Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche/Kapitel III

II. Der Nachtjäger Wendische Sagen, Märchen und abergläubische Gebräuche (1880) von Edmund Veckenstedt
III. Serpsagen
IV. Der dumme Hans →
Die Bedeutung der Doppellinie erläutert Veckenstedt im Vorwort auf Seite V folgendermaßen: „Die Sagen und Märchen der deutschredenden Wenden finden sich in jedem Abschnitte nach dem Zeichen, welches zwei parallele Striche bilden.“ Ferner führt er auf Seite X den Grund der Kennzeichnung an: „Nicht unwillkommen wird, hoffe ich, der Forschung die Art sein, wie ich die reine Sorbentradition von derjenigen Ueberlieferung geschieden habe, welche zwar auf wendischer Grundlage ruht, aber eben weil sie einem Geschlecht deutschredender Menschen entnommen ist, vielleicht eine oder die andere Modification erlitten hat.“
[54]
III.
Serpsagen.

Der Posserpańc.
1.

Der Posserpańc hält sich in den Schoten auf und leidet nicht, dass man welche stiehlt.

Fehrow.     
2.

Zu Kindern, welche unnütz in das Getreide gehen, sagt man: Hütet Euch vor dem Posserpańc.

Burg.     
Der Serp.
3.

Sind die Kinder zufällig des Abends unter einem Eichenbaum eingeschlafen, so steigt der Serp von der Eiche, auf welcher er sich aufhält, herab und schneidet ihnen den Hals ab.

Drachhausen.     
4.

Wenn die Kinder auf dem Felde in die Erbsen gehen, um zu stehlen, so schneidet ihnen der Serp, welcher sich in dem Erbsenfelde aufhält, den Kopf ab.

Drachhausen.     
5.

Sind die Kinder unartig, so droht man ihnen, der Serp werde kommen.

Drachhausen.     
6.

Wenn Jemand schmutzige Füsse hat, so erscheint ihm der Serp und fragt ihn allerlei. Der Gefragte hat dann stets zu antworten, was der Serp ihm auch für Fragen vorlegt: „Wasser war theuer.“ Antwortet der Gefragte etwas anderes, oder verspricht er sich, so schneidet ihm der Serp die Füsse ab.

Kolkwitz.     
[55]
7.

Der Serp ist eigentlich ein Wasserkönig gewesen.

Guhrow.     
Der Serpel.
8.

Zwei Knaben gingen einmal zur Mittagszeit mit einem kleinen Fass auf dem Felde an einem Kornstück vorüber. Sie sahen im Korn Blumen stehen und pflückten davon ab. Plötzlich stand der Serpel vor ihnen, legte ihnen Fragen vor, und schnitt ihnen, als sie dieselben nicht beantworten konnten, den Hals ab. Die Köpfe der Knaben steckte er in ein Fass, das Fass that er in eine Kiepe und verschwand darauf.

Guhrow.     
9.

Wenn die Kinder in das Korn gehen, so kommt ein Mann, welcher in der einen Hand eine Sichel, in der andern aber ein Fässchen trägt: mit der Sichel schlägt er den Kindern den Kopf ab und steckt dann denselben in das Fässchen.

Ströbitz.     
10.

Der Serpel gesellte sich des Mittags zu den Frauen, welche auf dem Felde arbeiteten. Konnte eine Frau die Fragen, welche er ihr vorlegte, nicht beantworten, so musste sich dieselbe völlig ausziehen und so nach Hause zurückkehren.

Beantwortete sie aber die ihr vorgelegten Fragen, so geschah ihr nichts.

Sylow.     
Serp und Kossa.
11.

Die Wenden hatten sich nach ihrer Wanderung in dieser Gegend niedergelassen, den Acker bebaut und harrten nun der Ernte entgegen. Endlich war die Aussaat herangereift, und sie machten sich daran, dieselbe mit dem Serp abzusicheln. Als sie bei der Arbeit waren, kam ein fremder Fuhrmann angefahren, der gesellte sich zu ihnen. Als er ihre Arbeit sah, holte er von seinem Wagen eine Sense und zeigte ihnen, dass man mit derselben besser arbeiten könne, als mit dem Serp. Die Wenden wollten sich auch der Sense bedienen, ihre Priester aber litten das nicht, sondern ergriffen [56] Steine, zerschlugen die Sense und hiessen die Wenden nach wie vor mit dem Serp arbeiten.

Sylow.     


Der Serp.
12.

Der Serp durchwandelt die Aecker mit einer glühenden Sichel, mit welcher er demjenigen den Kopf abschneidet, der ihm zu nahe kommt, der dem Nachbar das Feld abmäht oder der ein böses Gewissen hat. Trifft er Jemand mit einem Kinde auf dem Felde, so entreisst er demselben das Kind und wirft es in einen Fluss, der erwachsenen Person, welche das Kind begleitet, schlägt er den Kopf mit der Sichel ab. Hat sich Jemand verirrt, so zeigt ihm der Serp den Weg, aber nur wenn derselbe ein gutes Gewissen hat; hat er aber ein böses Gewissen, so führt er ihn in Sümpfe oder Moräste, in welchen der Bludnik denselben erstickt.

Alt-Döbern.     
Die Pšezpolnicer.
13.

Die Pšezpolnicer sind weisse Männchen, welche in der Mittagsstunde umgehen. Wenn ein Kind um diese Zeit sich auf dem Felde befindet, so nehmen es die Pšezpolnicer mit und legen dafür ein fremdes hin. Wollen die Eltern ihr Kind wieder haben, so müssen sie das fremde so lange prügeln, bis das eigene wieder an der alten Stelle liegt.

Alt-Döbern.     
Der Sichelmann.
14.

In früheren Zeiten erschien des Mittags um zwölf Uhr ein scheusslicher Mann von eigenthümlicher Gestalt auf dem Felde. Er war furchtbar anzusehen, hatte feurig-funkelnde Augen, ein Pferde- und ein Kuhbein, an den Fingern lange Krallen, und in der Hand führte er eine grosse Sichel. Wenn er nun des Mittags in der Stunde von zwölf bis eins Jemand auf dem Felde antraf, so hatte derselbe eine lange Unterredung mit ihm zu bestehen und wenn er die ihm vorgelegten Fragen nicht richtig beantworten konnte, so schnitt ihm der Sichelmann den Kopf ab.

Forst.     



II. Der Nachtjäger Nach oben IV. Der dumme Hans →
{{{ANMERKUNG}}}
  Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.