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Autor: Friedrich Bernhard Störzner
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Titel: Was die Heimat erzählt
Untertitel: Vorwort
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Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Arwed Strauch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Digitalisat der SLUB Dresden und bei Wikimedia Commons
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Vorwort.

Wenn ich vorliegende Arbeit der Öffentlichkeit übergebe, so komme ich einem Wunsche derer nach, die noch Sinn für Gottes schöne Natur und für die Vergangenheit der Heimat haben. Seit vielen Jahren stehe ich mitten unter dem Volke und verwende meine freien Tage zu kleinen Streifzügen durch die verschiedenen Teile des sächsischen Vaterlandes. So lernte ich Land und Leute kennen. Über die Vergangenheit unserer Heimat unterrichteten mich die im Volke lebenden Sagen, die Erzählungen alter, glaubwürdiger Leute, die verschiedenen Ortschroniken. Ich habe alles schriftlich aufgezeichnet. Von Zeit zu Zeit veröffentlichte ich nun kleine Skizzen, um weitere Kreise für die Heimatgeschichte zu interessieren. Ich habe die Freude gehabt zu erfahren, daß diese Skizzen wiederholt den Unterhaltungsstoff in Familien bildeten. Mit Eifer wurden jene heimatkundlichen Aufsätze gelesen. In manchem Orte der westlichen Lausitz habe ich Vorträge über heimatkundliche Themen gehalten und dabei die Erfahrung gemacht, daß in allen Schichten der Bevölkerung auch noch Sinn für die Geschichte der Heimat vorhanden ist, man muß es nur verstehen, denselben zu wecken. Oftmals bin ich aufgefordert worden, jene Skizzen zu sammeln und in Form eines Büchleins jedermann zugänglich zu machen. So mache ich denn mit vorliegendem Werke den Anfang. Möge das Buch, das mir von der Liebe zur Heimat diktiert worden ist, eine freundliche Aufnahme finden! Bescheiden klopft es an und bittet um Einlaß in Schule und Haus, für die es bestimmt ist. –

Bei dem Bemühen, Stoff für den heimatkundlichen Unterricht zu sammeln, entdeckte ich gar bald manchen vergrabenen Schatz. Dieses Auffinden regte mich zu weiterem Forschen an, und so entstanden mit der Zeit die verschiedenen Aufsätze im vorliegenden Buche. Mit Recht legt man heute ein großes Gewicht auf den heimatkundlichen Unterricht. Er ist gleichsam grundlegend für den Gesamtunterricht der Volksschule. Darum wird auch gefordert, daß die Heimatkunde nicht etwa schon mit dem 3. oder 4. Schuljahre abschließe, sondern daß sie [4] den Unterricht auf allen Stufen und in allen Fächern weiter begleite und belebe. Herr Schulrat Dr. Lange sagt hierüber in seinem vortrefflichen Werke „Über Apperzeption“ folgendes: „Die Heimatkunde muß den Unterricht auf allen Stufen und in allen Fächern weiter begleiten. Die Gewinnung und Bearbeitung ihres Lehrstoffes ist nicht auf die ersten Schuljahre zu beschränken, sondern auf die ganze Schulzeit zu verteilen. Jedes der folgenden Schuljahre soll die ihm naheliegenden und ihm unentbehrlichen heimatkundlichen Stoffe zur Belebung des Unterrichtes sich dienstbar machen.“ Vor allen Dingen bedürfen die realistischen Fächer einer fortdauernden Beziehung zur heimatlichen Erfahrung der Kinder. Das gilt vor allen Dingen beim Geschichtsunterrichte. Ihm reicht die Heimat so mannigfach die Hand und oft reichliche Unterstützung. Der Lehrer sollte da recht dankbar sein und solche Hilfen stets annehmen. Herr Schulrat Dr. Lange sagt weiter: „Der historische Unterricht, welcher nicht in den heimatlichen Anschauungen des Kindes seine stärkste Hilfe sucht, spielt auf einem Instrumente, dem die Saiten fehlen. Draußen im Walde und auf der Heide gewinnt das Kind leicht ein Bild von dem Urzustande der Heimat, von einer Zeit, da keines Menschen Fuß das Gehölz durchschritt; während wiederum vielleicht Sagen und Geschichten von der Gründung des Heimatortes dem Kinde einen Einblick gestatten in die Bedingungen, unter welchen in der Regel Ansiedelungen unserer alten Vorfahren zustande kamen und ihm zeigen, auf welche Weise nach und nach aus dem Dunkel der Wälder einzelne Gehöfte oder ganze Dörfer sich erhoben. Die Hünengräber und heidnischen Opferstätten der Heimat, zu denen die Kinderschar mit dem Lehrer wandert, die zahlreichen Sagen von Stromnixen und Wassermännern, von Otterkönigen, Zwergen und sonstigen Berggeistern, die abergläubischen heimatlichen Gebräuche, von denen die Kleinen so viel und lebhaft zu erzählen wissen, sie vermögen in die altheidnische Zeit, da unsere Vorfahren dem Wodan oder Swantewit dienten, mit derselben Lebendigkeit zu versetzen, mit der eine einsame Waldkapelle, eine altersgraue, verfallene Kirchenruine die Jahrhunderte eines Bonifacius, eines Adalbert von Prag uns vor die Seele führt. Die alten Burgen und Schlösser der Heimat, die wir fleißig besuchen und eingehend besichtigen, geben dem Schüler eine deutliche Vorstellung von der Wohnung und zugleich auch von der Beschäftigung des mittelalterlichen Adels, während die großen zusammenhängenden Feldgrundstücke des benachbarten Rittergutes, neben denen auch jetzt noch die zerstreuten Besitzungen der übrigen Dorfbewohner fast verschwinden, einen Schluß gestatten auf die soziale und wirtschaftliche Lage der Bauern unter der Feudalherrschaft, auf das Verhältnis zwischen dem Burgherrn und seinen leibeigenen Untertanen. Wie eindringlich und beredt erzählen die alten Ringmauern der heimatlichen Stadt mit ihren Schießscharten, Zinnen, Toren, ein alter Turm, ein verfallenes Kloster von vergangenen Tagen, wie anschaulich und lebendig vermögen sie jedermann, auch das Kind, zurückzuführen in die Zeit seiner mittelalterlichen Vorfahren! Gewinnt es doch in solchen heimatlichen Anschauungen [5] für die Schilderungen aus dem deutschen Städteleben einen Grund und Boden, auf dem seine Apperzeptionstätigkeit leicht und sicher sich bewegen kann. Machen wir endlich den Zögling vertraut mit dem Ursprunge und der Bedeutung gewisser volkstümlichen Feste der Heimat, suchen wir die Spuren großer Kriege, wie sie ja leider fast in jedem Gau unseres Vaterlandes zu finden sind, etwa eine alte Schwedenschanze, eine Wüstenei oder wüste Mark aus der Zeit des Hussitenkrieges, des 30jährigen oder des 7jährigen Krieges, ein Franzosenkreuz und einen Schwedenstein an der Landstraße, einen Denkstein mitten im Felde oder auch in der Kirche, eine Erinnerungstafel oder eine Friedenseiche aus der jüngsten Zeit auf, so wird es uns auch für die neue und neueste Geschichte an analytischem Unterrichtsstoffe nicht fehlen. Natürlich fließt der Quell desselben nicht in allen Landschaften gleich stark, hier reicher, dort spärlicher. Aber so arm ist ganz gewiß keine Gegend an historischen Zeugnissen, so völlig neu und von heute keine Heimat, daß sie der Anschauung und Beobachtung des Kindes gar nichts darböte, daß der Geschichtsunterricht nicht in den meisten Fällen von ihr ausgehen könnte.“

