Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Vor vierzig Jahren!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 362–365
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[362]
Vor vierzig Jahren!
Ein zeitgeschichtlicher Rückblick von Fr. Hofmann.


Am zehnten Mai dieses Jahres wurde uns folgendes Telegramm aus Neustadt an der Haardt in der Rheinpfalz mitgetheilt: „Telegraphie des deutschen Reichs. Erlaubniß von München soeben eingetroffen. Bürgerversammlung Sonntag Mittag. Ausschußsitzung heute.“ Diese Nachricht sagt uns, daß das öffentliche Jubiläum eines Festes, das vor vierzig Jahren den Hochpunkt einer großen sturmdrohenden Bewegung bildete und zur Rechtfertigung der gehässigsten Reaction mißbraucht wurde, von König Ludwig dem Zweiten großherzig gestattet worden ist.[1]

So werden denn am siebenundzwanzigsten Mai deutsche Männer und Frauen nicht blos aus der ganzen Pfalz, sondern auch aus dem alten und dem neuen Reiche festgeschmückt und festgestimmt zur selben Stätte hinaufziehen, wo am selben Tage 1832 das Hambacher Fest gefeiert worden ist.

Bei unseren Lesern dürfen wir es als bekannt voraussetzen, in welchem Zustande Deutschland von der französischen Julirevolution [363] von 1830 überrascht wurde. Des Bundestags einzige und höchste Sorge war bis dahin gewesen, die patriotische Begeisterung der Befreiungskriege wieder zu ersticken, die Souveränetät der Einzelstaaten und den Glanz der Dynastien zu befestigen, trotz der Verheißung des Art. 19 der Bundesacte die gegenseitige Zollabsperrung und Verkehrshemmniß im Innern unangetastet zu lassen, trotz des Art. 13 die Bildung constitutioneller Einrichtungen zu hintertreiben und unter dem Schutz der heiligen Allianz, zu welcher das arme Deutschland zwei Großmächte stellte, den Absolutismus zu verewigen. Jede Regung nicht etwa liberalen, sondern nur vaterländischen Geistes ward zum Verbrechen gestempelt, wie die Verfolgung der Burschenschaft, der Universitäten, der Lehr- und Preßfreiheit, wo sie ja noch bestand, beweist. Und wie war es ihm gelungen, in der großen Masse der Bevölkerung der Mittel- und Kleinstaaten gegenseitige Abneigung und Entfremdung durch gegenseitige Polizeihudeleien bis zum Haß zu wecken!

Daß solcher Gewalt gegenüber und unter so erbärmlichen Volkszuständen es dennoch Männer gab, welche nicht an der Zukunft unserer Nation verzweifelten, sondern es wagten, den geistigen Kampf gegen alle Brutalitäten der Metternich’schen Herrlichkeit zu beginnen, das ist’s, was uns noch heute zum Dank verpflichtet gegen die Kämpfer und Märtyrer von 1830 bis 1833, und das giebt zur Feier des Glanzpunktes jenes Kampfes, der großen Volksversammlung auf dem Hambacher Schloßberge, gerade in unseren Tagen des hohen patriotischen Glücks, der Erfüllung der damals so unerbittlich niedergetretenen Bestrebungen die vollste Berechtigung.

Von Parteibildung und Parteidisciplin konnte damals nur in den wenigen freieren Verfassungsstaaten die Rede sein. Im größten Theil von Deutschland führte nur das Gefühl der Schmach über die bestehenden Zustände die gleichgesinnten Männer zusammen. Da aber in den vielen Residenzen und den Städten mit zahlreicher Beamtenschaft die Mehrzahl der Handwerker in ihrem Erwerb vom Hofe und dessen Anhängern abhängig waren, so konnten nur selbstständige Männer sich offen der Bewegung anschließen, und darum war ihre Zahl überall gering; auch das gesammte Landvolk stand der Bewegung noch fern. Nur in Baden und am meisten in der Pfalz war Einmüthigkeit wenigstens im Haß gegen das altbaiersche Beamtenregiment, und darum konnte nur in der Pfalz ein solches Fest gefeiert werden. Der Aufruf dazu, von Siebenpfeiffer verfaßt, mit der Ueberschrift: „Der Deutschen Mai“ begann also: „Völker bereiten Feste des Dankes und der Freude beim Eintritt heilvoller großer Ereignisse. Darauf mußte das deutsche Volk seit Jahrhunderten verzichten. Zu solcher Feier ist auch jetzt kein Anlaß vorhanden, für den Deutschen liegen die großen Ereignisse noch im Keim; will er ein Fest begehen, so ist es ein Fest der Hoffnung; nicht gilt es dem Errungenen, sondern dem zu Erringenden, nicht dem ruhmvollen Sieg, sondern dem mannhaften Kampf, dem Kampf für Abschüttelung innerer und äußerer Gewalt, für Erstrebung gesetzlicher Freiheit und deutscher Nationalwürde.

