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Autor: Alexander Jung
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Titel: Von Schön
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30–31, S. 395–398;408–410
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[395]

Von Schön.

Königlich preußischer Staatsminister und Burggraf von Marienburg.
Ein Charakterbild von Alex. Jung.

Das ständische Leben Deutschlands sollte und wird sich auch nach der Seite allgemeiner Bildung hin in solcher Art wieder erweitern, daß die einzelnen Stände auch wirklich einander kennen lernen, daß die hervorragenden Individuen in ihnen dem Volke allmälig so vertraut werden, als hätte es sie aus seinem eigenen Fleische und Blute erzeugt, wie es sie auch in Wahrheit erzeugt hat. Einige Charaktere unserer Geschichte erfreuen sich bereits einer solchen Popularität. Jeder aus dem deutschen Volke erkennt sie in [396] Bildwerken schon aus ihren Gesichtszügen, wenn auch kein Name dem Bilde unterzeichnet wäre. Dahin gehören unter andern: Luther, Friedrich der Große, Schiller, Blücher, Alexander von Humboldt. Der immer schnellere Umschwung unserer illustrierten Zeitungen, unserer litho- und photographischen Anstalten, selbst unsrer parodirenden und carikirenden Blätter ist im Begriff, eine zahllose Menge von Persönlichkeiten dem allgemeinen Bewußtsein ebenfalls zu überliefern. Aber auch die Presse einer umfassenderen Literatur und die Geselligkeit sollen nicht zurückbleiben, und wenn die letzte noch viel zu wünschen übrig läßt, so wird das immer mehr erleichterte Reiseleben, so werden Dampfschiffe und Eisenbahnen, so werden Erfindungen, die schon an die Thüre klopfen, das Ihrige dazu beitragen, den Wechselverkehr zu erhöhen, die trennenden Räume und Zeiten verschwinden zu lassen, die verschiedensten Stände und Persönlichkeiten einander näher zu bringen. Es ist nicht in Abrede zu stellen, das letzte Jahrzehnt unseres laufenden Jahrhunderts hatte der höheren Geselligkeit zu Gunsten der Nationalität schon weitere Bahnen eröffnet. Das Vereinswesen, welches in Deutschland zum Zwecke einer umfassenderen Gedankenäußerung Aller an Alle aufblühete, hatte der zunehmenden Bildung ganz neue Gebiete erobert. Leider verlor man sich wieder in einseitige, ja sogar in bedenkliche Richtungen, um es zu Grunde zu richten, und an dessen Stelle traten Gesellschaften, welche die Stände wieder ängstlich absonderten, oder, indem sie sie zusammenbrachten, den Argwohn hervorriefen, statt die Unbefangenheit zu mehren und zu nähren.

Wir unsrerseits sehen in all’ dem und wie die genannte Ausbildung in den mittlern und höhern Ständen einer gewissen Gedankenlosigkeit Platz macht, einen bedeutenden Rückschritt, eine traurige Verkümmerung und Verödung unserer gesellschaftlichen Zustände und wie wir überzeugt sind, daß es hohe Zeit ist, auch in dem gedruckten Wort über der jetzt so beliebten Natur, ihrer Wissenschaft und ihren bildlichen Darstellungen nicht den Menschen zu vergessen, sondern ihn der Nation immer wieder vorzuführen, so wollen wir in dem Folgenden das Bild eines Mannes entwerfen, welcher zu den ausgezeichnetsten unsrer Gegenwart gehört. Möchte unsere Darstellung hinter dem Leben nicht zu weit zurückbleiben! Da dieses Bild einen Mann betrifft, welcher schon durch Geburt, mehr aber noch durch das, was er aus sich gemacht, was er für das Gemeinwohl geleistet hat, den höheren und höchsten Kreisen angehört, so werden wir durch diese Skizze auch dazu mitwirken, daß die Stände und Individuen der Gesellschaft einander näher treten. Der gesunde und fröhliche Herzschlag eines Volkes wird erst dadurch ermöglicht, daß die obern und die unteren Theile des Gesammtkörpers, der nationalen Constitution zu einem lebendigen Ganzen zusammenwirken. Daraus erst springt als Ergebniß die Nationalität als solche hervor. Deutschland würde, ungeachtet seiner Vielgetrenntheit durch Glaubens- und Staatenunterschiede und die daraus folgende Vielspaltigkeit seiner Ansichten, Maßregeln, Interessen, dennoch seiner höheren Einheit sich stets bewußt sein, wenn es sie in der Bildung zu finden wüßte, in der Gewißheit, daß alle seine geistigen Größen, seine gediegenen Charaktere einem und demselben Vaterlande gehören, welches seine Marken nur durch die gemeinsame Sprache vom Auslande abgrenzen kann. Doch – wir gehen auf unsern Zweck ein.