Bei dieser Bedeutung des heimatkundlichen Unterrichtes ist natürlich vom Lehrer zu fordern, daß er ein fleißiger Forscher seiner jeweiligen Heimat sei, daß er in seinem Wirkungsorte nicht ein sogenanntes Eintagsleben führe. Er muß in ihm Wurzel schlagen. Vor allen Dingen muß der Lehrer in geschichtlicher Beziehung die Heimat durchforschen. Darum gilt es, die Sagen, Sitten und Gebräuche einer Gegend kennen zu lernen, die Ortschroniken zu studieren, die Berichte alter, glaubwürdiger Leute zu notieren, mit dem Volke zu verkehren. Die heimatliche Flur muß dem Lehrer gleichsam ein Buch sein, von dem er ganz genau weiß, was auf der einzelnen Seite steht. – So wird er dann den heimatkundlichen Unterricht fruchtbringend für den Gesamtunterricht gestalten. Wer es getan hat, den heimatkundlichen Unterricht bis in das letzte Schuljahr, ja bis in das letzte Fortbildungsschuljahr mit einzuflechten, der wird es auch erlebt haben, wie bei solchen Gelegenheiten die Kinder so aufmerksam zu Füßen des Lehrers sitzen, daß man das Niederfallen eines Blattes vernehmen könnte. Die Augen der Kleinen leuchten dann wie Sonnenschein, und mit Lebendigkeit wissen sie noch lange von jener Unterrichtsstunde zu berichten. Solche Unterrichtsstunden klingen im Schüler noch nach, wenn er längst zum Manne herangereift ist.

