Textdaten
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Autor: H. Stahl alias Jodocus Temme
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Titel: Elias Grail
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aus: Westphälische Sagen und Geschichten
Seite 131–144
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: Büschler’sche Verlagsbuchhandlung
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Erscheinungsort: Elberfeld
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
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Quelle: Commons = Google
Kurzbeschreibung:
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[131]
Elias Grail,
eine geschichtliche Sage.


Unter den fränkischen Königen, die am Ende des siebenten Jahrhunderts regierten, lebten zwey Verwandte edlen Ursprungs, von denen der Eine Theodorich, der Andere Daltho hieß. Beyde zeichneten sich durch Muth, Tapferkeit und Treue aus, und leisteten ihren Königen die wichtigsten Dienste. Um diese zu belohnen, ernannte König Dagobert II. von Austrasien und Neustrien den Einen von ihnen, Daltho, zum Grafen von Thurgau in Helvetien und zum Advokaten des Bisthums Basel; den Anderen, Theodorich, aber machte er zum Grafen von Theisterbant und Cleve.

Die Grafschaft Cleve, die späterhin unter dem Kayser Sigismund zu einem Herzogthum erhoben wurde, besteht, wenigstens dem Namen nach, noch jetzt, und Jedermann kennt sie, ihre Lage und ihre Grenzen. Die Grafschaft Theisterbant aber ist ihrem Namen nach verschwunden. Sie bestand aus den Inseln Thiel und Bommel, dem Gebiete von Workum, Altena, Wanden, Heusdum, Arkel, Kulenburg und Büren, und dem ganzen Landstriche zwischen den Flüssen Lach und Linge bis an die alte Maas.

[132] Der Graf Theodorich herrschte mit Milde und Weisheit über diese beyden Grafschaften; er zog sich, bereits bejahrt geworden, von dem wilden Kriegerhandwerke zurück, und lebte nachdem seine Gattin längst verstorben war, mit seiner einzigen Tochter, Namens Beatrix, still und zufrieden auf seiner Burg zu Cleve, deren Mauern damals noch von den Wellen des Rheins bespült wurden. Doch, wenn gleich ein stilles und zufriedenes, ein langes Leben fristete ihm das Geschick nicht mehr. Er starb nach wenigen Jahren der Ruhe, betrauert von seinen Unterthanen, auf das schmerzlichste beweint von seiner Tochter, die jetzt, nachdem auch der Vater gestorben war, getrennt von ihren entfernt wohnenden Verwandten, verlassen und allein dastand, in einem kalten, wilden Leben, ohne Freund und ohne Beschützer.

In damaliger Zeit war Carl Martell, der Großvater Carls des Großen, unumschränkter Beherrscher der fränkischen Monarchie, als Herzog von Neustrien und Major Domus Austrasiens; dieser ernannte zum Nachfolger Theodorichs in den Grafschaften Theisterbant und Cleve seinen Freund und Waffengefährten Elias Grail oder Gralius. Woher dieser Elias Grail stammte und welchen Geschlechts er war, wußte zwar Niemand, aber bekannt war es, daß Carl Martell nur ihm sein Leben und seine Macht zu verdanken habe, und von ihm auf wunderbare Weise beschützt und errettet sey.

Als nemlich im Jahre 714 Pipin von Herstall, Major Domus des fränkischen Reichs, gestorben war, wurde ihm, unter dem roi fairneant Chilperich dem II., zuerst sein unmündiger Sohn Theudobald, bald nachher [133] aber von einer Gegenpartey der Herzog Raginfred zum Nachfolger erwählt, obgleich er schon während seiner Lebzeit angeordnet hatte, daß kein Anderer, als sein Sohn Carl Martell ihm in seiner Macht und in seinen Würden nachfolgen solle. Diesen Carl Martell hatte Pipin, obgleich seine rechte Gemahlin Plecktrudis zu Cöln noch lebte, mit seinem Kebsweibe Alpais gezeugt, mit der er sich bis ans Ende seines Lebens auf einem Schlosse in Frankreich[1] aufhielt; er hatte ihn zu seinem Nachfolger ausersehen, weil er mit richtigem Blicke den künftigen Helden und Regenten in ihm sah. Allein Plecktrudis, die ihrem Sohne Theudobald die Regierung verwahren wollte, hatte sich früh Carl Martells zu bemächtigen gewußt, und hielt ihn jetzt, nachdem Pipin gestorben war, und sie Theudobald als seinen Nachfolger hatte anerkennen lassen, in Cöln gefangen.

