Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen/Von Baghdad zum persischen Meerbusen. Betrachtungen über die Türkei

Baghdad Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen
von Paul Müller-Simonis
Alphabetisches Inhaltsverzeichnis
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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Von Baghdad zum persischen Meerbusen. Betrachtungen über die Türkei.
Das Zollamt in Baghdad. Euphrates and Tigris Steam Navigation Company. Abreise. Der Khalifah; Schwierigkeiten der Schiffahrt auf dem Tigris. Tak-i-Kesra. Die Ufer des Tigris. Wasserwechsel zwischen Euphrat und Tigris. Amara. Gebiet der Abu-Mohammed; arabische Sitten. El-Ojeïr. Korna. Basra. M. G. Asfar. Basra-Kolonie. Der Schatt-el-Arab. Basra-Stadt. Arabier. Rückblick auf die Türkei und ihre Regierung. Die Käuflichkeit der Ämter; Unmöglichkeit, ein ernsthaftes Unternehmen zu Ende zu bringen. Abd-ul-Hamid; seine Machtlosigkeit, seine Ausgaben, seine Länder-Erwerbungen; ihre Taxen. Die Verfolgungen. Die Kurden; die Araber; Angelegenheit des Scheikh Sayhud. Abreise von Basra; der Karun; Mohaminereh, schiitischer Fanatismus. Der persische Meerbusen. Rückreise nach Europa durch Indien.
24. Januar.

Der englische Dampfer Khalifa wird morgen mit Tagesanbruch Baghdad verlassen.

Der letzte Tag wurde fast ganz mit Abschiednehmen ausgefüllt; gegen Abend brachten wir unser Gepäck an Bord des Schiffes. Vorher muß man noch auf dem Zollamte eine Abschieds-Untersuchung bestehen. Das Gedränge war unbeschreiblich, und dabei sollten wir auch noch unsere Koffer öffnen. Gott weiß, wie viele Sachen dabei wieder verschwunden wären. Glücklicherweise überzeugten vier Rupien den Kontrolleur, daß wir nichts Verzollbares ausführten. Kaum waren wir auf dem Schiff, so kam dieser ehrenwerte Beamte zu uns; er bedauerte, uns nicht höher taxiert zu haben, und verlangte noch zwei Rupien.

Nachdem das Gepäck untergebracht war, kehrte Hyvernat zum Kloster zurück, und mit Hilfe eines jungen Syrers trug er die weniger umfangreichen Antiquitäten unter den Kleidern verborgen. Nach Einbruch der Nacht brachte uns eine Kuffeh eine ganze Ladung Kontrebande an Bord des Schiffes. Ein kleines Backhschich schloß dem Beamten die Augen. Beinahe alle unsere Freunde geleiteten uns an Bord; nach einem herzlichen Abschiede trennten wir uns.

An Schlafen brauchte aber keiner zu denken; die arabischen Packträger und die persischen Pilger machten einen höllischen Lärm. Um fünf Uhr des Morgens lichtete der Khalifah die Anker.

26. Januar.

Unternehmende Engländer haben vor einer Reihe von Jahren hier schon „The Euphrates Steam Navigation Company“ (Euphrat-Dampfschiffahrts-Gesellschaft) gegründet.

Ein Firman des Sultans erlaubte dieser Gesellschaft, mit zwei Schiffen den Schatt-el-Arab und den Euphrat zu befahren. Auf dem Tigris sollte eine türkische Gesellschaft den Schiffsdienst besorgen. Aber bald merkten die Engländer, daß die Schiffahrt auf dem Euphrat gefährlich und zugleich wenig einträglich sei. Eines schönen Tages fuhren die englischen Schiffe den Tigris hinauf und legten in Baghdad an, und die Gesellschaft nannte sich jetzt: The Euphrates and Tigris Steam Navigation Company. Die türkischen Beschwerden verhallten[WS 1] ungehört, sei es durch Einschüchterungen oder das unvermeidliche Backhschich. Jedoch hat die Gesellschaft die Beschränkung hinsichtlich der Zweizahl der Schiffe bis jetzt beachtet.[1]