Heinrich Theodor von Schön wurde geboren den 20. Januar 1773, auf dem Landsitze seines Vaters, zu Löbegallen in Litthauen. Der Vater machte den der Familie gewährten Adel wieder geltend, da er die Absicht hatte, vier seiner Söhne dem Militärstande zu widmen. Daß Litthauen das Land ist, in welchem unser Held geboren wurde, erachten wir sogleich von guter Vorbedeutung, denn es ist eine Gegend von trefflicher Bodenbeschaffenheit, gesundem Klima, von einem Menschenschlage bewohnt, der, lettischen Ursprungs, kräftige Eigenthümlichkeit in Sprache und Sitte, Vaterlandsliebe, Rührigkeit im Frieden und Tapferkeit im Kriege zu erkennen giebt, und dem Forscher sogar in poetischer Beziehung reiche Ausbeute gewährt. Gründliche wissenschaftliche Vorbildung erhält Theodor von Schön durch Hauslehrer, so daß er in einem Alter von siebzehn Jahren die Universität zu Königsberg bezieht. Hier ist es sogleich charakteristisch und für den ganzen Lebenslauf von heilsamer Entscheidung, daß Herr von Schön, wie das sonst so beliebt ist, sich keineswegs mit denjenigen Wissenschaften begnügt, welche zum Amte führen, sondern daß er sich aus ganz besonderer Vorliebe auch philosophischen Studien ergiebt. Kant und Kraus sind die Männer gewesen (zumal der erste), deren Geister in dem Geiste ihres eifrigen Zuhörers große Bewegungen veranlaßt, und ihn später, man darf geradewegs sagen, zu einer staatsmännischen Einzigkeit gemacht haben. Wir kommen auf diesen Punkt wiederholt zurück, da er auch für die deutsche Nation und ihre Folgezeit, bis in die fernste Zukunft, von außerordentlicher Wichtigkeit ist, nur dieses müssen wir ausdrücklich schon jetzt bemerken: Nie wird sich Deutschland ungestraft der Philosophie abwenden, die auch die Erfüllung seines politischen Berufs, der für die Zukunft ein so großer ist, mit einbedingt. Die wahre Philosophie, nicht die der bloßen Mode und Scheinbildung, sollte daher in ihren Hauptergebnissen, so wie in der Zucht des Denkens, sowohl den höheren Ständen, wie dem Bürger schon auf Schulen, wie in populär gehaltenen Schriften, zugänglich gemacht werden. Die Klarheit, die Schärfe und Richtigkeit der Gedankenentwickelung, die Jeder für’s Leben, auch für’s Staatsleben braucht, die Liebe zum Licht und nicht zur Finsterniß, die Aufgeschlossenheit aller Sinne zu um so größerer Aufgewecktheit der Seele nach allen Seiten hin, bis in’s höchste Alter; alles das ist der Segen philosophischer Bildung, welcher sich an dem Manne, den wir hier in Betracht ziehen, bis auf diesen Tag vollauf bewährt hat.

So ausgerüstet, von eigenem Geiste auf’s lebhafteste beseelt, mit tüchtigen positiven Kenntnissen erfüllt, lebensfrisch in jedem Betracht, konnte Herr von Schön, nach vollendeten akademischen Studien, nichts Glücklicheres ausführen als eine Reise nach England, um daselbst einen längeren Aufenthalt zu nehmen. Dieses Land solider, kerngesunder Praxis, und doch in seiner Verfassung, in seiner ganzen Bildung und Geistesart, auf Theorien beruhend, welche wahrlich aus der Tiefe geschöpft sind, sich durch die Erfahrung bewährt und und bereichert haben; dieser Staat, welcher seinen Bürger- und Stände-Verband historisch gewonnen, ein Organismus, welcher seine Festigkeit unter dem Anbranden von Revolutionsstürmen und Parteikämpfen nur noch mehr abgerundet und gestählt hat, wie mußte er unsern jungen Reisenden beschäftigen, erregen, zu Folgerungen, Vergleichungen, Anwendungen auf sein Vaterland veranlassen! Vielleicht machte auch der Zug dieses Inselland ihm so lieb, daß der Weltweise von Königsberg, daß sein geliebter Lehrer Kant, in seinen Schriften hier eine solche Aufmerksamkeit und sogar eifriges Studium gefunden hatte. Die vielfache Verwandtschaft zwischen Engländern und Deutschen, bei eben so großer Abweichung, mußte ohnehin reizen. Kurz, Herr von Schön benutzte seine Tage in England so weise und umsichtig, er studirte die politischen und ökonomischen Einrichtungen der englischen Nation so gründlich, er lernte die vornehme Welt wie das Volk in ihrem besonderen Bestehen wie in der Gegenseitigkeit ihres öffentlichen Verkehrs, ihrer Verfassung, so bis auf jede Lebensfaser kennen, daß er mit den seltensten Schätzen bereichert in seine Heimath zurückkehrte. Wir hören, daß Herr von Schön damals eine Schrift abfaßte, die auch dem Druck übergeben wurde, in welcher er über sein Verweilen in England Berichte giebt. Wir wünschten sehr, daß diese Aufzeichnung auf’s Neue der Oeffentlichkeit mitgetheilt würde. England wird hier, von einem so scharfen, stets zu eigenthümlichen, fruchtbaren Bemerkungen aufgelegten Beobachter gesehen, die interessantesten Vergleiche zwischen einst und jetzt darbieten, und das Werden des Mannes, der nun ehestens in seinem Vaterlande eine so weltwichtige Stellung und Bedeutung erhalten sollte, in ein noch helleres Licht setzen.

Schon in nächster Zeit war Herr von Schön als Beamter beschäftigt „bei der Regierung zu Königsberg.“ Er wurde sodann Kriegs- und Domainenrath an der Regierung zu Bialystock („damaligem Neuostpreußen“). Herr von Schön verheirathete sich 1802 mit „der Tochter des Präsidenten dieser Provinz,“ Lydia von Auerswald (ein Name, der in der preußischen Geschichte bis in die neueste Zeit hin vom reinsten Klange ist, indem sich an denselben die seltensten Verdienste knüpfen). Darauf wurde von Schön 1806 Geheimer Finanzrath am General-Directorium zu Berlin. Welche Schmerzen mußten durch eines solchen Mannes Brust gehen unter den Demüthigungen, welche Deutschland, welche Preußen damals erlitt von dem immer drückender werdenden Joche der Fremdherrschaft! In demselben Jahre 1806 kam der Genannte, indem er seinem Hofe folgte, nach Königsberg, wo er „als Geheimer [397] Staatsrath zum Director einer Sektion des Ministeriums ernannt wurde.“ Sodann sehen wir ihn als Regierungs-Präsidenten zu Gumbinnen. Von immer größerer Wichtigkeit wird in der nächsten Zeit das Verhältniß des Herrn von Schön zu dem Freiherrn von Stein, und harrt einer noch specielleren Beleuchtung für die Zukunft. Beide Männer mit außerordentlichen Kräften gerüstet, von der gleichen, glühenden Vaterlandsliebe erfüllt, ergänzen einander, indem jener auf dem Gebiete des Staates eine mehr schöpferische, von Ideen bewegte, dieser eine das Empfangene mehr ausführende Macht zu erkennen giebt, so jedoch, daß Beide in der schnellen, kräftigen Ausübung dessen, was noth thut, auch wieder zusammentreffen. Herr von Stein war, obwohl an Jahre 1807 bekanntlich entlassen, schon nach dem tilsiter Frieden wieder in den Staatsdienst getreten. Von Schön und von Stein sind von jetzt ab zwei Haupt-Faktoren in der sich vorbereitenden Wiedergeburt Preußens, indem unter der Unablässigkeit ihres Wirkens jetzt überall die Kräfte treiben, welche eine neue Zeit auch wirklich herbeiführen. Auch der Tugendbund ist hier in höchsten Ehren zu nennen.