Das war der Geist, der zum Hambacher Fest aufrief, und dieser Geist leitete auch die Feier. Das Hambacher Fest war das Wartburgfest der deutschen Männer. Es war zugleich eine Anerkennung des Strebens der Burschenschaft; denn hier zuerst steckte das deutsche Volk als sein gemeinschaftliches Zeichen die schwarzrothgoldene Fahne auf: dieselbe Fahne, die 1848 auf allen deutschen Fürstenschlössern und Rathhäusern wehte, die bei Düppel und Eckernförde die Blut- und Feuertaufe erhielt, bei allen Nationalfesten glänzte, die der Nationalverein dem Volke vortrug und an die sich endlich (1866!) auch noch der durchlauchtigste deutsche Bundestag anklammerte in seiner höchsten und letzten Noth! –[2]

Das Fest hatte auf dem Hambacher Schloßberg gegen dreißigtausend Deutsche versammelt, in Massen aus den Rheinlanden, in Deputationen von den damals in vielen Städten gegründeten „Vaterlandsvereinen“ und viele Studenten aus dem gesammten übrigen Deutschland; dazu war noch eine Anzahl Franzosen (besonders aus dem Elsaß) und Polen gekommen. Auch Börne war von Paris herbeigeeilt. Nachdem die Fahne mit der Inschrift „Deutschlands Wiedergeburt“ aufgepflanzt war, eröffnete und entwickelte Siebenpfeiffer die Bedeutung des Tages. Der Hauptredner war Wirth, damals der gefeiertste Mann am ganzen Rhein, einer der edelsten Führer-Geister der Deutschen. Er trat als Liberaler wie als Patriot mit gleicher Entschiedenheit auf. Er zürnte auf jenen gedankenlosen kosmopolitischen Liberalismus, welcher die Nationalitätsfrage ungebührlich vernachlässigt habe, aber ebenso heftig auf jenen Oppositionseifer gegen die verhaßte altbairische Politik, welcher sich bereits so weit verirrte, mit dem Anschluß an Frankreich zu drohen. „Der Kampf um Vaterland und Freiheit,“ rief er, „muß von innen heraus geführt werden. Nimmer soll die Freiheit mit einer neuen Entehrung, mit der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich, erkauft sein! Bei jedem Versuche Frankreichs, nur eine Scholle des deutschen Bodens zu erobern, hat jede Opposition im Innern zu schweigen!“

Wenn Wirth die Rettung Deutschlands nicht mehr von den regierenden Fürsten erwartete, so sprach er eine durch die damaligen Erfahrungen im Staatsleben immer rascher um sich greifende Ansicht aus. Ueberhaupt war der ernste Mann sich darüber vollkommen klar, daß er, wie Moses, seinem Volke ein Ziel stecke, das er selbst nimmermehr erreiche. Er sah die Verfolgungen voraus, die über ihn und seine Mitstreiter hereinbrechen würden, und ebendeshalb war er gewissenhaft besorgt für die Schaaren der Studenten und anderer gebildeter Jünglinge, die in schwärmerischer Begeisterung an seinen Lippen hingen. Als am Ende seiner Rede Frankfurter Bürger ihm einen Ehrendegen überreicht hatten, wandte er sich an verschiedene der ihm deshalb zujubelnden Gruppen der Jünglinge mit ernster, fast trauriger Mahnung. Eingedenk deß, daß die zukünftigen Zeiten auch Männer brauchen, verschwieg er ihnen nicht, daß die Reaction diesmal noch siegen werde. „Es sind der Märtyrer unserer Sache genug,“ sagte er. „Spart Eure Kraft für einen spätern Kampf! Wer nicht sich und seine Hoffnungen zu opfern bereit ist, der trete jetzt zurück!“

