Textdaten
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Autor: Dr. v. B.
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Titel: Wasserwein und Hobelspäne
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 636, 638–639
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Wasserwein und Hobelspähne.

Wenn unsere leichtgläubigen Landsleute auf Zeitungsannoncen hin, wie jene des albernen pommerschen Barons, daß seine siebenzehnjährige taubgeborene Tochter nach dem Gebrauche von siebenundzwanzig Flaschen des Hoff’schen Malzextractes ihr Gehör wieder erhalten habe und zwar so vollkommen, daß sie sich zur Harfenvirtuosin ausbildet, ein paar Dutzende des Hoff’schen Laxirbieres bestellen, so erhalten diese doch wenigstens Etwas für ihr Geld. Freilich hätten sie sich den Wundersaft mit ein paar Händen voll Malz und ein paar Fingerspitzen voll von der Rhamnus frangula für ein Viertel der Summe selbst bereiten können. Dasselbe gilt vom Daubitz’schen Liqueur und anderen Schnäpsen; immer bekommen die freilich in ihren hohen Erwartungen Getäuschten wenigstens Etwas für ihr Geld. Wir wollen aber heute von einer Industrie sprechen, welche, wenn es wahr ist, daß das große Geheimniß ein guter Kaufmann zu sein darin bestehe, für viel Geld wenigst möglich zu geben, in dieser Hinsicht den Culminationspunkt erreicht hat, indem sie für sehr viel Geld gar nichts giebt.

Wir meinen jene Erfindungen, welche, wie so viele andere große und welterschütternde, gleichzeitig gemacht zu sein scheinen, die Erfindungen der Herren Wilhelm Schiller und Co. in Berlin und C. Leuchs und Co. in Nürnberg: Wein aus Wasser ohne Trauben oder sonstiges Obst und ohne Hefe darzustellen und zwar alle möglichen Sorten, laut Avertissement, den Eimer, etwa einhundertundvierzig Zollpfund, noch [638] unter zwei Thaler. Die Einrichtung kostet nach dem ehrenwerthen Herrn Schiller höchstens drei Thaler.

Wer sollte nicht Lust bekommen, für einige Thaler Millionär werden in wollen? Herr Schiller, welcher sich als alter Besitzer dieses Geheimnisses schon jedenfalls auf dieser schwindelnden financiellen Höhe befindet, will gegen ein Honorar von zehn, respective dreißig Thalern, wenn man mit Gährung arbeiten will, sich herablassen uns in den Tempel Mammons einzuführen. Herr C. Leuchs, die Priorität dieser erstaunenswerthen Erfindung beanspruchend und Herrn Schiller als Pfuscher brandmarkend, verlangt für sich sechszig Thaler und außerdem Geheimhaltung seiner enormen Entdeckung bis zum Jahre 1875. Zahlreiche Annoncen der Firma Schiller, namentlich in deutschen illustrirten Blättern, welche selbstverständlich aus der Tasche der in’s Netz Gegangenen bezahlt werden müssen, sprechen für die Rentabilität des Geschäftes.

