Textdaten
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Autor: E. K.
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Titel: Von unserm Lieblingssänger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 82–84
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Von unserm Lieblingssänger.


Es ist kein Wunder, daß die Verehrer des Canarienvogels nach vielen Tausenden zählen und daß ihre Zahl sich in der gesammten gebildeten Welt immerfort mehrt, und hoch obenan unter allen Canarien steht unbedingt der Vogel des Harzes. Er ist ein Sänger, dessen wundervolle Töne wohl die Entscheidung schwer machen, ob ihm die Palme gebührt oder den Gesangsköniginnen: Nachtigall, Sprosser, amerikanische Spottdrossel. Umsomehr ist es aber zu bedauern, daß es einige Uebelstände giebt, welche uns diesen theuergewordenen, goldigen Hausschatz zu beeinträchtigen und über kurz oder lang wohl gar völlig zu entziehen drohen.

Mit vollem Rechte haben die Sachkundigen darauf hingewiesen, daß der Harzer Canarienvogel in den besten Stämmen zweifellos zu Grunde gehen muß, wenn die Zucht und der Verkauf an Ort und Stelle, sowie die Behandlung von Seiten der Liebhaber nicht demnächst durchgreifende Veränderungen erleiden. Möchte diese Darstellung dazu dienen, die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen in der That hochwichtigen Gegenstand zu lenken, um den kostbaren Vogel, der gleichsam als ein deutsches Nationalgut betrachtet werden darf, in seinem vollen Werthe zu erhalten.

Zunächst ist es ein Haupterforderniß, daß die große Mehrzahl aller gebildeten Leute den Vogel wirklich gründlich kennen lerne. Diese Kenntniß hat sich in den letzten Jahren förmlich zu einer Wissenschaft herausgebildet, und ich will auf Grund der Kundgebungen der hervorragendsten Kenner und Züchter, namentlich der Herren Controleur Böcker in Wetzlar, Lehrer Wiegand in Anspach und Händler Maschke in Andreasberg, in der in Berlin erscheinenden Zeitschrift „Die gefiederte Welt“, sowie nach eigenen Erfahrungen eine Schilderung des Harzer Vogels nach seinem ganzen Wesen geben und damit zugleich den Aufsatz in Nr. 11 der „Gartenlaube“ 1875 im Wesentlichen ergänzen.

Während die gemeinen und Harzer Canarienvögel in der Gestalt und Färbung nur wenig von einander abweichen (man findet goldgelbe und isabellfarbene Vögel unter den letzteren kaum), sind sie im Gesange und in der Lebensweise doch durchaus verschiedenartig. Der gemeine Canarienvogel wird für jedes musikalisch gebildete Ohr durch die Einförmigkeit seines Gesanges, vornehmlich aber durch die scharfen und schmetternden Töne nur zu leicht unausstehlich. Der vorzüglichste Sänger unter allen Finken, sagt Wiegand, ist der Harzer Canarienvogel. Man unterscheidet: erstens Kollervögel, zweitens Hohlroller, drittens Gluckervögel, viertens Rollvögel oder gewöhnliche Roller. Die Kollervögel sind seit mehreren Jahren in der Abnahme begriffen, der reine Gluckervogel ist fast gänzlich ausgestorben, dagegen werden auf Kosten jener jetzt beinahe nur Hohlroller und Roller gezüchtet.