Die Aufhebung der Erbunterthänigkeit, der Vorrechte des Adels ist das große Werk, welches Herr von Schön zur Reife bringt. Derselbe hochverdiente Mann hilft die Städteordnung (19. Novemder 1808) hervorrufen. Nicht Stein, sondern Schön ist der eigentliche Schöpfer des „politischen Testaments,“ welches jener nur unterzeichnet hat. Wir vermuthen fast, daß Herr von Schön, bei seiner scharfen Beobachtung und großartigen Beweglichkeit nach allen Seiten hin, in dieser Zeit auch mit Fichte zusammengetroffen ist, der damals nach Ostpreußen kam. Fichte, ohnehin Philosoph, ideenvoll, rasch, von eiserner Willenskraft, von unerbittlicher Ausführung, kräftig an Wort, unerschrocken an That, war ganz der Mann für Herrn von Schön. Fichte war ja der Hauptanführer jenes Heeres deutscher Ideen, welches Napoleon I. vor allem fürchtete. Noch dazu glühte auch Fichte nicht blos für den Gelehrten-Stand, nein auch für den Bürger, für die deutsche Nation, der er in seinen berühmten Reden Weckstimmen in das schlafende Gewissen geschleudert hatte. Fichte hatte der deutschen Jugend die Macht des freien Willens früher in’s Bewußtsein gerufen, als es eine Heeresmacht von Freiwilligen gab, früher eine Ideen-Wehr aufgestellt, als eine Landwehr unter die Fahnen gerufen werden konnte. Klar zu wissen, was man wolle, diesen Willen ohne Aufschub, ohne Menschenfurcht in’s Werk zu richten, war von je her einer der Grundsätze des Herrn von Schön. Dies bewies er unter andern durch sein rücksichtsloses Auftreten gegen den König von Neapel 1812, den 18. December zu Gumbinnen. Der bloße Hinweis unseres Helden auf die Sturmglocken der Stadt war hinreichend, den Sturmschritt der andrängenden Bayonnette zum Stillstand und Rückschritte zu bringen. In ähnlicher Weise, mit der kurzen, handelnden Entschlossenheit des Patrioten, des Mannes, der keinen Fuß breit einzuräumen gewillt[WS 1] war, komme was da wolle, trat Herr von Schön auf, als von russischer Seite Gefahr für Ostpreußen drohte. So überlegte, so handelte er in dieser bedenklichen Zeit, in welcher dem Preußenlande von entgegengesetzten Seiten her Beeinträchtigungen nahe kamen, so bewies er sich bei tausend anderen Gelegenheiten, und setzte durch, was er wollte, denn so gereifter Einsicht und so unbeugsamem Muthe konnte nichts widerstehen. Preußen war jetzt zur Schlagfertigkeit gelangt, und auch diese Landwehr, diese in ihrem Begeisterungsfeuer kaum zu zügelnden Schaaren Freiwilliger zu Fuß und zu Pferde, aus den höheren, mittleren und niederen Ständen zusammengetreten, sie waren durch das unauslöschliche Verdienst unseres Patrioten von Ostpreußen hervorgerufen worden.

Mit dem Anfange der Freiheitskriege finden wir Herrn von Schön, „nach der Besetzung Sachsens,“ als „Gouverneur von Dresden.“ – Der Krieg ging für die Verbündeten so glorreich vorwärts, jedes Scharmützel, jede Schlacht überhäufte sie mit solchen Siegestrophäen, daß Herr von Schön auf diesen Feldern, wie er für deren Eroberung vorausgewirkt hatte, Genugthuung fühlen konnte, und in seine Heimath zurückkehrte, um andern, nicht minder ruhmgekrönten Zielen entgegenzueilen. So sehen wir ihn wieder in Gumbinnen wirken, immer Derselbe und doch voll neuer Pläne, voll Werdelust und Thatendurst sich der neuen Zeit entgegenstreckend, um die Wiederverjüngung, die große Reform des preußischen Staates, und wo möglich ganz Deutschlands herbeiführen zu helfen.

Im Jahre 1816 begann Herr von Schön seine Thätigkeit „bei der Regierung zu Danzig“ als Oberpräsident von Westpreußen; 1823 („nach erfolgter Vereinigung West- und Ostpreußens zu einer Provinz“) als „Oberpräsident von ganz Preußen.“ Herr von Schön hatte von jetzt ab seinen Sitz zu Königsberg, und diese Zeit seiner amtlichen Thätigleit als Oberpräsident über die Provinz Preußen war die ununterbrochene, reiche Aussaat eines Segens, dessen Früchte wir alle jetzt genießen.

Die „edelste Uneigennützigkeit“ war der Grundzug, der durch die ganze Verwaltung des ausgezeichneten Mannes ging. Die Art, wie Herr von Schön die „Kriegsentschädigungsgelder vertheilte und verwendete,“ nimmt schon allein die höchste Anerkennung der Mit- und Nachwelt in Anspruch. Herr von Schön „hob das landschaftliche Creditsystem“ Ostpreußens. Er gab der Industrie einen ganz neuen Umschwung, erweiterte ihr Gebiet, munterte die Interessenten auf. Hier ist besonders der Verbesserung der Schafzucht zu erwähnen, hier des in Angriff genommene Chausseebaues, der jetzt seiner Vollendung nach allen Seiten hin mit starken Schritten sich nähert. Herr von Schön rief eine Reform „der bäuerlichen Verhältnisse“ hervor, desgleichen eine des „Volksschulwesens;“ „Lehrerseminarien“ wurden gegründet. Ein so nie rastender, stets Neues ersinnender Menschenfreund, dabei auch für sich, und doch zum Wohle Anderer, stets neuen Studien obliegend, mußte weit über seine Provinz hinausdenken und walten, mußte seinen alten Lieblings-Plan, die Reform auch des Staats zu einem alle Stände durchdringenden Gesammtleben, unablässig im Auge haben.

