder. Diese Nachricht ist aber keineswegs sicher verbürgt. In den Briefen Goethes an seine Schwester aus jener Zeit, welche erst neuerdings herausgegeben worden sind und in denen der Dichter sonst so gern Neuigkeiten mittheilt, ist von dieser Feier nichts erwähnt. Gleichwohl ist sie nicht ohne weiteres bei Seite zu schieben; fest steht, daß Goethe 1774 den Christbaum kannte. In den „Leiden des jungen Werther“ heißt es[8] von Lotte. „Sie beschäftigte sich, einige Spielwerke in Ordnung zu bringet, die sie ihren kleinen Geschwistern zum Christgeschenke gemacht hatte. Er (Werther) redete von dem Vergnügen, das die Kleinen haben würden, und von den Zeiten, da eine unerwartete Oeffnung der Thür und die Erscheinung eines aufgeputzten Baumes mit Wachslichtern, Zuckerwerk und Aepfeln in paradiesische Entzückung setzt.“

In einem zwei Jahre früher geschriebenen Briefe[9] Goethes wird bei einer kurzen Beschreibung des Frankfurter Christmarktes der Weihnachtsbaum noch nicht erwähnt. Schon einige Tage vorher hatte Goethe ein Packet an Kestner gesandt mit Geschenken für seine „zween kleine Buben“. Dazu schreibt er[10] „Lassts ihnen den Abend vor Christtag bescheeren, wie sichs gehört. Stellt ihnen ein Wachsstöckgen dazu und küsst sie von mir.“ Kannte damals Goethe den Brauch des Weihnachtsbaumes noch nicht? Oder war derselbe nur in Kestners Hause nicht üblich? Noch in einem Briefe vom Christtage 1773[11], welcher ebenfalls an Kestner gerichtet ist, erwähnt Goethe nichts davon. Hier gedenkt er überhaupt keinerlei Weihnachtsfestlichkeit.

Auch Schiller kannte den Weihnachtsbaum. Er schreibt von ihm als einer allbekannten Sache.[12] „… Donnerstag komme ich nach Weimar. – Daß Ihr Euch ja nicht von irgend einem heiligen Christ engagiren laßt! Ihr werdet mir hoffentlich einen grünen Baum im Zimmer aufrichten, weil ich Euretwegen um den Griesbachschen komme.“ 1790 kommt dann der Christbaum in Schillers Hause vor[13] und 1796 bei Frau von Stein mit Lichtern und Bescherung.

Eine Nachricht von Jung Stilling über den Christbaum aus dem Jahre 1793 scheint den Christbaum in Jung Stillings Jugend – er war 1740 zu Grund im Nassauischen geboren – zurück versetzen zu wollen. Er sagt einmal[14] : „Mir wars bei diesen Worten zu Muth als wie einem Kiude bei den apokryphischen Sprüchen seiner Mutter am Tage vor dem Christfeste: es ahnet etwas Herrliches, versteht aber nichts, bis es früh aufwacht und nun zum hell erleuchteten Lebensbaum mit vergoldeten Nüssen und zu den Schäfchen, Christkindchen, Puppen, Schüsseln mit Obst und Konfekt geführt wird.“

Aber noch weiter geht der Weihnachtsbaum zurück. Eine Salzburger Waldordnung vom Jahre 1755 verbietet die Bechl- oder Weihnachtsboschen. In dem Namen „Bechlboschen“ ist jedenfalls eine Erinnerung an Berchta zu suchen, der der 6. Januar, der Berchtentag, geweiht ist. Dies deutet auf einen heidnischen Ursprung des Brauches. Als heidnische Sitte wird der Christbaum geradezu bezeichnet von dem kursächsischen Rath Tentzel[15] : „Die alten Heiden satzten vor ihre Häuser zweene Dannen-Bäume creutzweise über einander und fraßen und soffen 19 Tage lang.“