Ein vorzüglicher Harzervogel leistet durch sein herrliches Lied Erstaunliches, und unter den Vogelliebhabern giebt es noch Tausende, welche den wundervollen Gesang der besten Stämme niemals gehört haben, die ihn daher nicht zu würdigen vermögen und namentlich nicht wissen, welche Forderungen von dem Kenner an die vorzüglichsten Canarien gestellt werden. Der Lockton eines solchen Vogels muß zart und flötenartig sein; er darf denselben aber nur selten hören lassen. Lockt der Vogel, ehe er sein Lied vortragen will, sechs- bis achtmal, so ist dies fehlerhaft; lockt er zwei- bis dreimal zart und leise, so läßt sich dies das Ohr des Kenners allenfalls gefallen, lockt er aber vor Beginn des Liedes gar nicht, so ist der höchsten Anforderung Genüge geleistet. Der Gesang muß mit einer zarten, langen Hohl- oder Lispelrolle beginnen, wohl auch mit einer feinen Flöte oder Hohlpfeife, wie „hü, hü, hü,“ drei- bis sechsmal erklingend. Im letztern Falle muß stets eine schöne, edle Rolle auf die Flöte folgen. Beginnt der Vogel mit einer edlen, leisen Rolle, so ist es dem Kenner am erwünschtesten, wenn dieselbe etwas angeschwellt wird; doch Vögel, welche diesen Anfang stets hören lassen, sind selten. Auf die Anfangsrolle müssen zwei bis drei andere, edle Rollen folgen[WS 1], und dann darf ein feiner Pfiff, eine Hohlflöte oder auch ein Glockenton, wie „dü, dü,“ oder „tü, tü,“ oder „du, du,“ oder „tzü, tzü,“ oder „tzu, tzu“ folgen. Sechs- bis zehnmal müssen letztere Töne angeschlagen werden und nicht hastig nach einander, sondern langsam, gemessen, getragen. Am schönsten ist jetzt der Fortgang des Liedes, wenn auf diese Nachtigalltöne eine ganz tiefe, lange Baßrolle folgt; nach dieser darf eine Hohlrolle, eine Hohlpfeife oder eine Koller kommen. Folgt auf die Baßrolle eine feine Hohlrolle, so klingt nach dieser die Koller am schönsten. Auf die Koller soll eine tiefe Hohlpfeife folgen und in dem Fortgange des Liedes müssen Hohlrollen, Schnatterrollen, nur wenige feine Triller, Klingelrollen, Gluckertöne, Schwirrrollen mit der Koller oder Baßrolle und den Hohlpfeifen in anmuthigen Verbindungen abwechseln. Der Schluß ist am schönsten, wenn ein tiefer Nachtigallton einmal angeschlagen wird, wie „tzü“ oder „tzu.“ Doch solche Vögel sind wiederum sehr selten. Die Länge und Vielfältigkeit der Touren bedingt ebenso sehr den Werth des Vogels, wie die Feinheit des Gesangorgans und die Schönheit der Stimme. Die Touren müssen so lang gezogen werden, daß man mindestens bis zwölf, allenfalls bis fünfundzwanzig und höchstens bis dreißig zählen kann. Ferner darf der Sänger nicht in seinem Gesange abbrechen, wenn er etwa drei bis sechs Touren gesungen hat, sondern er muß durchschlagen, das heißt er muß sein ganzes Lied ruhig und ohne Erregung, gleichsam leidenschaftslos und im vollen Zusammenhange vortragen. Er darf weder zu viel, noch zu wenig singen.

Damit die Liebhaber noch wissen mögen, welche technischen Ausdrücke für die Benennung der einzelnen Touren bei den Kennern und Züchtern gangbar sind, will ich dieselben noch anführen: Triller, grobe Rolle, Schnarrrolle, Krachrolle, Wasserrolle, Lispelrolle, Schwirrrolle, scharfe Schnatterrolle, feine Schnatterrolle oder Hohlschnatter, auch feine Schnatter genannt, Baßrolle, Hohlrolle (gerade abwärts gebogene und aufwärts gebogene Hohlrolle), Klingelrolle, Kollerrolle, Gluckerrolle, Pfiffe, Hohlpfeife, Glockentöne oder Nachtigalltöne, Gluckertöne oder Glucker, Wasserflöte Wasserglucker, Schnatterglucker, Koller, Gluckerkoller. Ich habe mit den minder schönen Touren im Aufzählen begonnen und so steigend die schöneren folgen lassen. Am herrlichsten erklingt eine tiefe, lange, abwärts gebogene Koller.

Die Feinheit der Stimme und der edle Ton des vorzüglichsten Kollervogels und des feinen Hohlrollers übertrifft jeden andern Sänger der Lüfte. Im Wohnzimmer, selbst im Studirzimmer kann man den feinen, leisen, anmuthigen Gesang eines solchen Harzervogels ertragen. Selbst wenn die Nerven des Besitzers etwas überreizt sind und ihm die Töne des gewöhnlichen Canarienvogels unausstehlich sein würden, ruft der feine Harzvogel gar oft durch sein herrliches, edles Lied neue Freude, neue Lebenslust, selbst in dem kranken Herzen hervor.

