Was ich im Lande der Thüringer und Franken fand

Textdaten
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Autor: Ludwig Löffler
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Titel: Was ich im Lande der Thüringer und Franken fand
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, 38, 45, 47, S. 510–512, 522–524, 619–622, 648–650
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Was ich im Lande der Thüringer und Franken fand.
Illustrierte Reiseskizze von Ludwig Löffler.

Schloß Schwarzburg.

„Mein Frau ist in Kösen,“ ist der in unserer Zeit aufgetauchte Ausruf des Berliners, der in den glücklichen Augenblicken seines ehelichen Lebens athmet, wo seine Frau verreist ist. Mag die Frau nun gerade in Kösen sein oder nicht, Kösen ist der Ort, der diesen Schrei der Freude in’s Leben gerufen hat; Kösen ist es, das mit Anbruch der Saison so und so viel Damen der Hauptstadt entführt, und Kösen muß daher für den Junggesellen das sein, was dem Muhamedaner als siebenter Himmel vorgespiegelt wird. Dahin mußte nothwendiger Weise der Tourist-Garçon, ehe er in das so vielseitig gefeierte Land der Thüringer einrückte. Also „zwei Billet nach Kösen“ – und mein Vetter R. und ich saßen in den staubigen Kissen des Waggon. – Schreckliche Eisenbahn, die zwischen öden, sich bis zum Horizont hinstreckenden Stoppelfeldern und einigen glatzenartigen Hügeln dahinzieht!, schreckliches Geschlecht, das Einen umgibt, sobald man dieselbe betritt! Wir waren umgeben von jüdischen Handlungs-Reisenden! –

Das erste Nahen einer bergigen Gegend empfindet man, sobald man die thüringer Bahn betritt, denn dies Gefühl der Bewegung, das dem Rütteln eines Leiterwagens auf einem ausgefahrenen Krüppeldamme gleicht, – kann unmöglich an dem schlechten Bau der Bahn liegen, wenn man auch allerdings auf eine weise Sparsamkeit der Direction durch die schmalen Sitze geführt wird, die zum Einschlafen der Füße und Kniereißen ganz besonders geeignet erscheinen. – Herrlicher Mondschein lag über der Gegend, und als wir die alten Thürme von Naumburg sahen, konnten wir nicht umhin, schon dieser Stadt einen flüchtigen Besuch zu machen. Das Gitter knarrt und der Miehtswagen rollt über das Pflaster der menschenleeren Straßen.

Durch zudringliche Fliegen früh gestört, öffneten wir der schönen frischen Morgenluft das Fenster und unserem entzückten Auge bot sich das reiche, belebte Bild einer kleinen Provinzialstadt dar. Ein Hausknecht wäscht die grau überzogenen Wagenräder, eine Bäckersfrau ordnet militärisch die langen Semmeln auf dem Schaubrett und zwei Hündchen überlassen sich unbefangen dem ganzen Muthwillen einer zuchtlosen Jugend.

Naumburg ist ein ungemein hübsches Städtchen mit einigen verbesserten Überresten alter Baukunst, unter denen sich besonders der Dom auszeichnet. Der älteste Theil, außer der im Anfange des Christenthums gegründeten Krypta, ist noch in Rundbogen-Auffassung (byzantinisch) mit einigen Uebergängen zum Spitzbogen (gothisch) und die unbeholfenen, aber charakteristischen Statuen der Gründer umstehen die halbverwitterten Säulen des einen Chores, während einige vortreffliche, lebensgroße Heiligenbilder von Lucas Cranach das entgegengesetzte schmücken. Die strenge Zeichnung, die mit ungemeiner Feinheit wiedergegebenen individuellen Kleinigkeiten der Physiognomieen, die gediegene Ruhe der Auffassung und des Colorit contrastieren als erhabenes Vorbild gegen die nüchternen daneben hängenden Werke eines Schadow, v. Schnorr etc. etc., die auf Bestellung irgend eines Mäcen 1820 in Rom gemalt wurden. Es sind Schülerarbeiten, die nicht gerade hier ihren Aufbewahrungsplatz finden sollten. Die Lage Naumburg’s ist eine durch manche Burg romantisch gemachte Gegend und seine Weinberge tragen nicht wenig dazu bei, jenen Ruf zu erhöhen. Wie mancher „Weißberger“ mag schon den nicht zu verwöhnten Gaumen eines wohlhabenden Privatmannes als weißer Bordeauxwein durchrieselt haben!

An einem heißen, sonnigen Nachmittage befanden wir uns auf der Landstraße nach Kösen. Erst jetzt fühlten wir uns frei, und lustig und guter Dinge zogen wir dahin, bis das Dorf Altenburg (Almerich gesprochen) die erste passende Gelegenheit zum Rasen bot. Klagetöne über gebotene Einstellung unschuldige Festlichkeiten [511] über Beschränkungen der Musik und über fast unterdrückte Sonntagsvergnügen durchzitterten die Luft; der neue Landrath wurde genannt und mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft das trostreiche Wort geseufzt: „es kann nicht ewig dauern,“ „nur neue Besen kehren gut.“

Am Knabenberge vorbei, standen wir über dem mächtigen Knabenzwinger Schulpforta. Ruhig und kalt lag es da, und nur Arbeiter, die an der Restauration der Kirche beschäftigt waren, unterbrachen die Stille. Wir ruhten nur wenig an dem Orte der Prügel und der Thränen und hatten bald das liebliche Thal von Kösen mit seinen Salinen-Werken vor uns.

Kösen wimmelt von Weibern, die theilweise ihre serophulösen Kinder den stärkeren Salzbädern zur Reinigung anvertrauten, größtenteils aber, wie in so vielen anderen Badeorten, in träger Ruhe den Tag hier zubringen. Sie trieben sich von einer Aussicht auf die andere, von einem Stuhl auf den anderen, nehmen hin und wieder aus langer Weile das feine Stück Battist vor, mit der Absicht, das zu thun , was sie arbeiten nennen, erwarten alle Sonnabend Abend ihren Mann, der in der Hauptstadt den mühsamen Gang der Geschäfte ordnet, und klatschen und machen sich lustig über Leute, die weniger Faulheit und weniger Reichthum entwickeln als sie. Die sogenannten vornehmenen Jüdinnen der Residenz nehmen auch hierin den breitesten Platz ein.

Ein Mann ist in Kösen, wie im Lande der Amazonen, der Seltenheit wegen sehr geschätzt, aber ich glaube nicht, daß sich einer

Equipage in Kösen.

der Durchreisenden auf längere Zeit fesseln ließe; die Crinoline allein zieht nicht, wenn auch die Mode des Tages, der breite,

Die dicke Jüdin.

braune Hut mit dem Bindfaden, wohlthätig verhüllt, was man, leichtsinnig genug, gewohnt ist, zuerst zu betrachten.

Ueber die „Katze“ einen kleinen Vergnügungsort von kindlicher Bescheidenheit, durch Wiesen und Gestein erstiegen wir, nachdem wir bei einem Concert obige Bemerkungen gemacht, die Rudelsburg. Noch aus den Trümmern erkennt man den großen Umfang es alten Raubnestes, das, als die hohen Erpressungen, der schwere Zoll, Brücken- und Geleitsgeld, überhaupt die ganze freche Straßenräuberei des damaligen Besitzers zu sehr überhand nahmen, mit so und so viel anderen Wohnungen der Steigreifritter und Schnapphähne von dem erzürnten Habsburger vernichtet wurde. Gänzlich unbewohnt und nur von Fremden besucht, die sich der herrlichen Aussichten erfreuen, ist die Burg erst seit Anfang des vorigen Jahrhunderts. Der Hofraum, eine Halle, mehrere Fensternieschen und offenen Gallerien bieten reizende Plätzchen für den erschöpften Wanderer, in denen er sich dem Genuß des „Bairischen“ oder des Glases Milch ergeben kann, wenn er nicht das Unglück hat, durch die Corpulenz einer mit mehreren Küchlein herumschwappenden Tochter Juda’s darin gestört zu werden. Zwei nur durch ein kleines Thal von der Rudelsburg getrennte Thürme, die sich als unheimliche riesige Silhoutten auf dem hellen Abendhimmel abzeichneten, sind die einzigen Reste der Burg Saaleck. Einst Karl dem Großen gehörig, wurde sie im vierzehnten Jahrhundert durch die Bischöfe von Naumburg der Schauplatz der wüstesten Orgien.

Am Morgen des nächsten Tages erstiegen wir noch den „Göttersitz“ und fuhren dann wieder, um Zeit zu gewinnen, per Eisenbahn nach Weimar.

