Weltausstellungsbriefe aus Chicago (6)

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Autor: Rudolf Cronau
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Titel: Der Frauenpalast und die Völkerstraße der Midway Plaisance
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, S. 748–752
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Serie Weltausstellungsbriefe aus Chicago
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Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
VI.
Der Frauenpalast und die Völkerstraße der Midway Plaisance.

In unseren bisherigen Berichten haben wir einer Großmacht nur flüchtig gedacht, durch deren Betheiligung die Kolumbische Weltausstellung ein besonders eigenartiges Gepräge erhalten hat: der Frauen. Auf keiner früheren Weltausstellung hatte man dem schönen Geschlecht eine eigene Abtheilung eingeräumt oder gar mit solchen Kosten einen Palast gebaut. In Chicago erhielten die Frauen zu einem eigenen Heim das schöne Sümmchen von 150000 Dollar bewilligt, und damit schufen sie einen von der 22jährigen Miß Sophia Hayden im Stil der italienischen Renaissance entworfenen Palast, in dem sie zahllose Dinge ausstellten, die ihren Ursprung ausschließlich weiblichen Händen verdanken. Hallen und Säle sind gefüllt mit kostbaren Handarbeiten, an den Wänden hängen zahlreiche von Frauen geschaffene Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen und Stiche, in einigen Räumen wird die Thätigkeit der Frauen in der Krankenpflege, der Kindererziehung und der Kochkunst veranschaulicht. Auch eine umfangreiche, ausschließlich von Frauen geschriebene Bibliothek ist vorhanden, und in den Sprechsälen werden allerhand Gegenstände erörtert, welche auf die große zeitbewegende „Frauenfrage“ Bezug haben.

Theatralische Vorstellung im javanischen Dorfe.

Leider haben wir nicht die Muße, jetzt den Verhandlungen dort drinnen zu folgen. Wir müssen unsere Schritte weiter lenken und wollen nunmehr in die vielgenannte Völkerstraße der Midway Plaisance einbiegen.

Es war auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1889, daß zum ersten Male der Gedanke angeregt wurde, neben den Erzeugnissen der einzelnen fremden Länder auch die Bevölkerung derselben in ihren Sitten und Gebräuchen, ihren Trachten und Wohnstätten den aus aller Welt herbeiströmenden Besuchern vorzuführen. Die Ausführung dieses Gedankens ließ sich nur in beschränktem Umfang bewerkstelligen, hatte aber trotzdem so großen Erfolg, daß die Leiter der Kolumbischen Weltausstellung sich entschlossen, den Gedabkeb wieder aufzugreifen und in weitestem Sinne auszubilden.

Damit aber der einheitliche Charakter der amtlichen Ausstellungspaläste nicht durch fremdartige Bauten gestört werde, verwies man die buntfarbigen, mannigfaltig gestalteten Tempel und [749] Wohnstätten der ausländischen Völker nach einem Theil des Ausstellungsplatzes, wo eine solche Schädigung ausgeschlossen war, nach einem über 1500 Meter langen und 150 Meter breiten Landstreifen, der westlich an den Weltausstellungsplatz anstößt und eine Verbindung mit dem benachbarten Süd- oder Washingtonpark bildet. Dort brachte man die fremden Völkerschaften derart unter, daß ihre Hütten und Tempel eine breite Straße bilden, in deren Mitte der Strom der Besucher dahinfluthet.

Eine merkwürdigere Straße als diese sogenannte Midway Plaisance, einen reichhaltigeren Völkerjahrmarkt, ein buntfarbigeres, tolleres und abenteuerlicheres Leben hat es sicherlich nie gegeben.

In der Straße von Kairo.