Auf die Nothwendigkeit allgemeiner Ständevertretung hat wohl Niemand kräftiger, bündiger, erfolgreicher hingewiesen als Herr von Schön. Hier ist denn auch seiner Schrift, „Woher und Wohin?“ rühmlichst zu gedenken. Wie klein ihrem äußeren Umfange nach diese Schrift ist, so ist sie hervorgegangen aus dem tiefsten Grunde des Nachdenkens über den Staat, sie hat sein Wohl bis in die fernste Zukunft hin zum Ziele. Inhaltreich, gedrungen, befruchtend, Ursache (Mittel) und Zweck bestimmt angebend, dem Ohre sich markirend, wie der Titel schon ist, also ist jeder Satz, jedes Wort; ein Styl, der keinen Ausdruck, geschweige den einen Gedanken verschwendet, und jenes Römisch-Cäsarische: „Kommen, Sehen und Siegen“ zum Schlüssel seiner Tonart hat. – Wir sehen denn auch einen solchen Staatsmann im großartigsten und zugleich solidesten Sinn des Wortes nach Berlin zur „Mitberathung im Staatsrathe“ berufen.

Die wahre Weisheit – und wir wissen bereits, Herr von Schön war stets um Weisheit bemüht, und wußte seine Philosophie stets im Erwirken für Andere, im Entsagen für sich zu bewähren – die wahre Weisheit aber besteht in der seltenen Kunst, zur rechten Zeit anzufangen, zeitgemäß fortzufahren, jedoch auch zur rechten Zeit aufzuhören. Auch der Weise und der Staatsmann, nicht blos der Künstler, sollten den Ausspruch des Dichters immerdar beachten und ausüben: „an der Beschränkung erkennt man den Meister.“ Herr von Schön beobachtete dieses, indem er um seinen Abschied einkam. Ein „neuer Beweis seiner Uneigennützigkeit, da ihm ein Jahr später sein voller Gehalt als Pension zu Theil geworden sein würde.“ – Es wurde ihm dieser Abschied durch „Cabinetsordre vom 3. Juni 1842 bewilligt,“ mit dem „Titel eines Burggrafen von Marienburg wegen „„des ausgezeichneten Verdienstes, welches er sich nebst diesen andern im Laufe seiner Dienstzeit auch um die Erhaltung des Schlosses zu Marienburg insbesondere erworben, und des Feuers einer schönen Begeisterung, das er damals für die Wiederherstellung dieses edlen Denkmals einer großen Vergangenheit zuerst entzündet und fortdauernd genährt hat.““

Aber – der Schüler Kant’s, der Miterwecker seines Vaterlandes, der Verfasser von „Woher und Wohin“, der warme Verehrer einer gesunden Religion, der Wissenschaften und Künste, der Freund einer höheren Geselligkeit, der sich auch als Oberpräsident zu Königsberg [ungeachtet Geschäfte auf Geschäfte nach außen drängten, die alle gründlichst und pünktlich vollzogen wurden] stets mit den Vertretern der Intelligenz, mit den hervorragenden Geistern der Stadt umgab, er konnte unmöglich sein Amt niederlegen wollen, um sich der Ruhe und der Einsamkeit zu überlassen. Wir werden im Folgenden anzudeuten uns bemühen, wie geistesfrisch und arbeitsam, wie abwechselnd zwischen Zurückgezogenheit und Umgang auch der Lebensabend des außerordentlichen Mannes ist. Jener [398] geselligen Cirkel vom feinsten Geschmack, die der Oberpräsident von Preußen abendlich in seiner Familie so gern versammelte, müssen wir noch in kurzem hier gedenken.

Herr von Schön hatte sich schon vor längerer Zeit zum zweiten Male verheirathet. Man muß Zeuge auch nur eines solcher Abende gewesen sein, an denen Herr von Schön, nebst seiner würdigen Gattin und den erwachsenen Töchtern, einer so ausgesuchten Gesellschaft vorstand, um jenen geselligen Zauber erfahren zu haben, der alles ausschließt, was ungehörig und langweillg ist, alles aufnimmt, was fördert und unterhält, und, indem er durch Takt bindet, jedem Einzelnen doch die volle Freiheit der Gedankenäußerung verleiht. In diesen Abendkreisen fanden sich die verschiedensten der gebildeten Stände ein, der Militär, der sich durch Kenntniß und Geist auszeichnete, der Philosoph, der Historiker, der Naturforscher, der Arzt, der Theolog – wiefern er nicht einer engherzigen Bigotterie huldigte – der Rechtsgelehrte, der Schriftsteller als solcher, der Künstler, der Kaufmann. Mitglieder der ausgebreiteten Familie, die aus der Ferne einsprachen, der Gutsbesitzer aus der Provinz, der Reisende des In- und Auslandes, alle fanden sich hier zu schönster Eintracht vereinigt, die, wenn auch oft durch lebhafte Differenzen des Gesprächs modulirt, doch die Harmonie als durchgreifend empfinden ließ. Dieses einfache Mahl einer solchen Abendgesellschaft, mit der feinsten Würze des Gedankens, konnte dem Theilnehmer jene berühmten Mahlzeiten vergegenwärtigen, welche der Weltweise von Königsberg, Kant, einst so liebte, nur hier mit der Ergänzung und Bereicherung durch die Familie, durch den lebhaften Antheil der gebildetsten Frauen, denn Kant war unverheirathet. Herr von Schön wußte aus der Massenbildung die gewichtvolleren Geister, die durch ideellen Gehalt wogen, stets herauszuerkennen. Daher er denn auch einen so durchweg liebenswürdigen, geistreichen Philosophen wie Karl Rosenkranz stets gern zu seiner Seite hatte.