Um sich dafür in etwa schadlos zu halten, baute die Gesellschaft sehr große Schiffe. Der Khalifah ist ein Raddampfer mit ebenem Fond, 215 Fuß lang und 32 Fuß breit mit 400 Tonnen Inhalt. Leer hat er bloß zwei Fuß Tiefgang, beladen aber 5½. Die Einrichtung ist zweckmäßig. Die für die Reisenden bestimmten Kabinen sind groß und bequem eingerichtet. Die Offiziere sind zuvorkommend. Alle Matrosen sind Chaldäer von Tell-Keïf.

Unterhalb Baghdads macht der Tigris scharfe Wendungen und hat viele Inseln und Sandbänke. Deshalb ist die Fahrt für ein so großes Fahrzeug, wie für unsern Khalifah, nicht leicht. Das Auffahren kommt ziemlich häufig vor; oft mußte schon das ganze Gepäck ausgeladen werden, um das Schiff durch Ziehen an den Ankern wieder flott zu machen.

Kurze Zeit nach dem Verlassen Baghdads kamen wir an der Mündung des Diyala vorbei, und bald nachher sahen wir die bewundernswerten Ruinen des Palastes des Königs Khosroes, Tak-i-Kesra – die wenigen Überbleibsel von Ktesiphon.

Der Tigris beschreibt bei Ktesiphon eine außerordentlich lange und enge Kurve; die Reisenden, die den Fluß hinauf fahren, können das Schiff verlassen, die Ruinen besuchen und sich an der andern Seite der Krümmung wieder einschiffen. Beim Fahren zu Thal ist dies selbstredend nicht möglich. So konnten wir also nur von ferne diese kolossale Fassade betrachten, in deren Mittelpunkt sich ein Iwan öffnet, der alte Thronsaal des Khosroes; das Gewölbe soll, wie Reisende versichern, die kühnsten Formen aufweisen, die man jemals gesehen hat. Bis zu den letzten Jahren war die Fassade ganz unversehrt. Heute ist der Teil zur Linken des Zuschauers eingestürzt. Dieses bewundernswerte Gewölbe ist nun seiner Stütze beraubt und so dem Einfall in kurzer Zeit anheimgegeben.

Die Atmosphäre ist dort so trocken, daß Teile des Holzwerkes aus Libanonzedern sich unversehrt erhalten haben. Der Kassierer des Schiffes, H. Swoboda, hatte die Freundlichkeit, uns ein Stück dieser ehrwürdigen Altertümer zu schenken.

Der so schön begonnene Tag wurde bald langweilig, da die Ufer den Blick auf die Ebene hemmten.

Zweimal fuhr der Khalifah auf und warf bei einbrechender Nacht Anker.

26. Januar.

Der Wind wehte den ganzen Morgen sehr stark; wir begegneten dem zweiten englischen Schiff, dem Medschidieh, das zu Berg fuhr. Herden von Kamelen kamen zur Tränke an den Fluß und unterbrachen in etwa die Einförmigkeit der Landschaft. Wir fuhren bald zum dritten Male auf.

Beim Einbruch der Nacht kreuzten wir mit dem türkischen Dampfer;[2] durch ein verkehrtes Zeichen des Wachtoffiziers hatten wir den armen Dampfer beinahe durchgerannt, auf dem alles schrie und den Kopf verloren zu haben schien.

Gegen ein Uhr des Morgens fuhren wir von neuem auf eine Sandbank; infolgedessen wurde gestoppt bis sechs Uhr.

27. Januar.

Die Ufer werden flacher, und von dem Deck kann man die Wüste übersehen; bei hellerem Wetter hat man eine schöne Aussicht auf die Berge von Luristan, von denen wir nur einige unbestimmte Umrisse und phantastische Linien bemerkten. Der Fluß wird bald viel enger und tiefer; eine Biegung des Flusses ist so scharf, daß der Khalifah sie nicht anders umfahren kann, als daß er zwei Anker wirft und die Schiffswinde gebraucht.