Schon von fernher vernehmen wir den merkwürdigen Zusammenklang der verschiedenartigsten Instrumente: das scharfe Gequietsche des schottischen Dudelsacks, das dumpfe, eintönige Dröhnen orientalischer Kesselpauken, die schmetternden Klänge deutscher Militärmusik, das Gerassel samoanischer Tänzer, das Gefiedel chinesischer Schauspieler und die wiegenden Weisen eines von den „Deutschmeistern“ gespielten Wiener Walzers. Ein ebenso seltsames Gemisch fremdartiger Architekturen verwirrt den Nähertretenden; da sind polynesische Rohrhütten, altirländische Wartthürme und Burgruinen; chinesische Pagoden und übermäßig schlanke türkische Minarets; Indianerzelte und javanische Bambushäuser; altdeutsche, mit Wetterfahnen gekrönte Dachgiebel und lappländische Fell- und Erdhütten. Augen und Ohren sind von einem fremdartigen Zauber umfangen, und nicht ohne Grund ist Midway Plaisance der Zielpunkt aller derjenigen, welche nach der harten Arbeit des Sehens und Lernens in den Weltausstellungspalästen eine leichtere Zerstreuung suchen.

Da ist zunächst auf der rechten Seite von Midway Plaisance ein langgestrecktes, blendend weißes Gebäude, dessen weithin sichtbare Aufschrift einen „internationalen Kongreß der Volkstrachten und eine Ausstellung weiblicher Schönheiten“ verheißt. Da darf man nicht fehlen; wir erlegen unsern Obolus und betreten eine weite Halle, in welcher auf einer an den Wänden entlang laufenden Bühne gegen vierzig Schönheiten aller Rassen und Nationen sitzen: die Polin mit hohen Stiefeln und weißer, pelzverbrämter Kassabaika, die Griechin im edlen, klassischen Gewand, die Ungarin mit farbigem Rock und bauschigen, reichbestickten Hemdärmeln, die Spanierin mit ihrer unerläßlichen Mantilla, die Tirolerin mit Spitzhut und Mieder, das blonde Mädchen aus dem Schwarzwald mit rothem Rock und schwarzen Haarbändern etc. Die „Manager“ oder Unternehmer dieser Schönheitengalerie haben es sich, was die Echtheit der Nationalitäten betrifft, offenbar leicht gemacht, denn die Mehrzahl der Damen hört merkwürdigerweise sehr gut auf die Wiener Mundart, während sie, will man sie in der Sprache desjenigen Landes anreden, welches sie vertreten, fast ausnahmslos versagen. Nur da, wo sich der Mangel an „Nationalität“ nicht so leicht durch Perücke und Schminke verdecken ließ und wo echte Vertreterinnen billig genug zu haben waren, sehen wir wirklich echte Typen, wie z. B. die sich vorzüglich auf die Fächersprache verstehende Cubanerin, die unausgesetzt Cigaretten rauchende Creolin, die träge Negerin, die gluthäugige Quadronin und die krüppelfüßige Chinesin. –

Aus dem Schlot des nächsten Gebäudes quellen mächtige Dampfwolken hervor. Im Innern des runden Bauwerks hantieren zahlreiche Männer um einen riesigen Hochofen, dessen Oeffnungen sie mit langen Eisenstäben weißglühende Massen geschmolzenen Glases entnehmen, um daraus allerhand Gefäße, Schmucksachen und Spazierstöcke zu formen. An einer Stelle werden die Glasklumpen sogar zu unendlich feinen Fäden ausgezogen und diese Fäden zu – dauerhaften Damenkleidern versponnen. Das erste der hier verfertigten Damenkleider, das sich ebenso weich und geschmeidig anfühlte, als ob es aus Seide gewoben wäre, kam in den Besitz der gerade anwesenden spanischen Infantin Eulalia.

Schreiten wir weiter die breite Straße entlang, so kommen wir an einem elektrischen Theater, an japanischen Bazaren und einem irländischen Dorf vorüber zu der ausgedehnten, an 50 Häuser umfassenden Niederlassung der Javanen.

