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Autor: Moritz Lindeman
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Titel: Von den „rothen Teufeln“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 754–757
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Von den „rothen Teufeln“.


Die neuesten Nachrichten aus den Vereinigten Staaten von Nordamerika melden, daß wieder einmal ein Indianerkrieg beendet sei. Die Zeiten, wo man Cooper’sche Romane las und wenigstens einen Theil der wundervollen Schilderungen indianischen Edelmuthes für noch fortbestehende Wirklichkeit hielt, sind längst vorüber, und selbst manches, was noch vor zehn oder zwanzig Jahren zu Gunsten der Indianer gesagt und geschrieben wurde, stimmt jetzt nicht mehr mit der Wirklichkeit überein. Unaufhaltsam rücken die Indianer Amerikas dem Untergange näher. Die Versuche, sie zu civilisiren, sind bis jetzt im großen Ganzen nicht geglückt, wobei freilich zweifelhaft bleibt, auf wessen Seite die Schuld lag. Jedenfalls haben die sogenannten Indianerdolmetscher

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Mitglieder der Indianer-Deputation in Washington.
Nach einer Photographie von Alexander Gardner in Washington.

Der laufende Hirsch. Graß in halber und ganzer Figur. Blutmund.

[756] und Indianeragenten der Regierung im Großen und Ganzen weit eher dazu beigetragen, die Indianer mit den Weißen zu verfeinden und in ihnen das Gefühl erlittenen Unrechts zu erhalten und zu stärken, als sie dem Leben der Weißen näher zu bringen.

Es ist ja drüben bekannt, daß diese Indianeragenten vielfach ihre Stellung nur dazu benutzen, um ihren persönlichen Vortheil auf mannigfache Weise zu fördern, wie das ja in officiellen Kreisen der transatlantischen Republik wenigstens neuerdings mehr oder weniger üblich geworden ist. Wenn man, wie ich, in der kurzen Zeit von dreiundeinhalb Monaten das unermeßliche Gebiet der großen Republik von den Gestaden des atlantischen Oceans bis zu der Felsenküste des stillen Meeres auf flüchtiger Eisenbahnfahrt durchreist, hat man natürlich nur selten Gelegenheit, einen kurzen Blick in jene untergehende indianische Welt zu thun. Längst schon haben sich die noch vorhandenen Reste der Indianerstämme in die abgelegensten, durch Schienenstraßen dem Verkehre noch nicht erschlossenen Theile der westlichen Territorien zurückgezogen, und dahin zu dringen erfordert, abgesehen von allen sonstigen damit verbundenen Mühen und Strapazen, Zeit, viel Zeit. Dennoch wollte es der Zufall, daß ich Indianer auf verschiedenen Stufen ihrer socialen Umgestaltung, beziehentlich ihres Verfalls, kennen lernte.

An der Shinnecockbai, einer Bucht der langgestreckten Insel Longisland, sah ich die Shinnecock-Indianer; freilich entsprachen sie keineswegs der Vorstellung des eben erst aus Europa Gekommenen. Dieser Rest der einstigen Indianerbevölkerung der Insel hat sich allerdings ausnahmsweise, wie man das so nennt, civilisirt, das heißt er raubt und mordet nicht mehr, sitzt fest an einer Stelle und betreibt ein ehrliches Gewerbe. Sie helfen den Markt New-Yorks mit Muscheln und Fischen versorgen. Statt in Wigwams wohnen sie wie ihre weißen Nachbarn in Holzhäusern, deren innere Einrichtung sich in keiner Weise von der üblichen unterscheidet, ja es fehlt sogar der unentbehrliche Teppich, welchen drüben auch der Aermste nicht gern vermißt, nicht, wenn er auch in etwas mangelhaftem Zustande ist.

