Washington – das Capitol
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Unser Bild führt uns aus dem alternden, kranken Europa in das jugendliche Land der Freiheit jenseits des Oceans, für Hunderttausende das Land der Verheißung und der Sehnsucht, der Hoffnung und des Trostes. – Die Hauptstadt des Nordamerikanischen Freistaatenbundes haben wir betreten, bestiegen ist der Capitolinische Hügel, und in Glorie erhebt sich vor unsern Blicken ein Pallast von Alabaster, in den schönsten Verhältnissen, eben so prachtvoll als groß. – Was kann es anders sein, als das Haus eines Herrschers? Eines Herrschers ist’s, eines Herrschers ohne Hof, ohne Heer und ohne Knechte; und doch ist er so unumschränkt und so hehr, als einer. In diesem Hause ist der Thron des freien Volks, des Landes einzigen Majestät. Das Gesetz in der Linken, den Schild der Freiheit in der Rechten, sieht dieser Herrscher, so weit sein Auge reicht (und wohin dränge es nicht?) reges Leben, frohes Gedeihen; Ordnung überall; aller Orten riesiges Fortschreiten in Gewerbe und Ackerbau und in allen Zweigen der Kunst und des Wissens; im freudigsten Aufblühen sein ganzes weites Reich! Wahrlich! einen glücklicheren Monarchen kennt die Erde nicht!
Was immer man auch über Amerika sagen mag; Das ist nicht zu läugnen: die Union, jetzt 24 verschiedene Staaten und einige noch nicht zu Staaten gebildete Gebiete umfassend, offenbart, als Reich, im Innern wie nach Außen, eine Lebenskraft und ein Gedeihen, wie es die Geschichte bisher in keinem Staate, weder des Alterthums noch der neuern Zeit, in gleichem Maaße erblickt hat. Unter dem Schutze einer freien und glücklichen, auf das ewige Menschen- und Vernunftrecht gegründeten Verfassung sind vor unsern Augen Handel, Wohlstand, Bevölkerung, Anbau des Landes, Gewerbfleiß und geistige Bildung beispiellos, ja wunderbar schnell gestiegen, und diese mit europäischen Begriffen und Verhältnissen so wenig vereinbare Verfassung hat sich während eines nun vollen halben [58] Jahrhunderts als das segenreichste Werk menschlicher Weisheit bewährt, welches, nächst der Reformation, das Jahrtausend aufzuweisen hat. Unter ihrem Schirme hat sich die Bevölkerung der Freistaaten, von 1783 bis jetzt, von kaum 3 auf 14 Millionen vermehrt, also in nicht viel mehr als einem Menschenalter verfünffacht. Die durch die Anstrengungen des achtjährigen Freiheitskampfes mit dem kolossalen England gewirkte Staatsschuld von 120 Millionen Dollars ist in derselben Zeit, nicht durch neue oder vergrößerte Auflagen, (die überhaupt dort wenig bedeuten), sondern durch kluge Wirthschaft und Ersparniß bis auf wenige Millionen getilgt, und mehr als der kleine Betrag des Schuldrestes befand sich am Anfange dieses Jahres baar im Schatze. Zwei und vierzig tausend Meilen Kunststraßen, drittehalb tausend Meilen Kanäle und achtzehnhundert Meilen Eisenbahnen, alle in demselben kurzen Zeitraum gebaut, spannen sich wie ein Netz über das große Reich aus und auf ihren, die undurchdringlichsten Urwälder und unabsehbaren Grasebenen durchschneidenden Bahnen dringt die europäische Kultur unaufhaltsam in die entlegensten, noch vor wenigen Jahren völlig unbekannten Theile der Union vor; ja, sie hat bereits die Quellen des Missouri erreicht, die Schneegefilde des Felsengebirges überstiegen und sich an den Ufern des Columbiaflusses und an des stillen Ozeans Küste Wohnsitze gebaut. 1400 Dampfschiffe befahren gegenwärtig die natürlichen und künstlichen Wasserstraßen des unermeßlichen Gebiets, mehr als hundert Dampfwägen überfliegen schon die Eisenbahnen, kürzen die Entfernungen in allen Richtungen und verwandeln sonstige Tagereisen in Fahrten von Stunden. Nordamerikas Industrie hat sich, befreit von allen sie anderwärts erdrückenden oder hemmenden Fesseln, und mit Auflagen unbeschwert, seit fünfzig Jahren mehr als verzwanzigfacht; sie hat durch Vervollkommnung und Vereinfachung des Arbeitsprozesses in allen Handthierungen und durch die Anwendung der wirksamsten Werkzeuge, der vollkommensten Maschinen, die Englische bereits eingeholt, und die Hindernisse, die der dorten so hohe Werth der Menschenhände ihr bringen, beseitigt. Wenige Jahrzehnte noch, und das bisher bestandene Verhältniß, daß nämlich die nordamerikanischen Freistaaten einen Theil ihres Bedarfs an Fabrikaten aus Europa erhalten, wird sich umgekehrt haben. Der Anfang dazu ist bereits gemacht. Schon jetzt werden mehre Manufakturerzeugnisse, die früher aus Europa dorthin geführt wurden, diesem Erdtheile aus Amerika schöner und wohlfeiler geliefert, als er sie selbst hervorzubringen im Stande ist.
