Weihnachtserinnerungen aus den Tropen

Textdaten
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Autor: Christian Anton Goering
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Titel: Weihnachtserinnerungen aus den Tropen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 827–828
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Weihnachts-Erinnerungen aus den Tropen.

Weihnachten in einer Indianerhütte. – Im Thale von San Esteban. – Ankunft der deutschen Kriegsflotte in Puerto Cabello.

Wo der Deutsche auch sein mag, im hohen eisigen Norden, unter den Tropen oder auf den Fluthen des Oceans, immer wird er sich das Weihnachtsfest so schön, so deutsch wie möglich gestalten, und wenn ihm die brennenden Kerzen des Christbaumes entgegenstrahlen, dann denkt der Reisende an die fröhliche Jugendzeit und an die durch Elternliebe verklärten Weihnachtsfeste in der fernen Heimath. Die althergebrachte Sitte webt also durch ihre geheimnißvolle Macht das feste Band der Treue zwischen dem Auswanderer und dem Vaterland.

So erinnere ich mich noch lebhaft eines Weihnachtsabends, welchen ich vor Jahren mit den Chaimas-Indianern im Innern des nordöstlichen Venezuela verlebte. Seit Monaten hatte ich kein deutsches Wort gehört, hatte aber im Vollgenusse der dortigen großartig schönen Natur, mit den friedlichen, aber wenig gesprächigen Chaimas die Gegend durchstreift und zwar mit solchem Eifer, daß ich, ohne die liebe Heimath zu vergessen, ganz meinen Arbeiten lebte. Hier, in einer von herrlichstem Gebirgsurwald umgebenen Lichtung, in deren Mitte die einfache Hütte der gastfreundlichen Chaimas-Familie lag, sollte ich den Weihnachtsabend zubringen. Ich hatte mich, als die untergehende Sonne zum Abschied noch die höchsten Baumkronen der Urwaldriesen beleuchtete, vor die Hütte gesetzt und blickte wehmuthsvoll hinüber nach der großartig schönen Pflanzenwelt, in welcher ich während des ganzen Tages herumgestreift. Eine fast unheimliche Ruhe begann sich über die Natur zu breiten. Die Stimmen der Vögel verhallten, selbst die des herrlichen Glockenvogels verstummte, welcher durch seinen reinen Ton mich noch wehmüthiger gestimmt hatte. Denn oft wähnte ich die Glocken eines im Urwalde verborgenen Kirchleins zu hören, welche den herannahenden Weihnachtsabend begrüßten. Jetzt, wo die tiefe Dunkelheit hereinbrach, war Alles ruhig, und nur mit Unterbrechung ertönte noch das schauerliche Geheul der Brüllaffen, vielleicht Unwetter verkündend, aus dem Walde herüber!

Ich saß noch in Gedanken versunken, als die schwarze Nacht hereingebrochen war. Nur einige brennende Holzstücke der höchst einfachen, aus wenigen zusammengeschobenen Steinen bestehenden Küche spendeten ein spärliches Licht. Auch in der Hütte herrschte vollständige Stille, denn die Bewohner hatten sich in ihre Hängematten gelegt und pflegten, nach dortigem Brauch, frühzeitig der Ruhe. Ich nahm nun aus meiner Jagdtasche einen für alle Fälle mitgenommenen Wachsstock und theilte denselben in einzelne Stücke, welche ich an einen kleinen am Tage herbeigebrachten Kaffeestrauch befestigte. Bald strahlten zehn glänzende Lichter in dem kleinen Hüttenraume. Ich breitete kleine Gegenstände, wie Spiegel, Perlen, Tücher etc., um den Baum und war dabei so ganz in Gedanken in der Heimath, als plötzlich der alte Vater der Familie sich regte und mich überrascht und neugierig fragte, was das Alles bedeuten solle.

Und nun ging ich an seine Hängematte, faßte die Hand des alten braunen Herrn und erzählte ihm von unserer deutschen Weihnachtsfeier, wie diese die fröhlichste und schönste bei uns sei, wie sich alle Menschen dabei gegenseitig Freude durch Geschenke zu bereiten suchen und wie auch die menschenfreundliche Wohlthätigkeit zu dieser Zeit am meisten gepflegt wird. Weil ich nun so weit von den Meinen sei und an den Freuden in der Heimath nicht Theil nehmen könnte, so hätte ich die kleinen Geschenke unter dem Christbaum für ihn und seine Familie gelegt, für die, welche mich, den Fremdling, so freundlich aufgenommen haben. Spannend lauschte mein Wirth, indem er einmal auf die Lichter, dann auf mich blickte, dann erhob er sich von seinem Lager, stieg schweigend aus der Hängematte und weckte alle seine Familienglieder.

