W. H. Riehls Geschichten und Novellen

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Titel: W. H. Riehls Geschichten und Novellen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 835
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[835] W. H. Riehls Geschichten und Novellen. Es ist gerade ein Jahr her, daß der Tod Wilhelm Heinrich Riehls uns zum Anlaß wurde, in einem Nachruf die gesunde Volkstümlichkeit und den echt deutschen Charakter seines Denkens und Dichtens zu rühmen. Die fünfzig Geschichten und Novellen, die er uns in den sieben Bänden „Kulturhistorische Novellen“, „Geschichten aus alter Zeit“, „Neues Novellenbuch“, „Am Feierabend“, „Aus der Ecke“ und „Lebensrätsel“ hinterlassen, sind deutsche Volkserzählungen im besten und höchsten Sinne. Mit ganz besonderer Genugthuung begrüßen wir es daher, daß die Verlagshandlung es unternommen hat, der Nation dieses kostbare Erbe in einer Volksausgabe zu billigem Preise darzubieten, von welcher die ersten Lieferungen nun vorliegen. In Bezug auf die äußere Ausstattung schließt sich das Unternehmen den gediegenen Volksausgaben der Schriften Berthold Auerbachs und Ludwig Anzengrubers an, welche im Laufe der letzten Jahre im gleichen Verlage erschienen sind.

Riehls Novellen beschränken sich nicht auf die Schilderung des Volkslebens einer bestimmten Landschaft. Sie spielen in Stadt und Land, in den verschiedensten Gauen des Vaterlandes und in allen Zeitaltern deutscher Geschichte. Alte Zeiten und Sitten bilden die Grundlage der stimmungsvollen Lebensbilder, aber das Vergangene darin macht uns die Poesie gegenwärtig. Riehls Interesse an deutscher Vorzeit, an altem Brauch und alter Sitte der Vorfahren war kein Produkt der Gelehrsamkeit, es wurzelte ihm tief im Gemüt als lebendiges Gefühl für den organischen Zusammenhang zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit unseres Volkes, als innige Vorliebe für alles, was dem deutschen Volksgemüt auch heute noch lieb und teuer und von lebendiger Bedeutung ist. Was er als Gelehrter erforschte, gestaltete ihm die Phantasie zum warmpulsierenden Leben. Seine ersten Schriften waren noch schildernder Art, auf Grund derselben wurde er als Professor nach München berufen. Und gerade diese Berufung zum Professor wurde entscheidend für seine Entwicklung zu einem der besten Novellisten der Weltlitteratur.

In München hatte zu Anfang der fünfziger Jahre König Maximilian II von Bayern jenen Dichterkreis um sich versammelt, dessen jugendfrisches Schaffen von so hoher Bedeutung für den künstlerischen Aufschwung unserer poetischen Litteratur nach den Stürmen des Jahres 1848 wurde. In diesen Kreis trat Riehl, herzlich bewillkommnet, ein. Heyse und Geibel wurden seine intimsten Freunde. Alle drei waren damals jung verheiratet. Ihre Wohnungen hatten sie in derselben Gegend. Da die übrigen litterarischen Freunde allesamt tiefer in der Stadt wohnten, so erschienen sich die drei wie ein vorgeschobener Posten und nannten sich „die Ecke“. Je am anderen Sonntag kamen die Ehepaare in dem Salon einer befreundeten alten Dame zusammen, welche an der Spitze der „Ecke“ wohnte; dies war Frau Elisabeth v. Ledebour, die Witwe des berühmten Dorpater Botanikers, eine vom regsten geistigen Interesse beseelte Dame. Ein allezeit fröhliches Heidelberger Kind, Fräulein Julie Dreuttel, unterstützte sie im Hauswesen. Dort besprachen die Männer in heiterer Geselligkeit ihre neuesten Arbeiten und Entwürfe und lasen vor, was sie ganz oder halb vollendet hatten. In der Einleitung zu dem späteren Novellenband „Aus der Ecke“ hat Riehl hierüber gar anziehend berichtet. Das Beispiel der Dichter wirkte ansteckend auf sein Talent. Riehl seinerseits schrieb zunächst an seinem Buche „Die Familie“ und gab davon Proben. Allein bald empfand er, daß abhandelnde Prosa sich doch nicht so gut liest und hört wie erzählende. Er entsann sich seiner ersten Versuche auf dem Gebiet der Novelle und bearbeitete sie unter dem läuternden Einflusse Paul Heyses. Und bald schrieb er neue Novellen „zuerst für die Ecke, dann aus der Ecke“. Diesem Ursprung hat die Riehlsche Novellistik noch einen weiteren Vorzug zu danken. Gleich die ersten seiner kunstgemäßen Erzählungen schuf er mit dem Bewußtsein, daß sie zum Vorlesen vor einem Publikum bestimmt waren, dem junge Frauen und Mädchen angehörten. Auch alle späteren Novellen Riehls haben die Eigenschaft, sich im seltenen Maß zum Vorlesen im Familienkreise zu eignen. So frei von zager Prüderie der männliche und mannhafte Geist Riehls zeitlebens war, so sehr es ihn drängte, die Leiden und Freuden der Menschen in den Niederungen des sozialen Lebens zu schildern, aus seiner Feder ist nichts erflossen, was keuschem Sinne beleidigend wäre. Und so unerschöpflich die Welterfahrung und geschichtliche Bildung ist, die sich in Riehls ernsten und heiteren Erzählungen aus tausend Jahren deutscher Geschichte spiegeln, so gemeinverständlich, klar und schlicht ist die nur andeutende Form, in welcher Riehls Wissensreichtum darin zum Ausdruck gelangt. In ihnen allen hat der Dichter bethätigt, was ihn wiederholt veranlaßt hat, sich einen Geistesverwandten Ludwig Richters zu nennen. Seine Tendenz war, die guten Sitten alter Zeit für die Gegenwart fruchtbar zu machen. Aber diese Tendenz blieb immer von dem Bewußtsein geleitet, daß die Welt fortschreitet und fortschreiten muß, daß der „guten alten“ Zeit die bessere neue gefolgt ist. Aus diesem Fortschrittsglauben stammt die sonnige Grundstimmung der Riehlschen Novellen, stammte seine Auffassung, daß die Kunst des Dichters nicht berufen sei, uns des Lebens Qual zu verstärken, sondern uns über sie zu erheben, indem sie uns Freude bereitet. … So möge denn die erste Gesamtausgabe dieser Volkserzählungen ihnen im deutschen Volke zu jener Verbreitung verhelfen, die sie um all dieser Vorzüge willen verdienen!