An ihm erfüllte sich seine Ahnung, aber am Ende freundlicher als an Siebenpfeiffer, denn während dieser in noch hoffnungsloser Zeit, 1845 starb, sah Wirth die Sonne von Achtundvierzig aufgehen und starb, selbst ein Reichsvolksbote zu Frankfurt am Main, gerade im rechten Augenblick, da eben Erzherzog Johann seinen Einzug als Reichsverweser mit der schwarzrothgoldenen Schleife im Knopfloch hielt.

Das Hambacher Fest verlief, wenn auch einzelne Reden lauteren Jubel oder Unwillen hervorriefen, äußerlich friedlich. Der nachhaltigste Theil desselben spielte sich nicht auf der Rednerbühne ab, sondern in den vertrauten Besprechungen der Führer und Abgeordneten der Vaterlandsvereine; bei denselben und in einer Berathung am anderen Tag in Neustadt wurde Allen als Hauptpflicht ans Herz gelegt: durch vereinigtes Streben die Preßfreiheit auf gesetzlichem Wege zu erringen. Das geschah mit Hülfe der „Preßvereine“, die nun mit den „Vaterlandsvereinen“ verbunden oder wenigstens neu angeregt wurden.

Die von der Censur gestatteten Zeitungsberichte über das erste große deutsche Nationalfest der Zukunftshoffnungen gaben nur Caricaturen desselben; die gesammte Regierungspresse geiferte vor Wuth. Das wahre Bild des Festes war nur aus den mündlichen und brieflichen Berichten in den Vaterlandsvereinen zu erkennen. Einem solchen Vereine gehörte ich, damals ein Neunzehnjähriger, an und erfuhr an mir selbst, wie hier die Saat gesäet wurde, zu welcher die Reaction, immer unsere sachförderlichste Alliirte, durch ihre die Verbitterung in immer weitere Kreise der Nation verbreitenden Gewalt-Maßregeln den besten Dünger lieferte: die Saat zum Jahre 1848! –

Menschen, die nur den Erfolg preisen und denen jedes Verständniß für die Würdigung vorkämpfenden politischen Ringens abgeht, haben ihren Hohn auch auf das Jahr 1848 und seine Helden und Märtyrer ausgegossen, wie ihre Vorgänger auf jene Hambacher Tage. Auch gegen diesen Volksundank ist das Jubiläum von Hambach ein beredter Mahner, und schon deshalb begrüßen wir seine Feier mit patriotischer Herzerhebung. Ist sie doch als ein doppeltes Dankfest verkündet: für die alten, fast vergessenen Freiheitsstreiter und Märtyrer und für die Helden [364] und Opfer unseres letzten großen Krieges! So giebt man auch hier „dem Volke, was des Volkes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist“ – und versöhnt die alte mit der neuen Zeit! –

Dennoch wär’s ein Unrecht, wenn wir nicht einen einzigen Blick auf die reactionäre Jahresfeier des Hambacher Festes im Jahre 1833 werfen wollten.

Zwei Vorgänge hatten die Kluft zwischen den beiden feindlichen Partei-Heerlagern erweitert: die berüchtigten Bundesbeschlüsse vom 28. Juni 1832, welche, schon vor dem Hambacher Feste fertig, jetzt angeblich als Folgen desselben erst veröffentlicht wurden, die constitutionellen Staaten ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubten und die Deutschen vor aller Welt auf das Unwürdigste erniedrigten, und das Frankfurter Attentat am 3. April 1833! – Zu anderen Zeiten würde man diesen Streich patriotischer Verzweiflung zum großen Theil noch unzurechnungsfähiger junger Leute zwar bestraft, aber sicherlich nicht zur Rechtfertigung neuer Unterdrückungsmaßregeln gegen das ganze Volk ausgebeutet haben. Zunächst sollte die Pfalz die Folgen davon spüren.