Es ist erklärlich, daß solch ein vorzüglicher Sänger und überaus werthvoller Vogel eine ganz besondere Pflege und Sorgfalt verlangt. Außer den allgemein gültigen Regeln und Erfordernissen der aufmerksamsten Vogelpflege: bestes Futter, regelmäßige Abwartung, äußerste Reinlichkeit und Behütung vor allen übeln Einflüssen, wie Zug, staubige oder verdorbene Luft, Kälte, Nässe etc., bedarf der Harzer Canarienvogel auch noch einiger andern, besondern Verpflegungsmaßregeln. Die Fütterung besteht [83] im besten Sommerrübsamen nebst einer Zugabe von täglich einem Theelöffel voll Eifutter. Den Sommerrübsamen erhält man leider nur selten in brauchbarer Beschaffenheit; gewöhnlich ist er mit Winterrübsamen, Raps und am häufigsten mit Hederichsamen untermischt, und diese Sämereien, namentlich die letztere, sind für die zarten Harzer Canarien geradezu Gift. Guter Sommerrübsamen muß dunkel violettbräunlich sein und einen süßen, wallnußartigen Geschmack haben. Die genannten ähnlichen Samenarten lassen sich bei großer Aufmerksamkeit in folgender Weise unterscheiden: Winterrübsamen und Raps haben dunklere, schwärzlich-braune und der letztere auch weit größere Körner, deren Geschmack entschieden bitterlich ist. Die Körner des Hederichs sind kleiner, glatt und glänzend und von nahezu reinschwarzer Farbe. Beim Zerkauen brennt er scharf wie Senf auf der Zunge.

Für den Einkauf des besten, hederichfreien Sommerrübsamens weiß ich mit gutem Gewissen nur folgende Quellen anzugeben: die Samengroßhandlung von Karl Capelle in Hannover und den Handelsmann Reinecke in Appenrode bei Kynenburg.[WS 2]

Das Eifutter, an welches diese Vögel vom Harze her gewöhnt sind, wird wie folgt bereitet: Ein, frisches, hartgekochtes Hühnerei wird auf einem sauberen Reibeisen fein zerrieben, dann ebenso ein Dreier-Weizenbrödchen, welches bestens ausgebacken, aber nicht braun sein darf und alt und hart ist. Beides wird gründlich untereinander gemischt und mit äußerst wenig Wasser befeuchtet, sodaß das Brodpulver an dem Ei haftet. Man hüte sich jedoch, zu viel Wasser hinzuzusetzen, weil sonst die zarten Vögel nur zu leicht erkranken. Als guten Ersatz für das Eifutter darf man übrigens auch die bekannten Kinder- oder Löffelbiscuits geben und allenfalls auch frische Ameisenpuppen.

Alle übrigen Füttereien, wie Kreuzkraut, Vogelmiere oder Salat, Zucker, Kuchen etc. sind diesen Vögeln entschieden nachtheilig; auch alle anderen Sämereien, wie Mohn, Hanf, gespelzten Hafer und Glanzkorn oder Canariensamen, giebt man ihnen nur dann, wenn sie krank oder schwach sind. Die andauernde Fütterung mit denselben ist ihnen aber schädlich. In der ersten Zeit, sagt Böcker, singen sie bei diesem Futter zwar fleißiger, bald aber werden sie übermäßig fett, verlieren die Lust zum Gesange und vor Allem den metallischen Wohlklang der Stimme.

Frisches Wasser muß der Vogel täglich ein- bis zweimal bekommen und ebenso saubern, nicht zu scharfen und nicht zu staubigen Sand wenigstens wöchentlich einmal, und dazu etwas Kalk, zerstoßene frische Eischalen, Sepienschale oder Tintenfischbein, auch Mörtel von alten Wänden.

Nach Darlegung dieser nothwendigen Pflege wenden wir uns nun zu den vorhin erwähnten Uebelständen.