Es ist bemerkenswert, daß bei Baghdad der Tigris durch mehrere Kanäle Wasser aus dem Euphrat erhält. Unterhalb Kut-el-Amara ist es gerade umgekehrt; hier läßt der Tigris dem Euphrat einen Teil seines Wassers zukommen.

Dieser gegenseitige Austausch von Wasser muß früher eine unschätzbare Wohlthat für die Kultur des Landes gewesen sein. Heute sind die alten Kanäle halb verschüttet und gewöhnlich trocken; bloß bei Hochwasser füllen sie sich noch, aber weniger um das Land zu bewässern, als um dasselbe durch den Gestank ihres Schlammes zu verpesten.

Eine Kolonie von Tel-Keïsiern hat sich auf dem rechten Ufer des Flusses angesiedelt ein wenig oberhalb Amaras; sie hat Freunde, vielleicht auch Verwandte unter den Matrosen des Khalifah. Indem wir dort vorbeifuhren, hemmte der Dampfer seine Geschwindigkeit und näherte sich dem Ufer.

Bald waren lebhafte Unterhandlungen im Gange; plötzlich wie auf ein gegebenes Zeichen eröffneten die Matrosen gegen ihre Landsleute ein lebhaftes Feuer von Orangen und Granaten, eine neue Kampfart, die sich unter allerlei Pantominen fortsetzte, und wobei die Kolonisten sich freuten, die Besiegten zu sein. Gerade inmitten dieser menschenleeren Ufer hatte diese Szene einen besondern Wert.

Endlich waren wir in Amara. Wir sahen einige Gärten, deren Sträucher und Palmen sich in dem ruhigen Strome spiegelten, einige Kähne und ein paar Häuser in dem Nebel des Abends.

Franz Kirchheim, Mainz.       Lichtdruck von J. B. Obernetter, München.
Tak-i-Kesra.
(Ktesiphon).

Amara ist in neuerer Zeit gegründet worden. Vor ungefähr dreißig Jahren

unterjochten die arabischen Muntefiks die hier ansässigen Maadans; ein Maadan, Fensal mit Namen, ein genialer Mensch, bewog seinen Stamm zur Empörung, trieb die Muntefiks zurück und leistete sogar den Türken Widerstand. Aber er starb zu früh und fand keinen würdigen Nachfolger. Die Türken zogen daraus Vorteil; sie bemächtigten sich des Landes und gründeten den Posten von Amara, wo denn auch bald eine kleine Stadt entstand. Diese liegt an der Mündung eines ziemlich bedeutenden Flusses, der in der Nähe von Schuschter entspringen soll, dessen Lauf aber beinahe ganz unbekannt ist.

Störche.

Bei der Ankunft des Schiffes schlugen sich die Leute buchstäblich auf der Landungsbrücke und stießen oder drängten sich gegenseitig in das Wasser, namentlich diejenigen, welche etwas, ein Huhn oder Früchte, zum Verkaufe anboten; andere stießen sich bloß aus Freude an dem Balgen, da sie doch sonst nichts anderes auf dem Schiffe thun konnten.

Amara zählt vierzig katholische Familien, die ohne Kirche und ohne Priester sind. P. Maria Joseph hatte ein Terrain gekauft, um eine Kapelle darauf zu errichten, und hatte auch bereits den unbedingt notwendigen Firman erhalten; wegen der großen Feindseligkeit der Mohammedaner konnte er bis jetzt aber noch nicht mit dem Bau beginnen. Da die Christen von unserer Ankunft benachrichtigt worden waren – auf welche Weise, ist mir unbekannt – so kamen einige Notabeln am Bord des Schiffes, um uns zu begrüßen.

Unterhalb Amara beginnt eine außerordentlich sumpfige Gegend, das Gebiet der Araber Abu-Mohammed. Diese Leute sind sehr arm, aber größtenteils seßhaft und treiben Ackerbau. Die Feuchtigkeit ihres Landes gestattet ihnen nur den Anbau des Reis. Die nomadischen Stämme verachten die Ackerbau treibenden und beschuldigen sie – ob mit Recht oder Unrecht, weiß ich nicht – sehr schlechter Sitten.