Der Mann, welcher uns im Boote auf die Bai hinausfuhr, zeichnete sich nur durch etwas dunklere Hautfärbung noch vor einem weißen Manne aus; er sprach sein Englisch so gut wie jeder Yankee und erzählte uns, daß er von seiner Jugend her nur noch ein paar indianische Worte, z. B. „Guten Tag“, im Gedächtniß habe. Der Mann sprach sehr verständig und berichtete uns unter Anderm, daß er lange Jahre auf einem amerikanischen Südseewalfänger gedient, und so ein gutes Stück Welt gesehen habe. In dem Häuschen sahen wir noch ein altes Weib, das im straffen, schwarzen Haar und in den Gesichtszügen einiges indianisches Gepräge verrieth.

Ein zweites Mal traf ich Indianer an der Pacific-Eisenbahn, in Elks, einer kleinen Station der Central-Pacific-Eisenbahn jenseits Ogden, doch hatte ich bei dem flüchtigen Aufenthalte, welchen der Zug hier nur nahm, kaum Zeit, den Mann mit dem rothbemalten Gesichte und dem glänzend schwarzen, steif herabstehenden Haar, der im Uebrigen gewöhnliche Kleidung hatte und, wie man mir sagte, den Holzhandel betrieb, mir näher anzusehen, ebensowenig eine Squaw, welche sich zur Mitfahrt meldete, und die einen Platz im Packwagen erhielt. Anders schon auf der Station Carlin, Nevada, wo das Frühstück einen Aufenthalt von zwanzig Minuten veranlaßte. Hier meldeten sich bei den Passagieren des Zugs ein Paar indianische Weiber und bettelten. Zwischen ihnen und einem Grizzly-Bär, welcher hier in einem Käfig gleichsam als Dessert den Gästen des Wirths zur Schau gestellt wurde, theilte sich die Aufmerksamkeit meiner Mitreisenden. Für diejenigen, welche öfter diese Route nehmen, hatte jenes prächtige, wohl ausgewachsene Exemplar des californischen grauen Bären mehr Interesse. Ich sah mir die Weiber an. Sie waren in der That bettlerhaft gekleidet. Ein alter zerlumpter Rock, mit einer ebenso herabgekommenen Jacke, beides zusammengehalten mit einem schmutzigen Gürtel, bildeten die Hauptbestandtheile der Gewandung der Alten wie der Jungen. Zwei etwas jüngere Weiber hatten ihre Säuglinge in der Weise auf den Rücken gebunden, daß der arme Wurm, der aus seinem kleinen braunen Gesicht mit prächtigen großen Augen in die Welt hinausschaute, mittelst einer Art kleinen Plättbrets und einem Band festgehalten wurde.

Eine alte Squaw war von abschreckender Häßlichkeit. Die kleinen Geldstücke, welche ihnen die Passagiere halb spöttisch, halb mitleidig zuwarfen, nahmen sie begierig auf. Die ganze Scene machte einen widerwärtigen trüben Eindruck.

Die charakteristischste Begegnung mit Indianern war mir jedoch für St. Louis vorbehalten. Dort lernte ich einen deutschen Arzt, Herrn Doctor K. kennen, welcher die Güte hatte, mich bei zwei der berühmtesten oder berüchtigtsten – wie man will – Kiowa-Häuptlinge, den Herren Satanta und Big-tree, einzuführen. Freilich konnten sie mich nicht in ihrem Wigwam empfangen und mir die Friedenspfeife anbieten, denn – sie saßen einfach als Räuber und Mörder im Gefängniß. Herr Dr. K. hatte als Arzt dort freien Zutritt. Aus der hohen glasbedeckten Halle dieses palastartig erbauten Gefängnisses traten wir in eine der Zellen, welche im Halbkreis um die Halle gelegen sind. Der kleine Raum war nur schwach durch ein schmales, stark vergittertes Fenster erhellt. Doch vermochten wir, da die Thür geöffnet blieb, die beiden Insassen deutlich zu erkennen. Satanta (weißer Bär), der große Häuptling der Kiowas, lag auf der Pritsche ausgestreckt und erhob sich bei unserem Eintritte, während Big-tree (starker Baum) melancholisch auf einem Schemel zur Seite saß. Letzterer war von untersetzter Statur und in seinen groben Gesichtszügen konnte ich nichts Bösartiges finden; sie zeigten stumpfe Gleichgültigkeit.