Um aber unseren Lesern, welche keine sechszig Thaler anwenden können und auch nicht warten wollen, bis Herr Leuchs sie Anno 1875 in freigebiger Weise gratis in das financielle Paradies einführen wird, diese schnelle Gelegenheit ihr Glück zu machen nicht vorzuenthalten, folgt hier eine detaillirte Schilderung des Geheimnisses. Der durch die Anzeigen in Leipziger und Stuttgarter u. a. Zeitschriften in’s Garn Gelockte setzt sich mit einem der oben genannten Herren in briefliche Verbindung und empfängt als Antwort von Herrn Leuchs ein großes gedrucktes Pamphlet, das Massen von Danksagungen von Käufern seiner Vorschrift enthält, welche sämmtlich in merkwürdig kurzer Zeit ein kolossales Vermögen erwarben. Diese im Style der Hoff’schen Reclamen gehaltenen Dankbarkeitsergüsse sind aber merkwürdiger Weise alle ohne Namensunterschrift. Datirt sind dieselben aus der ganzen Welt und nach ihnen ist Herrn C. Leuchs’ Erfindung sogar nach Irkutsk, dem er selbst für der Geographie Unkundige noch „Sibirien“ beifügt, gedrungen. Ein Dankbarer, aber Ungenannter, aus Würtemberg bemerkt, er sei nun völlig überzeugt, daß selbst die Natur übertroffen werden könne; allein die komischeste Annonce von allen ist unstreitig die, gezeichnet M. v. N., worin der Verfasser erklärt: „Ich bin mit der Weinbereitung aus Wasser so zufrieden, daß ich gedenke meinen Weinberg zu verkaufen.“ Das kommt doch wohl der Heilung der taubgeborenen pommerschen Baronesse durch siebenundzwanzig Flaschen Hoff’schen Malzextractes ziemlich nahe!

Herrn Schiller’s Taktik ist eine andere. In einer mitunter nicht streng orthographischen Epistel wird dem an der Angelschnur Zappelnden dargelegt, wie es der höchste Triumph der modernen Chemie sei, synthetisch zu werden und die Resultate genauer Analysen zu diesem Zwecke zu verwenden. Man wisse aber, daß Wein aus Wasser, Alkohol, Zucker, Gerbstoff und Aether bestehe (sic), folglich handle es sich nur darum, die Bedingungen kennen zu lernen, unter welchen eine Mischung dieser Substanzen Wein gebe, welchen „weder die Chemie noch die geübteste Weinkennerzunge von Naturwein unterscheiden könne“.

Nach eingesendeten zehn Thalern erhält man nun von Herrn Schiller folgende Vorschrift:

„Man bereite eine Tinctur von zwei Theilen Muscatblüthe, zwei Theilen Muscatnuß, fünf Theilen Fliederblüthe, einem Theil Iris florentina, einem Achtel Gewürznelken, jedes für sich in Weingeist einige Tage digerirend und dann gemischt, wovon dem Weine nach Bedarf beigegeben werde. (Diese Vorschrift soll augenscheinlich den beliebten „Muscat-Lunel“ geben!)

a. stärkerer Weißwein: achtundachtzig Pfund Wasser, zwölf Pfund Alkohol, ein halbes Pfund Acidium Tartar., vier Loth Fliederblüthe, anderthalb Pfund Zucker, ein halbes Pfund Schlehen, ein Loth Kochsalz, etwas von obiger Essenz und ein Viertel Quentchen Oenanthäther, in Ermangelung ein Pfund Cognac. Ist der Wein zu sauer, so setze man ein bis zwei Loth Natronlösung zu.

b. schwächerer Weißwein: neunzig Pfund Wasser, zehn Pfund Weingeist, ein Pfund Zucker und wie oben.

c. Rothwein: achtzig Pfund Wasser, zehn Pfund Weingeist, drei Viertel Pfund Schlehen, zehn Pfund vergohrene Heidelbeeren oder Hollundersaft, zwei Loth Kochsalz, zwei Loth Glaubersalz, ein Loth Alaun.

Oder man mache folgende Composition:

Schwach: 92 Pfund Wasser, 8 Pfund Alkohol, 1 Pfund Zucker, 1/3 Pfund Acid. tart., 1/8 Pfund Tannin, 1/8 Pfund Glaubersalz, 1/8 Pfund Kochsalz.

Stark: 90 Pfund Wasser, 10 bis 12 Pfund Alkohol, 1/2 Pfund Zucker, 1/2 Pfund Acid. tart., 1/8 Pfund Tannin, 1/6 Pfund Glaubersalz, 1/6 Pfund Kochsalz.