Bald sah ich einen Kreis von braunen, wenn auch schon einigermaßen verschlafenen Gesichtern um meinen improvisirten Christbaum versammelt, und nun begann ich die Geschenke zu vertheilen. Ich bemerkte die Freude und die zunehmende Munterkeit meiner Freunde, welche sich sogleich mit den verschiedenen Gegenständen schmückten. Ich führte ihnen die Bedeutung dieses Festes noch weiter vor und machte ihnen begreiflich, daß dies bei uns ein echt christliches Fest sei, um so mehr, da die katholischen Chaimas uns Protestanten nicht als Christen betrachten. Noch lange mußte ich bei duftendem Kaffee, welchen wir aus der Fruchtschale des Flaschenbaumes tranken, von den deutschen Gebräuchen erzählen, bis die letzte Kerze erlosch.

Ein fröhlicheres Weihnachten habe ich allerdings später erlebt, als ich nach langem Herumstreisen im tiefen Innern des Landes in einem der ersten Hafenplätze Venezuelas, in Puerto Cabello, wieder glücklich angelangt war. Es herrschte in jenem Orte, obwohl nur ungefähr dreißig Landsleute dort wohnten, ein reges deutsches Leben. War schon der ohnedies herzliche Verkehr mit den deutschen Landsleuten nach langer Abwesenheit und nach mehrfachen Entbehrungen im Innern für mich ungemein wohlthuend, so wurde die Freude noch mehr erhöht durch Veranstaltung glänzender Christbescherungen in den deutschen Familien. In einem der Häuser war fast die ganze deutsche Colonie versammelt und wartete mit Spannung in einem Nebensalon, bis die liebenswürdige Hausfrau das Signal zum Eintritt in den Hauptsaal gab. Herrlich erleuchtet, strahlte der prächtig geschmückte Christbaum den Eintretenden entgegen, deren freudig erregte Augen mehr sagten als viele Worte. Zwar war es keine heimathliche Tanne oder Fichte, sondern ein schön gewachsener Kaffeebaum, welcher mit vielen Lichtem geschmückt im Salon prangte, und auch die Gesellschaft sah äußerlich anders als in der Heimath aus, denn sie waren Alle, Damen und Herren, in eleganten weißen, dem heißen Klima angepaßten Anzügen erschienen; auf letzteres deuteten auch die weit offenstehenden Balconfenster hin, durch welche eine etwas erfrischende Lust von der See her in den Festraum strömte. Das Fest nahm aber ganz den Verlauf wie in einem ähnlichen Cirkel in Deutschland, und nur die angedeuteten Verhältnisse, durch das Klima bedingt, erinnerten uns, daß wir weit von der Heimath entfernt waren.

Anders als in der Stadt war der Eindruck in dem herrlichen Küstenthale von San Esteban, wo mehrere deutsche Kaufherren reizende Villen besitzen. Diese sind ganz „tropisch“ eingerichtet, das heißt leicht und luftig gebaut, und befinden sich in unmittelbarer Umgebung einer unvergleichlich schönen Tropennatur. [828] Die Gegensätze berühren sich hier auffallend, denn während in irgend einer der Villen Piano gespielt wird, hört man nicht selten zugleich das Geheul der Brüllaffen und Stimmen anderer Thiere, welche die dichten Wälder der nahen Berge bewohnen. Gleich neben dem reizend eingerichteten, mit allem europäischen Comfort ausgestatteten Hause steht die Hütte der farbigen Eingebornen. Es war ein freundliches, aber höchst eigenthümliches Bild, welches uns entgegengrüßte, als wir auf dem breiten Wege im Thale hinaufwanderten.

Einheimische Musikbanden begegneten uns, welche ganz zur Scenerie paßten, ebensowohl durch ihre Kleidung wie durch ihre primitiven musikalischen Leistungen. Wir ließen sie so schnell wie möglich vorüber, und bald erreichten wir unser Ziel, denn zwischen dem üppigen Baumwuchs hindurch schimmerte die festlich geschmückte Villa des deutschen Freundes. Papierlaternen hingen vor der langen Veranda, und aus dem Salon leuchtete der Christbaum einladend herüber. Es war eine großblätterige Feigenart aus dem nahen Walde, welche den Tannenbaum ersetzen mußte. Aber um den Baum herum jubelten die Kinder, und ihre laute Freude übertönte die Stimmen der Eltern. Auf den Köpfen der Knaben saß der preußische Helm, kurz, Alles deutete auf das deutsche Fest. Auch die farbige Dienerschaft wurde bedacht und schien an der Art, wie die Geschenke ihnen gegeben wurden, große Freude zu haben.