Die beiden Kerle machten in der That den Eindruck, welchen gefangene Raubvögel in einem zoologischen Garten auf den Besucher üben. Satanta war ein Hüne von Gestalt, mit großen Gesichtszügen, die nichts weniger als Vertrauen erweckten. Von Wildheit und Kraft sprachen sie noch immer, obgleich der Mann schon dem Greisenalter sich zu nähern schien. Er hatte sich an den Gittern des Fensters eine Kopfwunde geholt und schien niedergedrückt. Die Kerle, welche Dr. K. mit etwas Tabak hoch erfreute, waren bereits zum Tode verurtheilt gewesen und zwar, wie wir hören werden, mit vollem Recht; sie erwarteten indessen volle Begnadigung von ihrem „weißen Vater“. Die Ursache, weshalb die Burschen hier hinter Schloß und Riegel saßen, war folgende:

Eines schönen Tages war dem Stamme der Kiowas durch Kundschafter die Nachricht geworden, daß einer der großen Wagenzüge, welche von Zeit zu Zeit den am weitesten westlich in Texas und gegen die mexicanischen Grenzen vorgeschobenen Ansiedelungen ihre Bedürfnisse zuführten, unterwegs sei. Er war bereits eine große Strecke über Fort Griffin hinaus, und es trug sich nun eine jener grauenhaften Scenen zu, welche sich, wenn auch nicht in gleichem Umfange, in diesem Jahre leider wiederholt haben. Der Zug wurde von einer Schaar Kiowas, die unter der Führung von Big-tree und Satanta standen, überfallen. Sämmtliche Weiße des Wagenzugs wurden niedergemacht und scalpirt und alle Vorräthe des Zugs geraubt. Es gelang, die beiden Häuptlinge später gefangen zu nehmen, und von einem texanischen Schwurgericht wurden sie sodann zum Tode durch den Strang verurtheilt. Später kamen sie nach St. Louis, da die Todesstrafe in lebenslängliches Gefängniß verwandelt wurde.

Ein Jahr nach meinem Aufenthalt in St. Louis – im October 1873 – wurden sie wieder freigelassen, unter dem von ihnen geforderten und gegebenen Versprechen, fernere Raubzüge im texanischen Gebiete seitens ihres Stammes zu verhindern. Die Vorfälle bei den westlichen Ansiedelungen in diesem Sommer und Herbst zeigen, wie wenig dieses Versprechen gehalten worden ist. Raub, Plünderung und Todtschlag sind vielfach wieder seitens der Indianer vorgekommen, und im October ist es dem General Hill mit seiner Cavallerie gelungen, die beiden Burschen Satanta und Big-tree, sammt einer großen Schaar von Comanches und Kiowas, wieder gefangen zu nehmen. Der Berichterstatter des „New-York Herald“ fügt dieser seiner Meldung mit vollem Recht die Bemerkung hinzu: „Hoffentlich läßt man die beiden Burschen diesmal nicht wieder aus falscher, weichlicher Friedenspolitik laufen, sondern bestraft sie ernstlich.“

In Denver, einer am Fuße der imposanten Felsengebirgskette gelegenen Stadt, welche ihr Emporblühen dem Minenbetriebe des Gebirges und dem Productenhandel des triftenreichen Territoriums Colorado verdankt, sah ich dann noch einen Häuptling vom Stamme der Ute beim Gouverneur. Es war ein [757] baumlanger Kerl, eine kräftige, stattliche Erscheinung; sein Gesicht war dick mit Mennige bemalt, die Kleidung aber halb civilisirt, halb indianisch. Er war nach Denver mit seiner Squaw gekommen, um sich die übliche Lieferung an Naturalien und sonstigen Bedürfnissen für seinen Stamm zu holen, der öfter, namentlich im Herbste, in der Nähe von Denver erscheint. Später sah ich ihn mit seiner Squaw hinter sich auf einem Pony fortgaloppiren. Das Utelager ist noch immer ein Gegenstand des Aufsehens für die Bewohner von Denver, welche Stadt öfter für längere Zeit wegen des gesunden Klimas bei seiner hohen Lage von Leuten aus dem Osten aufgesucht wird. Die Utes treiben dann auch Tauschhandel, indem sie Büffelfelle und Erzeugnisse der merkwürdigen indianischen Industrie feil bieten.