Es ist die eine kleine Residenz in des Wortes verwegenster Bedeutung, sauber und langweilig; nur das im gothischen Style erbaute Rathhaus macht in der Masse der nichtssagendenen Gebäude einen noblen Eindruck. Herder, Wieland, Schiller und Goethe haben in Weimar gelebt und ihre Häuser sind theilweise noch zu sehen, Das des Letzteren wird von der Familie vermiethet und ist jetzt ein englischer Speculant eingekommen, um es zu einem Erziehungs-Institut für junge Engländer einzurichten. Um den Namen der vier Geistesheroen einigermaßen gerecht zu werden, besuchten wir die denselben im Schlosse geweihten Zimmer. Das Goethe-Zimmer fällt sofort durch seinen Einfachheit und seine schönen Verhältnisse auf, und mit Genugthuung erfährt man, daß Meister Schinkel der Erbauer desselben ist. Scenen aus Goethe’s Werken, von Neher al fresco gemalt, schmücken die Wände. Das Schiller-Zimmer, ebenso ausgestattet, ist architektonisch kleinlich; es ist zuviel darin gemacht, das Ganze zu spielend gehalten. Die Bilder, oft theatralisch und nüchtern, wie z. B. der Tod des Fiesco, sind ebenfalls von Neher. Eine schöne Idee ist, daß die sich um sämmtliche Bilder windende und dieselben verbindende Arabeske das „Lied von der Glocke“ darstellt. Herder ist von Prof. Jäger sinnreich illustriert, wie Wieland von dem tüchtigen Landschafter Preller, der sich durch seine Darstellungen aus dem Oberen auch den Figuren-Malern anreiht. Der Geist der Großherzogin Amalie weht noch durch diese Räume, aber die Poesie jener Zeiten ist daraus entschwunden; vielleicht nicht allein durch das Dahinscheiden jener Poeten. Ein Doppelstandbild der beiden größten deutschen Dichter, Schiller und Goethe, wird in kurzer Zeit die Stadt zieren.

Ein Omnibus macht die langweilige Fahrt nach Rudolstadt, und da nichts dem unermüdlichen Fußreisenden mehr zu empfehlen ist, als ein Wagen, so hatten wir auch bald unsere Plätze darin

Die schaurige Omnibusfahrt.

[512] eingenommen. Origineller bin ich aber fast noch nicht gereist, denn wir hatten das nach hinten hinausgehende Cabriolet. Es war ein sonderbares Fahren; fast senkrecht hinab ging das Leder der Trommel, die Erde floh unter unseren Füßen, und wenn es bergauf ging, gesellte sich der lustige, redselige Fuhrmann zu uns und schien sich für verpflichtet zu halten uns von seinem Leben und seinen Abenteuern zu erzählen.

Immer mehr und mehr überschreitet man die Vorberge des thüringer Waldes, und als es wiederum Abend war, langten wir in Rudolstadt an.

Vom Rudolstädter Markte.

Der „Ritter“ (Gasthaus), der bescheiden das Epitheton ornans „muthig“ unterdrückt, tritt im Uebrigen dennoch nicht so bescheiden auf, als jener in Kösen. Er war unsere Zuflucht, Der herrliche Abend führte uns noch auf den Anger, eine parkartige Anlage mit Bierlocalen, und zu dem angefangenen Theater. Wie die Ruinen von Pompeji lagen die Steine im Mondschein da. Das Jahr 1848, welches so viele Verhältnisse änderte, hat auch hier das Seinige gethan. Der Bau wurde inhibirt, und wartet man noch einige Zeit mit der Vollendung, so kann man wenigstens schon wieder Viehfutter auf den vermodernden Steinen ernten. So weit der Grund auf das Ganze schließen läßt, ist es geräumig und bequem angelegt und die Stadt einer hervorragenden Zierde beraubt. Rudolstadt selbst, zwischen seinen Fichtengehölzen, ist ein anmuthiges kleines Städtchen, das sich ländlich-kokett unter dem ziemlich bedeutenden Schlosse ausbreitet. Am Morgen erstiegen wir dasselbe. Ein menschenfreundlicher Soldat, ein werthvolles Vorbild für unsere uniformirten Bauern, übt hier auf Commando das Recht des Umherführens und lüftet, gegen ein mäßiges Honorar, den Schleier der Geschichte, die schon bei dem ersten Auftreten der Thüringer von den Herzögen von Rudolstadt erzählt. Im siebenten Jahrhundert soll die Stadt gegründet, im sechzehnten jedoch das Schloß auf den Trümmern der alten Heideksburg erbaut sein. Die Gesellschaftszimmer, welche dem Fremden gezeigt werden, gehören der Zeit des ausschweifendsten Zopfes an und ist besonders der große Eßsaal hervorzuheben. Trotz aller Fehler dieses, in allen Formen extravagirenden Zeitalters, macht dennoch die heitere Ueppigkeit, die Verschwendung des Raumes einen großartigen Eindruck und der Ueberfluß von Linien und Schnörkeln, die vor Uebermuth nicht wissen wohin, harmonirt vollständig mit den decolletirten Weibern jener Zeit, die in einigen lüsternen Bildern die Architektur ergänzen. Das Ganze aber leidet an Verfall und die schönen, nobel angelegten Treppen, welche von unförmlich hölzernen Geländern begleitet sind, die wurmstichigen, entfärbten Fensterrahmen zeigen, ebenso wie der äußere abgefallene Putz und der hübsch angelegt, aber schlecht behandelte Park, einen gewißen Ueberdruß oder Geldmangel des Besitzers. Und dennoch! wie glücklich wohnt er hier, dieser kleine Fürst! Es ist der wohlhabende Privatmann mit einer Handvoll Militär, der für den Lauf der Welt Gott und die Großmächte sorgen läßt. Wenn auch, wie ich oft klagen hörte, die Industrie noch im bedeutenden Rückstande bleibt und noch durchaus nicht das Wesen derselben ergriffen ist, so lebt er doch, von seinen Unterthanen geliebt, still und ruhig und „Unser Durchlauchtigster“ ist immer das dritte Wort der Bevölkerung.

[522] Die schöne, etwas heißblütige Nachmittagssonne erlaubte den beiden Wanderern nur modice ac temperanter den Weg über die Justinshöhe, Zeigernhain, nach der prächtigen Ruine Greifenstein zu verfolgen. Eine Menge Umfassungsmauern schließen die bedeutenden, in malerischer Unordnung umherstehenden Reste der ehemaligen Burg der Schwarzburger ein, die in ihren Spitzbogenthüren und feingegliederten Fenstern eine ehemalige Schönheit vermuthen lassen. Eine alte knöcherne Frau, Ruine in der Ruine, lebt in einem hergerichteten kleinen Zimmer mit herrlicher Aussicht und Fremdenbuch, und trabt bergauf bergab, von und nach Blankenburg, um ein paar magere Pfennige durch den gestillten Durst der Kletterer zu verdienen. Eine Gesellschaft, die schon den herrlichen Sonnenuntergang über der üppigen Landschaft betrachtete, und auch noch den bleichen, gehörnten Nachtschwärmer erwarten wollte, löste eines seiner Glieder ab, welches uns hinab begleitete. Es war ein origineller Mann. Er hatte eine gewisse, aber fast ausartende Zuthulichkeit. Mit meisterhafter Geschicklichkeit wußte er plötzlich dem Gespräch über Staatsökonomie eine andere Wendung zu geben, behauptete (wie die Haruspices aus den Eingeweiden wahrsagten) aus den Zähnen den Charakter eines Menschen beurtheilen zu können, und war unvermuthet mit der Forderung da: „Ach, zeigen Sie einmal ihre Zähne“ (Aha! ein Zahnbrecher!)

Die Gutmüthigkeit meines Vetters gab dies zu, wofür er zum Dank im nächsten Augenblick einen Spiegel im Munde hatte, den der triumphirende Ausruf begleitete: „Sehen Sie doch diese Zahnformation!“

Der Chrysopras.

Der Dentiste mußte ein so unendliches Wohlgefallen an unsern ruinirten Gebissen finden, daß er uns absolut nicht über Blankenburg hinauslassen wollte und ganz kühl Abschied nahm, als ich anfing, ihm im metaphorischen Sinne die Zähne zu zeigen, und darauf bestand, noch wenigstens bis zum Anfange des Schwarzathales zu gehen. Dies geschah. Es nahm uns der „Chrysopras“, ein früheres Zechenhaus von „Hannchens Grube“, gastlich auf, und noch lange saß es sich gut bei dem blakenden Talgstümpfchen, während der Mond durch die dunkeln Tannen über die Berge lugte.

Die Schwarza entlang, in der einst Gold gewaschen wurde, gingen wir am nächsten Morgen den engen, melancholischen Pfad, der von Bergen mit Laubholzwaldungen (hin und wieder von Weißtanne und Lärchbaum unterbrochen) begrenzt ist. Jede der unzähligen Biegungen des Weges gibt ein neues schönes Bild des romantischen Thales. Am Ende desselben, bei einer Brücke mit Steingeländer, öffnet sich plötzlich die Aussicht und in einem herrlichen, von üppigen Bergen umgebenen Kessel liegt vor uns ein Juwel des thüringer Landes, das Schloß Schwarzburg. Hier war ein langer Augenblick der Ruhe, denn unbeschreiblich war der Anblick der in den zauberhaftesten Sonneneffecten schwimmenden Landschaft.