Die nachfolgenden Thatsachen entnehme ich dem amtlich veröffentlichten „Protocoll des Kreislandraths vom 6. Juli 1833“, und der „Darstellung der blutigen Ereignisse vom Pfingstfeste 1833, auf dem Hambacher Schloßberge, im Dorfe Hambach und in Neustadt an der Haardt. Neustadt 1833“, einer Druckschrift, welche von sämmtlichen Mitgliedern des Neustädter Gemeinderaths unterzeichnet und nirgends widerlegt worden ist.

Schon Mitte Mai erließ die bairische Regierung einige Rescripte, welche das Erstaunen der Pfälzer Bevölkerung erregten. Man befürchtete eine Wiederholung des Hambacher Festes. Da nun aber alle Redner und viele hervorragende Führer jenes Festes, wie Wirth, Siebenpfeiffer, Pfarrer Hochdörfer, Candidat Scharpf, die Advocaten Schüler, Savoye und Geib, Buchdrucker Rost etc., seit Jahr und Tag in Untersuchungshaft schmachteten, so war weder Lust noch Anregung zu einer solchen Feier vorhanden und nirgends ein Aufruf dazu ergangen. Dennoch sprach die oberste Landesbehörde von „bedrohten Punkten“ und traf Anstalten wie gegen die Gefahr eines Aufstandes. Schon am 22. Mai rückten zahlreiche Truppen, Infanterie, Cavallerie und Artillerie in Neustadt ein, die Wohnungen „Verdächtiger“ wurden mit schwerster Einquartierung belastet, Officiere und Gemeine zeigten sich schon da einverstanden in der Mißhandlung von „Civilpersonen“ und schließlich erschienen der General Horn und der Regierungsdirector Fürst Wrede als Militär- und Civilcommissäre in Neustadt.

Nun wollte es der leidige Zufall, daß der Pfingstmontag, an welchem seit unvordenklichen Zeiten die Bewohner Neustadt’s und der umliegenden Ortschaften auf die Hambacher Ruine steigen und dort sich nach Landesart einen guten Tag machen, gerade auf den Siebenundzwanzigsten fiel. Fürst Wrede wurde von den Neustädter Stadträthen hiervon in Kenntniß gesetzt; er beruhigte sie, sprach, es solle Niemand gehindert werden, den Ort zu besuchen, und fügte hinzu: „Gehen Sie hinauf auf das Schloß, seien Sie lustig und vergnügt, nur sorgen Sie, daß kein öffentlicher Zug mit Fahnen und keine Reden stattfinden.“

Trotz dieser friedlichen Zusicherungen fanden die Berggäste die Burg von Soldaten und Gensd’armen besetzt, und schon auf dem Wege hinauf waren sogar Frauen von Soldaten mit den Gewehrkolben mißhandelt worden. Die Besucher durften nur auf der Terrasse Platz nehmen. Es war eben nur die Gewohnheit, die die Leute hier zusammenführte; die Stimmung war schon gedrückt. Da sah man auf einem entfernteren Berge zwei roth-schwarz-goldene Fähnchen plötzlich sich erheben und ebenso rasch wieder verschwinden. Noch heute ist’s unermittelt, ob kindischer Muthwille oder böse Absicht dies Spiel getrieben. Als aber gleich darauf Horn und Wrede nach ihrer Mittagstafel auf dem Schlosse ankamen, erfolgte sofort der Befehl, den Berg von allen Anwesenden mit Gewalt zu säubern.

Und wie geschah dieses! – Es lagen und saßen mehrere Hundert Menschen jeden Alters, und Geschlechts bei ruhiger Unterhaltung in Gruppen umher. Niemand dachte an die geringste Gefahr. Da fielen plötzlich – ohne einen einzigen äußeren Anlaß, ohne daß die Polizei ein Wort der Aufforderung an die Leute gerichtet, ja ohne daß das Militär die gesetzliche dreimalige Warnung vor seinem Einschreiten gegeben – wie absichtlich aus dem Hinterhalte Soldaten und Gensd’armen über die schreckensstarre Menge her. „Sie trieben sie den steilen Berg hinab. Mit den Gewehrkolben, den Säbeln und Bajonneten wurden Männer, Weiber, Jünglinge, Mädchen, Greise und Kinder gräßlich mißhandelt. … Nicht genug, die Menschen von der Spitze des Berges weggetrieben zu haben, verfolgte man sie auch noch den steilen Berg abwärts; die Verfolgten fielen, stürzten in der Eile der Flucht von Felsen zu Felsen; ihre bewaffneten Verfolger blieben ihnen stets auf der Ferse, und wo sie einen Flüchtling erreichten, war er der Kolbenstöße und Bajonnetstiche gewiß.“

