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Autor: Dr. H. Hoffmann Donner
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Titel: Vom Struwwelpeter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 17–19
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vom Struwwelpeter.

Ein Brief an die Redaktion der „Gartenlaube“.

 Sehr geehrter Herr!
Sie verlangen von mir, daß ich Ihnen für Ihre „Gartenlaube“ die Entstehungsgeschichte meines Kinderbuches, des „Struwwelpeters“, und seiner Nachfolger niederschreiben möge.

Ich will diesem Gesuch entsprechen, doch muß ich gestehen, daß es mit einem gewissen Bedenken geschieht, und dies aus verschiedenen Gründen.

Zuvörderst widerstrebt es meiner Natur, von mir selbst zu reden, denn Ruhmredigkeit und Selbstüberschätzung sind nun einmal nicht meine Sache, und dann ist der Hergang schon zum Theil bekannt und besprochen, ja es steht sogar schon eine kurze Skizze in dem Buche selbst[1] auf Veranlassung der Verleger abgedruckt, und endlich hat der Hergang doch eigentlich wenig literarische Bedeutung.

Aber Sie wünschen es; nun so mag es geschehen!

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Habent sua fata libelli!“ „Bücher haben ihre Schicksale!“ – und dies gilt in vollem Maße von dem kleinen bunten Hefte.

Es war im Jahre 1844, das Weihnachtsfest nahte; ich hatte damals zwei Kinder, einen Sohn von dreieinhalb Jahren und ein Töchterchen von ein paar Tagen. Nun suchte ich für jenen ein Bilderbuch, wie es für einen solchen kleinen Weltbürger sich schicken mochte; aber alles, was ich da zu sehen bekam, sagte mir wenig zu. Endlich kam ich heim und brachte ein Heft mit, welches ich meiner Frau mit den Worten überreichte: „Hier habe ich, was wir brauchen.“ Verwundert öffnete sie die Blätter und sagte: „Das ist ja ein leeres Schreibheft!“, worauf sie die Antwort erhielt: „Jawohl, aber da will ich dem Jungen schon selbst ein Bilderbuch herstellen!“

Ich hatte in den Buchläden allerlei Zeug gesehen, trefflich gezeichnet, glänzend bemalt, Märchen, Geschichten, Indianer- und Räuberscenen; als ich nun gar einen Folioband entdeckte mit den Abbildungen von Pferden, Hunden, Vögeln, von Tischen, Bänken, Töpfen und Kesseln, alle mit der Bemerkung 1/3, 1/8, 1/10 der Lebensgröße, da hatte ich genug. Was soll damit ein Kind, dem man einen Tisch und einen Stuhl abbildet? Was es in dem Bilde sieht, das ist ihm ein Stuhl und ein Tisch, größer oder kleiner, es ist ihm nun einmal ein Tisch, ob es daran oder darauf sitzen kann oder nicht, und von Original oder Kopie ist nicht die Rede, von größer oder kleiner vollends gar nicht.

Das Kind lernt einfach nur durch das Auge, und nur das, was es sieht, begreift es. Mit moralischen Vorschriften zumal weiß es gar nichts anzufangen. Die Mahnung: sei reinlich! sei vorsichtig mit dem Feuerzeug und laß es liegen! sei folgsam! – das alles sind leere Worte für das Kind. Aber das Abbild des Schmutzfinken, des brennenden Kleides, des verunglückenden Unvorsichtigen, das Anschauen allein erklärt sich selbst und belehrt. Nicht umsonst sagt das Sprichwort: „Gebrannter Finger scheut das Feuer.“

Ich machte mich nun in freien Stunden ohne viel Vorbereitung ans Werk, hatte aber leider nicht bedacht, daß die Arbeit viel Zeit und Mühe erforderte, und mehrmals verwünschte ich es, die Geschichte angefangen zu haben. Ich hatte zu den Versen und den Zeichnungen dieselbe Feder und dieselbe gewöhnliche Tinte benutzt; als ich nun an das Kolorieren ging, flossen die Konturen in die Farben. Nun, was that es! Es mußte fortgefahren werden. Damals hielt ich fest an dem Grundsatz: Begonnenes muß fertig gemacht werden! Ich hatte schon öfter im Leben unangenehme Folgen des Gegentheils an mir selbst erlebt. Die Bilder zeichnete ich leicht in flüchtiger Weise, und die kindlichen Verse fügten sich folgsam in kecken Reimen einer an den andren, und so ward das Ganze fertig.

