Wie Menschen und Dinge sich verlieren
In einem ansprechenden Feuilletonartikel über deutschen Humor hat F. Kürnberger jüngst das Andenken an einen witzigen Künstler aufgefrischt, der seiner Zeit auch durch seine malerischen Leistungen rasches Aufsehen machte und dann ebenso rasch für die öffentliche Aufmerksamkeit verschwand, so daß er jetzt schon zur Mythe geworden zu sein scheint, denn der genannte Schriftsteller führt ihn irriger Weise als den „altbaierischen Maler Mendt“ auf und bringt ihn mit dem hannoverischen Advocaten, späteren Legationsrath Detmold – am bekanntesten durch die Rolle, die er in der achtzehnhundertachtundvierziger Periode in Frankfurt spielte – zusammen, dessen Koboldsnatur er vielleicht mit Absicht, aber ohne Grund und gegen die Wahrheit nach Düsseldorf verlegt. Beide Männer haben nie in dieser Stadt gelebt und sind, so weit die äußeren Umstände einen Schluß erlauben, wohl niemals einander nahe gekommen; der vermeintliche Altbaier aber mit dem jovialen, kecken Humor und der ausgesprochensten Leipziger Mundart ist der sächsische Maler Mende, über dessen Schicksale mir dieser Anlaß einige Erinnerungen wachruft.
Karl Adolf Mende, im Jahre 1807 zu Leipzig geboren, begann seine künstlerische Lehrzeit in Dresden. „Aber ich konnte dort nicht vorwärts kommen,“ erzählte er, als ich ihn kennen lernte; „Tadel und Verdruß war Alles, was ich in der Schule erntete, und ich hatte doch das Gefühl in mir, daß ich Besseres schaffen könne als meine Mitschüler und die Lehrer dazu. Als mir eines Tages unser Director sagte: ‚Aus Ihnen wird nie ein Maler,‘ da fuhr mir der Zorn durch die Adern; ich legte meine Mappe zusammen, und mit dem Worte: ‚Ich werde Ihnen zeigen, was ich kann!‘ bin ich fortgegangen, direct nach München. Und ich habe es gezeigt.“
So war es. Mende hatte in Dresden die Aufgabe der Schule verkannt. Wie es Leuten von cholerischem Temperamente oft ergangen ist, stellte sich sein feuriger Geist bestimmte Aufgaben, die er lösen wollte, vor Augen und achtete zu wenig auf den Theil der Kunst, womit sich die Schule zu beschäftigen hat, die Aneignung der technischen Bedingungen, welche zur kunstgerechten Ausführung einer Idee unentbehrlich sind. Was ihm seine Dresdener Lehrer nicht hatten begreiflich machen können, das lehrte ihn sein Ehrgeiz in München erkennen und erwerben, die Kunst mit Farben umzugehen und nicht gegen die Wirklichkeit zu verstoßen. Er erregte Aufmerksamkeit mit einem Bilde, zu dem ihn Jugenderinnerungen veranlaßten, da er als Knabe aus einer Dachluke den Kämpfen um die Befreiung Deutschlands von dem französischen Joche zugeschaut hatte; es ist das noch heute nicht vergessene Bild „Die Völkerschlacht bei Leipzig aus der Vogelschau gesehen“. Nach einigen anderen Gemälden von durchschlagendem Erfolge brachte er seine „Vertheidigung eines Tiroler Hauses“, ein Bild, welches allgemein das größte Aufsehen erregte und – was damals viel sagen wollte – als Kunstvereinsprämie vervielfältigt wurde. Mehr als in der Farbengebung und dem aufmerksamen Studium der Natur, welches die Zeichnung bis zu den Nägeln im Fußboden darlegte, offenbarte sich der Geist des Malers in der Auffassung. Kein unruhiges Zusammentreffen feindlicher Gruppen, sondern der enge Raum einer Bauernstube, an deren verrammelten Fenstern Männer im Anschlage liegen oder auf den draußen vordringenden Feind schießen; Weiber, die Munition zubringen, Knaben, welche mit Lebensgefahr das Blei der Dachrinne abreißen und Kugeln davon gießen, ein Verwundeter, dem Trost und Pflege gereicht wird – das ist Alles, was die Tafel zeigt, aber mit so ergreifender Wahrheit, daß man empfindet: hier wird ein volksthümlicher Verzweiflungskampf geführt.
Einen Abdruck des Bildes schickte der hochgefeierte Künstler nach Dresden mit den lakonischen Begleitworten: „Da sehen Sie, ob ich kein Maler bin!“ – Und in diesem glücklichen Momente, da der Ruhm ihm nicht blos Kränze, sondern auch Früchte bot, verschwand er aus München, ohne daß man weiter von ihm hörte.