Nach Schweden weist uns auch eine Volkssage in Lindenau bei Leipzig, welche bis in das erste Drittel unseres Jahrhunderts zurück zu verfolgen ist[16]. Sie erzählt: im Herbst 1632 nach der Schlacht bei Lützen wurde nach Lindenau ein durch die Hand geschossener schwedischer Offizier gebracht, der in der dortiger protestantischen Gemeinde freundliche Aufnahme und gute Pflege fand. Zu Weihnachten war er wieder so weit hergestellt, daß er die Reise in seine Heimath antreten konnte. Vorher wollte er jedoch [832] der Gemeinde seinen Dank erweisen und veranstaltete daher mit der Erlaubniß des Pfarrers in der Kirche des Dorfes „nach der Sitte seiner Heimath“ eine Weihnachtsfeier, bei welcher (zu der üblichen Christbescherung) ein Tannenbaum aufgestellt wurde, auf dessen Zweigen viele Lichter brannten. – Ist diese Sage nur erfunden, um das plötzliche Auftauchen des Christbaumes zu erklären, oder weist sie uns mit Recht nach dem Norden als der Heimath des Christbaumes?

Die Antwort auf diese Frage ist noch nicht gefunden. In Schweden gilt der Weihnachtsbaum allgemein für eine aus Deutschland eingeführte Sitte. Noch im Anfange unseres Jahrhunderts war er auf dem schwedischen Festlande unbekannt, wenigstens als Christbaum in unserem Sinne. Doch war es dort Brauch, vor den Häusern und Ortschaften Bäume und zwar Fichten oder Tannen aufzustellen.[17] Bei den Inselschweden an der russischen Küste auf Dagö und Worms war der Weihnachtsbaum damals üblicher als heutzutage.[18] An den mit Nüssen und Aepfeln geschmückten Tannen standen immer je fünf kleine Wachslichter auf einem Zweige. Einer mündlichen Nachricht zufolge[19] kannte zu gleicher Zeit das schwedische Festland nur folgenden Weihnachtsbrauch: in der Weihnacht zogen die Bauern in Scharen aus und suchten einen einsam im Freien stehenden Baum. Diesen zündeten sie an, und dabei fand großer Festjubel statt. Weihnachten 1887 berichtete die „Leipziger Zeitung“ einen vereinzelten Fall desselben Brauches aus der Nähe von Dresden. Unabhängig von allen diesen Bräuchen erscheint der Lichterbaum in der isländischen Volkssage.[20]

Doch zurück nach Deutschland! Schon 1816 war der Weihnachtsbaum in der heutigen Reichshauptstadt allgemein. In dem in jener Zeit erschienenen Märchen vom Nußknacker von Fouqué und Hoffmann steht bereits der Baum mit seinen goldenen Aepfeln in der Mitte. Im Anfang unseres Jahrhunderts übte die feine Welt in Berlin nach dem Vorgange der französischen Emigranten diesen Brauch nicht, denn derselbe galt für „ordinär“[21], sondern schmückte den Tisch, wie uns Schleiermacher[22] erzählt, mit Myrthen, Amaranthen und Ephen. Auch Tieck erwähnt in seiner „Weihnachtsnovelle“ den Lichterbaum nicht. Dagegen berichtet der Berliner Gymnasialdirektor W. Schwartz[23], daß der Ueberlieferung seiner Familie zufolge der Christbaum in das vorige Jahrhundert zurückreiche, was ja durch die Nachrichten von Goethe, Schiller und Jung Stilling erwiesen ist.