So ganz aus der Luft gegriffen war übrigens die Geschichte doch nicht, ein und das andere war doch auf praktischem Boden aufgewachsen, so namentlich der Hauptheld. Ich bin Arzt und als solcher oft einem störenden Hinderniß bei der Behandlung kranker kleiner Kinder begegnet. Der Doktor und der Schornsteinfeger sind bei Müttern und Pflegerinnen zwei Popanze, um unfolgsame Sprößlinge zu schrecken und zu bändigen. „Wenn [18] Du zu viel ißest, so kommt der Doktor und giebt Dir bittere Arznei oder setzt Dir Blutegel an!“ Oder: „Wenn Du unartig bist, so kommt der schwarze Schlotfeger und nimmt Dich mit!“ Was folgt dann? Sowie der Doktor an das Bett des kleinen Patienten tritt – weint, schreit, brüllt dieser mörderlich. Wie soll man da die Temperatur prüfen, wie den Puls fühlen, wie den Leib betasten! Stundenlang dasitzen und abwarten, bis der Tumult sich gelegt hat und der Ermüdung gewichen ist, kann man auch nicht!

Da nahm ich rasch das Notizbuch aus der Tasche, ein Blatt wird herausgerissen, ein kleiner Bube mit dem Bleistift schnell hingezeichnet und nun erzählt, wie sich der Schlingel nicht die Haare, nicht die Nägel schneiden läßt; die Haare wachsen, die Nägel werden länger, aber immer läßt er sich dieselben nicht schneiden, und immer länger zeichne ich Haare und Nägel, bis zuletzt von der ganzen Figur nichts mehr zu sehen ist als Haarsträhne und Nägelklauen. Das frappiert den kleinen Desperaten derart, daß er schweigt, hinschaut, und mittlerweile weiß ich, wie es mit dem Pulse steht, wie seine Temperatur sich verhält, ob der Leib oder die Athmung schmerzhaft ist – und der Zweck ist erreicht.


Dr. Heinrich Hoffmann-Donner.
Nach einer Photographie von Prof. Erwin Hanfstaengl, k. k. Hofphotograph in Frankfurt a. M.


Als mein Buch fertig war bis auf das letzte Blatt, da war aber auch mein Bilderschatz zu Ende. Was sollte ich nun auf dies letzte leere Blatt bringen? Ei nun, da setzen wir den Struwwelpeter hin! So geschah es, und deshalb stand dieser Bursche in der ersten Auflage des Buches auf der letzten Seite. Aber die Kinderwelt traf das Rechte und forderte das Buch einfach: „Ich will den Struwwelpeter!“ Nun rückte das Blatt auf den Ehrenplatz vorn, und der frühere Titel machte dem jetzigen Platz. Also hieß es auch hier: „Die Letzten sollen die Ersten werden!“

Das Originalexemplar kam auf den Weihnachtstisch, mein Söhnchen hatte seine helle Freude daran. Nach einigen Tagen fand die Taufe des Mädchens statt, und da bekamen auch die eingeladenen Familienglieder des Vaters Wunderwerk zu sehen. Nun hieß es hier: „Das mußt Du drucken lassen; das darf der Junge nicht, wie zu erwarten ist, in ein paar Tagen zerreißen!“

Ich aber lachte und frug, ob man denn von mir erwarten könne, daß ich ein Kinderbilderbuchfabrikant werde. Aehnliche Anforderungen kamen noch in den nächsten Tagen.