Man erzählte uns, daß die Araber im allgemeinen im Punkte der Sittlichkeit sehr streng sind. Leider muß gewöhnlich, wenn eine Skandalgeschichte vorkommt, die Frau stets die Folgen tragen. Es ist eine allgemeine bekannte Sache, daß eine verdächtige Frauensperson verschwinden muß, selbst wenn sie nicht öffentlich getötet wird. Bei seiner letzten Reise brachte der Medschidieh, als er in Baghdad die Anker warf, noch einen Sack mit, der den Leichnam einer Frau enthielt, die wahrscheinlich auf solche Weise ums Leben gekommen war.

28. Januar.

Am folgenden Morgen mußten wir mehrere Stunden liegen bleiben, da der Nebel zu stark war.

Die Ufer des Flusses werden immer sumpfiger. Oft sieht man am Ufer Leute der erwähnten Völkerschaft, die mit Drainagearbeiten beschäftigt sind. Es sind schöne Leute, halbnackt, mit geradezu klassischen Formen.

Von der Brücke des Khalifah aus bemerkten wir zahlreiche Rudel Wildschweine. Eine sehr große Bache lief mit ihren Frischlingen mit dem Schiff in die Wette. Ein Feuern blieb leider erfolglos, da das Schiff zu schnell fuhr. In der Ferne sahen wir Züge von Kranichen und anderen Wasservögeln.

Gegen Mittag erschien bei einer Biegung des Flusses die reizende Oase el’ Oseïr; eine kleine Moschee mit einer Kuppel, die mit grüner Fayence bekleidet ist, spiegelt sich in dem Flusse inmitten eines Waldes aus Palmbäumen. Hier soll sich das Grab des Esdras befinden.

Bei Korna (in dortiger Gegend Gorna ausgesprochen) vereinigen sich in einem Palmenwalde der Euphrat und Tigris, um den Schatt-el-Arab zu bilden. Beide Flüsse bilden einen majestätischen Strom von ansehnlicher Breite und Tiefe. Der Schatt hat beinahe kein Gefäll, und die Flut reicht bis jenseits Korna. Wir konnten gerade die Ebbe benützen und kamen darum um so rascher vorwärts.

Gegen neun Uhr abends kamen wir in Basra an.

29. Januar.

Diesen Morgen kam Herr Djaboury (Gabriel) Asfar uns an Bord des Schiffes suchen. Wir hatten seine Familie in Baghdad gesehen, und er wollte uns großmütig seine Gastfreundschaft erzeigen, die allen Reisenden, die Basra passierten, wohl bekannt ist. Asfar hat seine Erziehung bei den Karmelitern in Baghdad erhalten. Er ist ein eifriger Christ und Hauptgeschäftsmann. Wiewohl er niemals in Europa gewesen ist, ist er doch mit den europäischen Verhältnissen sehr vertraut. Jedes Jahr mietet er eine große Zahl Schiffe, sowohl um seine eigenen Waaren zu transportieren als auch um Kommissionen auszuführen. Zur Zeit der Dattelernte beschäftigt er während zweier Monate bis zweitausend Arbeiter.

Sein Haus ist sehr groß; das Erdgeschoß dient als Warenlager. In dem Hofe waren die Arbeiter mit dem Verpacken der Datteln in Kisten beschäftigt. Jede Nacht patrouillieren zehn gut bewaffnete Männer um die Magazine herum, denn Spitzbuben giebt es auch hier in Menge.

Bei G. Asfar in Basra.

Basra besteht aus zwei deutlich getrennten Teilen: aus der eigentlichen Stadt,

die ungefähr drei Viertelstunden vom Schatt-el-Arab entfernt an einem Kanal liegt, und den Handelsetablissements, die an dem Ufer des Flusses selbst errichtet sind. Die Stadt hat ein schreckliches Klima, abscheuliches Trinkwasser und Krankheiten in Menge. Es ist dies letztere übrigens auch sehr natürlich, denn das ganze Land ist nur ein ungeheurer Sumpf, der mit Palmbäumen bepflanzt ist und von Fröschen wimmelt, die einen ungeheueren Lärm machen.