Das das schwarzburger Felsenschloß umgebende Dörfchen ist eine wahre Idylle, dessen Bewohner sich aus frühester Zeit „die Männer vom Thale Schwarzburg“ nennen. In diesem vermieden wir weise die Prosa der weißen sonntäglichen Kleider und aufgestutzten Frisuren der nach und nach sich einfindenden Kleinstädter.

Am Nachmittage stiegen wir drei (denn ein zuerst schweigsamer und abstoßender Fremder, ein Maler W. aus Dresden, war uns jetzt ein lieber Gefährte geworden) den Trippstein, in dessen Borkenhäuschen uns noch einmal der überraschende Anblick des üppigen Schwarzburger Wiesengrundes wurde.

Die Wanderung wurde fortgesetzt und wir gelangten zunächst nach der sogenannten Fasanerie, einem schönen Vergnügungsparke mit düsteren, labyrinthischen Gängen, und dann über Allendorf und das malerische Millwitz, Dörfer, die sich durch eine gewisse Wohlhabenheit und dunkel gestrichene Balkenlagen auszeichnen, nach Paulinzelle, in dem wir in der Finsterniß ankamen.

Das Abendbrod und die fast elternhafte Aufmerksamkeit der Wirthsleute erwarben sich sofort unsere vollständige Hochachtung, nur störte uns in dem nebenliegenden Versammlungszimmer das unausstehliche Geplärre der jüngeren Mitglieder einer Familie, accompagnirt von dem in Töne gebrachten Leichtsinn eines jungen Mädchens, die sie einem alten Pianoforte abwürgte, und das burschikose Auftreten zweier nackthalsiger Musensöhne, die ihre ersten Bartfasern zum ersten Male in die Welt trugen.

Die Nacht hatte uns gestärkt und wir betraten an dem nächsten, leider regnerischen Morgen die imposanten Reste des einstigen Klosters.

Paulinzelle wurde im zwölften Jahrhundert von der frommen Tochter Moricho’s als kleines Nonnenkloster Mariazelle gegründet, erhielt jedoch nach dem Tode und der bald darauf erfolgten Canonisation (Paulina reclusa) den Namen der Stifterin und wurde Mönchs- und Nonnenkloster zu gleicher Zeit. Unwissenheit und Sittenlosigkeit herrschten natürlich darin, bis es im Bauernkriege geplündert und 1534 gänzlich aufgehoben und verlassen wurde. Um ihm die jetzige Gestalt zu geben, that zunächst ein Blitzstrahl, dann aber eine fürsorgliche Renovation das Nöthige.

Es muß ein großartiges Bauwerk gewesen sein, da die wenigen Trümmer (romanischen Styls) noch einen so wunderbaren Eindruck machen. Hübsche Rasenanlagen, welche die grandiosen Säulenreihen umgeben, beweisen die Sorgfalt, die jetzt auf Erhaltung dieses historischen Denksteines gerichtet wird. Einige halbverfallene [523] bemooste Grabsteine bedecken die Gebeine einiger Aebte des funfzehnten Jahrhunderts. Wie gern hätte ich unter diesem Erdreiche gewühlt, um möglicher Weise noch einen Blick in die Vergangenheit zu thun!

Das Gabelfrühstück in Paulinzell.

Wie in den Wirthschaftsgebäuden die größte Ordnung und Sauberkeit herrschte, so trat sie auch unter der weithin schattenden Linde auf das Eclatanteste hervor, und das Gabelfrühstück selbst war nur geeignet, das am Abend vorher gefaßte Vertrauen auf das Glänzendste zu rechtfertigen. Die Bouillon, die gebackenen Forellen, das filet de boeuf stempelten den Wirth von Paulinzell zum Bery des thüringer Waldes. Ein Trupp Bergleute, die von einem ländlichen Feste zurückkehrten, wurden engagirt, hinter uns auf den waldigen Hügeln postirt und die Cavatine aus Euryanthe, der Marsch aus dem Tannhäuser, ja selbst das Sextett aus dem Don Juan schallten herrlich herüber. In heiterster Stimmung, unter dem Schall der Instrumente, nahm W. Abschied von uns, welche Lücke aber sogleich durch einen Ersatzmann in Gestalt eines jungen Landmannes ausgefüllt wurde. Wir hatten durch den Tausch nicht gewonnen, denn als dieser sich uns auf der Tour nach Ilmenau enger und immer enger anschloß, und unsere auf Reisen üblichen Spirituosen auf das Nachdrücklichste untersuchte und so gut fand, daß er eine fast krankhafte Vorliebe für dieselben zu empfinden schien, wurde er langweilig und wir mußten ihn in der Schenke zu Wimbach als „sehr schwer“ den sorglichen Händen der Wirthin überlassen. Wir selbst waren nach einer Stunde in Ilmenau.

Equipaqe in Wimbach.

Ach! welch’ ein Unterschied! Die Bewirthung von Paulinzell zu letzterem verhielt sich wie W. zum Oekonomen, und wenn in Paulinzell der Bery von Thüringen war, so war hier nur – der Gasthof „zum Löwen.“ Der kalte Regenmorgen zwang uns, zuvörderst die Ausstellung des thüringischen Kunstvereins in einem Gebäude am Felsenkeller zu besuchen, zu der der Eingang an leeren Biertonnen vorübergeht. Sie wurde mit großem Gepränge auf den Affichen angekündigt, aber enthielt außer einigen neuen guten Bildern für uns nur die „vieilles croûtes“, die wir schon vor Jahren gesehen und die als unverkäuflich aufgegebenen Atelier-Decorationen in mannigfachster Gestalt. So mancher Freund sah trübselig von der Wand herab und seufzte die zwei einzigen Besucher an als ultima spes. Arme Freunde, wenn wir etwas aufhängen wollten, dürften wir nur selber malen.

Eingeborene von Ilmenau.

Ein wenig Sonnenblick erlaubte uns einen Spaziergang über die die Stadt umgebenden Hügel, und dieser beruhigte uns in Bezug auf die hier die Wassercur gebrauchenden Fremden. Liebliche Landschaften breiten sich vor den einzelnen Punkten aus, die ihren Namen irgend einem Wohlthäter zu verdanken haben, wie „Ravené’s Ruh“, „Löffler’s Höh“ etc. etc. Wieder hinabgestiegen, fanden wir es nicht möglich, uns mit einem Fuhrmann über die Fahrt nach Suhl zu einigen; unverschämte Forderungen bewogen uns, trotz Wetter und alledem, wiederum unsere Ränzel zu schnüren, und so sagten wir mit keiner sehr schmerzhaften Empfindung, wie sie sich wohl in Paulinzell einstellte, dem theuren Kalt-Wasser-Badeort Valet, und patschten, um über die Schmücke zu gehen, nach Mannebach. Unsere Hydroparastaten, die Stiefel, bewogen uns, in der Schenke dieses Ortes zu rasten. Eine alte Mama kochte uns Kaffee, während uns einige weißhaarige Jungen mit ihren hellen Augen freundlich betrachteten, und ein krummbeiniger Mann, im blauen Kittel, verschämt die Einladung zum Mittrinken annahm. Diese Aufforderung schien ihm eine besondere Würde beizubringen, denn er nahm ein ernstes, reservirtes Wesen an, verschwand dann einen Augenblick, und trat bald wieder adonisirt hervor, indem er sorgfältig sein langes schwarzes Haar in der Mitte gescheitelt und glatt auf beiden Backen in zwei enorme Crochet’s zusammengeklebt hatte. Die Tassen, woraus wir den Trank der braunen Bohne schlürften, hatten eine schaurige Auszeichnung an sich. Um würdig die Zusammengehörenden zu bezeichnen, stand auf der Untertasse das Ende des auf dem Oberkopf angebrachten Spruches, was aber durchaus nicht deren Umtausch verhinderte. So hatten wir z. B.: Zum Anden–schaft und Aus Freund–ken. –

Der Krummbeinige brachte uns einige hundert Schritt auf den richtigen Weg, und da jetzt der Regen der Sonne vollständig gewichen war, stiegen wir ruhig die köstliche Waldung entlang, zwischen

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Der Krummbeinige.

den zum Terpentingewinn eingeschnittenen schlanken Tannen hindurch, über die mit üppig sammtenem Moos überwachsenen Wurzeln und Steine.