Einige Jahre später – ich glaube 1847 – traf ich ihn in der Gegend des Comer Sees. „Nachdem ich in München,“ sagte er, „eingesehen, daß es nicht genügt, Ideen zu haben, sondern daß man auch lernen muß, denselben eine schöne Form zu geben, ließ es mich nicht rasten; ich wollte ergründen, wie es die alten italienischen Maler gemacht haben; nun bin ich so und so viel Jahre durch Italien bis zur Fußspitze des Stiefels gestreift, um zu studiren, auf welche Weise jene großen Meister so wunderbare Farbenwirkungen hervorbrachten. Jetzt hab’ ich’s,“ schloß er mit Selbstbewußtsein. Daß es keine Ueberschätzung und Schönrednerei war, habe ich später aus dem Munde angesehener Maler erfahren, denen er ohne Rückhalt die mühsam erworbenen Kenntnisse mittheilte. Damals sah ich von ihm nur etliche kleine Farbenskizzen und eine Menge Bleizeichnungen in so kleinem Formate, daß sie bequem in der Tasche zu tragen waren, Genrebilder, heitere und ernste Entwürfe von solcher Mannigfaltigkeit und fesselnder Wirkung, daß er daran dreimal für sein ganzes Leben genug zu malen gehabt hätte. Allein das war es nicht, was ihn augenblicklich beschäftigte; ihm steckte etwas im Kopfe, das nicht zur Kunst gehörte und worüber er sich nicht aussprach. Erst im Jahre 1848, da ich ihm in Frankfurt am Main wieder begegnete, wurde ich es gewahr.
In den Tagen, als die deutsche Nationalversammlung zusammengetreten war, tauchte er dort auf und suchte Fühlung mit den Männern der Linken. Er hatte sich in die italienischen politischen Verbindungen eingelassen und war jetzt abgeschickt worden, zu erforschen, ob sich ein Zusammenwirken der freiheitlichen Bewegungen diesseits und jenseits der Alpen erreichen ließe. Der Erfolg mußte nicht nach seinen Wünschen sein, denn ich bemerkte bei den wenigen Begegnungen, die mir der Zufall mit ihm gewährte, [873] eine Verstimmung an ihm, die bis zur Bitterkeit ging. Dann war er plötzlich wieder verschwunden. Nicht lange darauf erscholl die Kunde von Radetzky’s Siegen – was war aus Mende geworden?
An einem ganz andern Punkte der Landkarte sollte ich es vier oder fünf Jahre später erfahren. Auf einer Fahrt aus dem Mecklenburgischen nach Oldenburg war unser Fuhrwerk zu ich weiß nicht welchem kleinen Orte im nördlichen Striche der Lüneburger Haide gekommen, als ein Mann meine Aufmerksamkeit anzog, der an einem tüchtigen Stocke mit aller Kraft der Sehnen auf einem Seitenpfade durch den dichten Nebel schritt. Die hohe, fast dürre, aber knochenstarke Gestalt, die kühne, straffe Haltung, der Ueberrock von einer besonderen grauen Farbe, genau wie das Haar des zottigen Hundes, der lustig neben ihm trabte – das konnte Keiner sein als Mende und sein „Schnauz“. Er war es. Der Hund, der wie eine Mischung von Pudel und Rattenfänger aussah, aber eine italienische Art war, bildete sozusagen ein Stück von ihm; er liebte das anhängliche, muthige und kluge Thier in solchem Maße, daß er die jährliche Schur von dessen Haar aufbewahrte, bis dieses hinreichte, um es spinnen und weben zu lassen; der Rock, den er daraus schneidern ließ, war sein Lieblingsgewand. – Bei einem Glas Grog, aus schlechtem Rum und leidlichem Rothwein gemischt, wie es die Dorfschenke hergab, erzählte er seine Geschichte seit Frankfurt. Dort hatte er eben solche Vielköpfigkeit der Ansichten und Unklarheit des Strebens gefunden wie in Italien. Die Raschheit, womit die Bewegung des Jahres 1848 über halb Europa hereinbrach, hatte zwar die Geister überall aufgerüttelt und Wünsche erweckt, allein nirgends vorbereitete Gemüther angetroffen; aus lauter Begeisterung und ungeduldiger Hitze machte man Putsche, hier Hecker und Struve, dort die Republikaner und Piemontesen. Nach der Niederlage der letzteren war es mit den italienischen Freiheitsträumen vorbei. Mende, der mit Grausen die blutigen Schlachtfelder gesehen, fühlte sich in Italien nicht mehr sicher. Er suchte schweizerisches Gebiet auf und gelangte in großer Entblößung von Mitteln nach Basel, wo einige Freunde für ihn sorgten, so gut es an dem Orte zu thun war.