Zum Schlusse dieses Abschnittes erwähnen wir noch des Denkmals, welches die Stadt Königsberg, irren wir nicht, im Jahre 1844, in demselben, in welchem die Universität ihr dreihundertjähriges Jubiläum beging, ihrem einstigen Oberpräsidenten, Herrn von Schön, setzte; es ist ein einfacher Obelisk, welcher sich in der Königstraße vor dem Museum erhebt. Dieses Monument, wie sehr es der einmüthige Ausdruck von Tausenden ist, wird freilich bei weitem übertroffen werden durch das großartigste Denkmal, welches der Burggraf von Marienburg sich selbst als den Schlußstein seines Lebens setzen wird, in den „Denkwürdigkeiten,“ an denen er seit Jahren schreibt, und bei deren Abfassung wir ihn auf seinem Landsitze belauschen wollen. Oder vielmehr, wir wollen dem hochverdienten Manne, dessen die deutsche Nation stets eingedenk sein wird, dort einen Besuch abstatten, wo er in der stillen Umfriedigung der Natur, unter dem Säuseln uralter Bäume, unermüdet thätig feiert, aber dem Besuchenden auch so gern Rede steht.

[408] Man hat es mit Recht an den römischen Staatsmännern und Feldherren gerühmt, daß, ungeachtet der größte Theil ihres Lebens bewegt war von den Stürmen der Oeffentlichkeit, von der Sorge um den Staat und den Krieg, sie doch der Natur stets eingedenk blieben, sich gern in ihren Frieden zurückzogen, und sogar der Philosophie ihre Huldigungen darbrachten. Da pflanzten sie ihren Kohl, da kochten sie sich ihre Rüben selbst, und verlachten stolz alle Zumuthungen, die man ihnen auf Kosten ihres Charakters machte, und wiesen voll Verachtung alles Gold ab, daß man ihnen bieten wollte. Jedoch auch hier, und hier erst recht, in dieser goldenen Muse, dachten sie über den Staat nach, sie entrollten aber auch gern die Pergamente der Weisen, der Dichter, und wurden nun erst recht dessen gewahr, was die Zeit für einen Werth hat, und was es heißen wolle, ein Mensch zu sein.

Wie einer dieser alten Römer, von großer Erinnerungen, weltweiser Erfahrungen, voll großen, unbeugsamen, durch und durch nobeln, selbständigen Charakters, gemahnte uns oft Herr von Schön auf seinem einsamen Landsitze, und nicht in dem Prachtbaue der alten Marienburg hat er sich niedergelassen, sondern in einem einfachen Landhause, auf seinem Gute Preußisch-Arnau. Einmal thut ihm hier wohl die Nähe seines geliebten Königsberg, dann steht sein Land-Horst auch hinaus nach der ihm nicht minder theuern Heimath, dem Lande einfacher Sitte und ungebrochener Naturkraft, nach Litthauen, wo seine Väter ruhen, wo er die ersten Eindrücke der Welt erhalten, die ersten Materialien der Bildung empfangen, die er zu einem so weiten Ausbaue fortgeführt hat.

Das Dorf Arnau zieht sich in beträchtlicher Länge dahin; Schiffe gehen auf dem Pregelstrom hin und her, unter denen die riesig-langen, in der Mitte zu ansehnlicher Höhe aufsteigenden Dzimken-Witinnen ganz besonders bemerkbar machen, deren unförmliche, mit Bastmatten belegte Baracken wie Kameele des Wassers, wie kleine Himalaja-Gebirge aussehen, auf denen Menschen-Zwerglein krabbeln[1]. Wir blicken jenseit des Flusses in eine reiche Niederung, aus der die üppigsten Getreidefelder uns entgegenwogen und Ortschaft grenzt an Ortschaft, und da liegt das Landhaus vor uns, wahrlich einfach genug, von einem Stocke, aber von ansehnlicher Länge der Fronte. Die Wirthschaftsgebäude umher im besten Stande, jedoch ebenfalls ganz einfach hergerichtet. Schon sind wir in der Hausflur. Kein Bedientenschwarm macht uns Schwierigkeiten. Ein Diener, einfach gekleidet, meldet uns. Wir stehen vor dem Verfasser von „Woher und Wohin,“ der uns bereits im ersten Zimmer empfängt.

Wenn man berühmte Persönlichkeiten in der Wirklichkeit vor sich hat, so kann man bekanntlich in seiner früheren Vorstellung oft über die Maßen enttäuscht werden. Bei Herrn von Schön, so oft wir ihn sahen, mußten wir uns jedoch immer sagen, so mußte der Mann aussehen, von dem die Geschichte also berichtet. Diese eher hagre als starke Figur, aber von beträchtlicher Größe, die ernst, rasch, wie im wichtigsten Staatsgeschäft eben begriffen, auf uns zu tritt, die Fragen auf Fragen auf uns abschnellt, welche wir in solcher Schnelligkeit kaum zu beantworten vermögen, frappirt uns im höchsten Grade, obwohl sie uns unendlich wohlthut. Diese geistvolle Stirn, auf der so viele Gedanken ein stehendes Lager bezogen haben, dieser noch immer scharfe Augenstrahl, der auf uns eindringt, dieser Mund, um den Grazien der Weisheit weben, sie verrathen den Mann, der nicht blos über den Staat, sondern auch über das Räthsel der Welt viel nachgedacht, und der einen moralischen Halt in sich gefunden hat, um allen Ereignissen und Begegnissen gewachsen zu sein. Gewiß, dieser Kopf, dem das darauf sitzende schwarze Käppchen auch nicht im Entferntesten ein geistliches Aussehen giebt, würde in jeder Parlamentssitzung Aufsehen erregen. Aristokratisch ist der Eindruck der ganzen Gestalt allerdings, die Wahl der schnell auf’s Tapet gebrachten Gegenstände, die feine Art, wie die Fragen gestellt werden, die Leichtigkeit der Uebergänge, der Takt, mit dem jede Ueberlegenheit fern gehalten wird, alles verräth eine Persönlichkeit, die den vornehmsten Kreisen gehört, mit den Größten der Welt zu Tische gesessen und verkehrt hat. Aber schon sind auch wir zum Sitzen genöthigt, und befinden uns im Strom einer Unterhaltung, die nie abreißt, die auch den Besuchenden zum vollen Ausdruck seiner Meinungen, Ansichten, Ueberzeugungen, sogar seiner persönlichsten Interessen kommen läßt, so daß jede Beengung aufhört, ja daß durch die Weise, wie wir uns beachtet, verstanden, selbst durch die huldvollste Einräumung gehoben sehen, die Gewißheit in uns entsteht, die uns auch nicht mehr verläßt, daß wir hier einen Herrn vor uns haben, der die Ebenbürtigkeit der Geister vor allem anerkannt [409] wissen will, und daß man in seinem Hause, in seiner Unterhaltung nicht genirt sein dürfe.