Fast 3000 Fuß hoch, zwischen Nadelholz und Wiesengrund, liegt auf einer flachen Bergkuppe eine einsame Wirthschaft. Es ist das Gasthaus auf der Schmücke. Jedem Fremden ist der Aufenthalt wegen der freundlichen und vortrefflichen Bedienung hier zu empfehlen, wenn auch die Aussicht nicht den Vorstellungen entspricht, und mir der Weg dahin ungleich besser gefiel, als das Ziel selbst. Nach der so nöthigen Erquickung stiegen wir daher den steilen Weg hinab, und zogen mit der rückkehrenden Heerde durch das in jedem Winkel malerische Goldlauter, grüßten rechts und links die neugierigen, oft hübschen Gesichter, und stürmten, um uns nicht von der Nacht überrumpeln zu lassen, an der Lauter entlang, über Hammer und die Schleifwerke hinaus nach Suhl.

Viel Wirthschaft empfing uns da, und nur mit Mühe erhielten wir ein Diminutiv-Zimmerchen, das eher einer Puppenstube glich, als bestimmt zu sein schien, die zwei märkischen Kinder zu beherbergen. Es war natürlich Schützenfest und, nachdem wir an der Abendtafel noch das sinnreiche Gespräch dreier junger Officiere über das Anziehende des Uniformtragens wißbegierig eingesogen hatten, zogen wir es doch vor, dem Geiste einige Ruhe zu gönnen und uns, trotz der späten Zeit, noch auf den Hauptschauplatz des Festes zu begeben.

Es war zehn Uhr, als wir auf einem finstern Platze außerhalb der Stadt ein großes, trübe erleuchtetes Haus erblickten und vor diesem, von einem Caroussel her, die Glocken und Paukenwirbel hörten, welche die verwegenen Reiter durch die Nacht heranlockten. Zwei andere haus- und budenartige Räume tauchten noch nach und nach aus der Finsterniß hervor, nachdem wir unsere Sehorgane an dieselbe gewöhnt hatten. Das angesehenste der Gebäude enthielt einen in seinen Verhältnissen schönen, großen Saal, mit ungefähr 36 Stearinlichtern, die wie Sterne vereinzelt in dem Dunstkreise schwebten. Eine Polka, in der verwegensten Behandlung, dursäuselte die Luft und die Schützen, also auch Honoratioren der Stadt, huschten als dämmerige Phantome vorüber, und wirbelten weibliche Toiletten mit sich hinweg, die uns einen eben nicht glänzenden Aufschluß über Suhls beau monde gaben.

In der andern kleinen Baracke war Biergenuß und Harfenklang, ausgeführt von vier erwartungsvollen Sirenen, während in der dritten, einer Art Bude, nur noch der historische Fusel verabreicht wurde. Durch diese absteigende Linie jedem Stande und Geschmacke genügen zu wollen, flößte uns eine hohe Achtung vor den Vätern der Stadt ein.

[619] Als wir am Morgen erwachten, lag der Markt von Suhl offen und freundlich vor uns, und über den modernen Häusern ragte der buschige Domberg hervor. Wir bestiegen einen Theil desselben und hatten einen dürftigen Blick über Stadt und Umgegend, da letztere von verhängnißvollen Wolken größtentheils überschleiert war. Eine Kapelle auf dem hervorragenden Felsstück Ottilienstein ist das Andenken an einen zweiten Toggenburg, der von hier aus seine Geliebte – erschoß, ein zweiter Stein, der die Inschrift führt: „Dem Helfer Keferstein im Nothjahr 1852.“ ist das Denkmal für jenen edlen Mann, der damals durch eine Collecte 600 Thaler zusammenbrachte, und hierfür Brod für die Armen backen ließ. Denn zwischen dem Korn und der Bevölkerung Suhls ist ein arges Mißverhältniß, da der Ertrag der Felder für die 10,000 Einwohner höchstens auf einen Monat reicht, die übrigen elf Monate aber Alles gekauft werden muß.

Eine antediluvianische Chaise mit zwei muthigen Füchsen, geleitet von dem ehemaligen Postillon Kümmel, entführte uns dem Getöse der Gewehrfabriken und Blechhämmer und jemehr wir uns aus dem Qualm der Betriebsöfen entfernten, desto mehr zertheilten sich die Wolken, und bei ganz heiterem Wetter erreichten wir Schleusingen. Hiermit waren wir in das einst weitläufige Gebiet der Henneberger gekommen, deren altes Schloß, die Bertholdisburg, fast noch unversehrt, die Wohnungen des Landraths und Oberforstmeisters enthält. Seine festen Thürme und Mauern haben Zerstörungen mancherlei Art um sich herum gesehen, und dennoch scheinen sie wohl geeignet, noch manchem Jahrhundert Trotz bieten zu wollen.

Die Statue einer Gräfin von Henneberg, in der unbeholfenen Tracht des 15ten Jahrhunderts, ziert die Spitze eines Brunnens, neben dem an jenem Tage die grünen Reste eines fossilen Gensd’armen wehmüthige Erinnerungen an „verbotenes Tabaksrauchen“ und liebevolles „zaruck“ in den Söhnen Berlins auftauchen ließen.

Während eines heiteren Frühstücks, dem das schwarze Spritzleder unseres Wagens als Tisch diente, und der lehrreichen, oft erotischen Mittheilungen unseres biederen Kutschers, erreichten wir Hildburghausen, und entfernten uns auf diese Weise immer mehr und mehr vom Thüringer Walde, um einem kleinen Gelüste nach Koburg und ein wenig Baiern zu genügen.

Hildburghausen ist ein hübsches Städtchen in ziemlich altem Styl. Wunderbare Gossen an den Dächern einiger Häuser führen auf die nicht sehr gewagte Vermuthung, daß ein Klempnermeister seiner Vorliebe für getriebene Arbeit in höchst abnormen Formen fröhnt. Ein altes Wappen über dem Thorwege des Rathhauses zeigt eine Jungfrau und einen bärtigen Mann in dem Negligé unserer Ureltern vor dem Sündenfall, die sich um ein Wappen zerren. In wohllautenden Versen, die dies charaktervolle Bild umgeben, wird die Dame aufgemuntert, nicht nachzugeben. Ha, welche Moral! – Das Schloß am Werrafluß ist groß und zopfig, und verbirgt die Sitzungen des Oberlandes-Gerichts von Sachsen-Meiningen.

An dem Mittagstisch im „sächsischen Hof“ erfreuten uns wieder einmal zwei Weinreisende durch ihre belehrende Unterhaltung, indem sie von der Bereitung des Weines sprachen, und auf diese Weise das „Ganze des Geschäfts“ entlarvten. Sie erklärten in einer wahrhaft naiven Unbefangenheit die Heidelbeeraufgüsse mit den Versetzungen von Alkohol. Der Eine derselben, wenig behaart und daher mehr blasirt, hatte in einem Destillationsgeschäft seine Studien in „langsamer Vergiftung“ begonnen, während der Andere, ein blonder, stark behaarter, gescheitelter und geschniegelter Elegant seines Standes, als der Sohn eines renommirten Hauses mißmüthig erklärte, daß oft seine Weine bei dem besten Willen, den er in der Zubereitung derselben zeige, schlecht befunden würden. Armer Junge mit dem ungarischen Schnurrbart und den falsch gebrauchten Präpositionen: die Arbeit wird selten nach Verdienst anerkannt.

Am Nachmittage ging es durch angenehme, oft malerische Dörfer, in denen aber zwei arge Verirrungen der Zopfzeit besonders störend in’s Auge fallen. Es sind die mit allerlei Staniolverzierungen beklebten Schieferhäuser und dann hauptsächlich die [620] in die lächerlichsten Formen gebrachten und so auf das Gräulichste ruinirten Bäume und Hecken. Treppenanlagen und Corridore bieten dagegen herrliche Motive für Genre- und Landschaftsmaler. Bald tauchten die stolzen Schlösser Koburg und Callenberg in der Abendsonne vor uns auf, und es dauerte nicht mehr lange, so fuhren wir in ersteres ein, wo die langweiligen Kellner im Gasthof zur Post die Reisenden abschreckten und sie bestimmten, für diese Nacht das Daunenbett des „weißen Schwanes“ zu suchen.

An der Chaussee bei Schleusingen.

