Textdaten
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Autor: Friedrich Bernhard Störzner
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Titel: Die westliche Lausitz
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aus: Was die Heimat erzählt. Sagen, geschichtliche Bilder und denkwürdige Begebenheiten aus Sachsen, S. 9–12
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Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Arwed Strauch
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: SLUB Dresden und Wikimedia Commons
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1. Die westliche Lausitz.

Die Gegend zwischen Bautzen und der Dresdner Heide wird vielfach als die westliche Lausitz bezeichnet, die an landschaftlichen Reizen keinem anderen Teile Sachsens nachsteht; und doch versteigen sich nur selten Touristen von weither in diese anmutige Gegend. Tausende suchen wohl alljährlich die Sächsische Schweiz auf und erfreuen sich an der zerklüfteten Bergwelt derselben. Wer aber stets dem allgemeinen Touristenstrome folgt, dem bleiben gar manche liebliche Punkte seitwärts unbekannt. Die westliche Lausitz ist aber reich genug an wirklichen Naturschönheiten, sodaß sie inbezug auf ihre landschaftlichen Reize auch besonderer Beachtung wahrlich wert ist. „Die Lausitz ist unstreitig einer der interessantesten und schönsten Landesteile Sachsens und dem vielgepriesenen Vogtlande, sowie der Sächsischen Schweiz ebenbürtig.“[1] Einen besonderen landschaftlichen Reiz bieten die romantischen Täler der Röder, Pulsnitz, Schwarzen Elster, Wesenitz, Spree. Wer gerne Berge steigt, der hat in der westlichen Lausitz genügend Gelegenheit, solches zu tun. Vom Valtenberge bei Niederneukirch bis zum Keulenberge bei Oberlichtenau-Königsbrück zieht sich über die Städte Bischofswerda, Elstra, Kamenz, Pulsnitz, Radeberg, Königsbrück Berg an Berg. Inselartig erheben sich diese vielfach aus der Ebene und erscheinen darum höher, als sie in Wirklichkeit sind. Von den Gipfeln jener Höhen schweift das Auge des Wanderers meilenweit über eine blühende Landschaft. Jeder Berg bietet ein anderes Bild. Man wird des Schauens und der köstlichen Eindrücke nicht müde. Mit inniger Liebe hängen die Bewohner jeder Gegend an „ihrem Berge“, der in der Nähe der Siedelung liegt und diese gewissermaßen meilenweit beherrscht. Zu ihm hinauf wandern Sonn- und Festtags die Umwohner gern, förmliche Wallfahrten dahin finden von Zeit zu Zeit statt. Meist sind diese waldumrauschten Bergeshöhen auch turmgekrönt. „Wenn auch die Lausitzer Landschaft in ihrer eigenartigen Schönheit noch heute zu wenig von dem Strome der Sommerreisenden gewürdigt wird, so haben doch ihre Bewohner selbst seit altersher um so mehr Freude aus der Natur geschöpft, ich kenne kein anderes deutsches Mittelgebirge, in dem mir die Liebe zu den heimatlichen Gipfeln so stark entgegengetreten ist wie hier. In den Oster- und Pfingstfeiertagen ist es eine gute alte Sitte des Landvolkes, frühzeitig die Kuppen zu erreichen, um die Sonne dreimal hüpfen zu sehen, wie der Volksglaube für diese Tage annimmt.“ (Dr. Curt Müller.) Johannes Renatus singt von „seiner Lausitz“:

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„Sahn muß mersch, sonst’n weeß mersch ne,
Wies ei dr Lausitz is,
Und war’sch ne g’sahn, dar thutt mr leed,
Dos is ak mol gewiß.
Ehr könnt oich imsahn, wu dr wullt,
D’r Kroiz un Quare ziehn,
Kommt ak mol hen, dr werd’s schu sahn,
Dort is es wunderschien.“ –