Sollte das Bouquet nicht nach Wunsch ausfallen, oder die Sache große Eile haben, so giebt man zwei bis vier Tropfen Himbeeräther und drei bis sechs Tropfen Erdbeeräther zu.“

Dies ist es, was Herr Schiller als „Triumph der synthetischen Chemie“ seinen Opfern für zehn preußische Thaler darbietet, und ich wünsche nur herzlich, daß der Zufall Niemandem ein ähnliches Höllengebräu über die Zunge führe. Die einfache Mittheilung der Recepte überhebt uns wohl der Nothwendigkeit einer wissenschaftlichen Kritik.

Etwas methodischer geht Herr Leuchs zu Werke. Nach eingesandten sechzig Thalern erhält man die höchst interessante Mittheilung, daß es Herrn Leuchs gelungen sei, die Theorie der größten Chemiker unserer Tage über die Gährung zu stürzen, „daß nicht Kleber, Eiweiß, Hefe die eigentlichen Erreger der Weingährung seien, sondern – man lache nicht – Hobelspähne“. Man kann also getrost, wie der oben angeführte M. v. N., seine Weinberge verkaufen und sich dafür Hobelspähne anschaffen. Der Hobelspähnewein wird nun nach Herrn Leuchs auf nachstehende Art bereitet:

„Man füllt ein aufrechtstehendes Faß mit Hobelspähnen, bis auf ein bis drei Fuß vom oberen Rande, legt dann dort ein hölzernes Gitter oder einen Deckel mit Löchern auf, der durch Zapfen so festgehalten wird, daß er weder herauf- noch herabgehen kann. Das Faß hat unten einen Hahn zum Ablassen und es ist gut, bis etwa zwei bis drei Zoll über demselben eine Schicht von reinen Kieselsteinen in dasselbe zu bringen, was ein klareres Ablaufen der Flüssigkeit bewirkt. Ist Alles so vorgerichtet, so füllt man das Faß mit warmem oder kaltem Wasser, so dass dieses bis etwas über das Holzgitter geht, zieht das Wasser nach vierundzwanzig Stunden ab und wiederholt das Aufgießen so lange, bis es rein und geschmacklos abläuft. Dann füllt man das Faß mit dem Wasser, welches in Wein verwandelt werden soll, so weit voll, daß das Wasser einen halben bis anderthalb Fuß über dem Holzgitter steht. Tas Wasser darf kalt sein. Nun legt man auf das Holzgitter den Zucker und die übrigen Zusätze. Er löst sich dort leicht und schnell.

Die von Herrn Leuchs angegebenen Verhältnisse sind folgende:

1. Weißer Wein, leichter a. 100 Pfd. Wasser, 15 Pfd. Zucker, 1/4 Pfd. Weinsteinsäure, 1/8 Pfd. Tannin, 1/8 Pfd. Glaubersalz.
Weißer Wein, leichter b. 100 Pfd. Wasser, 9 Pfd. Zucker, 1/4 Pfd. Weinsteinsäure, 1/8 Pfd. Tannin, 3 Pfd. Spiritus, 1/4 Pfd. Glaubersalz.

2. Weißer Wein, starker a. 100 Pfd. Wasser, 20-25 Pfd. Zucker, 1/2 Pfd. Weinsteinsäure, 1/8 Pfd. Tannin, 1/8 Pfd. Glaubersalz.
Weißer Wein, starker b. 100 Pfd. Wasser, 10-12 Pfd. Zucker, 1/2 Pfd. Weinsteinsäure, 1/8 Pfd. Tannin, 5-7 Pfd. Spiritus, 1/4 Pfd. Glaubersalz.

3. Süßer Wein, leichter a. 100 Pfd. Wasser, 15 Pfd. Zucker, 1/2 Pfd. Weinsteinsäure, 1/8 Pfd. Tannin, 8 Pfd. Spiritus, 1/8 Pfd. Glaubersalz.
Süßer Wein, leichter b. 100 Pfd. Wasser, 25 Pfd. Zucker, 1/2 Pfd. Weinsteinsäure, 1/8 Pfd. Tannin, 4 Pfd. Spiritus, 1/8 Pfd. Glaubersalz.