Auf einem parkartig behandelten hohen Berg, etwa 1/2 Stunde entfernt, liegt die Burg (die „fränkische Leuchte“ genannt), eine der sehenswerthesten, deren vortreffliche Restauration von einem, gar nicht hoch genug anzuerkennenden Kunstsinn des jetzigen Besitzers zeugt. Alles auf das Gediegenste in feinem gothischen Geschmack wieder hergestellt von Rothbart, einem würdigen Schüler des alten Heideloff. Die Holztreppe, welche von dem innern Hofe in die Gemächer führt, ist in reichster Durchführung mit glücklich malerischer Wirkung angelegt. Auf dem ersten Corridor zieht sich, an der oberen Wand entlang, ein eben so hübsch gezeichnetes, als harmonisches Bild (den Brautzug eines Ahnherrn darstellend), das ich für ein Werk Meister Adolf Schrödter’s hielt, und nur mißtrauisch der Versicherung nachgab, daß es von Schneider sei. Im Innern ist eine bemerkenswerthe Rüstkammer mit den auserlesensten Stücken, – eine Sammlung origineller Gläser etc. etc. in höchst geschickt renovirten Gemächern; ferner das Reformationszimmer mit den lebensgroßen Portraits der wichtigsten protestantischen Reformatoren, und auch das Lutherzimmer, in dem der Glaubensheld sein herrliches, unsterbliches Lied „eine feste Burg ist unser Gott“ dichtete. Es ist einfach – sehr einfach, aber ungemein gemüthlich mit seinen Steinsitzen in den tiefen Fensternischen und der herrlichen, entzückenden Aussicht. Von seinen eignen Möbeln sind nur noch die vom Wurm zerfressenen Trümmer eines Bettes und die Rudera eines Lehnstuhles vorhanden[WS 1], Beide einzig und allein interessant durch die Erinnerung an den großen Mann. Luther soll ein halbes Jahr hier gelebt haben, und da man Nichts weiter von seinen Arbeiten erwähnt, als das oben angeführte Lied, so möchte wohl ein gewaltiger Humpen, aus dem er getrunken haben soll, nähere beachtenswerthe Aufschlüsse geben.

An dem schönen Bau des Schlosses wird fortwährend gearbeitet, und statt daß man, wie man gewohnt ist, von der vor dem Thore patrouillirenden Schildwache zurückgewiesen wird, ladet diese selbst am späten Abend noch freundlich zum Besuch ein, und versichert, man könne in der auf der obersten Terrasse hinten eingerichteten Gastwirthschaft so lange verweilen, als man nur irgend wolle. Dort aber ist es entzückend, und man hat einen Kreis der bezauberndsten Landschaftsbilder vor sich.

Die Stadt Koburg ist freundlich, im Genre einer großen Stadt, aber ohne besonders in die Augen zu fallen. Das umfangreiche Residenzschloß ist imponirend, aber nicht geschmackvoll, die Façade des Theaters langweilig, aber die Gebüsche und Parkanlagen, welche sich in der Nähe dieser Gebäude entlang ziehen, verleihen dem Stadttheile eine gewisse Traulichkeit, die besonders an lauen Sommerabenden durch geheimnißvolles Flüstern und verstohlenes Seufzen in eine vollständige Poesie übergeht.

Der Herr Kammerdiener, ein schwerfälliger, viel schnupfender alter Mann und das Fräulein Zofe des Fürstenpaares war unsere Reisegesellschaft in dem Omnibus nach dem Eisenbahn-Stationsort Lichtenfels, bis zu welchem man, kaum daß man die Grenze Baierns überschritten, der schweren Trennung von einem Wirthshause mit vortrefflichem Bier unterworfen ist.

Bambergs Bahnhofsgebäude wimmelte von Volk und weiß-blauen Fahnen zum Empfange der aus dem Bade zurückkehrenden Königin. Es war immer noch das alte Bamberg, wie ich es in einer meiner früheren Reisen beschrieben, das stets vortreffliche Bier im „deutschen Hause“, das schwefelige Bier auf dem Michelsberg, dessen Gebäude weisermaßen zugleich Leihhaus ist, die „alte Burg“ etc. etc. Aber neu und immer neu bleibend war der uralte grandiose Dom, der auch jetzt wieder die meiste Zeit in Anspruch nahm.

Zunehmende Finsterniß und feiner rieselnder Regen gebot uns, eine Zufluchtsstätte zu suchen – und das war hart. Wo in aller Welt sollte man in der kleinen Stadt eine anständige Zerstreuung suchen, da die einzigen Anschlagezettel, die eine Seiltänzergesellschaft und ein Feuerwerk ankündigten, schon vor acht Tagen ungültig geworden waren? Wir zögerten und zögerten und fanden endlich, satt und müde, eine gänzlich moralische Vernichtung auf der Eisenbahn nach Nürnberg, wo ein verschlafener Junge sich den Schmutz seiner Stiefeln an meinen Unaussprechlichen abrieb und ein schlesischer Landwehrlieutenant in seinem harten, mißtönenden Dialekt die Anfangsgründe des Courschneidens bei der Mutter vergebens in Anwendung brachte.

Nach drei harten Stunden auf einem Güterzuge kamen wir endlich um Mitternacht in der alten, lieben Stadt Nürnberg an, und überließen nun die übrige Welt dem strömenden Regen.

Auch Nürnberg fängt an, in die abgetretenen Wege der Cultur einzulenken, der Cultur, die das Bild der uralten deutschen Biederkeit immer mehr und mehr verwischt. Große Schaufenster nehmen die Stelle der halbrunden bescheidenen Fenster ein, durch die der Juwelier, der Händler mit Gott weiß was, seine Waare sofort nach der Straße verkaufte; die Läden werden Magazine, die Schneider tailleurs oder tailors of London, und selbst das weltberühmte Bierlocal „die Himmelsleiter“ hat sich ein sauberes modernes Kleid angezogen, und bietet statt der Holzbänke Sophas mit Plüschüberzug. Selbst der „Bratwurst-Schneider“ im Herzengäßchen hat neue Tapeten aufgeklebt und neue Kanäle gezogen, aber sein Häuschen ist noch eben so dürftig, seine Küche noch eben so bescheiden und seine Würstchen mit Sauerkraut noch ebenso schmackhaft als sonst.

Engländer in Nürnberg.

Dank sei es Heideloff, daß das Aeußere der guten alten Stadt wenigstens in seinen Hauptsachen erhalten wird, und die neuen Lappen, mit denen man das würdige Gewand flickt, nicht neuem Plunder gleichen. Ein wahres Kunstcabinet ist fast jede Straße [621] durch ihre, von architektonischem Reichthum strotzenden Linien, und so fand ich es auch recht – aber sonderbar, daß ein junger Mann (natürlich ein Engländer) mit seiner Inamorata und Lohndiener inmitten einer neugierigen Jugend aquarellirte.

Die Vormittagsstunden des nächsten Tages waren noch in ihrer Kindheit, als wir schon wieder Bamberg hinter uns hatten, und am Main entlang auf dem Wege nach Würzburg waren. Trostloser Regen und die vielen Schwarzröcke mit den unheimlichen Physiognomien stimmten uns mißmuthig, und wir verwünschten den langsamen, schleppenden Train. Bis hierher schien das in manchem Comptoir so weise angeschlagene Wort „Zeit ist Geld“ noch nicht gedrungen zu sein, denn es ist zu entsetzlich, wenn man bedenkt, daß ein bairischer Güterzug mit Personenbeförderung ebenso schnell fährt, als eine preußische Courierpost. Möglich, daß dergleichen Langweiligkeiten an einem unbeholfenen Lokomotivführer liegen, die, wie ich hörte, hier nur täglich einen Gulden bekommen. Gewisse Kräfte und besonders solche, die viel Verantwortlichkeit auf sich nehmen müssen, können nur zu gewissen, d. h. hohen Preisen erhalten werden. Viele sind berufen, aber Wenige sind auserlesen. – Das geflügelte Rad auf den Mützen der Bahnwärter, auf den Wasserpumpen etc. scheint mir mehr eine Ironie, als ein Sporn für die Beamten der Eisenbahn zu sein. Jedenfalls ist diese Allegorie in jener Gesellschaft für den Augenblick unverständlich. –

Eng bestrumpfte Pfaffen, bebänderte Officiere, Pharisäer und Schriftgelehrte empfingen uns auf dem Perron des Bahnhofes zu Würzburg – in Erwartung des Königs von Baiern, und spreizten sich hochmüthig im Glanze ihrer Livreen. Wir aber durchbrachen unbeirrt ihre Reihen, und freuten uns über den ersten Eindruck, den die Residenz der einstigen „Frankenherzöge“ auf uns machte. Imposant lag das ehemalige fürstbischöfliche Palais vor uns und dies, wie sein heimlicher Park mit steinernen Nymphen und Titanen, mit Springbrunnen und Marmortreppen entathmete den wollüstigen Hauch des vorigen Jahrhunderts. Der Schöpfer desselben, Joh. Bapt. Neumann, ein geistreicher Mann (früher Stuccateur, später Obrist), scheint auch den alten, aus allen Jahrhunderten zusammengesetzten Dom ausgebaut haben. Die ungeheure Wölbung des Mittelschiffes, mit der ausgesuchtesten Feinheit in weißem Stuck auf das Reichste verziert, ist das Erhabenste und zugleich Heiterste, was ich an diesem Baustyle kenne. Viele schöne Denksteine für entschlafene Kirchenfürsten schmücken die Pfeiler.

