Vorbericht zu: III. An Marcello Malaspina.
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III. An Marcello Malaspina.
Ueber diesen zwar kurzen aber anziehenden Brief hat Herr Professor Witte in den Blättern für literarische Unterhaltung, 1838, Nr. 150, sowie in den von mir und ihm herausgegebenen „lyrischen Gedichten Dante’s“ 2. Auflage, 2. Theil, S. 117 und S. 234-39, nähere Nachricht gegeben und gezeigt, „daß derselbe nach den verunglückten Versuchen der vertriebenen Weißen, mit Waffengewalt nach Florenz zurückzukehren (1304), nach der Einnahme des ghibellinischen Pistoja (1306), und nach dem Capitanat des Marcello in dieser Stadt (1307), ja selbst nach dem Ausbruch der Mishelligkeiten zwischen Marcello und den Florentinern (1308); aber vor dem Beginn des Römerzuges Heinrich’s VII, daß er also vermuthlich im Jahre 1309 geschrieben ist.“ Unter den verschiedenen Malaspina’s, die den Namen Marcello geführt haben, bezeichnet derselbe den Marchese di Giovagallo, Sohn des Manfredi Lancia und Enkel des Currado l'Antico (Purgat. 8, 119), Gemahl der Alagia Fieschi (Purg. 19, 142), mit Einem Worte den berühmtesten Marcello als Denjenigen, an den dieser Brief gerichtet war, und nimmt an, der Brief sei von einer der Burgen der Grafen Guidi von Romena, vielleicht von der des Grafen Guido Salvatico im Casentino geschrieben. Ueber den Inhalt drückt sich derselbe folgendermaßen aus: „Der Dichter meldet seinem Gönner: kaum von dessen Hofe, nach welchem er sich oft zurückgesehnt und an dem seine Unempfänglichkeit für weibliche Reize nicht selten ein Gegenstand der Verwunderung gewesen, zu den Quellen des Arno (vielleicht zum Grafen Guido Salvatico, anderm Geschwisterkinde des Alessandro von Romena) heimgekehrt, habe er ein Weib [170] erblickt, die Liebe zu dieser sich unwiderstehlich seiner bemächtigt, alle andern Gedanken in ihm verdrängt und ihn durchaus umgewandelt. Eine, diese Gefühle weiter ausführende Kanzone scheint dem Briefe beigelegt zu sein, und man darf nicht fürchten fehlzugreifen, wenn man sie in der mit den Worten: „ Amor dacchè convien pur ch'io mi doglia“ beginnenden (in der Ausgabe von Kannegießer S. 164) wiedererkennt, welche mit dieser prosaischen Schilderung auf das entschiedenste übereinstimmt usw. usw.“ Hier mag auch noch der Anfang des Briefes des Herrn Dr. Heyse zu Rom an Herrn Professor Witte vom 21. Nov. 1840 stehen, den Letzterer in der vorher angeführten Uebersetzung und Erklärung der lyrischen Gedichte Dante’s mittheilt: „Der Brief an Marcello Malaspina ist gewiß ein schöner Fund und macht mir besondere Freude. Ein Herzensgeständniß an einen vertrauten Freund, aber ein Geständniß im Styl Dante’s. Was gewöhnliche Seelen nur wie vorüberstreifend berühren würde, faßt und erfüllt hier den ganzen Menschen, verschlingt für den Augenblick alle seine Kräfte. Und wie er es empfangen, wirft der Spiegel seines Geistes das Erlebniß in zauberhaft großen Formen, ja mit Blitz und Flammen zurück. Er kann nicht erzählen, er kann nur dichten; unwillkürlich wird ihm die Bekanntschaft zur Erscheinung. Aber je poetischer und sublimer sein Bericht, desto wirklicher mußte der Anlaß sein, und thöricht wär’s, obwol ganz im Sinne der italienischen Ausleger, auch hier eine ich weiß nicht welche, Allegorie vorauszusetzen. Dante war nicht der Mann, sich erst aus dem Stegereife in ein Gespenst seiner Phantasie zu verlieben, und hernach noch einen guten Freund zu mystificiren, dem er eine Zahl Gedichte als lebendige Zeugen seiner Leidenschaft sendet. Daß von Beatrice hier nicht die Rede sein kann, und daß jene Gedichte, welche den Brief begleiteten, nicht etwa Theile der göttlichen Komödie waren, versteht sich wohl. – Wir dürfen nicht [171] zweifeln: diese schönheitsstralende Frau war ungeachtet ihrer Gewalt und Herrlichkeit nicht mehr und nicht minder als eine jener immagini false, deren Verehrung Dante am Eingang des Paradieses vor der beseligenden Liebe seines Geistes abzubüßen hatte u. s. w.“
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