Am Rheine ist der Weihnachtsbaum ganz allgemein im Gebrauch. Bereits im Jahre 1805 erwähnt ihn Johann Peter Hebel in seinen „Alemannischen Gedichten“, jedoch ohne den Lichterschmuck, welcher ihm auch auf dem der fünften Auflage dieses Buches vom Jahre 1820 beigegebenen Kupfer fehlt, der zu Straßburg gestochen ist und das Bäumchen – gleich dem Kronleuchter des sächsischen Erzgebirges – hängend zeigt. Weiter rückwärts fehlt uns am Rheine jede Kunde von dieser Sitte, bis ins siebzehnte Jahrhundert. Damals[24] eiferte nämlich der Straßburger Professor Dannhauer gegen den Tannenbaum oder Weihnachtsbaum, den man zu Hause aufrichtet, mit Puppen und Zucker behängt und dann abschütteln läßt, ohne jedoch die Lichter zu erwähnen. Er nennt die Christbäume „Lappalien“.

Dies ist unsere älteste geschichtliche Nachricht von dem Christbaume. Der Lichterbaum reicht jedoch weiter zurück. Ihm begegnen wir bereits im dreizehnten Jahrhundert, einmal in dem altfranzösischen Romane „Durmart le galois“ und dann im „Parzival“ des Wolfram v. Eschenbach. In dem französischen Romane erblickt der Held zweimal einen Baum, dessen Zweige von oben bis unten mit brennenden Kerzen bedeckt sind. Doch noch glänzender als diese sitzt auf dem Wipfel ein leuchtendes Kind. Er fragt den Papst, was das bedeute, und erhält zur Antwort, der Lichterbaum bezeichne die Menschheit, die nach oben gerichteten Lichter seien die guten, die nach unten gerichteten die schlechten Menschen, das Kind sei Christus. Wolfram erzählt uns[25] daß es üblich war, beim Empfang hoher Gäste einen Baum mit Lichtern aufzustellen.

Die Sage verlegt das erste Auftreten des Christbaumes in Deutschland ins Jahr 1632. Eine frühere Kunde über ihn giebt es nicht, wohl aber eine solche vom Jahre 1571, welche beweist, daß er in jener Zeit wenigstens im damaligen Kurfürstenthum Sachsen noch nicht vorhanden war. Weihnachten 1571 hielt nämlich Herr Thomas Vinita (Winzer) in Wolkenstein in Sachsen eine Reihe Predigten über das Weihnachtsevangelium Joh. 5, 1 bis 14.[26] Darin spricht er auch von der Bescherung und sagt: „Die Kindelein finden in ihren Bündlein gemeiniglich fünfferley Dinge. Erstlich güldige als Gelt, viel oder wenig, nachdem der Haus-Christ vermag und reich ist, doch lassen sich auch die armen Kinderlein an einem Pfenninge oder Heller in Apffel gesteckt, genügen und sind guter Dinge darüber. Darnach finden sie auch geniesliche Dinge, als Christstollen, Zucker, Pfefferkuchen und aus diesen allen mancherley Confect und Bilde. Daneben Epfel, Birnen, Nuß und gar mancherley gattunge allerley bestes. Zum dritten finden sie ergetzliche und zu frewden gehörige Dinge als Puppen und mancherley Kinderwerk. Zum vierden finden sie nötige, und zur bekleidung und zier des lebens dienstliche Dinge, gar mancherley und hübsche Kleiderlein, von guten gezev mit seiden, gold und silber, und reinlicher arbeit gefertiget. Zum letzten finden sie auch, was zu lere, gehorsam und disciplin gehöret, als Abctefflin, Bibeln, und schöne Bücherlein, Schreib- und Federgezeuge, Papier etc. und die angebundene Christrutte.“ Betrachtet man diese Christruthe als etwas, das da mit „zu lere, gehorsam und disciplin gehöret“, so will sie fast an die Ruthe des Knechtes Ruprecht gemahnen. Aber ist nicht vielleicht mehr in ihr zu suchen? Ist die Christruthe vielleicht ein Vorläufer des Christbaumes? Berührt sie sich vielleicht mit dein „Weihnachtsboschen“ Salzburgs? Ist vielleicht gleich diesen beiden Ruthen der Weihnachtsbaum ein Sinnbild für die Ruthe aus der Wurzel Jesse oder für das Reis, das da entsprungen ist? Oder ist ihr gemeinsames Urbild der Paradiesesbaum, auf den der 24. Dezember als der Tag Adam und Eva hinweist? Deutet nicht die Bezeichnung „Lebensbaum“ bei Jung Stilling auf den Baum des Lebens im Garten Eden? Noch wahrscheinlicher wird dies dadurch, daß die mittelalterliche Legende bereits eine Beziehung zwischen diesem Baume und Christus erfunden, indem sie erzählte, Adam habe einen Senker vom Baume der Erkenntniß gepflanzt, daraus sei der Baum gewachsen, aus welchem später das Kreuz Christi gemacht wurde. Oder wurde vielleicht der Weihnachtsbaum aufgerichtet im Sinne des Lichterbaumes im „Parzival“, zum Empfange des Welterlösers auf dieser Erde?