Nun blühte damals eine kleine literarische Gesellschaft, die ich mit meinem verstorbenen Freunde, dem Musiker Schnyder von Wartensee, zusammengebracht hatte (denn diese Art von Gründungen gehörte damals zu meinen Lieblingsbeschäftigungen). In einem kleinen Zimmer eines still in der Mitte der Stadt gelegenen Gasthofs versammelten wir uns einmal in der Woche; wir hatten sonderbare Satzungen und nannten unseren Verein „Die Bäder im Ganges“. Der Brahma war Vorsitzender und Wischnu der Schriftführer. Hier zeigte ich meine Kinderei vor – derselbe Beifall! Unter den Versammelten war auch der Buchhändler Dr. Löning, der mit seinem Freunde J. Rütten erst vor kurzem eine Buchhandlung unter der Firma „Literarische Anstalt“ gegründet hatte. Löning sagte sogleich, ich solle ihm das Buch geben, er wolle es drucken lassen. Nun, in heiterer Weinlaune vergaß ich die frühere Weigerung und erwiderte scherzend: „Meinetwegen! Geben Sie mir 80 Gulden und versuchen Sie Ihr Glück!“ Er nahm das Heft, und so war ich nachts 11 Uhr, fast ohne recht zu wissen, was ich gethan hatte, mit einem Male ein Jugendliterat geworden! Freilich hatte ich schon vorher in Versen, Gedichten und Liedern allerlei veröffentlicht, dessen ich hier nicht weiter gedenken will. Meinen kleinen Sohn daheim tröstete ich dann mit der Aussicht, daß er bald durch zwei neue Bücher, viel schönere als das weggegebene, entschädigt werden sollte.

Nun aber kam die Ausführung. Meine Freunde, die Verleger, waren in solchen Dingen eben noch nicht sehr erfahren, Die Bilder wurden lithographiert; ich mußte aber den Zeichner täglich überwachen, daß er meine Dilettantengestalten nicht etwa künstlerisch verbesserte und in das Ideale hinein gerieth, er mußte Strich für Strich genau kopieren, und ich revidierte jede Steinplatte. Dann gab ich den Herren noch einige praktische Rathschläge. Kinderbücher, sagte ich, müssen solid aussehen, aber nicht sein, sie sind nicht allein zum Betrachten und Lesen, sondern auch zum Zerreißen bestimmt. Das ist kindlicher Entwicklungsgang, und darin liegt ein Vortheil solcher Fabrikation, die Kinderbücher vererben sich nicht, sondern sie müssen neu angeschafft werden; dies zu fördern, gehören starke Pappdecken und schwache Rücken. Und dann muß das Buch billig sein, mehr als 59 Kreuzer darf es nicht kosten, dann heißt es: „Das kostet ja nicht einmal einen Gulden!“ Kostet es aber 60 Kreuzer, so sagt man: „Das Ding ist zu theuer; es kostet ja einen Gulden!“ Alles dies wurde beachtet und befolgt, und der Struwwelpeter betrat die Bühne der jugendlichen Welt. Es waren 1500 Exemplare hergestellt worden.

Nach etwa vier Wochen kam Löning zu mir mit der Mittheilung, daß wir einen glücklichen Gedanken gehabt hätten, die Exemplare seien alle fort, sie seien verschwunden wie ein Tropfen Wasser auf einem heißen Steine. Nun machten wir einen förmlichen Vertrag; ich war in meinen Ansprüchen bescheiden, um den Preis des Büchleins nicht zu erhöhen. Niemand war, das kann ich ehrlich versichern, über das blitzähnliche Einschlagen der bunten Geschichten mehr überrascht als ich; das hätte ich mir im Traume nicht eingebildet. Später hat man auch sogenannte „unzerreißbare“ Exemplare gefertigt; sie mögen wohl recht wetterhart sein, ich bezweifle aber, daß sie je die Dauer ägyptischer Papyrusrollen erreichen werden, denn Kinderbücher gehen ja „reißend“ ab. Der Absatz wuchs mit jedem Jahre und steht jetzt nach 47 Jahren auf einem jährlichen Verbrauch von etwa 30 000 Exemplaren der fünf Bilderbücher zusammen. Ja, ich kann mir mit Befriedigung sagen, der Schlingel hat sich die Welt erobert, ganz friedlich, ohne Blutvergießen, und die bösen Buben sind weiter auf der Erde herumgekommen als ich; in ganz Europa sind sie heimisch geworden, ich habe gehört, daß man ihnen in Nord- und Südamerika, am Kap der Guten Hoffnung, in Indien und Australien begegnet ist. Sie haben allerlei Sprachen gelernt, die ich selbst nicht verstehe, denn ich habe eine russische, schwedische, dänische, holländische, französische (schlechte), italienische, spanische und aus der jüngsten Zeit noch eine portugiesische Uebersetzung in Händen; daß man sie in Nordamerika lustig nachdruckt, ist ganz selbstverständlich. Nun freilich, Reisen um die Welt sind heutzutage nichts Außerordentliches mehr, sogar nur Spazierfahrten.