Ein anderes großartiges Gebäude ist die Universität, die älteste der deutschen Hochschulen, die besonders in der medicinischen Facultät Sterne erster Größe erzeugte. – Doch mehr sollte uns nicht gegönnt sein, von Würzburgs historischer Architektur kennen zu lernen, da wir, auf der schönen massiven Mainbrücke angekommen, um nach der auf hohem Berge thronenden Festung Marienberg zu wandern, wiederum von dem ewigen Regen überfallen und gezwungen wurden, den am meisten verbreiteten Ruf, die Weine, mit kritischer Zunge zu untersuchen. Das Gasthaus „zur Rose“,

Der Lord-Destillateur in Kissingen.

welches uns von einem feinzüngigen Gastronomen empfohlen war, wurde das Prüfungslocal und Herr König, der freundliche Wirth, ließ eine vortreffliche Reihenfolge vom Zwölf-Kreuzer- bis zum Leisten-Wein die Gurgeln der strengen Richter passiren, und beobachtete mit Befriedigung das bei jeder neuen Sorte wohlgefälligere Schlürfen und Kopfnicken derselben. Die uns umgebende zahlreiche Gesellschaft war die süddeutsche Gemüthlichkeit selbst, und höhere Officiere und Bauern saßen in liebenswürdiger Einigkeit nebeneinander. Welch vortheilhafter Unterschied gegen unser abgesperrtes Kastensystem! – Eine besondere Eigenthümlichkeit der auf Wein bezüglichen Stadtverwaltung ist das den Bäckern ertheilte Recht, denselben auszuschenken, und als wir auch noch den hervorragendsten dieser Sorte, den „Fiscals Beck“, mit dem Prädicat „sehr gut“ verlassen, mußten wir Würzburg, das jetzt für uns der Ausbund aller Städte geworden, bis auf spätere Zeiten aufgeben.

Regen und Gewitter begleiteten uns auch jetzt, als wir nach Schweinfurt und von da per Post nach Kissingen fuhren, um auf diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege wieder den Thüringer Wald zu erreichen.

Ein Morgen in Kissingen ist wie ein Morgen in Wiesbaden, in Homburg, in Pyrmont, kurz wie an jedem anderen fashionablen Badeort. Die schöne Welt mit ihren Unterleibsbeschwerden trinkt an dem Ragotzi-Brunnen den heilsamen Quell, und läuft dann wie verbrüht die fast sterotype Promenade entlang, oder sie kostet ihn nur, mustert bei langsamem Schritt die Gesellschaft, und verläßt das Local. Zu Letzteren gehörten wir. – Herumschlendernde Kinder Albions mit extravaganten Toiletten und natürlich Berliner Juden war das Gros der sich an jenem Morgen kreuzenden Spaziergänger.

Zwischen Münnerstadt und Meiningen.

Ein kleines Anekdötchen, das in der Gesellschaft circulirte, darf ich nicht unerwähnt lassen: der reiche österreichische Fürst L. war vor einiger Zeit in dem Bade anwesend, und machte durch

Bei den Meininger Würstchen.

seinen prahlenden Pomp ein enormes Aufsehen. Vier reich galonnirte Diener begleiteten ihn stets, und am Brunnen wurde ihm der Trank in seinem eigenen Silbergeschirr von einem derselben gereicht. Da kam der König von X. und die Großherzogin [622] von Y. einfach, anspruchslos und liebenswürdig, und als Letztere jenes verachtende Auftreten bemerkte, stieg die hohe Frau selbst zum Brunnen hinab, und schöpfte mit eigener Hand. – Am nächsten Morgen blieben die Diener fort.

Schlecht und theuer war der Gasthof zur Post, den wir in einer Beichaise am Montag verließen und mit angenehmen Reisegefährten und ewigen blinden Passagieren die Reise über Münnerstadt, an der stolzen Burgruine des Henneberges vorbei, nach Meiningen fortsetzten. Wieder einmal war hier Schützenfest und das überreich versammelte Landvolk füllte die Straßen der kleinen Stadt und zog hinaus, durch den schönen Park, nach dem Schützenhause. Auch hier fehlten die so unumgänglich nöthigen Buden nicht, an denen man sich stromweise vorüberwälzte und wieder umkehrte, ohne eigentlich recht zu wissen, was man wollte. Erst mit einbrechender Dunkelheit wurde es uns klar, daß man Meiningen nicht verlassen könnte, ohne seine berühmten Würstchen, die hier an mehreren Orten auf den Kasten dampften, gekostet zu haben. Verführt durch die Unerschrockenheit zweier junger eleganter Damen traten wir dem Fettgeruch näher. Der Dampf umwirbelte uns und ein traurig abschreckendes Gefühl ließ uns darin die formlosen Gestalten schuldlos hingemordeter Katzen und Hunde erblicken. Als wir indessen durch eine leichte und liebenswürdige Conversation entzaubert, die Phantome nicht mehr erblickten, versuchten wir, wenn auch erst zaghaft, die gestopften Därme. Dieses Versuchs aber hatte es nur bedurft, denn nun baten wir im Stillen „Mutter Schilling“ um Verzeihung und flehten laut um mehr, was zu gewähren bei der herandrängenden Volksmasse kein leichtes Stück Arbeit war. Jedoch die lustigen Berliner hatten das Weib bei der Achillesferse, der Eitelkeit, ergriffen und ihnen gelang Unglaubliches. Durch einen Meininger Freund in die Schützengesellschaft eingeführt, bewegten wir uns den übrigen Abend, unter den charakteristischsten Figuren der „deutschen Kleinstädter.“

Wäre die Morgenstunde nicht so entsetzlich früh gewesen, als wir aus Meiningen fuhren, und hätte ich nicht auf dem mittelsten Rücksitz eines jener unförmlichen Kasten gesessen, von denen die Postbehörde behauptet, daß sie nur für anständige Leute eingerichtet wären, so wüßte ich vielleicht Mancherlei zu erzählen von der Gegend, die wir bis zum thüringer Walde durchfuhren. So wurde ich aber nur an zwei Orten aus meiner Lethargie gerüttelt. Das erste war Altenbreitungen, wo ich durch einen im Wege liegenden Stein aufmerksam gemacht wurde auf die wild decorirten Häuser. Wir befanden uns im Lande des berühmten Wasunger Tabaks, der auf Bindfaden getrocknet in Guirlanden und Behängen die Häuser bedeckt. Die Wasunger „pur sang“, die Wasunger „Regalia“ verbreiten sich von hier aus über ganz Sachsen (was ich mir allerdings denken konnte), und sollen fast den Kirschblättern vorzuziehen sein (eine Notiz, der die Cigarren Leipzigs nicht widersprechen). Außerordentlich mühselig ist die Zucht des Pflänzchens, das zuerst im Mistbeete aus dem Samen gezogen, dann jedes einzeln in’s Feld verpflanzt und hier auf das Strengste gehegt und gepflegt werden muß. Hitze bedingt, jedes einzeln zu begießen, während ein nur gelinder Frost alle Hoffnungen auf Ernte vernichtet.

[648] Der zweite Ort meines überwundenen Stumpfsinns war Witzelrode, wo die Poststraßen sich trennten und uns der alte, abgetragene Postmeister über eine Stunde auf der Chaussee stehen ließ. Der Mann fand es ordentlich sonderbar, als wir uns über seine Saumseligkeit beklagten und schien überhaupt nicht zu begreifen, wie man von einem Beamten seines Schlages Schnelligkeit verlangen könne. Uebrigens mochte die ganze Gegend von einer gewissen Trägheit afficirt sein, da auch der neue Postillon daran kränkelte und in Liebenstein der Verwalter im Schlafrocke auftrat, obgleich es schon gegen ½11Uhr war.

Ein großes neues, fast einem Hospital gleichendes Curhaus gähnte uns entgegen – eine öde Promenade, von dürftigen, fast kindisch aussehenden Bäumchen begrenzt, dörrte in der Sonne –

Liebensteiner Wasserratten.

einige Damen in breiten Hüten saßen unthätig bei ihren Handarbeiten und hin und wieder schlich einer der ausgemergelten Hydropathen zum Brunnen.

Das war der erste Eindruck von Liebenstein, und da dieser nicht so verführerisch war, um längere Zeit hier zu verweilen, so machten wir es nur zur Packkammer für unsere größeren Reisebedürfnisse, nahmen ein gutes Frühstück und verließen es, um unsere Wanderungen durch die Umgegend anzutreten.