Die westliche Lausitz bietet aber auch noch einen anderen Reiz als den der landschaftlichen Schönheit. Sie ist nämlich ganz besonders reich an geschichtlichen Erinnerungen und Zeichen. Überall trifft man auf geschichtliche Spuren, allerorten gibt es Zeugen aus alter Zeit. Die westliche Lausitz ist altbesiedelt, nicht etwa erst seit heute und gestern. Sie trägt so manche Erinnerungszeichen selbst aus grauer Vorzeit. Alle Geschichtsperioden sind vertreten und zwar von der Bismarckeiche, Wettineiche, Lutherlinde und Friedenseiche an bis zu der mit Asche und Knochenresten gefüllten Urne, den alten Heidenschanzen, den Bronzewaffen und der uralten Steinaxt. Wüste Marken sind zahlreich vorhanden, freilich sind sie meist vom Moos und Heidekraut verhüllend bedeckt, und über ihnen rauscht heute der dämmernde Wald, oder es zieht über sie hin der Pflug seine Furchen. Uralte Straßen erinnern an die ehemaligen Verkehrsverhältnisse in dieser Gegend. Verwitterte Steinkreuze, Schweden- oder Bischofssteine genannt, stehen hie und da in Orten, an Wegen, auf freiem Felde, in einsamer Heide. Altersgraue, ehrwürdige Gotteshäuser reden noch von den Tagen, da die ersten Christenboten zu den Vorfahren der Bewohner der westlichen Lausitz kamen. Die weit in das Land hinausgrüßende Kirche zu Lichtenberg am Eggersberge, die herrliche Stadtkirche zu Bischofswerda, das schmucke Gotteshaus zu Göda bei Bautzen erinnern lebhaft an die Zeit des Wundertäters Sankt Benno. Der heilige Berg bei Bischheim-Gersdorf trägt Erinnerungen [11] an Walburgia, die als Botin des Heils segensreich unter den Lausitzern gewirkt haben soll. Ihr errichtete man auf den Bergen der Lausitz Kapellen. – Auf mancher Höhe der westlichen Lausitz thronen noch jene Felsenaltäre, auf denen einst die heidnischen Umwohner ihren Göttern opferten und wohin noch heute am Himmelfahrtstage und Pfingstfeste die Leute jeden Alters aus den umliegenden Ortschaften immer gern wallfahrten, um von hier oben aus den Sonnenaufgang zu

Alt-Radeberg: Das Rathaus um 1840.