Aber erinnern uns nicht ebensoviele kleine Züge daran, daß wir es hier mit einem heidnischen Brauche zu thun haben? Tentzel nennt denselben geradezu so, und hätte ihn Dannhauer nicht für einen solchen angesehen, so würde er nicht dagegen geeifert haben. Dazu kommt der „Bechlboschen“ Salzburgs und die Bezeichnung des Weihnachtsbaumes als „Maje“ oder „Moja“ in der schwäbischen Mundart, welche uns geradezu zwingt, den Weihnachtsbaum mit den anderen Jahresbäumen an ursprünglich heidnischen Festen aus gleiche Stufe zu stellen, mit dem „Sommer“ der Lätaregebräuche, den „Maien“ und „Pfingstbuschen“ sowie den „Erntemaien“.

Ist der Weihnachtsbaum eine christliche Sitte, entstanden in der Zeit der Reformation, der Zeit, wo allenthalben ein lebendiges Glaubensleben wieder rege wurde, oder ragt er, ein uraltes Sinnbild des großen Sonnen- und Himmelsbaumes, aus der grauen Heidenzeit herüber? Das ist eine Räthselfrage, auf die wir heute noch keine Antwort zu geben vermögen, heute, wo das Material noch in jeder Beziehung nur lückenhaft vorliegt. Daß aber der Zeitpunkt, wo dies möglich sein wird, bald komme, ist gewiß wünschenswerth, und es ergeht darum an alle Leser der „Gartenlaube“, an Alt und Jung, an jeden, der ein Herz hat für den schönsten Schmuck des deutschen Christfestes, die Bitte um Mittheilung von Nachrichten über den Weihnachtsbaum, woher sie auch kommen mögen, aus verstaubten Bänden, aus alten Briefen, aus der lebendigen Ueberlieferung des Volkes, oder aus dem Schatze der eigenen Erinnerung. Die Redaktion der „Gartenlaube“ ist gern erbötig, derartige Sendungen entgegen zu nehmen. [834] Meineke ließ die anderen Aerzte rufen, ältere und erfahrene Herren, und sprach ihnen von seiner Vermuthung, daß hier ein Fall von Scheintod vorliegen könne. Sie lachten ihn aus, untersuchten nochmals die Leiche und erklärten, daß sie sich überzeugt hielten, eine Todte vor sich zu haben. Er wandte sich trotzdem mit seinem Widerspruch an den General, und erschrocken bestimmte derselbe, daß die Beerdigung unter solchen Umständen um einen Tag verschoben werden solle. Aber vierundzwanzig Stunden später befand sich die Leiche noch in demselben Zustande. Kein Lebenszeichen an ihr war zu bemerken. Doktor Meineke bat gleichwohl abermals um Aufschub des Begräbnisses. Mehr als tags zuvor war er in Unruhe, und es konnten seine Gedanken sich nicht von dem eigentümlichen Eindruck loslösen, den der letzte Blick der Sterbenden und sein Funkensprühen auf ihn ausgeübt. Ja, wie er durchdringend seinen Blick aus ihre geschlossenen Lider heftete, so war ihm, wie er einmal unter der einbrechenden Dunkelheit noch bei ihr wachte, als leuchteten diese Funken durch die Augendecken.