Welch ein liebenswürdiges, bescheidenes Völkchen diese Javanen sind! Da leben sie in ihren Bambushütten ein friedliches anspruchsloses Dasein. Die gütige Mutter Natur gewährt ihnen alles, was sie bedürfen, in reichem Maße, Brotfrüchte, Kokosnüsse, Reis, Pifang und Hühner, und so blühen, reifen und welken diese Menschenkinder, ohne etwas von dem schweren, mühseligen Kampf zu ahnen, den so viele, viele ihrer weißen Mitbrüder tagaus tagein ums tägliche Brot zu führen haben! Da sitzen sie und leben ihren einfachen Beschäftigungen. Die Franen weben und färben in derselben kunstlosen Weise ihre Zeuge, wie ihre Ururgroßmütter es gethan; die Männer flechten Strohhüte, drehen Cigaretten, üben sich mit langen Blasrohren im Scheibenschießen oder lauschen dem Glockenspiel, nach dessen melodischen Klängen schöne Serimpis und maskierte Schauspieler dieselben Tänze aufführen, wie sie, den Skulpturen an den großartigen Tempelruinen zu Boro Budor nach zu schließen, schon vor einem Jahrtausend in Java getanzt wurden. –

Vom Javanischen Dorf haben wir nur wenige Schritte zum Deutschen Dorf, dessen Schilderung wir bereits in einem früheren Artikel (Nr. 37) gegeben haben. Ihm schließt sich ein persisches Theater an, wo halbnackte persische Athleten aufregende Ringkämpfe und Kraftproben vollführen. Gleich dahinter zieht sich die höchst malerische Straße von Kairo dahin, eine enge, gewundene Gasse mit Bazaren und verschlagähnlichen Kaufläden, in denen buntfarbige Seidenzeuge, Rosenöl, wohlriechende Gebetkränze, Muscheln aus dem Rothen Meer, sudanesische Waffen, Töpfereien, Alterthümer und tausend andere Dinge feilgeboten werden, während in dem Gewühl der Gasse die nimmermüden Eseltreiberjungen mit heiserer Stimme ihre „Cleveland-, Bismarck-, Gladstone- oder Patti-Esel“ zu Benutzung anpreisen.

Am oberen Ende der Straße von Kairo sehen wir die wohlgelungene Nachbildung des altägyptische Tempels zu Luksor, in dessen weiten Hallen nicht nur der ganze Ritus des altägyptischen Gottesdienstes vollzogen wird, sondern auch zahlreiche Mumien und Grabstätten gezeigt werden.

Gleich neben diesem Tempel, mitten in der Völkerstraße, erhebt sich das weithin sichtbare Wahrzeichen der Midway Plaisance, Ferris Rad, nach seinem Erbauer so genannt, eine „russische“ [750] Riesenschaukel, in deren 36 Wagen nicht weniger als 2160 Personen eine gemeinsame Rundreise durch die Lüfte zu unternehmen vermögen. Wenn auch, was die Ueberwindung technischer Schwierigkeiten betrifft, dies aus Eisen und Stahl bestehende Riesenrad nicht mit dem Eiffelthurm der Pariser Ausstellung verglichen werden kann, so ist es immerhin eine außergewöhnliche, kühne Leistung der vor keiner Schwierigkeit zurückschreckenden amerikanischen Ingenieurkunst.

Der große chinesische Drache im Völkerzuge auf der Midway Plaisance.

Wir kommen nun an algerischen und tunesischen Tanzhäusern vorüber, in deren reich ausgestatteten Hallen die merkwürdigen Aïssauahs sich in den von der „Gartenlaube“ schon früher (im Jahrgang 1891, Nr. 39) beschriebenen Selbstquälereien ergehen. Weiterhin stoßen wir auf ein Zeltlager der Winnebago- und Pottawatomie-Indianer, die früher in der Gegend von Chicago, sowie im südlichen Wisconsin ihre Jagdgründe hatten. Dann folgt ein mächtiges Panorama, von dessen Plattform wir einen Blick in den gewaltigen Krater des Vulkans Kilauea auf Hawaii werfen können. Es ist Nachtzeit und wir stehen auf einem aus erstarrter Lava aufgethürmten Vorgebirge, von dem aus der Blick über den Krater hinweg bis tief hinab ins Flachland und bis auf den mondbeglänzten Spiegel des Großen Oceans fliegt. Rings um uns ist überall feurige Lohe; uns zu Füßen kocht ein glühender See, dessen Wogen die zerrissenen Kraterwände peitschen. Ueberall steigen Schwefeldämpfe empor, man glaubt das Krachen der zusammenstürzenden Wände zu vernehmen, welche dieses Feuerloch umgürten.