beobachten und die Blicke einmal weit über das ringsum liegende Land schweifen zu lassen. – Die heimische Erde enthält noch zahlreiche Urnen. Ganze Urnenfelder, altheidnische Friedhöfe sind vorhanden. Erd- und Steinwälle, Ringwälle, fälschlich als Schweden- oder auch als Hussitenschanzen bezeichnet, die vor Jahrtausenden den frühesten Bewohnern der westlichen Lausitz in Kriegszeiten als Bollwerke und Festungen dienten, im Frieden als Kultus- und Begräbnisstätten, finden wir an so manchem Orte, z. B. bei Rähnitz, Hermsdorf, auf dem Ohorner Steinberge, bei Prietitz, Kamenz, Göda, Bautzen und Stolpen. An den ehemaligen Erzbergbau in der westlichen Lausitz erinnern die verfallenen Gold- und Silberbergwerke in verschiedenen Gegenden. – Mancher Kriegssturm hat die westliche Lausitz durchbraust und zwar von der Römerzeit an bis in die jüngsten Tage. Gewaltige Völkerkämpfe fanden hier statt und ein großes Stück der deutschen Geschichte hat sich gerade auf den Fluren der westlichen Lausitz abgespielt. Slaven und Deutsche kämpften allein Jahrhunderte miteinander, und wie ehedem während der großen weltgeschichtlichen Völkerwanderung dringt auch heute wieder mehr als je das slavische Element in diese Gegend ein. Wie vor 1000 [12] Jahren wird früher oder später das Deutschtum gegen das immer mehr und mehr überhandnehmende Slaventum sich zu wehren haben. Königsbrück ist noch eine Erinnerung an das mutige Vordringen der Deutschen gegen die fast allmächtig gewordenen Slaven, nicht minder die Burg Meißen. Die Radeberger und Pulsnitzer Gegend sahen blutige Kämpfe Heinrich I. gegen den größten Feind des Germanentums. Mancher Ortsname erinnert an jene deutschen Stämme, die Heinrich der Städtegründer zum Schutze gegen die Sorben und Wenden rief, z. B. Frankenthal bei Bischofswerda. Vom blutigen Hussitenkriege, vom 30jährigen Kriege, vom nordischen Kriege, vom 7jährigen Kriege, von den Freiheitskriegen im Anfange des 19. Jahrhunderts weiß gar mancher Ort in der westlichen Lausitz zu erzählen. – Und wo die Geschichte schweigt, da redet die Sage um so deutlicher. Geradezu reich ist die westliche Lausitz auch an schönen, lieblichen Sagen. Sinnend wandelt Frau Saga durch das Land. Mit ihrem duftenden Gewande hüllt manchen Ort sie ein. Um stolze Burgen schwebt sie. Sie lauscht am Felsenhang und spielt am Waldesbach. Sie thront hoch oben auf Felsensteinen und weilt beim Halmendach. In den stillen Hainen rauscht und flüstert sie. (Ludwig Storch). Die dunklen, oft weit ausgedehnten Waldungen der westlichen Lausitz belebt die Sage mit allerlei Gestalten. In den weiten Forsten, welche meist die Höhen der westlichen Lausitz überziehen und miteinander verbinden, jagt Berndittrich, der wilde Jäger. Wenn die Stürme das Geäst der dunklen Waldbäume durchbrausen und die Wolken am Himmel dahintreiben, dann hält er seinen Jagdumzug in den betreffenden Wäldern. Um die Mittagszeit, aber auch in hellen Mondnächten, eilt durch die Forsten nach dem Volksglauben Dziwica, die wendische Waldgöttin. An Bächen und Seen wohnen noch heute die Nixen. Sie kommen herein in die einsamen Walddörfer und mischen sich unter die tanzende Jugend. In den Bergen hüten noch jetzt Zwerglein die vergrabenen Schätze. An den Berghängen blühen noch gegenwärtig in tiefster Einsamkeit zur Mitternachtsstunde Wunderblumen, mit deren Hilfe man verborgene Türen zu den Schatzkammern in den Bergen finden und öffnen kann. Man rede nur mit dem Großmütterchen drüben im einsamen Dorfe. – Düsteres Gemäuer ist von der Sage lieblich umrankt und mit all ihrem Zauber umsponnen worden, dem immergrünen Epheu der deutschen Volksdichtung.

Die altdeutschen Gottheiten erkennen wir wieder in so mancher Sage, in so mancher Sitte, in so manchem Aberglauben. – Die Sitte des Osterwasserschöpfens finden wir noch heute in manchem Dorfe der westlichen Lausitz, freilich nicht da, wo die eisernen Schienenstränge seit Jahrzehnten eine Gegend durchschneiden und wo die Großstadtluft weht. – An geschichtlichen Denkmälern, die weit bis in die vorchristliche Zeit zurückreichen, ist hier kein Mangel. Dazu haben schöne und sinnige Sagen manchen Ort, Berg, Wald, Fluß und See, ja selbst die einsame, stille Heide, mit einem duftenden Gewande umhüllt. Will der Wanderer freilich davon etwas merken, dann muß er wiederholt rasten und mit den Bewohnern verkehren und plaudern. Der Lausitzer ist bieder und schlicht, treu und mitteilsam, gastfreundlich und beredt. Ihm geht das Herz auf, wenn er fühlt, daß auch der „Fremde“ die Lausitz schön findet.

So bietet die westliche Lausitz, nicht minder auch das übrige östliche Sachsen nicht nur dem Naturfreunde alles das, was er sucht und gern hat, sondern auch der Geschichtsfreund findet hier so manchen kostbaren Schatz, so manche verborgene Perle, wie ihm nunmehr bewiesen werden


  1. Dr. Curt Müller-Löbau: „Die Oberlausitzer Landschaft“. Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung vom 7. Juni 1902.