Ein Knabe, ein alter Mann, sogar ein Schlafender und ein Sicherheitsgardist wurden lebensgefährlich gestochen. Ein Mann, Peter Heinrich Scharfenberger von Hambach, erhielt über zwanzig Kolbenstöße, vier Hiebwunden in den Arm und in’s Gesicht und zwei Bajonnetstiche; „als er unter diesen Streichen zusammengestürzt war, riß ihn ein Gensd’arm auf und zog ihn mit Gewalt an dem verwundeten Arme den Berg hinab, bis der obere Markknochen aus dem Schultergelenk herausgerissen war; trotz seines erbarmungswürdigen Zustandes wurde er geschlossen in’s Arresthaus gebracht und erst nach zweimal vierundzwanzig Stunden, die er ohne Bett zubringen mußte, wurde ihm ärztliche Hülfe verschafft!“ – Zwei Jünglinge, siebenzehn und vierzehn Jahre alt, wurden von hinten geschossen, ebenso ein Familienvater; Letzterer starb. Zu gleicher Zeit wurde überall im Freien und auf den Straßen von den Soldaten jeder Bürgerliche, dessen sie habhaft werden konnten, mit Ohrfeigen, Faustschlägen, Kolbenstößen, Säbelhieben mißhandelt; ja vor der Hauptwache war eine förmliche Prügelanstalt errichtet, ein Unterofficier leitete die Mißhandlungen und brüllte: die Neustädter Bürger hätten solche Züchtigung verdient. Selbst in Häuser und Höfe drangen die Wüthriche und schlugen, wen sie fanden.

Und doch sollte dies nur das Vorspiel der Hauptgräuel sein! – Schon Nachmittags hatten einzelne Soldaten ihren Quartiergebern von grausamen Befehlen zugeflüstert und sie gewarnt, auszugehen; sie hätten Ordre, jeden Bürger, der einen weißen Hut, einen weißen Rock, Laubwerk, eine Blume oder dergleichen trage, zu mißhandeln. Sie riethen ihnen, am Abend ihr Haus zu verschließen, denn es sollten fürchterliche Dinge ausgeführt werden; andere äußerten: es werde am Abend ein Todtenmarsch gespielt werden. All Das wurde jedoch erst nach den Thaten bekannt, und diese begannen, sobald General Horn und Fürst Wrede von Schloß Hambach nach Neustadt zurückgekehrt waren.

Wie an jedem Festabend waren in dem an sich schon übervölkerten Neustadt die Gassen auch vom herbeigeströmten Landvolk belebt; heute hatten die Vorgänge draußen ohnedies Alles auf die Beine gebracht. Beunruhigende Bewegungen waren gleichwohl nirgends zu bemerken. Da brachen plötzlich Patrouillen in alle Straßen und Gassen. Vom Markt her, gassenbreit, sprengte ein Piquet Chevauxlegers auf das Commando: „Den Säbel heraus, Nichts verschont!“ in strengem Trab vorwärts – da wurde niedergeritten und gehauen, was erreichbar war! Fliehenden drangen die Reiter mit den Pferden bis in die Wohnungen nach. Der Bürgermeister-Adjunct, der, mit dem Amtszeichen (breites blaues Band mit großem silbernen Medaillon) angethan, seinen Bürgern helfen wollte, wurde von Soldaten umringt und mit fünf Hiebwunden in Kopf und Gesicht, zwei Säbelhieben auf die Hände, einen Bajonnetstich und unzähligen Kolbenschlägen auf den Kopf, in’s Genick und auf den Rücken bedeckt – ehe er bluttriefend das Rathhaus wieder erreichte. Und kein Arzt durfte es wagen, zu einem Verwundeten zu eilen! – „Was Civil ist, hauen wir zusammen, jetzt haben wir Freiheit!“ und „Schlagt ihn todt, er ist ein Patriot!“ hörte man Soldaten und Gensd’armen durch die Straßen schreien.