Was wir nun aber von einem solchen Gesellschafter, von einem so über alles liebenswürdigen Wirthe empfangen, es übertrifft alles, was wir ihm geben könnten, ja es könnte uns überwältigen, in solcher Fülle und Mannigfaltigkeit spendet er es, wenn der Wechsel des Gedankens, der Gegenstände, die hier von allen Seiten hereinspielen, nicht auch wieder kräftigte und neu entzündete. Aus einem solchen Brillantfeuer von Gelesenem und Selbstgedachtem, von geschichtlichen Fakten, Anekdoten (an denen Herr von Schön eben so reich ist, und die er eben so appetitlich anzubringen weiß, wie einst Kant), Notizen, Erfahrungen, persönlichen Begegnissen, Urtheilen, Schlüssen, Vermuthungen, Forderungen, Mißbilligungen und Anerkennungen entnahmen wir genugsam, um einstweilen eine Skizzirung auf das Papier zu bringen. Wir geben sie hier, theils aus dem unmittelbaren Eindrucke, den wir empfingen, theils aus Combinationen, die wir machten, und aus Folgerungen, die wir zogen, um eine so gewaltige Persönlichkeit, über welche erst die Geschichte vollständig berichten wird, freilich nur sehr mangelhaft zu charakterisiren.

Der philosophische Grundcharakter des Grafen von Marienburg, des Weltweisen von Preußisch-Arnau, des Staatsmannes mit den Mitteln der Intelligenz giebt sich bei allem zu erkennen, was aus seinem Munde und aus seiner Feder kommt. Der Weltweise von Arnau mit seinem Halten auf unverbrüchliche Ordnung und Pünktlichkeit, mit seiner unerbittlichen Wahrheitsliebe, seiner Strenge der Moralität gegen sich und gegen andere, will daß jeder Mensch ohne Ausnahme in seinem Denken geschult sein solle, damit er seiner Würde sich bewußt werde, seine Vernunft in Ausübung bringe, und so also auch im Besitze eines gesunden Menschenverstandes und eines Herzens ohne Falsch sei. Erst wenn die Vernunft in jedem einzelnen Menschen entwickeit, geklärt ist, kann man über Weiteres mit ihm unterhandeln, kann er begreifen, was die Vernunft für Forderungen macht, und wie sie zu Wahrheiten führt, die über allen Zweifel fest stehen. – Man sieht, die Philosophie des Herrn von Schön ist vor allem praktisch, sie ist Lebensweisheit, die sich für Jeden schickt, ob er Fürst oder Edelmann oder Bürger oder Bauer sei. Man sieht aber auch, Herr von Schön giebt noch etwas auf die alte Logik oder Lehre vom richtigen Denken. Er ist ein Todfeind von allem Drunter und Drüber, von aller Verwirrung der Begriffe, und fordert Theilung und Eintheilung, Ober- und Unterabtheilung, wenn auch nicht auf dem Papiere, stets aber im Kopfe, damit das, was der Mensch will, als ein Ganzes klar in das mündliche oder schriftliche Wort hinübertrete. In diesem Sinne construirt Herr von Schön sicher auch den Staat zum Wohle jedes Staatsbürgers, vom Haupte bis zu den Gliedern. Wie Heinrich IV. von Frankreich einst wünschte, daß jeder Bauer Sonntags ein Huhn in seinem Topfe habe, so wünscht ihm Herr von Schön gewiß dasselbe, aber auch Licht im Kopfe und Wärme im Herzen. Das also erworbene Licht und die also gewonnene Wärme müssen dann in einer reichen Welt der Erfahrung sich bewähren und in Anwendung bringen.

Es ist wahrhaft erhebend, in unserer Zeit eines überhand nehmenden genußsüchtigen Materialismus, einer Gedankenscheu ohne Gleichen, welche die Philosophie fürchtet und abschafft, weil sie ihr unbequem wird, weil sie für Haus und Staat Ordnung und Gesundheit will, einen Staatsmann und Menschenfreund vor sich zu erblicken, der auf dem Grunde der Weisheit und nach dem Plane eines richtigen Denkens den Bau des Einzellebens wie des Staates ausgeführt wissen will. Das mindestens muß man eingestehen, für das Zweckmäßige, Anwendbare solcher Lebensweisheit spricht dieses, daß Herr von Schön sich selbst als Beispiel geben darf, wie er im Besitze der ächten Lebenskunst sein müsse. Denn ein Mann, der sich im 83sten Lebensjahre befindet, der nie seine Seelenkräfte hat ruhen lassen, nie seinen Körper verweichlichte, sich in den verwickeltsten Lagen des Lebens zurecht fand, keiner Gefahr aus dem Wege ging, und der sich so beweglich in seinem Denken, so frisch in dem Interesse, Neues aufzunehmen, seinen Körper bis auf alle Sinne (Herr von Schön liest und studirt die umfangreichsten Werke ohne Brille) so brauchbar erhalten hat, ein solcher Mann von den reinsten Tugenden muß sich mit seiner Weisheit auf dem rechten Wege befinden. Er hat schwere Verluste erlitten! Vor nicht langer Zeit wurden ihm Gattin und Tochter - und wie seltene, hochgebildete, seelenvolle Persönlichkeiten Beide! – durch den Tod entrissen. Des Zurückbleibenden gewaltiger Geist wurde bis in’s Tiefste erschüttert, aber in seiner Lebensweise, in seinem auf alle Sphären des Geistes und der Tagesfragen gerichteten Streben änderte das nichts, blieb er bis auf diesen Augenblick derselbe. Wir erinnern uns aus dem Munde des Mannes von so seltener Weisheit vernommen zu haben, Zweierlei erhalte frisch und bis in’s höchste Alter ungeknickt. Einmal müsse man stets mit Jüngeren Umgang pflegen, sodann sich stets das Interesse für Literatur bewahren, also für jede neue Erscheinung, die sich auf dem Gebiete der sprachlichen Schöpfung kund giebt.