So hielten nach den Berichten der deutschen Zeitung von Denver noch neulich, im Juli, dicht bei der Stadt fünfzig Indianer von diesem Stamme ihr Lager und führten aus Freude über die Tödtung dreier Feinde vom Stamme der Arapahoes einen Scalptanz auf, zu welchem interessanten Schauspiele, wie bei uns zu Volksfesten, Wettrennen und dergleichen, sich die civilisirte Welt der Platte-Riverstadt, besonders die Ladies, in großer Zahl eingefunden hatte. In ihrem vollen Staate und Ornate sieht man aber die Vornehmsten unter den Indianerstämmen bei den Deputationen, welche von Zeit zu Zeit sich nach Washington aufmachen, begleitet von Indianeragenten und Dolmetschern. Eine solche Deputation war gerade zur Zeit unseres Aufenthaltes in St. Louis im Everett-Hôtel angekommen, und nicht weniger als sechs Stämme waren in derselben vertreten. So hatten gesendet: die Kiowas den einsamen Wolf, den schnellfüßigen Knaben, den schlafenden Wolf, den Hunde-Esser und zwei Squaws; die Comanchen: die Milchstraße, den Silberbach, Graubein, den zehnfachen Bär, Waldschlucht, den äßenden Hirsch, Büffelbuckel, Pini Arragahe John und sieben Squaws; die Apachen: Läufer, Schläger, den Käpten und Grauadler mit zwei Squaws; die Arrapahoes: Großmaul, Linkhand, Weißkrähe, das gelbe Pferd und die Schwarzkrähe; die Caddoes: Georg Wafhing, Warloupe und Antilope; die Witchidas: Essadun, Esquitschew, und den Rappen. Außerdem waren gekommen: Der lange Soldat vom Wacoe-, Knie-war-war vom Keechie-, Dave und Sohn vom Towoccaroe- und der schwarze Biber vom Delawarestamme.

Um aber den Lesern der Gartenlaube einige recht interessante und charakteristische Erscheinungen vorzuführen, habe ich es vorgezogen, die vier hier im Holzschnitt so trefflich dargestellten zu geben. Die Originale, ebenfalls Mitglieder von Deputationen zum „Weißen Hause“, wurden in Washington vom Photographen Alex. Gardner, welcher eine vollständige Sammlung dieser Art besitzt, photographirt. Sie stellen dar: 1. „Running Elk“ (den laufenden Hirsch, Ma-to-no-pah) vom Stamme der unteren Yanctonais. 2. „Graß“ (He-Vua-she-tson), Häuptling der Schwarzfuß-Sioux. 3. „Bloody-mouth“ (Blutmund, E-wa-hu) vom Stamme der Onca-pa-pa und 4. noch einmal „Graß“ in halber Figur.

Es bedarf wohl kaum einiger Worte der Erläuterung zu der Tracht und dem Putz, in welchen diese Häuptlinge sich hier darstellen. Die Adlerfeder spielt, wie man sieht, eine große Rolle in der Kleidung, die sich sonst aus Fellen und Wollstoffen, von den Squaws gefertigt, zusammensetzt. Aus Fellen bestehen auch die kunstvoll zusammengenähten Mocassins; endlich sind noch die Wampumschnüre zu beachten, aus Muscheln gefertigte buntfarbige Perlen, welche als Hals- oder als Armbänder getragen werden. Die geliebte Tabakspfeife ist nicht zu vergessen.

Fragt man, wie groß die Zahl der Indianer ist, welche noch gegenwärtig innerhalb der Grenzen der Vereinigten Staaten mit Ausschluß Alaskas leben, so schlägt sie ein Bericht, welchen der Commissar für die Indianerangelegenheiten vor einiger Zeit dem Staatssecretär für das Innere in Washington erstattete, auf etwa 300,000 an. Man kann sie hinsichtlich ihrer geographischen Locirung in fünf große Abtheilungen zergliedern; es leben nämlich in Minnesota und den Staaten östlich des Mississippi etwa 32,600, in Nebraska, Kansas und im Indianterritorium 70,400, in den Territorien Dacota, Montana, Wyoming und Idaho 65,000 in Nevada und den Territorien Colorado, Neu-Mexico, Utah und Arizona 84,000 und an der Pacificküste 48,000.