Aber nicht für das materielle und geistige Wohl der Bewohner der Union allein hat die Freiheit in so kurzem Zeitraume die köstlichsten Früchte getragen, auch die eigentlichen Staatskräfte dieses großen, durch das gemeinschaftliche Glück der weisesten Verfassung zusammengehaltenen Bürgervereins haben sich während dieser Zeit in’s Ungeheure potenzirt. Diese haben Nordamerika nicht nur in eine Stellung versetzt, in welcher es allen nur denkbaren Stürmen von Außen trotzen kann; sie haben bereits jede Möglichkeit eines mit der Hoffnung des Erfolgs verknüpften Angriffs aufgehoben. Zwar gibt es dort, wie schon erwähnt, zum Schutze der Verfassung, des Volksthrones, [59] der Achtung vor dem Gesetze und seinen Vollstreckern, des Lebens und Eigenthums der Bürger, der Ehre und Sicherheit des Reichs, kein stehendes Heer; die ganze Union, ein Staat doch größer als Frankreich, Deutschland, Oestreich, Spanien, Italien, Großbritannien, Dänemark, Schweden und die Türkei zusammen genommen, hält kaum 6000 Mann Soldaten, und diese dienen nur zur Bewachung der Marine-Depots und Forts an den Küsten und zur Besatzung der Militär-Stationen an den Grenzen der Indianer-Gebiete, um die Einfälle der Wilden zu verhüten. Aber für den Fall der Noth ist jeder amerikanische Bürger vom 16. bis zum 60. Jahre Soldat; jeder hat, als Milizpflichtiger, einen Dienstgrad; jeder muß bewaffnet seyn. Für die Artillerie und das Geniewesen sind auch auf Staatskosten vortreffliche, großartige Anstalten zur Ausbildung tüchtiger Officiere vorhanden. Die ganze West- und Ostküste wird überdieß seit 3 Jahren nach dem umfassendsten Plane, der jemals zur Vertheidigung eines Reichs erdacht worden, auf allen schwächern Punkten befestigt und die Marine, – eingerichtet zur Abwehr und zum Schutze des Handels – ist die trefflichste der Erde. Und daß durch solche Militäreinrichtung des Staats, welche das System der Conscription entbehrlich macht, die wenig kostet und den Händen der exekutiven Gewalt das gefährlichste Werkzeug zur Unterdrückung der Freiheit, ein stehendes Söldnerheer, für immer fern hält, für alle Zwecke des Staats hinlänglich gesorgt ist, hat sich durch eine 50jährige Erfahrung und in vielen Kriegen erprobt. Jeder bisherige feindliche Angriff endigte mit der Niederlage der Angreifer. Was hätte auch ein Volk, das zwei Millionen bewaffneter, von der Liebe zur Freiheit begeisterter, nur von einer Idee, Erhaltung dieser Freiheit, beseelter Bürger in’s Feld schicken kann, jemals von einer fremden Macht zu fürchten? Angriffs- und Eroberungskriege aber, wie sie Blut und Vermögen so vieler weniger glücklichen Völker seit Jahrhunderten vergeudet haben, durch welche viele arm und elend geworden, kann eine verständige, das Recht auch in ihren Verhältnissen mit andern Völkern gewissenhaft ehrende Nation, wie die der nordamerikanischen Freistaaten, niemals beginnen. –
Weniger noch als die fremden sind die einheimischen Versuche zum Umsturze der bestehenden, Alle beglückenden Staatseinrichtungen im nordamerik. Bürgerreiche zu fürchten. Versuche dazu zu machen, das ist allerdings in einem Lande leicht, wo die freieste Gedanken- und Meinungsäußerung über alle Themata der Politik und des Staats Jedem ein unantastbares Recht ist; ein Recht, so unbestritten, als das Recht zu athmen. Aenderungs- oder Neuerungssucht in allen Nüançen und Gestalten hat im Lande der Freiheit offenes Feld, sie kann sich versuchen an wem und an was sie nur mag, für ihre Projekte und Vorschläge Anhänger und Vertheidiger werben, wie es ihr gut dünkt. Alles das ist gesetzlich und erlaubt. Auch übt man dort sein gutes Recht nach Herzenslust und Angriffe auf Constitution, Regierung und Beamte, von Einzelnen, wie von Vereinen, sind an der Tagesordnung. Aber was in andern Staaten für gefährlich gelten mag, ist es in Nordamerika keineswegs. Wo, wie in diesem Staate, das ganze Regierungssystem auf