Aber nicht nur der Schule will vorliegendes Buch eine Gabe sein, sondern auch dem Hause, der Familie. Wie es dem Lehrer für den heimatkundlichen Unterricht willkommenen und brauchbaren Stoff an die Hand gibt, so auch den Eltern, die vielleicht am Sonntage Nachmittag oder auch zur Ferienzeit mit ihren Kindern zur Erholung hinaus in Gottes schöne Natur, durch die gesegneten Fluren mit ihren fruchttragenden Feldern und grünen Wiesen, durch die rauschenden Wälder, hinein in die lieblichen Täler mit ihren [6] klappernden Mühlen und rauschenden Bächen, hinauf auf die turmgekrönten und sagenumwobenen Berge der Heimat wandern, doch nicht gedankenlos, wie so manche in unseren Tagen. Dabei kann der Vater der Lehrer seiner Kinder werden, wenn er sie aufmerksam macht auf diese und jene Stätte. Da steht vielleicht mitten im weiten Felde ein sagenumklungener Baum, von dem das Volk sich gar viel zu erzählen weiß. Dort liegt eine einsame Heide. Auf ihr stand einst ein schmuckes Dörflein. Da plätscherten Brunnen und spielten Kinder auf den Straßen. Heute ist es hier einsam still. Kriegsstürme haben dieses Dörfchen dem Erdboden gleichgemacht. In jenem Tale gab es einst Bergwerke. Da wurde das harte Gestein durchwühlt nach Schätzen. Heute sind diese Bergwerke verfallen. Zwerglein in Tarnkappen hüten die in die Tiefe gesunkenen Schätze und bewachen sie vor der Habgier der Menschen. Dort steht am Wege oder am Rande des Waldes ein verwittertes Steinkreuz. Es redet zu dem Wanderer von dem, was einst hier geschah. Wie lauschen dann die Kinder, wenn der Vater an Ort und Stelle von der Vergangenheit der betreffenden Stätte erzählt, wenn er berichtet aus den vergangenen Tagen der Heimat, oder wenn er vielleicht im trauten Familienkreise aus unserem Buche vorliest! Es belebt sich vor der Seele des Kindes die heimatliche Flur, und innige Bande verbinden das Kind mit der Heimat. In ihm wird die Heimatliebe genähret, die den Menschen noch im hohen Alter die alte Heimat lieb und wert macht und zu der es ihn in der Fremde draußen wieder und immer wieder zieht. – Liebe zur trauten Heimat hat dieses Buch geschrieben, und die Liebe zur Heimat zu wecken und zu nähren, das möchte vor allen Dingen vorliegendes Buch erreichen. – Mit allen Fasern des Herzens hängen die meisten Menschen an ihrer Heimat, an der Stätte, wo es noch ein Paradies, einen Garten Eden und ein Erdenglück gibt. Herr Geh. Schulrat Grüllich schreibt: „Unsere Zeit freilich mit ihren Verkehrsverhältnissen und mit ihrer Freizügigkeit entnimmt den Menschen leichter dem heimatlichen Boden, um so mehr ist es aber geboten, in der Jugend schon die Liebe zur Heimat und Achtung vor ihr zu wecken und zu nähren. Es ist wahrlich schlimm, wenn der in die Fremde Gewanderte nichts mehr fühlt von Heimweh, von Sehnsucht nach der Stätte, wo sein Vaterhaus steht und wo er seine glückliche Jugendzeit verlebte. In der Heimatliebe liegt ein sittlicher Halt für den Menschen auch in der Fremde, und sie ist auch der rechte Boden für die Gottes- und Vaterlandsliebe.“ – „Lassen wir die Zerstörungslust beim Kinde, bei der Jugend nicht aufkommen, pflanzen wir ihm Respekt ein vor dem, was eine Geschichte hat.“ (Palmer.) Mit der erwachten Liebe zur Heimat zieht aber auch jenes stille Glück wieder ein in das Herz, die Zufriedenheit, die in unseren Tagen, in der Zeit des Hastens und Jagens, freilich vielen verloren gegangen ist.[1]

[7] Es ist ein erfreuliches Zeichen der Zeit, daß heute wieder mehr als sonst Interesse für die Heimatgeschichte erwacht ist und zwar in den verschiedensten Kreisen. Der Verfasser würde sich glücklich schätzen, wenn auch vorliegendes Buch mit dazu beitragen könnte, bei diesem und jenem die Liebe zur Heimat und zur Volkskunde zu wecken, ihm die Augen für den Wert und die Schönheit der Heimat zu öffnen.

So sende ich denn das Buch hinaus mit der Bitte um freundliche Aufnahme und Nachsicht. Bescheiden klopft es bei den einzelnen Familien im Vaterlande an und bittet höflich um Einlaß. Man öffne ihm die Türe. Ein Hausfreund möchte es werden.

Ich danke herzlich dem Herrn Verleger für die hübsche Ausstattung des Werkes und Herrn Professor O. Seyffert in Dresden, dem unermüdlichen Museumsleiter des Vereins für Sächsische Volkskunde, sowie Herrn Maler F. Rowland für die künstlerische Mitwirkung. Ganz besonderen Dank spreche ich an dieser Stelle auch aus Herrn Prof. Dr. Mogk in Leipzig und Herrn Dr. A. Meiche in Dresden, dem Verfasser vom Sagenbuche des Königreiches Sachsen, welche das Werk im Manuskript durchsahen, mir gute Winke und Ratschläge erteilten und mir manche Anregung gaben.

Schulhaus Arnsdorf in Sachsen, im Januar 1904.

Kantor Fr. Bernh. Störzner.     

  1. Vergl. „Wie ist in den Gemeinden der Sinn für die Geschichte der Heimat zu wecken und zu pflegen?“ von Kantor Störzner, Verlag Arwed Strauch in Leipzig. Illustriert. Preis 20 Pfg.