Um die Handelshäuser an dem Ufer des Stromes errichten zu können, mußten großartige Arbeiten von Steingrundlagen und Grundpfählen ausgeführt werden; sodann war viel Erde notwendig, um die Sümpfe zu füllen.

Wegen der Lage an dem Flusse und der Bewegung des Wassers durch Ebbe und Flut, der reinern Luft und dem bessern Trinkwasser ist diese Ansiedlung, das neue Basra, viel gesünder als die Stadt selbst.

Bei unserer Anwesenheit war die Temperatur in Basra sehr angenehm; aber im Sommer ist die Hitze dort schrecklich. Zwar steigt das Thermometer nicht so hoch als in Baghdad, aber die feuchte Wärme wirkt drückender. Da man in diesen Sümpfen nicht wie in Baghdad Serdabs erbauen kann, so kann man bei der schrecklichsten Hitze auch kein kühles Plätzchen finden. Bricht die Nacht an, so begiebt sich alles auf die Terrassen; indessen muß man sich aber durch Decken vor dem Tau schützen, der hier so reichlich fällt, daß er sogar noch durch dicke Decken dringt. Dem Anscheine nach ist die Sonne hier viel schlimmer als in Baghdad, auch sind Blutandränge sehr zu fürchten.

Man hat uns gegenüber sogar ernsthaft behauptet, daß durch die Hitze viele Fische im Schatt-el-Arab zu Grunde gingen. Ob’s wahr ist?

Der Schatt-el-Arab ist ein prächtiger Fluß, dessen Breite ich auf 400 bis 500 Meter schätze. Die Schiffe von 19 Fuß Tiefgang können bei der Hochflut die Sandbank vor seiner Mündung überfahren;[3] bis Korna wäre der Fluß wohl für die größten Schiffe fahrbar.

Unter einer anderen Regierung würde Basra, das durch seine Lage seit der Eröffnung des Suezkanals eine große Bedeutung erlangt hat, ein Haupthandelsplatz werden. Der Haupthandel besteht in Datteln; im Jahre 1888 wurden 21000 Tonnen Datteln in Kisten nach Europa ausgeführt und 30000 Tonnen in Körben und Schläuchen in Asien verkauft.

Die Datteln von Basra sind sehr berühmt, denn die dortigen Palmbäume verwirklichen die von den Arabern gestellten Bedingungen für gute Früchte: ,„Den Fuß im Wasser, den Kopf im Feuer.“

Außer Datteln werden noch wolle, Gummi arabicum, Sesamkörner und Süßholz ausgeführt.

Man kann sich kaum etwas Malerischeres denken als das Panorama der Kolonie an dem Flusse. Man findet hier nicht das geräuschvolle Treiben wie in großen Häfen; aber auf dem schönen Flusse mit seiner ruhigen und majestätischen Einfassung von Palmenwäldern liegen fünf oder sechs Dampfer vor Anker; um diese gruppieren sich die Kunden. Etwas weiter liegen die Schiffe für die eigentliche Fahrt auf dem Flusse selbst. Am Ufer verschwinden die Handelshäuser in der Menge der Dattelpalmen. Den Fluß durchfurchen eine ganze Menge Belems, lange und elegante Pirogen, die an beiden Enden spitz zulaufen. Sie sind ungefähr zehn Meter lang und ein Meter breit. Zwei mit gestreifter Tunika, dem Nationalkostüm bekleidete Araber führen den Belem. Sie rudern tief; aber mit Vorliebe halten sie sich nahe am Ufer und manöverieren da mit ihren langen Bootshaken mit Stielen aus Bambusrohr so anmutig und ungezwungen, daß sie passende Modelle für einen Bildhauer abgeben würden. Die ganze Landschaft ist für den Reisenden, der vorbeikommt, reizend; bei längerem Aufenthalte würde man indes bald die Abwechselung vermissen.