wirkliche Rechtsgleichheit Aller, auf dem ewigen Felsen der Vernunft und des natürlichen Rechts gebaut ist, wo, wie dorten, vernünftige Begriffe über Zweck und Wesen des Staats so tiefe und weitgreifende [60] Wurzeln im Volke geschlagen haben; wo, wie in Amerika, jeder Bürger ohne Unterschied in gleichem Maaße der Segnungen der bestehenden staatlichen Ordnung theilhaftig ist, und solche Ordnung, in Grundsätzen wie in der Anwendung, die höchsten Anforderungen befriedigt, welche der Vernünftige an menschliche Einrichtungen dieser Art machen kann; – kurz in einem Lande, wo der unendlich großen Mehrzahl der Bürger eine Veränderung des bestehenden Zustandes als größtes Unglück erscheinen würde; in einem solchen können die Versuche der Minderzahl zu solcher Aenderung immer nur schwach, gefahrlos und ohne Erfolg bleiben. An der hohen politischen Bildung der Gesammtheit müssen sich die Leidenschaften Weniger stets brechen; sie sind kraft- und machtlos, sie sind für das Wohl des Volkes, für das Bestehen des Staates sonder Gefährde. –
Washington, (60,000 Einw.) die Metropole der Union, Sitz des Kongresses und aller ausübenden Gewalten, liegt am Potowmak, im Distrikt Columbia, welcher, von Maryland und Georgia der Union abgetreten, ein gewissermaassen neutrales Gebiet ausmacht und der Zentralregierung zum Wohnorte angewiesen ist. Die Stadt ist nach einem großartigen, ganz regelmäßigen Plane angelegt, der, nach einstiger Ausführung, diesen Ort zum schönsten und prachtvollsten der Erde, und würdig machen wird, das Herz der mächtigsten und glücklichsten Republik auf dem Erdrunde zu heißen. Das Capitol, im Mittelpunkte der Stadt, steht einsam auf einer Anhöhe, von der man eine schöne und weite Aussicht genießt. Es ist ein ehrfurchtgebietendes, unermeßliches Gebäude, durchaus von großen Marmorblöcken, (erst seit 18 Jahren) errichtet und an Styl, wie in der Ausführung den schönsten Bauwerken aus der besten Zeit der griechischen Kunst vergleichbar. In diesem Pallaste haben beide Häuser des Kongresses, die frei gewählten Repräsentanten des freiesten Volkes, ausgerüstet mit dessen voller Souverainität, ihre Versammlungen[WS 1]. – In Gallerien sind die Bildsäulen großer Nordamerikanischer Bürger aufgestellt; andere Räume enthalten eine Nationalbibliothek, Nationalgemäldegallerie, Museum für Naturgeschichte etc. Ueberall herrscht hier Pracht mit Würde und republikanischer Einfachheit.
Unfern von dem Pallaste, in malerischer Gruppirung, am Fuße des Capitolinischen Hügels, erheben sich das Präsidentenhaus (Wohnung des jetzigen Präsidenten und Sitz sämmtlicher Ministerien), das Generalpostamt und die Bank. – Das Arsenal, die Schiffswerfte der Union, die Waffenfabriken und mehre andere Washington zierende, dem Dienste der Vereinstaaten gewidmete Anstalten, sind eben so große, als schöne Gebäude, deren innere Einrichtung Alles vereinigt, was Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit fordern. Keiner, der diese Anstalten jemals gesehen, kann sie verlassen haben, ohne von der Macht und der Hoheit des großen Bürgerstaats einen unauslöschlichen Eindruck mit hinweg zu nehmen; – doch wahrhaft überwältigend wird dieser erst bei dem Gedanken, daß all das Herrliche und Große hier und in andern Theilen der Union noch nichts andres ist, als das Wirken eines riesigen Kindes. Erst 46 Millionen Acres (Morgen) von den 1180 Millionen kulturfähigen Landes, welche der Freistaat faßt, zerriß die Pflugschaar. Man denke sich das Fortwachsen dieses Staats, der die zweifache Bevölkerung von ganz Europa, ohne Ueberfüllung, in sich aufnehmen kann, bis zur männlichen Reife, und versuche es nun, sich vorzustellen, was er dann sein wird! Vergebliche Mühe. Die Geschichte der größten Reiche aller Zeiten läßt ohne Maaßstab – die glühendste Einbildung kann’s nicht erfassen, und wagt’s nicht! –
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Versammlnugen