„Was sollte ich machen?“ rief er mit einem Lachen, in dem Zorn und Heiterkeit sich mischten. „Nach Deutschland wagte ich mich nicht sogleich. Ich putzte die verfallenen Wandbilder im Stadthause auf, wofür mich die Millionäre wie einen Tagelöhner bezahlten, aber ich mußte das tägliche Brod haben und – gerächt habe ich mich gründlich.“
Weil er ein närrischer Kauz war, der den Aerger, den er niederschluckte, in Spaß ummünzte, daran sich schwer unterscheiden ließ, ob er kitzeln oder beißen sollte, so ließen ihn die reichen Geldherren von Basel in ihrem Casino zu, das sie im „Riesen“ hatten, damit er die Zeitungen lesen konnte, und er wußte sich durch die Schlagfertigkeit seines Witzes bei ihnen so in Gunst zu setzen, daß sie auf den Vorschlag seines Freundes eingingen, er solle die gesammte Gesellschaft „Zur Baseler Maus“ conterfeien und in einem Bilde zusammenstellen. „Sie bekamen es ja billig,“ lachte der Schalk. „Da hatte ich denn reichliche Gelegenheit, die kleinlichen Leidenschaften dieser nur für Geld und Sinnengenuß eingenommenen Menschen – es ist der excentrische Künstler, der so spricht – „recht gründlich zu studiren und aus jedem Gesichte zu erforschen, für welche Art von niedrigem Gelüst seine Züge am besten zu verwenden wären, damit sie als Typus einer Gemeinheit oder rohen Leidenschaft erschienen.“ Mit rastlosem Fleiße schuf er so ein Kunstwerk besonderer Art. An dem runden Tische des Casinos saßen, im Halbkreis malerisch gruppirt, die Mitglieder dieser Gesellschaft, deren materialistische Denkungsweise ihn so grimmig empört hatte, jedes Gesicht wunderbar fein und getreu wiedergegeben, und doch war es nicht der bestimmte Mensch, den er vor sich gehabt hatte, sondern die Züge desselben waren zum typischen Modell irgend einer Leidenschaft ausgebildet. Ueber dem freien vorderen Theil des Tisches sah man die Erholung der Herren: die Baseler Maus, ein auf verborgenen Rädern laufendes Thierchen, lief zum „Gewinnen oder Verlieren“ über den Tisch, und der Wirth und sein Sohn, beide von auffallender Körperbildung, welche Wein herbeitrugen, deuteten den übrigen Zeitvertreib an.
Der geniale Schelm hatte sein Spiel geschickt getrieben – man merkte nichts. Als es aber zum Bezahlen kam, fand man Mende’s bescheidene Forderung zu hoch und entrüstete ihn durch armseliges Gebot. Da ließ er in seiner Hitze gegen irgendjemanden die Aeußerung fallen, daß die Herren es bereuen würden, und sagte vielleicht noch mehr; genug, der Possen, den ihnen der Maler hatte spielen wollen, daß sie in ihrem Casino die eigenen Bildnisse als satirische Charakterbilder[1] zur Schau hängten, wurde den Herren hinterbracht, und da sie ja auch in der Regierung saßen, so beschlossen sie, Mende in der Nacht auszuheben, sein Bild zu vernichten und ihn selbst als Revolutionär über die deutsche Grenze zu liefern. Doch wie der Verräther, so wachte auch der Freund. Mende erhielt rechtzeitig einen Wink und Beihülfe, daß er am Abende sein Bild und seine Person auf badisches Gebiet in Sicherheit zu bringen vermochte. Er eilte nach Frankfurt, wo er das Bild zu verkaufen hoffte. Wie es schien, hatten die Baseler seine Spur überholt; er wurde überall zurückgewiesen. Rasch entschlossen begab er sich nach München und fand dort einen Kunsthändler, der das Bild, welches in künstlerischen Kreisen ungewöhnliches Aufsehen erregte, mit dem Rechte der Vervielfältigung erwarb. Fallmerayer war von den Kunstwerke so entzückt, daß er den Pathen dazu abgab; die Blätter, welche für die Verbreitung bestimmt waren, sollten die Ueberschrift „Stillleben reicher Leute“ führen. Vervielfältigt worden ist es allerdings, doch hat es den Anschein, daß es die Welt nicht zu sehen bekam. Außer einem Premier-Abzuge, den Mende besaß, ist es vielen späteren Bemühungen nicht gelungen, von dem Bilde oder der Vervielfältigung etwas zu entdecken; es scheint sich verloren zu haben. Möglich, daß die von dem Genie Mißhandelten sich durch größere Summen, als sie dem Maler hatten zugestehen wollen, vor dem öffentlichen Spotte schützten.