Wer ein Auge auf die nachherigen Thaten Carl Martells wirft, in denen der kühnste Heldengeist in klarer Entwickelung steht, der wird leicht die Wuth ermessen, mit der er ein Geschick tragen mußte, das ihn zu der schmachvollsten Unthätigkeit verdammte, während Fremde sich um eine Krone stritten, die nur ihm zugehörte. Denn schon damals war der Major Domus der eigentliche König, und Carls Sohn, Pipin der Kurze, gab später der Sache nur eine, nach damaligen Begriffen, legale Form dadurch, daß er sich vom Päpstlichen Stuhle die Königswürde, als ihm zustehend, zusprechen und sich damit zum Könige salben ließ.

[134] Vergebens sann der Gefangene auf Mittel sich zu befreyen; seine feindselige Stiefmutter hatte ihre Maßregeln zu gut getroffen, weder List noch Gewalt konnte ihn retten. Mochte er toben, wüthen, verzweifeln, nichts half.

Da erschien – erzählt die Sage – in einer Nacht an seinem Lager ein Jüngling, der war fremd, aber schön und glänzend anzusehen. Dieser nahm seine Hand und gebot ihm, aufzustehen und ihm zu folgen, indem er ihn befreyen wolle. Der gefangene Herzog sah ihn voll Verwunderung an, aber er trauete ihm, erhob sich und folgte ihm; und wie sich wunderbarer Weise vor dem Jünglinge die Thore öffneten und die Zugbrücken niederließen, so schritten sie sonder Gefähr und sonder Anstand aus dem Gefängnisse und aus der Burg, und kamen an das Ufer des Rheins. Hier war ein Nachen angelegt, neben dem ein schneeweißer Schwan Wache hielt. Das Thier erhob sich, als sie sich naheten, und rauschte hoch auf mit seinen Flügeln, seinem Herrn entgegen. Der fremde Jüngling ließ seinen Befreyeten in den Nachen steigen, und stieg dann selbst hinein, und der Schwan zog jetzt an einer güldenen Kette den Nachen weiter, den Strom hinauf.

Sie kamen zu Carls Freunden und Anhängern, die sie mit lauter Freude empfingen. Schnell wurde Carl Martell zum Major Domus ausgerufen, schnell schlossen alle Tapferen, alle Freunde seines verstorbenen Vaters sich an ihn an, und wenige Monate reichten hin, seine beiden Feinde zu unterwerfen; namentlich wurde Raginfred[WS 1] in der Schlacht bey Cambray besiegt. Carl setzte sich jetzt in den Würden seines Vaters fest, [135] und zog dann nach Cöln, wo er auch dessen Schätze in Besitz nahm.

Sein Befreyer war in dieser ganzen Zeit nicht von seiner Seite gewichen, mit Muth und Ausdauer hatte er alle Beschwerden des Krieges getragen, und in den Gefechten hatte man ihn nur da gesehen, wo der Kampf am heftigsten, die Feinde am dichtesten waren. Carl wollte ihn für seine Dienste und für seine Tapferkeit belohnen; aber plötzlich und auf eine unbegreifliche Weise war er aus Cöln und aus Frankreich verschwunden, ohne daß man seine Spur wiederfinden konnte. Man wußte weiter nichts von ihm, als daß er Elias Gralius oder Grail heiße, woher er stamme, hatte Niemand erfahren können.