Das nächste Gebäude ist ein Tempel, dessen Doppelthürme mit lauter Glöckchen behängt sind. Hier wohnen die schlitzäugigen Söhne des Reichs der Mitte und bemühen sich vergeblich, die Besucher der Weltausstellung in die unergründlichen Geheimnisse eines jener historischen Schauspiele einzuweihen, deren Dauer sich manchmal über Monate hinzieht. Der Lärm, mit dem sie diese Kunstgenüsse begleiten, wird unter Zuhilfenahme verschiedener Tamtams, zahlloser Metall- und Holzklappern, schriller Blech-Hoboen und durchdringender Streichinstrumente erzeugt und macht auf die Vorübergehenden den Eindruck, als sollte ihnen eine Katzenmusik gebracht werden.

Werfen wir nur einen flüchtigen Blick auf die kalifornische Straußenfarm, auf den Fesselballon, auf die brasilianische Tanzhalle und auf das die obersten Plätze der Midway Plaisance einnehmende Kadettenlager, um nunmehr auf der linken Seite der Straße den Rückweg anzutreten.

Da stoßen wir zunächst auf eine gewaltige Einfriedigung, innerhalb deren gegen 200 Beduinen mit zahlreichen Kamelen, Dromedaren und Pferden allerhand kühne Reiterkünste zum besten geben. Hart neben diesen braunen Söhnen der Wüste hausen Leute aus dem Lande der Mitternachtssonne, Lappen aus dem nördlichen Schweden, deren nächste Nachbarn wieder Horden echter Dahomey-Neger sind. Darauf folgt das einzig schöne Alt-Wien mit seiner langen Ringmauer, seinen Bastionen und Gräben, seinen Thoren und Thürmen, eine getreue Wiedergabe des Marktplatzes der alten Kaiserstadt, wie er zur Zeit der großen Maria Theresia bestand. Allabendlich verkündet der im Kostüm jener Zeit steckende Thorwart uralte Weisheitssprüche, zum Ergötzen jener Besucher, die sich hier einfinden, um den Weisen der Hoch- und Deutschmeister zu lauschen.

An dies malerische Architekturbild reihen sich Rutschbahnen, eine französische Apfelmostpresse, ein großes Modell der St. Peterskirche zu Rom, ein maurischer Palast, in welchem das Castansche Panoptikum aus Berlin seine Feen- und Teufelsgrotten, Labyrinthe, unergründlichen Brunnen, Wachsfigurenkabinette und Schreckenskammern zeigt.

Wollten wir die Sehenswürdigkeiten des nunmehr folgenden türkischen Dorfes aufzählen, so müßten wir darüber fast einen besonderen Artikel schreiben. Sehen wir doch unter anderem das überaus stimmungsvolle Innere eines Palastes aus Damaskus, kostbare Kriegszelte seldschukkischer Herrscher, eine konstantinopolitanische Feuerwehrbrigade mit ihren die Lachlust herausfordernden Löschgeräthen, ferner Nomadenstämme, die in derselben ureinfachen Weise ihr Leben fristen, wie es vor drei- bis viertausend Jahren Abraham, Jsaak und Jakob in Ur und Chaldäa thaten.