Der allerschlimmste derselben ist der, daß die Harzer Canarienvögel viel zu früh und in zu großer Anzahl von den Händlern aufgekauft und ausgeführt werden. Der bedeutendste deutsche Großhändler, Ch. Reiche in Alfeld bei Hannover (welcher sogar in New-York ein Zweiggeschäft, Chs. Reiche and brother hat), klagt in der vorhin erwähnten Zeitschrift darüber, daß ein Aufkäufer, mit dem andern wetteifernd, den jungen Vögeln gar nicht mehr die volle Zeit zur Entwickelung läßt.

Keinem dieser herrlichen Sänger ist nämlich der Gesang von vornherein angeboren; jeder derselben muß ihn vielmehr erst von einem Vorschläger, das heißt von einem älteren eingeübten Vogel erlernen. Diese Schule verlangt eine besondere Behandlung. Die jungen Vögel werden in kleinen Käfigen so gehalten, daß sie weder zum Fenster hinausschauen, noch durch anderweitige Zerstreuung von ihrem Studium abgelenkt werdet können. Ja, man gewöhnt sie an’s Verhängen oder Zudecken, das heißt man legt ein dünnes, blaues oder grünes Tuch so über den Käfig, daß der Vogel garnicht sich umblicken kann, sondern alle seine Aufmerksamkeit dem Gesange zuwenden muß. Wenn hierin auf den ersten Blick eine arge Grausamkeit liegt, so ist dies doch thatsächlich keineswegs richtig. Wer die Aeußerungen der Freude und Fröhlichkeit, des Behagens und Vergnügens bei einem Vogel zu beurtheilen versteht, wird es bestätigen müssen, daß diese der junge, fleißige Sänger im vollen Maße zeigt. Er singt so recht ruhig-vergnüglich, und am herrlichsten erfreut uns sein Gesang, wenn des Abends bei Licht die Hülle entfernt wird und er seine wunderlieblichen Touren beginnt.

Da nun die Sänger vor dem völlig eingetretenen Winter keineswegs hinreichend ausgebildet sein können, so ergiebt sich daraus ganz von selber der vorhin erwähnte Uebelstand. Herr Reiche und ebenso die hervorragenderen Händler zweiter Hand, wie Mieth, Schmidt, Dondorf, Pantzer, Wagener (Züchter) in Berlin, Gudera, Geupel-White in Leipzig, Hromada, Zuckerkandel in Dresden, Wenisch, Kaspar in Breslau, Gersten in Hannover, Bonvie in Cöln, Sennhem in Cassel, halten sich, da sie durch die Concurrenz ebenfalls zum frühen Ankauf gezwungen werden, Vorschläger, durch welche die jungen Vögel weiter unterrichtet werden. Außer dem Uebelstande aber, daß die bei weitem größte Anzahl der jungen Canarienvögel doch kaum zu einer tüchtigen Gesangsausbildung gelangen kann, treten nun aber für den Liebhaber, der nur einen oder einige vorzügliche Sänger anschaffen will, andere sehr bedeutsame Nachtheile ein.

Der Hauptversand der jungen Harzer Canarienvögel geschieht durch ganz Deutschland in der Zeit vor und um Weihnachten herum. Nun haben die Händler wohl ihre recht zweckmäßig eingerichteten Versandkäfige und z. B. Maschke in Andreasberg übernimmt Gewähr für die sichere Ankunft bis auf die weitesten Entfernungen hin. Dennoch kann der junge Harzer Vogel bei dem Empfänger in den meisten Fällen nur ein trübseliges Dasein fristen. Der unheilvollste Uebelstand dieser Vogelzucht kommt jetzt nämlich zur Geltung.

Während die Landrace der Canarienvögel bekanntlich sogar den Winter im ungeheizten Zimmer vortrefflich zu überdauern vermag, wird die feine Harzer Race dagegen in einer unheilvoll hohen Temperatur gehalten und gezüchtet. Die Wärme von zweiundzwanzig Grad Réaumur im Durchschnitt (und oft noch viel höher) während der Brutzeit ist in allen Züchtereien Regel; zur Mauserzeit wird sie sogar auf vierundzwanzig Grad Réaumur erhöht, um dann später wiederum bis auf etwa achtzehn Grad Réaumur ermäßigt zu werden. Erklärlich ist es daher wohl, daß der unter solchen Umständen aufgewachsene Canarienvogel in der Obhut des neuen Besitzers bei gewöhnlicher Stubenwärme, also bei drei bis neun Grad unter der gewohnten Temperatur, niemals zum vollen Wohlsein und zur ganzen Entfaltung seines Gesanges gelangt, sondern allmählich verkümmert. Die Züchter und Händler sollten daher alle zum Verkauf bestimmten jungen Vögel durch sehr langsames Herabmindern der Wärmegrade an Stubentemperatur und zur Nachtzeit an noch viel niedrigere Wärmegrade gewöhnen. Erst dann dürfte die Versendung geschehen.