Ein altbaierischer Officier brüllte: „Haut Alles zusammen, was Euch begegnet, sprecht kein Wort! Ich will das Hundevolk schon von den Straßen bringen, das Canaillenzeug!“ Einem schwachen Buckeligen wurde in seinem Krankensessel im Zimmer der Arm entzwei geschlagen, daß die Knochen sich durch das Fleisch schoben; auf einen einundzwanzigjährigen Bürgerssohn schlugen und stachen zwölf Soldaten, bis der Unglückliche zusammenbrach, wimmernd: „Laßt mich doch gehen!“ – „Halt’s Maul, Du Vieh!“ und noch ein Schlag – und Todtenstille. [365] Nicht einmal die Leiche gab man den Verwandten heraus, sondern verscharrte das Opfer heimlich! – Genug – genug! Die Hand will sich nimmer zum Schreiben solcher Thaten hergeben. Es ist ja das Allerärgste, daß wir noch das Facit der Rechnung hersetzen müssen: Fünf Stunden, von etwa vier bis sechs Uhr Nachmittags und sieben bis zehn Uhr Abends, hatte die Blutarbeit der Soldaten und Gensd’armen gedauert – und in dieser Zeit stieg die Zahl der verwundeten Bürgerlichen auf mehrere Hundert – von den Soldaten und Gensd’armen hatte nicht ein einziger Mann die geringste Verletzung aufzuzeigen – und ebenso wenig ist Einer bestraft worden. Und doch trieben die Regierungsblätter die Schamlosigkeit so weit, von einem Aufstand zu berichten, welcher mit Energie und Glück niedergeschlagen worden sei! –

Das war die reactionäre Jahresfeier des Hambacher Festes. Wir freuen uns jetzt, daß dieser Artikel nicht vor dem vierzigjährigen Jubiläum in die Oeffentlichkeit gekommen ist: die Wahrheit durften wir nicht verschweigen, und doch hätte sie die Feststimmung gestört und verletzt. Jetzt blickt Jeder ruhiger über das Fest hinüber in die grausige Vergangenheit – und Jeder wird sich die Lehre daraus ziehen, die auch den kommenden Tagen frommt.

Vor Allem ward durch unsern großen gemeinsamen Krieg und Sieg das Eine errungen: daß deutscher Patriotismus keine Todsünde mehr ist – wie von 1817 bis 1870! – Aber sind wir wirklich gegen eine Wiederholung solcher Gräuel geschützt? Bewahrt die bisherige Volksschulbildung dagegen? Nein! Der Quell des Uebels ist noch nicht verstopft. Das ist allein möglich durch wahre vaterländische Volksbildung! Und setzt dies einen Kampf gegen alle Feinde solcher Volksbildung voraus, so hat heute die deutsche Nation die gesetzlichen Mittel in der Hand, auch dieses Ziel zu erringen. Darum scheue man nicht den Blick in die Vergangenheit und auf ihre schwärzesten Blätter: sie sind der beste Mahner an die Mannes- und Bürgerpflicht, die ihre Forderungen an jeden Einzelnen um so höher stellen muß, je größer wir selbst vor den Völkern der Erde heute dastehen sollen.




  1. Diese Entscheidung kommt für die Veranstalter des Erinnerungsfestes noch früh genug, für die Gartenlaube, bei ihrer bekannten Herstellungszeitdauer, zu spät, als daß sie selbst eine Verkünderin des neuen Tages von Hambach sein könnte; ehe diese Nummer in die Hand des Lesers kommt, ist die Festbeschreibung schon durch alle Zeitungen gegangen.
  2. Die wahre Entstehungsgeschichte dieser Fahne werde ich nach der mir hinterlassenen Handschrift eines Mannes, der sie mit „zusammengesetzt“ hat, jetzt, wo es nur noch ihre geschichtliche Ehre zu retten gilt, nächstens in der Gartenlaube mittheilen.