Dicht neben dem türkischen Theater, wo Drusen und Maroniten vom Libanon, Bewohner von Jericho und Jerusalem die Sitten und Gebräuche des modernen Palästina veranschaulichen, erhebt sich ein im Schweizerstil aufgeführtes Panorama, in dem wir einen entzückend schönen Rundblick auf die Berner Alpen genießen können. Es ist derselbe, den A. Francke den Lesern der „Gartenlaube“ erst kürzlich in Nr. 32 beschrieben hat. Von den übrigen [751] Schaustellungen heben wir nur noch das Dorf der Samoaner hervor, die venetianische Glasbläserei, Hagenbecks Menagerie, die mit ihren Vorstellungen in der Thierdressur täglich neue Scharen anlockt, das Goldbergwerk aus Kolorado, das irische Dorf mit seiner Hausindustrie und dem alten Schloße Blarney, in dem sich der berühmte Blarney-Stein befindet, der die eigenthümliche Fähigkeit besitzen soll, jedem, der ihn küßt, unfehlbar die Gabe sprühender Beredsamkeit zu verleihen und unglücklich Liebende zusammenzuführen. –

Noch sind wir bemüht, die tausendfältigen Eindrücke, die wir während unserer Wanderung erhielten, zu ordnen, noch sind wir in Schauen versunken, da theilen sich plötzlich die Menschenmassen. Berittene Sicherheitswächter sprengen auf und nieder, drängen die Neugierigen rechts und links zur Seite und schaffen eine breite Gasse, an deren oberem Ende inmitten der Staubwolken eine eigenartige Karawane erscheint. Die fremden Bewohner der Midway Plaisance haben heute ihren Paradetag und sich zu einem Völkerzug vereinigt, wie ihn eigenartiger noch kein Zeitalter erlebte.

Näher und näher kommt die seltsame Kavalkade, immer deutlicher blitzen aus den Staubmassen die funkelnden Speere, leuchten die kostbaren Gewänder hervor, immer phantastischer klingen die verschiedenen nationalen Melodien – Weisen, die wir nie zuvor gehört.

Da ist die erste Gruppe des Zuges heran: Lappländer sind’s mit Renthieren und Zughunden, geführt von einem Greis, der mit seinem meterlangen schneeweißen Bart wie der leibhaftige Knecht Ruprecht aussieht. Der grellen Sonnengluth ungewohnt, kneifen die Bewohner des hohen Nordens zwinkernd die Augen zusammen; dicke Schweißperlen stehen auf ihren von Pelzmützen beschatteten Stirnen; wie mögen den Leuten die schweren Woll- und Pelzgewänder unter diesem Himmelsstrich unerträglich werden! Da haben’s die Dahomey-Neger, die ihnen hart auf den Fersen folgen, weitaus bequemer. Sie hüllen sich in wenige grellfarbige Tuchstreifen und begnügen sich im übrigen mit buntem Kriegsschmuck. In ihrer Mitte befinden sich einige Dutzend tiefschwarzer Amazonen, die ihre mit gräßlichen Widerhaken versehenen Speere schwingen und dabei jenen schauerlichen Schlachtruf ausstoßen, der in den Wildnissen Guineas die Herzen der französischen Eroberer gar oft erbeben machte.

Bewohner der Nordwestküste von Nordamerika und ihre Totempfähle.

Dicht hinter diesen Barbaren wird in goldenem Tragsessel ein schwarz gekleideter Mann getragen, wohl ein Missionär – doch nein, es ist der Führer oder „Manager“ der chinesischen Schauspielertruppe, die im vollen Schmucke ihrer überaus kostbaren, mit Gold- und Silberstickereien überladenen Seidengewänder erscheint. Einen komischen Eindruck machen einige Mandarinen in altchinesischen Heroenkostümen. Ihre sonderbaren Kopfputze sind mit unendlich langen Federn besteckt; die übermäßig geschminkten Fratzen erhalten durch lang herabwallende Ziegenbärte ein gar zu drolliges Aussehen.