Mende hegte diese Besorgniß, da er von dem Kunsthändler vergeblich fernere Exemplare erwartete, und ein neuer Vorfall bestärkte ihn in dieser Meinung. Von München war er nach Hannover gegangen, wo er, seiner eigenen Mittheilung zufolge, in Künstlerkreisen mit Herzlichkeit und Anerkennung aufgenommen wurde. Daselbst wurde eben die Jahresausstellung norddeutscher Kunstvereine eröffnet. Unser Maler hielt dies für eine Gelegenheit, sich durch sein „Stillleben reicher Leute“ und etliche andere Sachen der Aufmerksamkeit zu empfehlen. Er hatte nämlich Pläne für mehrere große Bilder, die er theils in Zeichnung, theils in Farbenskizze entworfen hatte. Zwei davon, die ich unter vielen sah, als ich ihn bald nach dieser Begegnung in Hannover besuchte, stehen mir noch in Erinnerung.
Das eine erinnerte an die „Vertheidigung eines Tiroler Hauses“ durch die feine Auffassung, womit der Maler alle Schrecken eines blutigen Zusammenstoßes in der Vorstellung erweckte, ohne den Beschauer unmittelbar in die Verwüstung blicken zu lassen. Es war eine Scene aus dem italienischen Aufstande. Auf der linken Seite der Tafel sah man eine schräg gegen die Mitte gelagerte Dorfkirche, vor der sich der von einer Mauer umschlossene, das Hauptfeld des Bildes abgebende Friedhof ausbreitete. Hierher hatte sich geflüchtet, was für den Kampf nicht taugte, Weiber, Greise, Kinder; im Vordergrunde einige Verwundete – Zeugnisse dessen, was in der tiefern Straße jenseit der Kirchhofsmauer geschah, über die etliche Buben und Männer in den Tumult schaueten oder daran theilnahmen, den Bajonnette, allerlei Waffen und Köpfe mit militärischen und bürgerlichen Bekleidungen andeuteten. Ein Priester im Ornat und mit kirchlichem Geleit näherte sich den Verwundeten, neben denen links in der Ecke die Zündung einer herübergeflogenen Granate hoch aufsprühete – ein Bild der höchsten künstlerischen Ruhe, das die wildeste Bewegung vergegenwärtigte. Obgleich nur Skizze, war die Farbengebung so wunderbar, daß Bandel, der Meister des Hermannsdenkmals, mit dem ich hingegangen war, ausrief: „Woher nur der Mensch solche Farben nimmt!“
Das andere Bild, eine Zeichnung, beschäftigte sich mit Falstaff und dem Prinzen Heinz. Eine Londoner Kellerkneipe, welche rechts durch die Stiege von der Straße und ein Fensterlein das Tageslicht der Scene erhält; an der darauf schießenden Seitenwand drei Brettertafeln mit Holzbänken; an der ersten die Wirthin und irgend welche lustige Zeisige, die ihre lockere Kurzweil treiben; an der Ecke der zweiten, den Hauptpunkt der Tafel einnehmend, Falstaff neben Dortchen, mit der Rechten ein Weinglas schwingend, die Linke gemächlich in der Tasche; an ihm hinaus unter der trüben Lampe, welche die dritte Tafel erhellt, raufen [874] Kartenspieler. Aber getrennt von den Gruppen, deren Kernpunkte wir eben erwähnten, jenseits der Gatterthür auf der Stiege, wo das volle Tageslicht auf ihn fällt, steht der Prinz und überblickt lächelnd die Scene. Ließ sich die Gemeinschaft und die Entfremdung, die zwischen Heinrich und seinen Cumpanen bestand, feiner bezeichnen?