Die Herstellung des Buches ist nunmehr auch eine wesentlich andere geworden, statt in Lithographie sind die Bilder in Holzschnitt übertragen und die Holzschnitte galvanisch in Kupferplatten, um sie zu schonen; das Kolorieren durch Schablonen besorgt eine Schar von Mädchen in einem Orte im Rheingau und das Einbinden in großen Haufen ein Buchbinder in der Nähe [19] meiner Vaterstadt. So ist eine Art Struwwelpeterfabrik entstanden, es lebt eine Anzahl fleißiger Menschen dadurch, und so ist aus dem Scherze doch auch wohlthätiger Ernst geworden.

Von der deutschen Ausgabe ist bereits die 175. Auflage erschienen (die 100. hatten wir mit einem Jubelblatt zu feiern versucht), von der englischen die 40. und vom Nußknacker die 21. Ich habe später nämlich noch vier andere Büchlein der Art geschrieben und zu zeichnen mich erkühnt. Der „König Nußknacker“, der mir eigentlich das liebste ist und als das beste erscheint, ist von einer tiefer gehenden Betrachtung ausgehend entstanden. Die Freude der Kinder an Märchenwundern ist bekannt; nun meinte ich, es wäre doch noch geeigneter, wenn man, statt die jungen Gemüther in ein fremdes unbegreifliches Land der Feen, der Zauberer und der Ungeheuer zu führen, die Märchenwelt herunter in die Kinderstube zu bringen versuchte. Ich kaufte mir auf einer Reise nach Berchtesgaden und Salzburg allerhand Spielzeug in Nürnberg zu Originalmodellen zusammen, und an der österreichischen Grenze wurde unser Gepäck von dem Zollbeamten visitiert; auf die Frage, ob ich etwas zu verzollen bei mir führe, sagte ich:

„Möglicherweise, ich habe einen König im Koffer.“

„Wos, an König?“ frug mich der Untersuchende; als er ihn aber fand, lachte und bemerkte er: „Ja, die Majestät müssen wir holters doch zollfrei passieren lassen!“

Von den anderen, dem „Prinz Grünewald und Perlenfein mit ihrem lieben Eselein“, von dem „Im Himmel und auf der Erde“ und von „Bastian der Faulpelz“ will ich schweigen; das würde zu weit führen. Sogar in Musik hat man mit bekannten Melodien die Thaten und Leiden der kleinen Helden gesetzt.

Nur noch eines besonderen Vorfalls sei Erwähnung gethan. Wir hatten auch Nachdruckprozesse zu führen; bei einem derselben in der Nachbarschaft mußte ich selbst mitspielen; es war ein ganzes Coupé voll von Zeugen, Sachverständigen, Buchhändlern und Malern, die damals nach der Gerichtsstätte fuhren. Nun ereignete sich dort eine heitere Scene, die ich kurz erzählen will, ohne die Sache weiter breit zu schlagen. Ich sollte als Zeuge vernommen werden; der Gegenadvokat ließ mich nicht zu als einen Mitbetheiligten. Nun frug man mich unbeeidigt über dies und das und die kreuz und quer. Ich bemerkte, daß eine einfache Darstellung der Sache eher zum Ziele führen würde, und that dies ähnlich, wie ich es hier gethan habe. Es trat daraus der Umstand hervor, daß meine Bilder das Wichtigste und Ursprüngliche an den Geschichten seien, und daß, wer die Bilder nachdrucke, auch das Buch nachgedruckt habe (es handelte sich nämlich um eine Uebersetzung in eine fremde Sprache). Wir mußten abtreten und wurden in ein naheliegendes Gemach geführt, in dem große Schränke mit weiß angestrichenen Thüren standen; ich nahm nun einen Bleistift, zeichnete auf eine derselben einen Galgen, an dem der arme Struwwelpeter elendiglich hing, und schrieb nur die einfachen Worte daneben: „Ob? Ob nicht?“ Dann wurden wir einstweilen entlassen und begaben uns in eine nahegelegene Wirthschaft zum Mittagessen. Als wir zur festgesetzten Stunde wieder vor den Schranken erschienen, wurde uns mitgetheilt, das Gerichtspersonal habe die Hinrichtungsscene auf der Schrankthüre gesehen und herzlich gelacht.