Man kann sie auch in Hinsicht auf die drei Eisenbahnlinien eintheilen, die zwischen den Staaten und dem stillen Ocean gebaut werden oder projectirt sind, nämlich die Nord-, Central- und Südbahnen und zwar, wenn man diejenigen ausschließt, die östlich von Minnesota und vom Missouri und südlich von Dacota wohnen, wie folgt: Zwischen der vorgeschlagenen nördlichen Route und den britischen Besitzungen etwa 33,000, zwischen der Nord- und der Centralroute 92,000, zwischen der Central- und der vorgeschlagenen südlichen Route und Mexico 85,000, was zusammen 274,000 ausmachen würde.

Man kann sie endlich auch eintheilen in Hinsicht auf die Mittel zu ihrer Unterhaltung und die Methoden ihrer Subsistenz. Darnach mögen diejenigen, die sich selbst auf ihren Reservationen erhalten und die mit Ausnahme der Zinsen ihres eigenen Geldes oder der ihnen für die Cession ihrer Ländereien an die Vereinigten Staaten bewilligten Jahrgelder, von der Regierung nichts empfangen, 130,000, diejenigen, die gänzlich von der Regierung unterhalten werden, etwa 31,000, diejenigen, welche theilweise von ihr ernährt werden, 84,000, zusammen 245,000 zählen; diejenigen, die von der Jagd, der Fischerei, dem Sammeln wilder Beeren und Wurzeln oder von Betteln und Stehlen leben, mögen etwa 55,000 betragen. Von den 300,000 Indianern des Landes haben etwa 180,000 Verträge mit der Regierung geschlossen; 40,000 haben keine Verträge mit den Vereinigten Staaten, es sind ihnen jedoch durch Executivordre Reservationen zugewiesen worden, oder sie stehen unter der Aufsicht der erwähnten Agenten, welche die Regierung ernennt; 25,000 haben keine Reservationen, stehen aber mehr oder weniger unter der Controle der für sie ernannten Agenten und werden von der Regierung mehr oder weniger unterstützt. Der Rest besteht aus den erwähnten 55,000, über welche die Regierung factisch keine Controle ausübt, für welche keine Verträge und keine sonstigen Bestimmungen bestehen. In Bezug auf die Civilisation kann man sie, jedoch mit nur geringer Zuverlässigkeit und stets mit Rücksicht auf das, was man von einer Race mit solchen Antecedentien und Traditionen, wie die der Indianer, erwarten kann, eintheilen in 97,000 civilisirte, 125,000 halbcivilisirte und 78,000 völlig barbarische Indianer. Die Zahl der gegenwärtig noch feindseligen und marodirenden Indianerbanden schätzt der Bericht auf 8000. Unter ihnen ist vorzugsweise der Kiowa-Stamm vertreten, welcher, wie gemeldet, jetzt wieder gezüchtigt worden ist. Diese Zahl wird mit jedem Jahre mehr und mehr zusammenschmelzen. Der fortschreitende Bau der Eisenbahnen verengt ihr Terrain zusehends.

Die Romantik, welche bei uns noch von der Zeit her, wo Seume seinen Canadier dichtete, die edelmüthigen Indianer umgiebt und ihr freies Jägerleben, ihre einfachen Sitten und Anschauungen verherrlicht, sie muß zerfließen gegenüber der harten Wirklichkeit der Gegenwart. Jene nomadisirenden räuberischen Grenzstrolche des Westens verdienen das gleiche Schicksal wie die weißen Rowdies der großen Städte des Ostens. Mit der Zeit wird sicher die noch in der Entwickelung begriffene amerikanische Civilisation mit Beiden fertig werden.

M. Lindeman.