Wenn etwas von allgemeinem Interesse die passirten Gegenden auf das Vortheilhafteste auszeichnet, so sind es die Chausseen, die man wirklich mit einem wahren Vergnügen befährt und betritt; so auch die, welche von Liebenstein über Altenstein nach Ruhla führt, auf der wir, das zweite Mal auf der ganzen vierzehntägigen Regenpartie, brateten. Altenstein, der erste unsere Schritte hemmende Ort, ist eine reizende herzogliche Besitzung mit außerordentlich lieblicher Aussicht und einem Wirthshaus, dessen Kaffee in den Annalen des Kaffeeclubs als abschreckendes Beispiel aufgeführt zu werden verdient. Nur den vielen Wassercurgästen von Liebenstein kann man es zuschreiben, wenn ein Wirth sich erfrecht, den Fremden ein warmes Wasser vorzusetzen, worin im höchsten Falle ein vergessener Kaffebeutel ausgewaschen sein mochte. Das graue schmutzige Getränk hatte aber nur den Geschmack der alten Leinewand angenommen.

Durch schöne üppige Laubwaldung führt der Weg nach dem in so mannigfacher Beziehung gefeierten Ruhla, das wir bald erreichten. Schrecklich war der Weg über das endlose Pflaster des gemüthlichen Ortes, ehe wir im Gasthof „zur Traube“

Der Gemsenconcurrent in Ruhla.

anlangten. Ein Gang mit den unvermuthet getroffenen Gelehrten des Kladderadatsch nach dem Kaffeehause Bellevue und dann nach Heiligenstein zeigte uns auf einmal die ganze Schönheit des engen Ruhlaer Gebirgsthales. Daß die Partie heiter war, dafür bürgen die Persönlichkeiten, und wo solche Köpfe zusammenstoßen, müssen stets Geistesfunken sprühen. Heiligenstein selbst ist nur ein Bierhaus auf der Stätte eines ehemaligen Klosters, und offen gesagt war uns, nach der langen Promenade, ein Zug aus der Gegenwart [649] lieber, als ein Blick in die Vergangenheit. Hierbei war es, wo wir die flüchtige Bekanntschaft eines jener Gemsenconcurrenten machten, wie man sie so häufig in gebirgigen Gegenden antrifft. Ein bejahrter Mann, in der jugendlichen Tracht eines Turners, mit Strohhut und umgelegtem Halskragen, trat plötzlich aus den Gebüschen, gefolgt von einer Schaar junger Leute, größtentheils Damen. Der gefürchtete Mann soll nämlich, außer seiner Manie des Bergkletterns, noch die verführende Pfeife des Rattenfängers von Hameln besitzen, durch die er jeden Morgen ganze Rudel unvorsichtiger junger Mädchen zusammenpfeift, und sie rücksichtslos die halsbrechendsten Wege, durch Dornen und Gestein über die Berge schleppt. Nur im höchsten Nothfall, bei gänzlicher Erschöpfung, ruht er mit ihnen aus und sucht, als wahrer Waldmensch, die Stellen, wo Brombeeren den ermatteten Körper erquicken können. Die ganze Gegend wird auf diese Weise von ihm abgegrast. Er selbst, ein Fremder, soll einst im Winter die 40 Meilen von seinem Heimathsort hierher per Eisenbahn gemacht haben, um einen Sonnenaufgang von dem Inselsberg zu sehen, und dann wieder umgekehrt sein.

Auf Bellevue war große Illumination, Abendbrod und nachher improvisirter Ball. Einige sehr hübsche Gesichter hatten die

Abschied von Ruhla.

Gäste hergeführt; was aber die gerühmten Ruhlaer Schönheiten betrifft, so beruht der große Ruf derselben wohl auf einem Irrthum. Ich sah doch viele der Eingeborenen, aber mit wenigen vorteilhaften Ausnahmen waren dies nur solche, die einst hübsch gewesen sein mögen, oder solche, die durch ein provocirendes Lächeln bei so vielen Reisenden den Eindruck einer Schönheit hervorbringen. Letztere sind allerdings sehr stark vertreten.[1]

Den Eindruck eines primitiven Cursaales macht der gewöhnliche Versammlungsort der Gäste, wo Abends ein Talgstümpfchen die Finsterniß vergebens zu durchbrechen strebt und dunkle Gerüchte von dort stattgehabten musikalischen Aufführungen munkeln.

Ueber den „Keitersberg“, „kahlen Kopf“ und „Sielberg“ mit den reizenden Blicken in die wildbewachsenen Thäler und durch dicke, lautlose Buchwaldungen stiegen wir am nächsten Nachmittag rüstigen Schrittes hinab nach Winterstein, nahmen Fischbach, Cabartz und Tabartz mit Sturm und rückten siegreich vor Reinhardtsbrunn. Hier war aber leider die Besatzung zu groß, der Angriff wurde abgeschlagen und wir mußten uns nach dem eine Viertelstunde entfernten Friedrichsroda zurückziehen.

Reinhardtsbrunn ist eine der reizendsten Besitzungen, die man sich denken kann. In einem in jeder Beziehung englischen Park liegt das elegante gothische Schloß, das, mit einer rührenden Ehrfurcht vor dem Alter, unmittelbar an und auf die Ruinen der ehemaligen Benedictiner-Abtei gebaut ist. Letztere wurde schon um 1085 von Ludwig dem Springer gegründet, erlitt aber, im 14. Jahrhundert durch einen Brand zerstört und im 16. Jahrhundert durch wilde Bauernhorden verwüstet, mannigfache Veränderungen, bis das Gebäude seine jetzige Gestalt (1827–1835) durch den kunstsinnigen regierenden

Im Dousenthal.

Herzog erhielt. Ein Stück der alten Kirche, mit den gefundenen Grabsteinen geschmückt, und ein im vorigen Jahrhundert angebautes Portal sind die sichtbaren Reste früherer Zeiten. Die Nebengebäude, in demselben Styl wie das Schloß aufgeführt, stören uns durch die Verwendung gestreiften Sandsteines, der ihnen ein zebraartiges, unruhiges Ansehen gibt.

„Friedrichsroda ist durch seine Garnbleichereien bekannt“ – das merkten wir, als wir am nächsten Morgen zur Stadt hinaus dem Inselsberge zu wanderten und an den mit einem gelben Gespinnst bedeckten Wiesen vorbei gingen. Eine waldige Straße führt zunächst zu der sogenannten „Tanzbuche“, wo neben einem einfachen herzoglichen Gartenhause eine Jagdhüter-Wohnung auf ein einfaches Frühstück vorbereitet ist. Der Platz bietet nichts besonders Interessantes außer den Stoff zu zwei ganz besonderen Rügen. Das Lusthäuschen nämlich, welches früher dem Publicum offen stand, hat der Fürst schließen müssen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Pöbel des reisenden Publicums das wenige Mobiliar verdarb, was darinnen war, und die Wände mit Schmierereien bedeckte. Ist es denn nicht möglich, Maßregeln gegen solche Vandalen zu ergreifen, die dieser verderblichen Sucht nur einigermaßen Einhalt gebieten? Ist es denn nicht möglich,

Metamorphose der Bewohner von Broterode.
Im Walde. In der Stadt.

solche Bubenstreiche der sich sonst um jeden Quark kümmernden Sittenpolizei zu unterwerfen und von ihr die nachdrücklichste Bestrafung zu verlangen? Ich glaube, die fast überall aufliegenden Fremdenbücher haben schon sehr gute Dienste gethan, weil sich in diesen die poetischen Adern wie im Sande verbluten können und einer ehrsüchtigen Classe von Leuten die Genugthuung gewährt [650] wird, ihre schlechten unbekannten Namen von Andern gelesen zu wissen.

Was den zweiten Punkt betrifft, so ist es das Hinzudrängen der Menge, sobald sich eine fürstliche Person sehen läßt, und ich horte Geschichten über Damen, welche sich in Reinhardtsbrunn aufhielten, die, wiedererzählt, die Gesichter meiner achtbareren Landsmänninnen bis unter die Stirn erröthen machen würden. Was sagt wohl ein Privatmann, der in seiner Besitzung von der Belästigung anständig scheinender Besucher incommodirt wird? Er läßt sie höflichst hinausweisen und schließt ihnen die Thür vor der Nase zu; und solche Mittel verdenkt man einem Fürsten!

Auf dem Inselsberg angekommen, hatte ich in dem Fremdenbuche einen auffallenden Beleg für eine oben von mir ausgesprochene Behauptung. Ein Herr hatte mit großen selbstgefälligen Buchstaben hineingeschrieben:

Auf dem Inselsberge war am 14. August 1856 der Kreisgerichts-Rath H… aus F…

Eine Arroganz, zu welcher in Vergleich man wirklich die vielen, von augenblicklicher Stimmung aufgerührten Verseleien verzeiht.