Der letzte Uebelstand der Harzer Zucht ist der, daß dort seit vielen Jahren im Wesentlichen Inzucht getrieben wird. Obwohl ich ganz entschieden ein Gegner derselben bin, so muß ich doch zugeben, daß in gewissen Fällen, wie z. B. bei der Zucht mancher edlen Rinder- und Schafracen, bei den belgischen Brieftauben und andern Thieren, die nothgedrungene, seit Jahrzehnten betriebene Zucht innerhalb derselben Familie sonst auftretende üble Folgen nicht zeigt, sondern sogar die Erhaltung und Vervollkommnung der Race bedingt. Wenn der Canarienvogelzüchter nur mit äußerster Sorgfalt darauf achtet, daß jeder etwa verkrüppelte oder sonst verunstaltete Vogel sofort sorgfältig ausgemerzt werde, so kann die Zucht innerhalb derselben Stämme nicht leicht Verderben bringen. Wer als Liebhaber diese Zucht betreiben will, halte sich jedenfalls an die Rathschläge, welche in dem kleinen Buche „Der Canarienvogel“ von Dr. Karl Ruß (zweite Auflage) gegeben worden sind; sie beruhen auf umfassendster Kenntniß der Pflege und Zucht aller Canarienracen und insbesondere des Harzer Vogels.

Gegen zwei allgemein verbreitete Mißbräuche muß ich noch ganz entschieden auftreten. Man versuche niemals, die Zucht mit Harzer Männchen und Weibchen der gemeinen Landrace zu betreiben. Es kommt nichts Gutes dabei heraus, denn die jungen Vögel verunstalten ihren schönen Gesang stets durch die angebornen häßlichen Töne. Ebenso wenig soll man junge Männchen der gemeinen Race zu einem feinen Harzer Hähnchen in die Lehre geben; sie lernen doch nichts Gescheidtes und verderben den werthvollen Vorsänger zweifellos.

Die Vögel der besten Harzer Stämme, welche untereinander außerordentlich verschiedenartig sind, gehen mit Ausnahme derer, welche Herr Reiche und andere Exporthändler aufkaufen, in die Hände der vorhin genannten Klein- und Großhändler über, und für den Bezug ist den Liebhabern somit ein weites Feld geöffnet. Ein wahrer Canarienvogelmarkt entwickelt sich in den Herbstmonaten im Anzeigentheile der „Gefiederten Welt“ und die Preise [84] wechseln hier etwa von 7,50 bis 75 Mark für den einzelnen Vogel. Im Allgemeinen stehen sie durchschnittlich auf 15 bis 30 Mark für das junge Hähnchen von guter Harzer Race und einem bewährten Stamme. Diese Stämme sind aber in Andreasberg und an andern Orten des Harzes, sowie in ihrer Verpflanzung durch unser ganzes deutsches Vaterland, noch recht zahlreich, und wenn nur die Behandlung derselben naturgemäß und verständnißvoll geregelt wird, so ist der Harzer Canarienvogel noch keineswegs im Rückgange begriffen.

Wenn ein Liebhaber des herrlichsten Gesanges einen einzelnen Harzer Vogel sich anschaffen will, so kaufe er nur bei einem gewissenhaften Händler oder Züchter ein und lasse sich auf Wort und Glauben die bisherige Verpflegungs- und Behandlungsweise mittheilen, um ihn anfangs ganz genau so zu versorgen und dann erst allmählich an eine etwa gewünschte andre Haltung zu gewöhnen.

Möchte die obige Darstellung dazu beitragen dieses liebliche und kostbare Gut und diese beachtenswerthe Einnahmequelle dem deutschen Volke zu erhalten.

E. K.

Anmerkungen (Wikisource)