„Gut!“ sagte ich zu meinen Leuten, „wenn das Gericht lacht, so haben wir unseren Prozeß gewonnen!“ Und so war es auch.

Noch wäre eine für mich weit wichtigere Episode aus dem Leben unseres Wildlings zu erzählen, nämlich wie er die Veranlassung wurde, daß ich mit dem verstorbenen Kaiser Wilhelm I. persönlich in Berührung kam, ihm selbst die Bücher zusenden durfte und dafür von dem trefflichen feinfühlenden Herrn als Gegengabe am folgenden Weihnachtsabend sein Bild mit seiner eigenhändigen Unterschrift erhielt. Dies aber zu erzählen, wird vielleicht erst später einmal an der Zeit sein.

Aber auch schmerzliche Erinnerungen ruft mir diese ferne Vergangenheit wach. Den Knaben, meinen ältesten Sohn, für den ich das Buch geschrieben hatte, habe ich als einen siebenundzwanzigjährigen jungen Mann durch den Tod verloren; er ist in Lima in Peru, wohin er als Kaufmann von London aus gegangen war, an der dort ausgebrochenen Epidemie des Gelben Fiebers gestorben; an seinem Geburtstag, den wir zu Hause in gewohnter Weise feierten, erkrankte er und nach vier Tagen schon war er entschlafen. Wir erhielten erst vier Wochen später die traurige Nachricht.

Schließlich muß ich nun doch sagen, daß ich ein recht glücklicher Vater bin, denn nicht allein meine braven wohlgerathenen Kinder und Enkel haben mir viele, viele Freunde gemacht, auch von den anderen mißrathenen bösen und leichtsinnigen, freilich nur papiernen, habe ich nur Gutes erfahren. Kann man mehr verlangen? Ich hoffe, daß es meinen wirklichen Kindern im Leben verdientermaßen gut gehen werde, ich hoffe aber auch, daß die anderen, die farbigen, noch eine gute Zeit zu leben fortfahren sollen.

Erwähnen muß ich aber noch, daß zu der Verbreitung der fünf kleinen Schriften wesentlich auch die Intelligenz und Rührigkeit der Verlagshandlung beigetragen hat, von der ich leider schon drei Inhaber, liebe Freunde von mir, habe aus dem Leben scheiden sehen, deren Verlust ich schmerzlich bedaure.

Am Ende ist es doch ein wohlthuendes Gefühl, so vielen Tausenden und vor allem der goldgelockten Kindheit fröhliche Stunden verschafft zu haben, ein Bewußtsein, welches für manches Unerreichte und Ungenügende im Leben trösten kann, und für diese Schickung werde ich der gütigen Vorsehung mit bescheidenem Sinne dankbar bleiben.

Was ist nun an der ganzen Geschichte Besonderes? Ich hatte seiner Zeit ganz zufällig ein unscheinbares Samenkorn gefunden, hatte es ganz arglos in den Boden gesteckt; da ist es mit der Zeit immer gewachsen, ein Baum geworden, nach dessen Blüthen und Früchten viele langen und unter dessen Schatten ich nun als ein alter Mann gemüthlich sitzen und ausruhen kann. –

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Geehrter Herr, meine Erzählung ist viel länger geworden, als ich erwartet hatte; aber wenn das Herz und das Tintenfaß voll sind, dann kommt man leicht in ein weitläufiges Plaudern, und so mag es denn genug sein, und Sie verzeihen es Ihrem hochachtungsvoll ergebenen

Dr. H. Hoffmann-Donner. 

Frankfurt a. M., den 3. November 1892.



  1. Unsere älteren Leser erinnern sich vielleicht dieser Skizze, denn sie stand zuerst in der „Gartenlaube“, ehe sie dem „Struwwelpeter“ beigedruckt wurde. Wenn wir heute auf die Geschichte vom „Struwwelpeter“ zurückkommen, so leitete uns dabei die Absicht, von dem verehrten nunmehr dreiundachtzigjährigen Verfasser selbst die Schicksale seines weitberühmten Buches ausführlicher und bis zum heutigen Tage unseren Lesern erzählen zu lassen. Die Red.