1. Februar.

Ich habe diesen Morgen die alte Stadt besucht; dieser Ausflug wird mir unvergeßlich bleiben.

Man kann sich nichts Schöneres denken als die Überfahrt von dem Flusse nach Basra in der Morgenstunde, wenn die Flut hoch geht. Ich war allein in dem Belem; mir gegenüber saß ein Diener Asfars, ein Araber, der aber etwas Negerblut in den Adern zu haben schien; seine Farbe war bronzeähnlich, sein Aussehen kaltblütig und sehr starrköpfig.

Langsam fuhr der Belem zwischen den zwei mit Palmbäumen bedeckten Ufern hin. Die ältesten neigten ihr Haupt über den Kanal; unter ihnen bildeten junge Palmen, Granatbäume, Orangen und andere exotische Bäume ein dichtes Unterholz. Alle spiegeln sich im Wasser. Die eben am Horizonte heraufsteigende Sonne zeichnete wunderliche Bilder auf dem Wasser. Wenn ich zur Seite auf eine der kleinen Brücken ging, welche die Bewässerungskanäle überschreiten, so hatte ich unter den dunkeln Arkaden eine lange Durchsicht auf diese Flüßchen, die von einem geheimnisvollen Lichte erhellt waren, so daß ich zu träumen glaubte wegen der unvergleichbaren Harmonie der Natur.

Das Ganze erinnerte mich an Claude Lorrains „Flucht nach Ägypten“ in der Doria-Galerie. Hier war die Landschaft zwar unendlich schöner, aber Lorrain ahnte wenigstens das Aussehen des Orientes.[4]

Die Stadt Basra bietet nicht viel Interessantes und hat auch viel von ihrer früheren Bedeutung eingebüßt. Das Ziel meiner Reise war die Kirche. Diese wurde von den ersten Karmelitermissionaren im 17. Jahrhundert erbaut, später zerstört, aber von P. Maria Joseph wieder hergestellt. Ein syrischer Priester versieht den Gottesdienst und leitet eine Schule daselbst.

Es ist wirklich zum Verwundern, wenn man alles sieht, was die Missionare mit einer kleinen Summe Geld ausrichten können. Abgesehen von den Unterstützungen einiger weniger Christen Baghdads, die so reich und großmütig sind wie Asfar, verfügt die Mission nicht über 10000 Francs jährlich, mit denen sie alle die Ausgaben bestreiten muß.

In Basra haben die Eifersüchteleien zwischen dem chaldäischen und syrischen Ritus zu einem bedauerlichen Zwiespalt geführt. Kaum sind die Christen in Basra zusammen so zahlreich, daß sie eine Kirche und eine Schule füllen. Nun hat jede Gemeinde eine Kirche und eine Schule, weil sich die Chaldäer von den andern abgesondert und eine eigene Schule und Kirche erbaut haben. Bei den geringen Hilfsmitteln ist eine solche Verschwendung um so mehr zu beklagen. Diese Absonderung ist leider ein Hauptzug in dem Charakter der Orientalen.

Der Dampfer, der uns nach Bombay bringen sollte, die Arabia, gehörte der Company of British India. Er war alt und klein, in einer Zeit erbaut, wo man mehr darauf bedacht war, die Passagiere gut unterzubringen, als möglichst viele Reisende mitzunehmen.

Während er seine Fracht aufnimmt, wollen wir uns ein wenig zurückziehen, um noch einige zerstreute Erinnerungen zu sammeln und von der türkischen Regierung zu plaudern.

Eines der größten Laster der türkischen Regierung ist die Käuflichkeit der Ämter. Sie werden alle gekauft, wenn auch nicht öffentlich, so doch unter der Hand. Dieses ist das erste Übel.

Das zweite Übel besteht darin, daß die Beamten keine sichere Zukunft haben; irgend eine Laune kann jederzeit ihre Entlassung zur Folge haben.