Diese und einige andere Bilder wollte Mende nur im größten Maßstabe ausführen und hoffte in Hannover – weitreichende Verbindungen hatte er überall – Bestellung dafür zu finden; wenn nicht, so wollte er sich nach England begeben. – Nach Besprechung mit einigen Künstlern, die er als maßgebend für die Ausstellungsangelegenheiten betrachtete, hängt er den Abdruck seines Baseler Bildes nebst den Portraitstudien der einzelnen Köpfe in Aquarell an einer Nebenwand der Ausstellungsräume auf. Kaum hat er den Rücken gewendet, da tritt der Cassirer des Kunstvereins, ein Banquier, ein; die Mende’schen Sachen erblicken und „den ganzen Plunder“ hinausschaffen, ist ein Augenblick. Der Cassirer handelte eigenmächtig, es konnte ja eine Erlaubniß des künstlerischen Vorstandes bestehen; allein er war auch im Rechte, weil es ihm nicht angezeigt worden und Vervielfältigungen, Skizzen und dergleichen statutenmäßig ausgeschlossen waren. Aber man denke sich Mende, da er es erfuhr! Die Erinnerung an Basel und Frankfurt gab ihm in den Sinn, daß der Cassirer im Einverständnisse mit den „Millionären“ sein Bild unterdrücken wolle.
Diesen Glauben bestärkte ein anderer Vorfall. Auf einem Spazierwege kam er an einem Mitgliede der österreichischen Gesandtschaft vorüber, das in einer Unterredung dastand; im Vorbeischreiten meinte Mende aus dem Munde dieses Herrn, der, wohl zufällig, die Augen nach ihm gewendet hatte, den Zuruf zu hören: „Fort, fort! sogleich!“ Sich eine politische Verfolgung einbildend, hatte er sich unverzüglich aufgemacht und war mit seinem Hunde fünf Tage lang durch die Haide gestreift, als ich ihn traf. Sein künstlerisches Auge war dabei offen geblieben. „Großartig!“ rief er aus; „diese erhabene Einsamkeit, und die unvergleichlichen landschaftlichen Reize in diesem ‚Meere des Landes‘; die Dachauer Gegend ist nichts im Vergleiche hiermit. – Ich lachte ihn wegen seiner thörichten Einbildung aus, denn damals herrschte in Hannover noch eine liberale Richtung, und es gelang mir ihn zu überzeugen, daß er Gespenster gesehen habe. Er begleitete uns bis zum nächsten Eisenbahnpunkte und fuhr wieder nach Hannover. Hier wäre der einzige Zeitpunkt gewesen, da Mende mit Detmold zusammengetroffen sein könnte; aber dieser machte ein gesucht vornehmes Haus und mied die Künstlerkreise, Mende hingegen hatte sich durch sein hitziges Wesen für die aristokratischen Sphären unmöglich gemacht.
Als ich Monate später einen Bekannten aus dieser Stadt traf und nach Mende fragte, erhielt ich zur Antwort, er sei nach seiner Gewohnheit von dort abgereist, ohne zu sagen wohin; man vermuthe, daß er seine Absicht, in England das Glück zu versuchen, ausgeführt habe.
Also wieder verschwunden! Und schwerlich würde ich von ihm mehr zu sagen vermögen, wenn mich nicht ein Geschäft im Juli 1855 nach Bremen gerufen hätte. Auf der Strecke zwischen Verden und Achim kam ich in’s Gespräch mit einem Herrn, der die Frage an mich richtete:
„Sie wollen wohl auch nach Achim?“
„Was sollte ich dort? Die Bremer Cigarrenfabriken ansehen?“
„Ich meinte wegen Mende!“
„Mende?“
Und nun hörte ich voll Erstaunen, daß Mende in dem kleinen Orte bei einer Persönlichkeit, die ein lebhaftes Interesse für sein künstlerisches Wirken hegte, in der letzten Zeit gelebt hatte.
„Vor einigen Tagen,“ fuhr mein Begleiter fort, „bemerkte man seinen Hund am Ufer der Weser, unruhig und heulend; das arme Thier war ganz durchnäßt; es rannte zum Wasser und wieder zurück, als flehe es um Hülfe. Bald danach fand man den Leichnam des Malers; er war ertrunken.“
So kam es, daß ich den Fuß an den Rand der Gruft setzen konnte, die an diesem Tage den rastlosen Mann zur ewigen Ruhe aufnahm. Was der Anlaß seines Todes war, habe ich nie erforschen können; daß die Noth ihn nicht zu einem verzweifelten Schritte gedrängt, lag auf der Hand, da er in angenehmen Verhältnissen lebte und eine ansehnliche Summe Geld hinterließ. Es muß also wohl ein Unglücksfall gewesen sein, der den Künstler, dessen Lust es war, kühne große Gedanken in leuchtenden Farben darzustellen, in der trüben Fluth der Weser für immer in Nacht versenkte und die großen Entwürfe begrub, für deren Ausführung er sich mit eiserner Zähigkeit eine ungewöhnliche Befähigung angeeignet hatte.- ↑ Vorlage: „Charaterbilder“