Ungläubig gegen seine fort und fort erhobenen Zweifel an dem wirklichen Tode Karolinens, that man doch aus Gewisensangst seinen Willen und verschob die Beerdigung von einem Tage immer wieder zum andern. Alle Mittel, die man Meineke anwenden ließ, eine Wiederbelebung zu ermöglichen waren und blieben erfolglos. Und dennoch wurde er in seinem Glauben nicht wankend, denn kein Zeichen von Verwesung stellte sich ein. Er verließ das Zimmer, in dem der Sarg mit der blumengeschmückten Todten sich befand, nicht Tag noch Nacht. Oft hielt er seine schauerliche Wacht allein, und dann richtete er laute Worte an das starre, bleiche Gesicht im Sarge, wie ein Beschwörer. Die Sache erregte Aufsehen in Hannover; die Freunde und Bekannten der trauernden, in Bangen gehaltenen Familie liefen herzu, um ihre Neugier am Anblick der unentstellt Aufgebahrten zu befriedigen, und die Behörde wollte endlich auf die Proteste des jungen Arztes nicht länger Rücksicht genommen wissen. Ueber zwei Wochen hatte man es gethan.

Und in dem Augenblick, wo auf ihren Sarg der Deckel gehoben werden sollte, trotz einer letzten, auffällig inständigen Bitte Meinekes dagegen, sah er den langsamen Aufschlag ihrer Augen. Mit dem freudigen Schrei „Sie lebt!“ stürzte er auf sie zu.

Und mit einem aus Freude und Entsetzen gemischten Gefühle sahen die Anwesenden wie sich Glied um Glied der Todesbraut wieder belebte, wie sie sich endlich, unterstützt von dem triumphirenden jungen Arzt, in ihrem weißen Kleide emporrichtete und die Blumen dabei von ihrem Haupte niederfielen.

„Ja, ich lebe!“ kam es nun von ihren Lippen – „Ich lebte, als Ihr mich für todt hieltet, und hörte alles, was Ihr an meinem Sarge sprachet. Er, er ist mein Retter!“ Dabei leuchteten ihre Augen hell auf gegen den Arzt, der sie in seinen Armen hielt und trunkenen Blickes dies von ihm dem Tode abgetrotzte Leben betrachtete, dessen erster Laut ein Dank an ihn war.

Der Sarg wurde nun schnell mit dem Bett vertauscht und Doktor Meineke behandelte die vom Tode Erstandene weiter. Er galt nun alles im Hause, und Karoline sah in ihm denjenigen, dem sie wie ihrem Herrn über Leben und Tod gehörig geworden sei. Sie hatte während ihrer Todtenstarre, die einem hypnotischen Zustande entsprach, mit vollem Bewußtsein alles gehört, was um sie und über sie gesprochen worden, ohne fähig zu sein, eine Muskel zu rühren. Es war danach nicht erstaunlich, daß sie Meineke eine willenlose Hingebung für ihre Rettung bezeigte. Als nach einigen Wochen Karoline vollständig genesen war, bat er sie um ihre Hand, und sie nahm seine Werbung an. Von ihrem früheren Ehebunde wußte er nichts und erfuhr er auch nichts.

Für ihn war sie nur diejenige, die vom Tode auferstanden, die er einem neuen Leben zurückgegeben, und diese die Seine nennen zu dürfen, beglückte ihn.

Auch sie war glücklich durch seine Liebe und Werbung. Eine stille Heiterkeit kam über ihr Gemüth und eine Freude an dem neugewonnenen Leben, in welchem sich der wackere bürgerliche Mann als ihr Führer angeboten.