Kant, der im Gedankenreichthum ein Millionär, und ebenfalls im Besitze der weisesten Lebenskunst war (er erreichte ein sehr hohes Alter), Kant, der selbst unter den schlichtesten Bürgern Königbergs seine Anhänger hatte, und sogar jetzt noch unter ihnen in seinen verständlicheren Schriften eifrige Leser findet, Kant bemerkte einmal, man solle vor jeder Abfassung einer schriftlichen Arbeit erst „Lärm schlagen“ in seinem Kopfe, um die nöthigen Gedanken zu versammeln, diese Gedanken dann auf dem Papiere ordnen, und nun erst die Ausarbeitung vornehmen.

Herr von Schön, wohl der älteste und ohne Zweifel der tiefste der noch lebenden Schüler des Weisen von Königsberg, hat diese Kunst des Lärmschlagens im Geiste früh schon geübt, so daß dieses Gedankenheer jetzt auch in der Unterhaltung stets ihm zu Gebote steht. Wie er im Gespräche diese Gedanken, mit unermeßlichen Erfahrungen vereinigt, anrücken läßt, mit fliegender Eile sie in Bewegung setzt, so merkt man’s ihm ab, wie er auch jeden Andern, mit dem er spricht, auf den Gedanken und die Erfahrungen hin, die er etwa gemacht hat, beobachtet, wie er sie in ihm zum Appell ruft, um Rede zu stehen, und ihm beizustimmen oder ihn zu bekämpfen.

Am Strengsten dürfte Herr von Schön in seinem Urtheil über den Staatsmann und den publicistischen, historisch-politischen Schriftsteller sein. Der Burggraf von Marienburg und Schüler Kant’s wird die Ueberzeugung hegen, daß es in Deutschland bis dahin noch wenig ächte Staatsmänner gegeben hat, nicht aus Mangel an Talent, vielmehr aus Mangel an Gelegenheit, aus Mangel an Oeffentlichkeit des Staatslebens, (welches erst in den letzten Jahren unter uns sich entwickelt und schon glänzende Talente bekundet hat), ferner aus Mangel an hochherziger Freisinnigkeit im Zusammentreffen der Ideen, im Kampf mit der öffentlichen Meinung, in der Gegenseitigkeit aller Stände, um das Volk mit seinem Fürsten lebendig zu vermitteln. Den Staatsmännern Englands wird Herr von Schön Bedeutendes zuerkennen, aber auch sie werden ihm lange noch nicht genügen. Und wenn man an die Alten, zumal an die Griechen denkt, wie deren Weise den Staat construirt haben, so hat Herr von Schön Recht. Der Schüler Kant’s wird es in keiner Art zugeben, daß der wahre Staatsmann sich bilden könne auf dem Wege der bloßen Rechtswissenschaft, nur beim Studium der bisherigen Gesetze und der Akten, in Verbindung mit der cameralistischen Wissenschaft, der Statistik und Volkswirtschaftslehre, auch nicht blos im Kampf der öffentlichen Parteien, der Debatte, und wären es die Reden und Gegenreden beider Parlamente. Am Wenigsten wird der Weltweise von Arnau geneigt sein, einzuräumen, daß die bisherige Diplomatie, die Klugheit und Gewandtheit des Ausweichens und Vorgehens, des Geheimhaltens und Enthüllens, wenn auch mit der feinsten Berechnung und Abwägung durchgeführt, den Staatsmann, wie er sein soll, zur Folge haben könne. Dazu gehört, nach Herrn von Schön, philosophischer Grund und Boden, der in die ganze Bildung des Mannes, der sich dem Staate widmen will, mit seiner Saat hineinwachsen muß, um die Früchte davon dem Volke zu Gute kommen zu lassen. Daher auch den Staats-Weisen vor Allem Klarheit und Richtigkeit des Denkens, feste, aber nicht pedantische Grundsätze, Wahrheitsliebe um jeden Preis, moralische Unumstößlichkeit, Kenntniß des Volkes in allen seinen Ständen und Fähigkeit bei der Erhaltung des bewährten Alten auch auf Neues prüfend, aber auch willig einzugehen, bilden werden. Alles in Allem, ohne Philosophie, ohne die Weisheit und Gedankenlichtung dieser Wissenschaft auch auf das Volk zu übertragen, um dessen Reife immer entschiedener zu gewinnen, ist nach Herrn von Schön kein Staatsmann, und am Wenigsten ein deutscher, auch nur möglich, geschweige denn zu verwirklichen.

Den ähnlichen Maßstab wird der Verfasser des „Woher nicht Wohin“ an den publicistischen Schriftsteller legen. Dieser soll nicht [410] blos für die Kabinette – und nie im Geheimen dafür besoldet – auch nicht blos für die Gelehrten, er soll auch für die Nation schreiben. Er soll ebenfalls philosophische Durchbildung besitzen, und sie auch seinerseits in das Volk hinüberleiten, und alles Das, was nach dem oben Angedeuteten aus dem Geiste der ächten Weltweisheit folgt. Die Quellen seiner geschichtlichen Abfassung hat ein solcher Schriftsteller nicht blos in anderen, wenn auch noch so bewährten Schriften zu finden, sondern vor Allem in dem Studium, in der Vernehmung der noch vorhandenen lebendigen Wirklichkeit der Geschichte, also in den Augenzeugen, in denen die noch leben, und entweder die einstigen Vorgänge selbst veranlaßten, oder doch mit Denjenigen verkehrten, unterhandelten, vielleicht sogar kämpften, welche einst die Hauptrolle im Geschichtslaufe spielten, und die Umwälzungen herbeiführten. So erst werden publicistische Werke gewonnen, auf welche der künftige Historiker sich verlassen kann, solche, welche die Nation der Wahrheit gemäß unterrichten.