Carl Martells unruhiger, kühner Geist litt ihn nicht lange in Unthätigkeit. Zuerst, nachdem er im Innern seines großen Reichs seine Macht befestigt, und diesem einen Schattenkönig gegeben hatte, bekriegte er die Sachsen, dann die Alemannier und Bojer. Alle diese Völker besiegte er, und unterwarf sie, wenn gleich die Unterwerfung der Sachsen nicht von Dauer war und völlig erst seinem großen Enkel gelingen sollte. Als er demnächst aber auch gegen die Friesen zu Felde zog schien sein bisheriges Glück ihm nicht mehr beystehen zu wollen. Dieses Volk, das von seiner ersten Bekanntwerdung an bis auf den heutigen Tag in der Geschichte nur Einen Namen führen kann, den des Tapferen, das trotz allen Wanderungen der übrigen Völker seine alten Wohnsitze an der Nordseeküste zwischen der Schelde und Weser beibehalten hatte, empfing unter seinem Fürsten Radbodus auch Carl Martelle mit einer unerwartet muthigen und standhaften Gegenwehr, [136] so daß der Held seinen ganzen Feldzug fast vereitelt, und sich auf dem Punkte sah, zu einem schmachvollen Rückzuge seine Zuflucht zu nehmen. In dieser Noth erschien während eines hitzigen, hartnäckigen Gefechtes plötzlich ein junger Ritter in seinen Reihen, in einer glänzenden, goldenen Rüstung, mit einem Schilde, auf dem ein schneeweißer Schwan prangte. Elias Grail! rief Carl Martell voller Freude, als er ihn sah, als wenn in dem Jünglinge ihm sein Schutzgeist erschienen sey. Ellas Grail focht mit einem Muthe und mit einer Kühnheit, wie die Franken sie noch nie gesehen, und die Friesen noch nie erfahren hatten. Muth verbreitete er unter den Seinigen, Tod und Schrecken unter den Feinden. Die Friesen wankten, flohen, zerstreueten sich, und nach wenigen Tagen erschien Radbodus demüthig und unterwarf sich mit seinem ganzen Volke.

Diesesmal entschwand Elias Grail nicht wieder; er blieb bey Carl, dessen Freund er wurde und mit dem er nach Frankreich zurückkehrte. Um diese Zeit war es, als der Graf Theodorich von Cleve starb, und mit der lebhaftesten Freude ergriff Carl die Gelegenheit, seinem Freunde und zweimaligem Retter seine Dankbarkeit zu bezeigen; er ernannte ihn zum Grafen von Cleve und Theisterbant[WS 2].

Das Volk von Cleve wahr zahlreich am Ufer des Rheins in der Nähe der gräflichen Burg zu Cleve versammelt, um seinen neuen Herrn in Empfang zu nehmen. Man erzählte sich, während man ihn erwartete, von seinen Thaten und seinem Muthe, und erschöpfte sich zugleich in Vermuthungen darüber, woher er, der so unvermuthet und räthselhaft erschienen war, [137] wohl stammen möge. Einige hielten ihn für einen Sprößling des alten, edlen römischen Geschlechts der Anlier; Andere sagten, er stamme von einer berühmten Trojanischen Familie ab; noch Andere glaubten, er sey ein edler Fürst Griechenlands, der an der Ermordung des Kaysers Justinian des II. Antheil gehabt, und daher sein Vaterland habe verlassen müssen; die Meisten aber behaupteten, man könne seinen Ursprung und seinen Stamm mit Gewißheit nicht angeben, indem er aus dem irdischen Paradise herstamme, und zum Heil der Christenheit in diese Gegend gekommen sey.

Während so die Bewohner Cleves, seiner harrten, und sich von ihm unterhielten, saß die einzige, verlassene Tochter des Grafen Theodorich einsam in ihrem Gemache auf der Burg zu Cleve, und sah ebenfalls den Rheinstrom hinab, aber mit ganz anderen, nemlich mit sehr peinlichen schmerzhaften Gefühlen. Der heutige Tage war der Schlüssel zu einer dunklen Zukunft, der sie jetzt entgegenschritt. Nur zwey Wege blieben ihr offen: entweder sich der Gnade des neuen Herrn des Landes zu unterwerfen, oder ihre Tage zwischen dumpfen Klostermauern zu beschließen. Sie kämpfte lange, aber der Entschluß für das Klosterleben siegte; wie konnte die Tochter Theodorichs da abhängig und vergessen leben, wo man bisher nur ihre Winke als Befehle gekannt hatte!

Wie sie nun so saß und in Betrachtungen über ihr Schicksal verlohren, auf den Fluß zu ihren Füßen hinunterblickte, wurde auf einmal die laute Menge stumm, alles Gespräch stockte, und alle Gesichter wandten sich nach Einem Gegenstande, den Strom hinauf. Auch die Gräfin Beatrix sah dahin und ihr Auge blieb gefesselt [138] durch den wunderbaren Anblick, der sich ihr darbot.