Der Inselsberg, circa 3000’ hoch, ist einer der höchsten Gipfel des Thüringer Waldes und die Aussicht von demselben so ausgedehnt, daß Jemand irgendwo über tausend, mit bloßem Auge erkennbare wichtige Punkte in der Landschaft aufgezählt hat. Oft genug schon habe ich mich, was mich persönlich anbetrifft, über die großen Fernsichten ausgesprochen und ich wiederhole hier noch einmal, daß ich kein so bedeutendes Interesse nehme an Landkarten von Papiermaché. Vorüberziehende, nur spärliche Durchblicke gewährende Wolken haben für mich schon viel mehr Reiz, aber immer noch bleibt nur ein Panorama, von mäßiger Höhe gesehen, mit Vorgrund und Gruppirung des Uebrigen, lieber, als die aus der Vogelperspektive zur Fläche hinabsinkenden malerischen Unebenheiten des Terrain. Ein hübsches Wirthshaus ladet zu einer comfortablen Erholung ein. Einige Engländerinnen, die zuerst die Tabaksluft des großen geheizten Zimmers flohen, mußten sich doch zur Wiederkehr bequemen, um nicht bei ihrem Mittagsbrod zu frieren, und als das Gespräch mit dem sie begleitenden Herrn auf diese deutsche Sitte gelenkt wurde, behauptete er mit einem Märtyrerlächeln, er und seine Damen hätten sich schon daran gewöhnt.

Nach einem kleinen Umweg, dem Inselstein zu, der uns die Elegie verschiedener Thäler zeigte, und nachdem wir einigen trotzigen geflickten Holzhauern, wahrscheinlich der berüchtigten Bevölkerung Broterode’s angehörend, den üblichen Passirzoll entrichtet, zogen wir hinab zu dem letztgenannten Orte. Broterode ist für den Thüringer Wald, was Böhmen für Deutschland ist, d. H. jeder Vorübergehende streckt die Hand nach einer Gabe aus. Uebrigens wurde uns erzählt, daß hier die Bettler durch die Polizei vollständig begünstigt würden und oft zehn Mal hintereinander wiederholte Anzeigen der Lehrer wegen liederlichen Schulbesuches der Kinder fast gar keinen Erfolg haben oder entschieden ignorirt werden. Broterode gehört ja wohl zu Kurhessen?

Daß das uns so sehr gerühmte Drusenthal, in welches man von hier aus kommt, nicht die gewünschte Befriedigung in uns hervorbrachte, wird uns jeder verzeihen, der zugibt, daß ein stürmender Regen und ein aufgeweichter Boden nicht den Reiz eines von Bergen eingeschlossenen Flußthales erhöhen. Daß es aber sehr hübsch da sein kann, will ich gern zugeben. Das Thal schließt mit den sich gegenüber liegenden, nur vom Drusenbach geschiedenen Dörfern Herger und Auwallendorf, bei welchen Schwerspathgruben und eine Mühle, worin dies Gestein für die Bleiweißfabriken vorbereitet wird. Eine sich ewig auf Hügeln entlang schlängelnde Straße, die durch eine von Wolken bedeckte Landschaft führt, ist durchaus nicht geeignet, dem mißmuthigen Wanderer die Anmuth der Gegend zu offenbaren, und so kamen wir wieder, verstimmt im Geiste und naß am Körper, in dem obenerwähnten Curhause zu Liebenstein an. Der Speisesaal vereinigte uns mit einer schon früher kennengelernten Gesellschaft, aber selbst die liebenswürdigste Unterhaltung und der gute Forster-Traminer waren nicht im Stande, die gedrückte Regenstimmung in uns zu tödten. Alle Elasticität war vernichtet.

Durch einen erquickenden Schlaf wieder zu Menschen gemacht, suchten wir am nächsten Morgen noch einmal den Elementen zu trotzen. In einer wahren Sündfluth erstiegen wir die rasige Höhe der alten Burgruine der Liebensteiner, doch die Energie erweckte nur den Hohn der wetterbrauenden Berggeister und überzeugt, daß hiermit unsere Fußpartien ein Ende erreicht hatten, kehrten wir zurück, packten unsere Sachen und waren in einer Stunde, in wohlverschlossenen Wagen, auf dem Wege nach Eisenach.

Ueber Schweina führt die Straße nach Wilhelmsthal, wo ein kurzer Spaziergang uns überzeugte, daß es hier, in den romantischen Parkanlagen, bei heiterm Himmel ganz reizend sein müsse, dann über die „hohe Sonne“ durch das auch als bemerkenswert notirte Marienthal nach Eisenach. Auf diesem Wege erst merkt man den ganzen Unfug des in kleine Brocken zerstückelten deutschen Reiches und verwünscht die liliputanischen Fürstenthümer, die sich durcheinander drängen, nur um die Geographie zu verwirren. Zahlt man hier am Chausseehause in Kreuzern, so verlangt man Groschen, und zahlt man dort (eine halbe Stunde später) Groschen, so verlangt man Kreuzer, und so wiederholt sich dies bis zum Unerträglichen.

In Eisenach gewesen sein, ohne die Wartburg besucht zu haben, wäre des Spleen eines Engländers würdig gewesen, aber nicht unser, also kneteten wir uns den steilen Pfad hinan. Man arbeitet wacker an dem stattlichen Gebäude, das schon unter Ludwig dem Zweiten, dem Springer, gegründet, in zwei Jahren entstand; man will jetzt wieder ersetzen, was Zeit und Feuersbrünste zerstört, und ihm das Ansehen wieder herstellen, das es zu Zeiten der heiligen Elisabeth hatte. Schöne Zimmer und Räume sind bereits entstanden, durch die sich, in Fresken von Moritz von Schwind, die Geschichte der Burg und der gefeierten Herrinnen hindurchzieht. Der Saal, in dem einst der so berühmte Sängerkampf stattfand und Heinrich von Ofterdingen unter den Mantel der Landgräfin floh, ist fast vollendet und ein großes darin befindliches Wandgemälde des oben erwähnten Meisters stellt diese bekannte Scene dar. Wenn auch einiges Gespreizte in den Bewegungen ist und mich eine gewisse Trockenheit der Auffassung stört, so sind dennoch vortreffliche Sachen in sämmtlichen Malereien. Der große Saal der Burg mit seinen Gallerieen und vergoldeten Tragebalken ist noch im Entstehen, dahingegen die Kapelle vollendet, in welcher Luther oft begeisterten Zuhörern predigte. In 15 Jahren soll das Ganze vollendet sein und sind allein für das nächste Jahr 30,000 Thaler angewiesen. Der noch unberührte alte Theil der Burg enthält eine Wirthschaft, die mit einigen Fremdenzimmern in ein daneben aufzuführendes Haus verlegt werden soll, die Wohnung des Kommandanten und die berühmte Lutherzelle. Hier schuf der von seinem besorgten Freunde, Kurfürst Friederich dem Weisen, in Sicherheit gebrachte Reformator als Ritter Georg das Riesenwerk seines Fleißes: die Uebersetzung der Bibel; hier warf er, wie die Sage meldet, dem seiner aufgeregten Phantasie erschienenen Satan das Tintenfaß an den Kopf. An der einen Wand ist noch der Fleck zu sehen, aber durch abergläubische Hände so ruinirt, daß er, wie der uns umherführende Blaurock versicherte, im nächsten Jahre restaurirt werden würde. Der von nichtsnutzigen Fingern durchaus zerstörte Tisch ist durch einen anderen, Luthers Familie zugehörigen ersetzt und dessen Kanten gegen die Kirchenschänder mit Blech beschlagen worden. Ein alter kienener Schrank und der Rückenwirbel eines Walfisches, der als Fußschemel gedient haben soll, vervollständigen das jetzige Mobiliar.

Nur wenige dürftige Durchblicke aus dem alten gemüthlichen Wirthschaftszimmer gönnte uns das vorüberströmende Wolkenheer in die bezaubernde Landschaft, und dennoch saßen wir lange in der heimlichen tiefen Fensternische, bis der nahende Abend uns zum Scheiden von der traulichen Stätte zwang.

Der Gasthof „zum Rautenkranz“ verschlang ein Paar Stunden der Nacht, das Versammlungszimmer im Bahnhofgebäude that dasselbe und um 2 Uhr weckte uns der unerbittliche Wächter.

„Der Dämpfer braust, er schnauft heran und zischt,
Der Neuzeit fliegender Hydrarch zu Lande;
Aus seinem Rachen haucht der graue Gischt
Des Feuerathems und verdampft im Sande.
„„Herr! Ihr Bittet!““ – Romantisch Land, Ade!
Mechanik zieht ein Kreuz durch Deine Karte!
„„Wohin?““ – Berlin. – „„Nur schnell in das Coupé!““
Die Pfeife schrillt – – Leb’ wohl. Du alte Warte!“



  1. Das ist nicht der Fall. Die Rühler Mädchen sind allerdings schön und das provocirende Lächeln dürfte, so weit wir den Autor dieser Skizze kennen, wohl eher von diesem ausgegangen sein.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vorfanden