Doch was ist das, was sich hinter diesen Reitern einherwälzt? Etwa ein ungeheurer, mit menschlichen Füßen versehener Heerwurm? Nein, es ist der große Drache, der heute zum ersten Male auf amerikanischem Boden auftritt. Welch eine Ausgeburt der zu abenteuerlichen Extravaganzen so sehr geneigten chinesischen Phantasie! Ein ungeheurer, aus Leinwand und Bambus gefertigter Kopf mit mächtigen Glotzaugen, Bockshörnern, langen Fühlfäden und einer blutrothen Zunge, die in dem mit fürchterlichen Zähnen besetzten Rachen hin und her schlenkert, bewegt sich auf uns zu. An dem dünnen Halse setzt der schier endlose Riesenleib des Scheusals an, dessen Träger, einige Dutzend Chinesen, sich bemühen, das Unthier all die charakteristischen Bewegungen einer Schlange nachahmen zu lassen.

Noch hat sich unsere Verwunderung ob des seltsamen Anblicks nicht gelegt, da werden einige kostbar geputzte chinesische Frauen in goldblinkenden Palankins vorübergetragen, dann kommen braune Bewohner der Sandwichsinseln, hinter denen wieder rothwangige Schönheiten der Bretagne in klappernden Holzpantoffeln einhertrippeln. Voll feierlicher Grandezza ziehen dann einige päpstliche Schweizergardisten auf, die mächtigen Hellebarden geschultert, als folge gleich hinter ihnen der Herr der katholischen Christenheit. Doch es sind nur einige cylinberhutbedeckte und in tadellosen Salonanzügen steckende Japaner, die in der feinen Kalesche stolz einherfahren, sich mit einem umfänglichen japanischen Sonnenschirm beschatten und so recht die Thatsache verdeutlichen, wie scharf im Lande des Sonnenaufgangs uralte heimische Gewohnheiten und die neuesten Errungenschaften abendländischer Kultur nebeneinanderstehen. –

Grasgrüne, mit einer Leier geschmückte Fahnen verkünden jetzt das Nahen der Söhne und Töchter Grün Erins. Die ganze Gruppe ist grün gekleidet, und grün sind selbst die Strümpfe des Tänzers, der nach den Tönen eines Dudelsackes den irländischen Gig mit einer Unermüdlichkeit tanzt, die einer besseren Sache würdig wäre.

Blutrothe, mit dem Halbmond verzierte Fahnen, mit flatternden Roßschweifen versehene Feldzeichen, mit Koransprüchen bestickte Banner, sowie hoch über die Menge hinwegsehende Köpfe von Kamelen und Dromedaren bereiten uns nun auf das Erscheinen der Orientaten vor. So zahlreich ziehen die verschiedensten mohammedanischen Völkerschaften an uns vorüber, daß es ist, als habe sich der ganze Orient von Marokko bis zum Euphrat, vom Goldenen Horn bis zum Blauen Nil auf die Wanderschaft begeben. Da sind Kabylen vom Atlasgebirge, Tunesier und Aegypter, Tuaregs und Tibbus aus der Sahara, Beduinen vom Sinai und aus den Steppen Yemens, Kurden und Armenier, Derwische, Priester und Handelsherren aus Beirut, Smyrna und Damaskus.

Welch ein farbenprächtiger, an die phantastische Märchenwelt von „Tausend und eine Nacht“ erinnernder Aufzug! Da rasen auf weiten, freigelassenen Strecken die Beduinen auf windschnellen Rossen dahin und geben höchst verwegene Kampfspiele zum besten. Meister der Fechtkunst sind auch die ihnen folgenden Mameluken, hagere, sehnige Gestalten, die in alterthümlichen Panzerhemden und stählernen Cirkassierhelmen erscheinen, welch letztere noch denselben Wangenschutz und dieselbe Nasenberge haben, wie sie an Ritterhelmen des 11. Jahrhunderts üblich waren. Das sind die echten Krieger des Orients, dieselben Menschen, die in fanatischem Ansturm einst halb Europa unterwarfen. Blitzschnell lassen sie die Krummsäbel auf die Helme und Rundschilde ihrer Gegner niedersausen, so daß man vermeint, jeden Augenblick müsse einer derselben unter den Schwerthieben zusammenbrechen.