Langsam und feyerlich kam eine Reihe von Schiffen den Rhein herunter geschwommen, angefüllt von Rittern und Knappen, die glänzende Rüstungen und stolze hoch in der Luft wehende Fahnen trugen. An ihrer Spitze aber schwamm ein einzelner kleiner Nachen; der wurde gezogen von einem großen, schönen, schneeweißen Schwane, an einer glänzenden goldenen Kette, und in demselben stand nur Ein Ritter, von sehr hoher schlanker Gestalt, in goldener Rüstung, das Visir seines Helmes aufgeschlagen, so daß man in ein Gesicht sah, in dem Frische und Milde und Anmuth der Jugend mit der Kraft und Vollendung des Mannesalters und mit einer mehr als irdischen Hoheit auf das wundersamste gepaart war. Es war Elias Grail, der neue Herrscher.

Unbeweglich hafteten alle Augen an der herrlichen Erscheinung; auch Beatrix konnte die ihrigen nicht davon abwenden, und sie fühlte ihr Herz von einer bald schneidenden und bald wieder erhebenden Wehmuth durchzogen, als der junge Held jetzt an das Land stieg, seinen Schwan selbst von der goldenen Kette lösete, und nun mit einem lauten, lang wiederhallenden Freudengeschrey von seinen neuen Unterthanen empfangen wurde. Im Triumpfe wurde er in die Burg geführt. Beatrixens Herz klopfte höher, als sie ihn die Stiegen heraufkommen hörte; sie gerieth in unbeschreibliche Verwirrung, wenn sie bedachte, daß die Ritterfrauen jetzt bald sie abholen würden, um sie in ihre Mitte zu nehmen, und sich dem neuen Herrscher vorzustellen. Wirklich geschah dieß bald. Aber alle Angst und Verlegenheit [139] war aus ihrem Innern gewichen, als sie ihm jetzt gegenüber stand, und in sein klares, mildes Auge sah. Der Jüngling sich sie lange und freundlich an; ihre schöne Gestalt, ihr frommer, jungfräulicher Blick schien einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen; er bat sie mit Aufrichtigkeit, fast dringend, in der Burg zu bleiben, und auch fortan deren Gebieterin zu seyn, wie sie es bisher gewesen. So wie er alle Herzen gewann, so gewann er auch das ihrige. Beatrix blieb, von Einem Tage zum Anderen ihren Entschluß, das Klosterleben anzutreten, aufschiebend.

Elias Gralius feyerte unterdeß den Antritt seines Regiments mit Festen und kriegerischen Spielen, bey dem er selbst stets der Gewandteste, Geschickteste und Kühnste war. Wunderbar aber war es, wie sein Schwan, dessen Gefieder die größte Reinheit an Weiße übertraf, nie von seiner Seite wich. Immer sah man das schöne Thier neben ihm, mit seinem Halse sich an seine Kniee schmiegen, mit seinen Augen treu und klug und innig zu ihm hinaufblicken, als wenn es um einen freundlichen Blick, um eine Liebkosung bitten wolle. Und vor Freude leuchteten seine Augen, und schüttelte es sein zartes Gefieder, wenn sein Herr wirklich freundlich zu ihm herunter sah, oder seinen Kopf oder seinen Hals streichelte. Viel sprach man über dieß Verhältniß des Grafen zu dem schönen Schwane, der nicht bey Tage und nicht bey Nacht von ihm wich; aber ergründen konnte man es nicht, und es blieb bey leeren Vermuthungen.

Da begab es sich, daß der Graf Elias Grail plötzlich bekannt machte, Beatrix, die schöne Tochter Theodorichs, sey seine Braut, und nächstens werde er sie, [140] nach den Vorschriften der christlichen Kirche zu seiner Hausfrau erheben. Laute Freude entstand hierüber in dem ganzen Lande; am seligsten aber war Beatrix selbst. Der Schwan aber verfiel von demselben Tage an auf eine wunderbare Weise in die tiefste Betrübniß. Der Glanz seines Gefieders verschwand, sein Hals hob sich nicht mehr froh und stolz, der Blick seiner Augen war trübe, matt und krank schlich er hinter seinem Herrn her, der von dem Augenblicke an des treuen Thiers überdrüssig geworden zu seyn schien, es ungern an seiner Seite sah, und daher am Ufer des Rheins neben der Burg bald einen Thurm bauen ließ, dessen Ruinen noch jetzt stehen, und der noch jetzt unter dem Namen Schwanenthurm bekannt ist. In diesen verbannte er das edle Thier, und befahl seinen Knechten, es an nichts Mangel leiden zu lassen. Lange hat es hier gesessen, still und einsam, und in sichtlichem Grame sich aufzehrend. Oft hörten die Wärter es seufzen, wie wenn es eine Jungfrau wäre, aus deren Busen schwere Seufzer sich hervorpreßten; und manchmal in stiller Mitternacht vernahmen sie Töne, als wenn ein menschliches Wesen leise, aber desto schmerzlicher weine. Eines Abends aber, tönte aus dem Schwanenthurme ein wunderbarer Gesang hervor, der leise und zitternd mit dem Rauschen der Wellen sich vermischte, und der gegen Mitternacht langsam in einem stillen Weinen erstarb.