Niemals, seitdem die gerichtliche Scheidung ausgesprochen, hatte der Prinz wieder den Versuch erneuert, Karoline einen Brief von sich zukommen zu lassen. Als er ihre Todesnachricht erhielt, hatte er brieflich den General von Linsingen seinen Schmerz darüber in leidenschaftliche Ausdrücken bezeigt. Dann war ihm durch Ernst, mit dem er in freundschaftlicher Verbindung geblieben, mitgetheilt worden, daß seine Schwester nur einem Scheintod verfallen gewesen, durch den Doktor Meineke gerettet worden sei und sich nun mit ihm aus Dankbarkeit verheiraten werde.

Der Prinz geriet über diese Nachricht außer sich. Trotz seines dauernden Verhältnisses mit Dora Jordans, in dem er Ersatz für die zerstörte Verbindung mit Karoline gesucht, betrachtete er diese noch immer als das ihm gehörige Weib, mit dem sich zu vereinigen ihm auch noch als Hoffnung vorschwebte. Nun aber riß ihn die Furcht hin, sie an einen anderen verlieren zu sollen, und er schrieb ihr einen leidenschaftlichen Brief, in dem es u. a. hieß:

„Ich habe Antwort von Ernst. In wenigen Worten, die kalt dastehen wie der Tod, und die er, den Tod erwartend, auf den Vorposten bei Valenciennes nur mit Crayon mir schreibt. Hoffend, meine Nachrichten wären falsch, fragte ich den treuen wahren – Deinen, meinen Bruder. ‚Sie ist,‘ schreibt er, ‚entschlossen, sich nicht der Konvenienz zu opfern, sich dem Manne zu geben, der ihr das Leben rettete, dem einzigen, der nach Ihrem Verlust ihr Herz erwärmen konnte, und der sie mit einer Leidenschaft liebt, die nur der Ihrigen nachsteht.‘ – Sie ist entschlossen, so sagt der, der Dich nach Deinem William allein kennt. Ich weiß, was das heißt. Du liebst nicht jenen Mann, drei Jahre tödten Deine Liebe nicht. Du bist nur dankend, willst nicht zwei Unglückliche machen und vergißt mein Elend. Kannst Du das? Bedenke den Ahnenstolz der Deinen, Deiner Landsleute, laß mich Dich fortreißen. – Mein Wort gab ich, nicht Dir zu schreiben, nicht breche ich es heute, mach mir diesen Vorwurf nicht; denn für das Unerhörte gab ich es nicht. – Hier liegt Deine Entsagung, dieser furchtbare Beweis Deiner Liebe für mich, hier liegt Dein Brief an meine Mutter, den Du vor drei Jahren schriebst, und ich sollte Dir glauben, Du liebtest heut einen andern? Weib, dem kein anderes gleicht, Weib, das allein mein Herz füllte und ewig füllen wird, Weib mit der Feuerseele, Du liebst für die Ewigkeit, und nur William, nur Deine erste Liebe kann Dir genügen. Oder willst Du – gräßlich, abscheulich – es mir unmöglich machen, je wieder Dein zu werden? Heilig ist das Wort, das ich, durch Dich verleitet, den trauernden Eltern gab; aber ich gab es nur bedingungsweise, Du kannst es lösen, und noch ist alles, wie es war. Die Nation liebte mich vormals, jetzt betet sie mich an, mein Bruder ist in meiner Hand, und diese Insel ist nicht meine Welt, wenn sie Dich nicht vergöttert, wie ich. Noch besser wie ehemals können wir unsere Wünsche erreichen – unsere, unsere, sage ich – denn, Weib meiner Jugend, sie sind noch jetzt auch die Deinigen. – – Von Dir will ich alles hören; ich will Wahrheit aus Deinem Munde, Du kannst mich nicht täuschen. Schreibst Du mir nicht, so hält, so bindet mich nichts. Ich komme und reiße Dich vom Altare – wer wird’s wagen, mir mein Weib zu entreißen? Mein Gefühl, meine Angst erstickt mich! – – – –