4. Süßer Wein, starker a. 100 Pfd. Wasser, 40 Pfd. Zucker, 1/2 Pfd. Weinsteinsäure, 1/4 Pfd. Tannin, 4 Pfd. Spiritus, 1/4 Pfd. Glaubersalz.
Süßer Wein, starker b. 100 Pfd. Wasser, 20 Pfd. Zucker, 1/2 Pfd. Weinsteinsäure, 1/4 Pfd. Tannin, 10 Pfd. Spiritus, 3/8 Pfd. Glaubersalz.

Zu Rothwein giebt man bei 1. oder 2. entweder gleich mit dem Zucker sechs Pfund Heidel- oder Schwarzbeeren oder Hollunderbeeren in’s Gährfaß oder färbt den Wein durch Aufguß von Pappelblüthe.

So viel erhält man von Herrn Leuchs für sechszig Thaler. Inwiefern dieses Gemisch von Schnaps, Tannin, Zucker und Glaubersalz auch nur annähernde Weinähnlichkeit bekommen kann, überlassen wir der Beurtheilung des Lesers. In der Pfalz, in den weinproducirenden Districten Frankens und in Frankreich würde ein derartiger Weinproducent so wie der Urheber eines solchen Weinverbesserungsverfahrens dem Strafgesetze verfallen.

[639] Eine künstliche Weinbereitung ist ein Unding – schon deshalb kann von ihr keine Rede sein, weil die maßgebenden Bestandtheile des Weines noch keineswegs hinreichend gekannt sind. So ist namentlich über die Bouquetstoffe des Weines so gut wie nichts bekannt, denn die Arbeiten Winkler’s darüber haben sich bei wiederholten Versuchen Anderer als ungenau herausgestellt. Es ist durch die Untersuchungen von Béchamp bewiesen worden, daß der Wein das Resultat nicht einer, sondern mehrerer Gährungen ist, und noch täglich werden neue wesentliche Bestandtheile des Weines gefunden, von denen die Herren Leuchs und Consorten sich nichts träumen lassen; ich erinnere nur an die Nachweisung von Glycerin und Bernsteinsäure im Weine von Pasteur. Nach den schönen Versuchen von A. Béchamp und Maumené über Weingährung nimmt sogar der wirkliche Most, wenn er nur filtrirt wird, ein ganz anderes, weinunähnliches Aroma an, Most aber, dem Bierhefe beigesetzt, verliert alle Eigenschaften des Traubensaftes nach der Gährung; die Anwendung der Leuchs’schen Hobelspähne scheinen die französischen Gelehrten noch nicht zu kennen.

Eine fernere Schwierigkeit, welche sich der künstlichen Weinerzeugung, selbst wenn alle nothwendigen Elemente des Weines bekannt wären, was, wie oben gezeigt, noch lange nicht der Fall ist, entgegenstellen würde, ist die, daß der Wein wie das Bier eine in beständiger Veränderung begriffene Flüssigkeit ist, welche unter günstigen Umständen in kürzerer ober längerer Zeit einen Höhepunkt der Vollkommenheit erreicht, dann aber an Güte abnimmt.

Diejenigen unserer Leser aber, welche den Leuchs’schen Reclamen einen unverdienten Glauben beizumessen für gut finden, haben wenigstens die Gelegenheit, ohne Auslegung von sechszig Thalern mit dem Hobelspähnewein ihr Glück zu versuchen. Nur müssen wir sehr darum bitten, daß diese aus Dankbarkeit dann uns nicht etwa auffordern mögen, ein Glas der Schiller’schen oder Leuchs’schen Weinparodie auf glücklichen Fortgang des Geschäftes zu trinken, denn wenn wir uns in die traurige Nothwendigkeit versetzt finden, Glaubersalz zu verschlucken, so thun wir dies doch wenigstens ohne den keinesfalls den Geschmack verbessernden Zusatz von Tannin und Schnaps.
Dr. v. B.