Am anderen Tage feyerte Elias Grail sein Beilager mit der Gräfin Beatrix. In der Kapelle der gräflichen Burg stand das schöne Paar vor dem Bischofe, der ihre Hände in einander legte, und vor dem sie sich ewige Treue schwuren. Elias Grail war sonderbar [141] bewegt. Forsche nie, sprach er zu seiner Braut, bevor noch der Priester den Segen über sie gesprochen hatte, forsche nie nach meiner Herkunft, nach meinem Stamme. Versprich es mir. Jede Frage darnach wäre mein Elend, müßte uns auf ewig scheiden.

Sie versprach es, und der Bischof nahm jetzt das Krucifix, daß sie darauf Treue und Liebe sich geloben sollten. Da wurde plötzlich am Eingange der Kapelle ein heftiges Schluchzen laut, und wie Alle die Augen dahin wandten, sah man den Schwan des Grafen dastehen. Aber er sah nicht mehr krank und verfallen aus, sondern sein Gefieder war wieder weiß und glänzend, den schönen Hals hob er hoch empor, und auch seine Augen glänzten, aber schmerzlich wie von Thränen.

Der Bräutigam erblaßte, als er ihn sah, und auch die Braut zitterte und wurde bleich. Wohl waren ihr von der sonderbaren Gerüchten, welche man über den Grafen und den Schwan hatte, zu Ohren gekommen; eine entscheidende Frage schwebte auf ihren Lippen; aber da gedachte sie des Versprechens, das sie so eben noch gegeben hatte. Sie schwieg. Auch Elias Grail erholte sich schnell wieder, und der Bischof sprach jetzt den Segen der Kirche über sie aus.

In dem Augenblicke, als er geendet hatte, war der Schwan verschwunden; Niemand hatte gesehen, wie und wohin, Niemand hat ihn seitdem wieder gesehen.

Drey Jahre lang lebte Elias Grail mit seiner jungen Gemahlin zufrieden und glücklich, und zeugte in dieser Zeit drey Söhne mit ihr, Theodorich, Gottfried und Conrad von denen der Erste sein Nachfolger, der Zweite Graf von Lossen und der Dritte Landgraf vor Hessen wurde. Da geschah es eines Tages, [142] daß die Gräfin Beatrix ihrer vergangenen Tage gedachte, wie sie nach dem Tode ihres Vaters freude- und hülflos gewesen, und wie darauf die Liebe ihres edlen Gemahls sie so glücklich gemacht habe. Nur Ein Wehrmuthstropfen fiel in den Kelch ihrer frohen Erinnerungen, das Andenken an den räthselhaften Schwan. Weibliche Neugierde und Eifersucht kämpften in ihr, sie zerbrach sich den Kopf in Grübeleyen und Vermuthungen über das Thier selbst und über dessen Verhältniß zu ihrem Gatten, und ging von da auf diesen selbst, auf seine Herkunft, seinen Ursprung über. Immer brennender wurde ihre Begierde, über alles dieses Auskunft und Gewißheit zu haben. Elias Grail saß neben ihr. Lange kämpfte sie; zuletzt konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie schmeichelte, sie liebkoste ihm; er war freundlich, gefällig; freundlicher, gefälliger als je. Jetzt war der Zeitpunkt, ihn zu fragen; er gab ihr gewiß Aufschluß. Und die Folgen! – Seine Worte in der Kapelle waren wahrscheinlich nur eine leere Drohung, hervorgegangen aus einer Furcht vor Entdeckung.