Einer der seltensten deutschen Autoren auf den erwähnten Gebieten, classisch in jedem Betracht, ist, auch nach Herrn von Schön, Varnhagen von Ense, wie auch sein letztes Buch, dieses Meisterstück in der Durchdringung und Darstellung eines Feldherrnlebens, beweist, die Biographie des Grafen Bülow von Dennewitz.

Vergegenwärtigen wir uns einigermaßen, welcher Reichthum des Mitgetheilten, Gelernten, der Unterhaltung, der Erheiterung, bis zum geistreichsten Witzwort und den pikantesten Originalzügen aus der Gallerie des Jahrhunderts uns im Laufe einiger Stunden von dem ausgezeichneten Staatsmanne zu Theil geworden, so bedauern wir um so mehr, hier schon abbrechen zu müssen, und wenigstens für jetzt noch nichts Specielleres mittheilen zu dürfen.

Welche Erlebnisse sind an jenem gründlichsten Beobachter seiner Zeit vorübergegangen, welche Thatsachen, Personen, und nicht vorübergegangen, nein, er bewahrt sie lebendig in sich, er weiß sie durch die Gewandtheit seiner Rede, noch einmal sprechend, handelnd auf den Schauplatz zu bringen. Ganze Zeitalter der Kultur und politischen Geschichte werden uns in solcher Scenerie lebendig, als erlebten wir sie unmittelbar, wenn wir sie aus dem beredten Munde der Herrn von Schön vernehmen. Die Blüthenperiode Königsbergs steht in allen ihren Gestalten aus dem Grabe vor uns auf: Kant, Hamann, Herder, Werner, Hoffmann, Borowski, Mangelsdorf, und erstreckt sich nach Deutschland, nach England hinüber, wo neue Persönlichkeiten uns begegnen. Und nun folgt ein ähnliches Eingehen auf das vorige und jetzige Jahrhundert in dem Processe des Staatenlebens, wo die einflußreichsten, zum Theil noch unerschlossensten Charaktere, wie sie in Intriguen und wahrhaft großen, genialen Handlungen ihre Pläne und Ausführungen über Europa und weiter fortspannen, uns ganz neue Seiten enthüllen und nun erst durchsichtig für uns werden.

Indem wir im Begriff sind, dem Weisen von Arnau uns zu empfehlen, blicken wir noch in die nächsten Räume seiner Umgebung, denn sie bildet der große Mann ähnlich bedeutsam um sich, wie das Gestirn seine Atmosphäre oder seinen Aether, den es sich wolkenlose zu erhalten weiß. Unsrem Standpunkt gegenüber glauben wir ein Bild J. J. Rousseau’s zu erblicken, dessen politische Ansichten und Experimente auf gut Glück, wenn auch mit allem Glanze französischer Eleganz und Beredtsamkeit durchgeführt, einem so logischen Denker und geschulten Staatsmanne wie Herrn von Schön natürlich unendlich fern liegen, welcher aber als Repräsentant einer ganz neuen Geistesbildung in anderen Beziehungen, vor Allem als Naturfreund, ganz in diese Einsiedelei unseres Helden gehört.

Das Eingangs-Zimmer, in welches wir jetzt wieder treten, scheint einem Gelehrten von Fach und nicht einem Staatsmanne anzugehören. Auf einem geräumigen Tische liegen broschürte Bücher massenweise, die in ihren frischfarbigen Umschlägen uns sogleich sagen, daß der Bewohner dieser Räume noch lange nicht abgeschlossen hat, sondern auf den mannigfaltigsten Gebieten den Literaturen der Völker folgt, so daß dieses Gemach nur die Vorhalle zu der Bibliothek ist, in welche diese Novitäten hinüberwandern, um Neuem Platz zu machen. Vielleicht ist es dieser andere Tisch, mit Schreibmaterialien reichlich angefüllt, an dem der preußische Staatsminister täglich seine Denkwürdigkeiten dictirt, deren noch ungeahnte Mysterien vielleicht jene saubersten Eichenschränke verschließen. Das Andenken, welches Herr von Schön in diesem mit höchster Spannung schon längst erwarteten Werke seinen Zeitgenossen schenkt, die fast alle schon dahin sind, wird Epoche bilden in der Geschichte der Denkwürdigkeiten aller Jahrhunderte. Es wird aber auch das Andenken an den Verfasser selbst, in dieser gewiß höchst eigenthümlichen Auffassung wie Darstellung der Ereignisse und Personen, welche doch eben dadurch ganz neue Lichter auf die Wahrheit wirft, in einer Weise überliefern, die ihn selbst auch in seiner großartig unwiderstehlichen Individualität in der Geschichte unvergänglich macht. Königsberg, welches in diesem Sommer sein sechshundertjähriges Jubiläum feiert, hat in dem Staatsminister Herrn von Schön den würdigsten Jubilar zu begrüßen, der dieser Stadt einen ganz neuen Aufschwung gegeben, der dem Vaterlande Außerordentliches geleistet, und der, erfüllt von der treuesten Liebe zu seinem Könige, das Wohl aller Stände, der deutschen Nation, das Gedeihen der Menschheit von Geschlecht zu Geschlecht unverwandt im Auge gehabt hat.


  1. Dzimken sind eine Art Polen, welche im Sommer zu Wasser auf langen Fahrzeugen, Witinnen genannt, nach Königsberg kommen. Sie sind ein so naturwüchsiger, lustig-eigenthümlicher Menschenschlag, daß wir ihnen in diesen Blättern vielleicht einmal ein besonderes Genrebild widmen.
    Anmerk. des Verf. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gemeint