Doch die Kämpfer sind zu gewandt, um sich irgend welchen Schaden zuzufügen und so dürfen wir uns ohne Besorgniß jenen [752] hinter ihnen herschreitenden Athleten zuwenden, die anscheinend mühelos mit kolossalen Holzkeulen und schweren Eisenstangen spielen. Mehrere Bursche, deren mit Oel eingesalbte, im Sonnenlicht glänzende Körper in wunderbar ausgeprägter Weise das ganze Muskelsystem zeigen, sind die Ringer des persischen Palastes; ihnen folgen tiefschwarze, in schneeweiße Gewänder gehüllte Sudanesen, die ihre weit abstehenden Haardächer mit Unmassen von Hammeltalg beschmiert haben.

Bronzefarbige, nur mit einem Bastschurz bekleidete Bewohner von Samoa schließen sich an. Sie tragen lange, mit Haifischzähnen und Fischgräten besetzte Speere und Lanzen, centnerschwere Keulen aus Eisenholz. Während ihre schönen, mit überaus sanften Augen versehenen Weiber lustige Marschlieder erklingen lassen, entlocken die Krieger den eigenthümlichen Muscheltrompeten schauerliche, weithin hallende Töne.

Bereits eine volle Stunde währt der Vorbeimarsch aller dieser fremden Völkerschaften, da endlich naht das Ende: gegen dreißig mit Rosengewinden bekränzte Wagen, in denen die Schönheiten des „internationalen Kongresses der Volkstrachten“ sitzen. –

Außer jenen Völkerschaften der Midway Plaisance besitzt die Kolumbische Weltausstellung noch einige andere sehenswerthe Gruppen, von denen nur die Eskimos von Labrador und die Bewohner der Nordwestküste von Nordamerika, die Indianer von Vancouver-Island und Britisch-Kolumbia, genannt sein mögen. Namentlich das Dorf der letzteren erregt mit seinen eigenartig bemalten Bretterhütten und den absonderlichen Totempfählen, welche in aufsteigender Reihenfolge den Stammbaum der Familien in Thierbildern festhalten, die Aufmerksamkeit jedes Besuchers, der Sinn hat für die mitunter so seltsame Wendungen einschlagende Entwicklungsgeschichte der Menschheit.

Diesen Sinn suchte die Leitung der Kolumbischen Weltausstellung dadurch rege zu halten, daß sie dann und wann ähnliche Veranstaltungen traf wie den oben geschilderten Völkerzug. So wurden z. B. internationale Völkerkonzerte und Tanzfeste, Wettschwimmen, Wettruder- und Segelfahrten abgehalten, und stets haben derartige Schaustücke wie auch die häufigen großen Feuerwerke ein zahlreiches Publikum herangezogen.

So bot die Kolumbische Weltausstellung nicht nur des Belehrenden, sondern auch des Unterhaltenden so unendlich viel, daß es kaum möglich war, alles in sich aufzunehmen und zu bewältigen. Gewiß hatte auch die Kolumbische Weltausstellung ihre Mängel und Fehler. Wenn wir in unseren Berichten, die wir hiermit schließen, im großen und ganzen über dieselben hinweggegangen sind, so geschah dies nicht etwa aus Liebe zur Schönfärberei, sondern weil uns diese Mängel gegenüber der ungeheuren Summe von Belehrung zu bedeutungslos erschienen, als daß wir sie hätten ausdrücklich hervorheben sollen. Möge sich auch das afinanzielle Ergebniß der Weltausstellung gestalten wie es wolle, möge der Rechnungsabschluß Gewinn oder Verlust ausweisen, so wird die Geschichte doch die Erinnerung an die Kolumbische Weltausstellung festhalten und sie als eines der glänzendsten Ereignisse des 19. Jahrhunderts verzeichnen.