Zuweilen erschienen einheimische Sänger, welche ihre Aquinaldos sangen und dazu die kleinen Guitarren ertönen ließen. Auch die Maraccas (Fruchtschalen, die mit trockenen Maiskörnern gefüllt sind), welche hier die Castagnetten vertreten, erklangen dazwischen. Dieses farbige, halbnackte Gesindel, welches selbstverständlich ein Geldgeschenk erlangen wollte, wurde nie lange aufgehalten, denn seine Musik war zumeist so kreischend und durch Mark und Bein dringend, daß die Weihnachtsstimmung dadurch nicht wenig beeinträchtigt wurde. So lange wie möglich wurde der Abend ausgedehnt, und heiter ging es zu in den luftigen Räumen, unter der Veranda, obwohl auch Mancher von den Festtheilnehmern sich abgesondert hatte, um still seinen Gedanken nachzuhängen, die hinüber über den Ocean eilten, zu den Seinen, welche zu gleicher Zeit, aber im geschlossenen Raume, bei eisiger Kälte, dasselbe Fest feierten. Hier umgab uns die üppigste Fülle der Natur und die laue Abendluft lud uns ein, in’s Freie zu gehen, während zugleich riesige Fledermäuse durch die Zimmer flogen. Große Nachtschwärmer und eine Menge anderer kleinerer Insecten umsummten und umgaukelten, vom Lichterglanz angezogen, den Christbaum. Bei dem vielen Licht überall war die günstigste Gelegenheit geboten, eine reiche Insectensammlung anzulegen, die auch nach Kräften benutzt wurde.

Im Jahre 1872 wurde uns in Puerto Cabello anwesenden Deutschen eine ganz besondere Weihnachtsfreude, ja ein für alle Deutschen höchst bedeutungsvolles Ereigniß sollte uns beglücken. Die deutsche Regierung hatte beschlossen, ein aus fünf Kriegsschiffen bestehendes Geschwader um die Erde segeln zu lassen, und zwar unter dem Befehle des muthigen, den Lesern der „Gartenlaube“ wohl bekannten Reinhold Werner. Dieses stolze Geschwader sollte den überseeischen Nationen die Flagge des neu erstandenen deutschen Reiches zeigen und den dort angesiedelten Landsleuten verkünden, daß sich das Vaterland zu neuer großer Macht emporgehoben habe, es sollte in den Herzen der Deutschen das Bewußtsein festigen, daß sie nun auch einer einigen Nation angehören, welche ihre in fernen Ländern weilenden Söhne nachdrücklich zu schützen vermag. Mit unbeschreiblicher Spannung spähten wir nach dem Horizonte, um die Masten des deutschen Geschwaders zu entdecken.

Endlich erschienen die ersehnten Schiffe und näherten sich schnell der Küste; schon leuchteten die deutschen Farben der Flaggen zu uns herüber, und bald bog das Geschwader in die herrliche Rhede von Puerto Cabello ein. Das Gerassel der Ankerketten tönte zu uns herüber als erster Gruß, und nun entfaltete sich ein hier noch nie geschautes Leben und Treiben. Während bisher nur immer dieselben wenigen Deutschen sich begegnet hatten, waren mit einem Male fast zweitausend Landsleute in unserer Nähe. Ein ungemein reger Verkehr zwischen den Schiffen und dem Lande entwickelte sich, und in kurzer Zeit hörte man überall Deutsch und fand in allen deutschen Häusern Angehörige des Geschwaders. Aber den Weihnachtsabend feierten beide Theile für sich, das Geschwader da draußen auf der Rhede nach seemännischer Art und die Familien am Lande. Dann aber folgten Feste auf Feste, welche zu Ehren des Geschwaders veranstaltet wurden, und ein großer Ball, welcher an Bord des „Friedrich Karl“ abgehalten wurde, setzte Allem die Krone auf. Es war für unsere Seehelden wie für uns eine herrliche, unvergeßliche Weihnachtswoche in den Tropen. A. G.