Ihr beschützender Genius verließ sie. Sie mußte wissen, wer er, wer der Schwan war. Die unglückliche Frage schwebte über ihre Lippen.

Elias Grail war fröhlich und heiter gewesen. Aber so wie das Wort aus ihrem Munde kam, verfinsterten sich seine Augen, seine Gesichtszüge. Starr blickte er vor sich hin, ohne ihr zu antworten. Beatrix! sagte er dann, aber mit weicher, liebender Stimme, und das Finstere seines Blickes hatte einer unbeschreiblichen Wehmuth Platz gemacht. Er stand von seinem Sitze auf, und ging zu seinen drey Knaben, [143] Knaben, die in einer Ecke des Gemachs waren. Einen umarmte er nach dem Anderen, aber schweigend, man hörte kein Wort mehr von ihm; nur seine Augen wurden immer trüber und feuchter. Noch Einen wehmüthigen Blick warf er auf die Kinder, nachdem er sie geherzt hatte, dann auf seine Gattin, dann verließ er rasch das Gemach. Laut weinend und um Verzeihung bittend, stürzte die unglückliche Beatrix ihm nach, allein er war verschwunden. Man sah ihn nicht wieder.

Ein Jahr darauf, im Jahre 732, focht Carl Martell die Schlacht bey Poitiers, die entscheiden sollte, ob ganz Europa frey, oder die Sklavin fremder Barbaren werden, ob der christliche Glaube, oder blindes Heidenthum fortan herrschen solle. Der Kampf war heiß, die Banner der Christen im Gedränge, der Sieg schwankend. Da zeigte sich mitten in dem Gedränge, das die kühnsten und unbändigsten Araberfürsten in dem fränkischen Heere verursachten, hoch auf stolzem Rosse plötzlich ein Ritter in goldener Rüstung und mit einem Schilde, auf dem das Bild eines Schwanen in Silber strahlte. Blendend war der Glanz seiner Rüstung; aber mehr als diese glänzte sein großes, breites Schwert, das er mit schnellem, kräftigem Arme hob, und zernichtend und zerschmetternd auf die Häupter der Mauren schleuderte. Elias Grail! rief jauchzend vor Freude, als er ihn erblickte, Carl Martell wieder, wie in der Schlacht gegen die Friesen. Leben und Begeisterung strömte der Ruf in das christliche Heer; alle Kräfte verdoppelten sich, aller Muth entflammte höher; der glänzendste Sieg entschied die Freiheit Europas und des christlichen Glaubens. Vergebens wurde nach der Schlacht Elias Grail gesucht. Er war verschwunden. [144] Niemand hat ihn wiedergesehen. Auch der Schwan nicht. Aber in dem Schwanenthurme zu Cleve hörte man oft um Mitternacht lieb heimliches Flüstern und Rauschen. Man hört es noch oft, obgleich der Thurm nur eine nackte Ruine mehr ist.

Die Sage erzählt – und warum sollte es nicht so seyn? – Der Schwan sey eine überirdische Fee gewesen, mit der Elias Grail in heimlicher Liebe gelebt habe. Als dieser sich mit der Gräfin Beatrix vermählt, habe sie vor dem Segen der christlichen Kirche weichen müssen. Allein, obgleich verlassen und verschmähet, habe sich ihre Liebe zu Elias Grail dennoch nicht in Haß gekehrt; vielmehr sich in die innigste Liebe zu allen Nachkommen des Grafen Elias aufgelöset. Und sie, und nicht eine Gräfin Anna[WS 3] von Rosenberg, sey es, welche noch jetzt als weiße Frau umherwandle und erscheine, und traurig es vorher verkünde, wenn das Geschlecht ihres Geliebten von einem Todesfalle oder einem Unglücke bedrohet werde. Das letzte Mal hat man sie gesehen, als sie den Tod der edelsten Königin verkündete, der unvergeßlichen Luise von Preußen. Drey Nächte wandelte sie vom Schwanenthurme in das Schloß zu Cleve und durch alle Gänge desselben, in weiten weißen Gewändern, still und langsam und in der tiefsten Trauer. Am vierten Tage war die edelste Frau verschieden.

  1. Teschenmacher p. 97. sagt: in ar[.] Jopili[.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Ragirfred
  2. Vorlage: Thristerbant
  3. Vorlage: Annna