Löse Deine Bande, sei mein – oder ich fluche der Tugend selbst. Ich fluche Dir, der Heiligkeit unserer Liebe, ich fluche Deiner Gewalt über mich, ich fluche mir, daß ich meine gesetzmäßigen Rechte an Dich nicht geltend machte und nahm, was mein war, um es nie wieder verlieren zu können. O Weib, Weib! Ewig bin ich Dein – nie nennt eine andere Deinen William den Ihren.“

In folternder Ungeduld erwartete er die Wirkung dieses liebestürmenden Briefes. Fest entschlossen war er zum Aeußersten, wenn Karoline es wollte. Dann war Dora Jordans nichts mehr, ein Mond nur gegen die Sonne, die ihre unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn wieder übte. Vater und Mutter mußten dann vor seiner Liebe sich beugen, oder er gab sie und alle seine Rechte an den Thron dahin. Das Scheidungsurtheil hatte ihm nichts gegolten – was fragte er nach diesem Stück Papier? Karoline war sein Weib und nun mußte sie auf die letzte große Frage sich entscheiden, ob sie ihm, ob sie einem anderen gehören wollte.

  1. Kügelgen, Jugenderinnerungen 1870, S. 79.
  2. Clemens Theodor Perthes: Friedrich Perthes Leben 1853; I, 84.
  3. Ekkehart. Kap. 10.
  4. Luthers Abschied von seiner Familie, 1845 entstanden.
  5. Mannhardt, Baumkultus der Germanen, 1875, S. 240.
  6. Mag. Gotthilf Anton Eberhard, Privatlehrer zu Leipzig, Geschichte der Sonn- und Festtage, Erfurt, 1799, S. 25 ff.
  7. Vergl. „Kunst und Leben aus Friedrich Försters Nachlaß“, 1873.
  8. Nach dem 20. Dez. des zweiten Jahres.
  9. Vom 26. Dez. 1772; derselbe ist an Kestner gerichtet und findet sich bei A. Kestner, „Goethe und Werther,“ Stuttgart und Tübingen, 1854, S. 114.
  10. Ebenda S 111.
  11. Ebenda S 192.
  12. Emilie von Gleichen-Rußwurm, „Schiller und Lotte,“ Stuttgart und Augsburg, 1856. S. 574 am 21. Dez. 1789.
  13. Charlotte von Schiller, 2, 276.
  14. Jung Stillings sämmtliche Werke, Stuttgart, 1841. 4. Bd., S. 8 im „Heimweh“.
  15. Monatliche Unterredungen einiger guter Freunde von allerhand Büchern und anderen annemlichen Geschichten, Leipzig, 1690, S. 456.
  16. Bisher ungedruckt, dem Verf. mitgetheilt von Herrn Prof. Dr. Rudolf Hildebrand zu Leipzig.
  17. Finn Magnusen, Lexic. mythol. 1828. S. 779. M. fügt dazu die Bemerkung, daß Dänen, Norweger und Deutsche dasselbe thäten, nur innerhalb der Gebäude.
  18. K. Rußwurm. Eibofolke, II S. 96 § 296.
  19. Der Gewährsmann des Verf. ist Herr Prof. Dr. Rudolf Hildebrand zu Leipzig.
  20. Mohr, Forsög til en Islandsk Naturhistorie. Kjöbenhavn 1786. S. 187, und Maurer, Isländische Sagen, Leipzig 1860, S. 178.
  21. W. Schwartz, Indogermanischer Volksglaube, Berlin 1885. S. 38. Anm.
  22. Weihnachtsfeier, Berlin 1805.
  23. Indogermanischer Volksglaube. S. 38. Anm.
  24. 1657 in seiner Katechismus-Milch V, 649.
  25. Parzival 82, 25 „von kleinen kerzen manec schoup geleît ûf ölbaume loup“
  26. 1572 bei Schwertel in Wittenberg im Druck erschienen.