Wer hat die Correspondenzkarten erfunden?

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Titel: Wer hat die Correspondenzkarten erfunden?
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 810–811
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[810] Wer hat die Correspondenzkarten erfunden? Mehrere Fachzeitschriften, unter anderen die in Wien erscheinende „Post“, stellten schon zu wiederholten Malen die Frage: „Welcher Postbeamte mag wohl die Correspondenzkarten erfunden haben?“

In jüngster Zeit brachte eine Originalcorrespondenz der „Neuen freien Presse“ (Nr. 2187 vom 29. September 1870 Seite 9) aus Kassel über die Anwendung der Correspondenzkarten folgende Zeilen:

„Die Zahl der seit der Mobilmachung an die Truppen und deren Angehörige in der Heimath ausgegebenen Feldpost-Correspondenzkarten beläuft sich allein auf mehr als fünfzehn Millionen, nachdem schon am 22. August, laut eines diesfalls veröffentlichten Erlasses des General-Postdirectors, Herrn Stefan, zehn Millionen davon zugestellt worden waren. – Die erst vor Kurzem von Wien ausgegangene Erfindung der Correspondenzkarte, einfach wie das Ei des Columbus, aber darum nicht weniger schätzbar und seit Jahrhunderten fast unbegreiflich auf sich warten lassend, ist gerade zur rechten Zeit gekommen. Nicht der zehnte Theil der zwischen den deutschen Truppen und ihren Lieben zu Hause seit Ausbruch der Feindseligkeiten gewechselten Mittheilungen wäre wahrscheinlich erfolgt, wenn diese unter allen Umständen bequeme Handhabe gefehlt hätte, seine Gedanken ohne Feder und Tinte, ohne Briefumnschlag und Siegellack, unter dem Zelte oder im offenen Bivouac, auf einem Baumstrunke oder an die Kanone gelehnt, augenblicklich zu Papier bringen zu können. Jetzt erst wird die ganze wohlthätige Bedeutung der neu aufgetauchten Maßregel klar. Man sollte Demjenigen, in dessen Kopfe diese glückliche Idee zuerst entsprang, in der That eine Nationalbelohnung votiren, wie dem Tonsetzer der ‚Wacht am Rhein‘.“

Der Erfinder der Correspondenzkarten ist kein Postbeamter. Er ist Nationalökonom und Professor dieses Faches an der kaiserlich österreichischen Militärakademie zu Wiener-Neustadt. Einige Jahre vor seiner Berufung nach Neustadt wirkte er als Privatdocent an der Universität und als Professor an der Handelsakademie zu Graz, und organisirte unter Anderem in dieser Stadt auf ganz originelle Weise die Versorgung der Bevölkerung mit Kohlen und Holz. Er heißt Dr. Emanuel Herrmann und ist gegenwärtig einunddreißig Jahre alt. Sein Geburtsort ist Klagenfurt in Kärnten, welche Stadt er auch als Abgeordneter im Kärntner Landtage vertritt.‚‘

Dr. Herrmann gelangte zu dieser Erfindung durch die consequente Verfolgung der Grundsätze der Wirthschaft, welche er gerade damals in neuer und origineller Art in dem 1870 in Graz erschienenen „Leitfaden der Wirthschaftslehre“ niederlegte. Er arbeitete eben an der Darstellung des Gesetzes der Specialisirung und forschte nach Belegen. Da fiel ihm auf, daß so viele Briefe geschrieben werden, welche ihrem Inhalte nach weder eines Siegels, noch eines Couverts, noch der vielen Titulaturen und anderer Förmlichkeiten bedürfen, und daß dennoch für diese Specialität von Briefen noch nicht die eigenthümliche einfachere bequemere Form gefunden sei. Wie ein Blitz durchfuhr ihn der Gedanke an Postkarten, welche schon mit der Marke versehen ausgegeben werden und nur mit Tinte oder Bleistift beschrieben zu werden brauchen. Er theilte diesen Gedanken seiner jungen Frau mit, und diese zeigte sich von der Idee und deren praktischer Tragweite lebhaft ergriffen. Nun verfaßte er einen Artikel für die „Neue freie Presse“ mit der Aufschrift: „Ueber eine neue Art der Correspondenz.“ Der Aufsatz erschien einige Tage nachher (am 27. Januar 1869) auf der Rückseite des Abendblattes der „Neuen freien Presse“. –

Zehn Tage später begab sich Dr. Herrmann nach Wien zum General-Postdirector, Freiherrn von Maly, um diesen zur praktischen Verwirklichung der Idee der Postkarten zu vermögen. Nach langen Verhandlungen, [811] deren Einzelaufstellung uns zu weit führen würde, gelang dies in der uns allbekannten Weise. Bewundernswerth ist es aber, daß diese Idee bereits als ein Bedürfniß der Zeit in der Luft geschwebt zu haben scheint, denn schon 1867 stellte der Bevollmächtigte Preußens auf der Karlsruher Postconferenz, der gegenwärtige General-Postdirector des norddeutschen Bundes, Stefan, eine ähnliche Idee auf. Sein Wunsch ging dahin, daß offene Karten oder Zettel mit dem ermäßigten Porto von einem Silbergroschen durch die Post in ganz Deutschland beförderbar sein sollten. In den Berichten über jene Postconferenz ist jedoch über Stefan’s Antrag nichts zu finden, derselbe scheint eben nur ganz privatim gemacht worden zu sein.

Die Correspondenzkarten wurden in Oesterreich-Ungarn am 1. October 1869 eingeführt. Sie fanden seither aber auch schon im Gebiete des norddeutschen Bundes, in Baiern und Würtemberg, in Belgien, England und Nordamerika Eingang. Auch die Schweiz soll deren Einführung beabsichtigen.

Seltsamer und ganz unbegreiflicher Weise aber wurde gerade im Ressortgebiete des General-Postdirectors Stefan das Porto für die Correspondenzkarten nicht, wie es doch in Oesterreich, England und Amerika geschah, auf einen halben Silbergroschen herabgesetzt, sondern dem Porto der gewöhnlichen Briefe von einem Silbergroschen gleichgehalten. Man entschuldigte diesen offenbaren Verstoß gegen die Idee der Correspondenzkarten damit, daß die Postverwaltung des norddeutschen Bundes, sowie überhaupt die Finanzen desselben gegenwärtig allzugroße Auslagen zu tragen hätten. Entspricht aber eine solche Motivirung den Principien eines Rowland Hill, die doch im Postwesen allgemeingültig geworden sein sollten?

Sei dem, wie ihm wolle, die Correspondenzkarten werden die Runde um die Welt machen, und es würde uns gar nicht Wunder nehmen, wenn wir in einigen Jahren hören würden, daß auch die Japanesen und Chinesen dieselben bei sich eingeführt haben.