Durch die großen Ausgaben, die sie in der Form von Geschenken machen mußten oder um ihr Einkommen zu ergänzen oder auch um sich für schlimme Fälle einen Reservefonds anzulegen, sind diese Beamten fast alle zur Unterschlagung oder Erpressung gezwungen. Nehmen wir zum Beispiel den Wali von Mosul, der als ein sehr ehrlicher Mann gilt. Um seine Stelle zu erlangen, hat er viel Geld ausgeben müssen. Acht Monate später wurde er ohne Anspruch auf Pension entlassen und hatte nicht einmal das Recht, unentgeltlich nach Konstantinopel zurückzukehren. Alle aber sagen, daß er in den acht Monaten doch zu seinem ausgelegten Geld gekommen ist und schon einige, wenn auch geringe, Ersparnisse gemacht hat, und dies in acht Monaten.

Jeder Beamte ist derselben Absetzung ausgesetzt; deshalb beeilt er sich, aus allem Kapital zu schlagen. Nachdem er sich einmal daran gewöhnt hat, fällt es ihm schwer, davon zu lassen. Ist es nicht besser, das Geschäft, so lange als es geht, fortzusetzen? Zudem kennen die Protektoren die Stellen ihrer Schützlinge genau hinsichtlich des Einkommens; von Zeit zu Zeit machen sie ihm ganz deutliche Anspielungen, auf die er durch das Senden eines Backhschichs antwortet, wenn er seine Stelle nicht verlieren will.

Ich habe bereits erwähnt, daß jedes ernsthafte Unternehmen in der Türkei einfach unmöglich ist; so ist es bis jetzt gewesen, und so wird es auch bleiben. Der Türke ist ein großer Eroberer gewesen, aber er besaß nie Sinn für eine ordentliche Verwaltung. Die Verwaltungsmaschine ist immer in schlechtem Zustande gewesen; es fehlt an einem Sultan, der sie in Gang brächte. Sobald dieser aber verschwunden sein wird, geht alles nach der alten Schablone.

Die Straße von Mosul nach Diarbekr hat dasselbe Schicksal erlitten wie die von Wan nach Erserum. Sind einige Kilometer vollendet, so wird die Straße feierlich eröffnet, schöne Berichte rechtfertigen den Verbrauch des Geldes, und dabei hat es aber auch sein Bewenden. Der Sultan hat das Geld hergegeben, aber dieses ist in der Tasche der Beamten hängen geblieben.

Der jetzige Sultan Abd-ul-Hamid soll sehr thätig sein und sich um alles kümmern. Seine Absicht ist gut; obwohl er intelligent ist, so fehlt ihm doch die unerläßliche Grundlage, die erste Erziehung. Wie alle Sultane ist auch er vor seiner Thronbesteigung ganz bei Seite gehalten worden; vielleicht hat er durch die Eifersucht seiner Vorgänger mehr als einmal in Gefahr geschwebt. Er ist also gar nicht vorbereitet, seine Stellung nützlich auszufüllen, und die natürlichen Anlagen, die er besitzen mag, zu verwerten. Und dann, was kann ein Herrscher ausrichten, der als Werkzeug nur eine bis auf wenige Ausnahme durchaus verdorbene Verwaltung besitzt?[5]

Abgesehen von der Korruption im Innern ist die türkische Verwaltung auch noch sehr bedroht durch den korrumpierenden Einfluß, den Rußland auf die höchsten Beamten auszuüben sucht und dabei mit der größten Unverschämtheit verfährt. Ich habe in Konstantinopel einen Europäer kennen gelernt, der einen sehr wichtigen Posten in der türkischen Armee bekleidete. Die Russen suchten vergeblich, ihn mit ihren Rubeln zu fangen; als sie sahen, daß es auf diese Weise nicht ging, wandten sie sich an die Gemahlin des Beamten und versprachen ihr Geld und Toiletten. Voll Unwillen wies diese den russischen Unterhändler ab. „Auch gut,“ antwortete dieser darauf, „wenn Sie uns nicht unterstützen wollen, so werden Sie aber bald zu ihrem eigenen Schaden einsehen, wie wir denjenigen schaden, die uns im Wege stehen.“ Und wirklich häufte sich seit diesem Tage auf den charakterfesten Beamten ein Berg von Verleumdungen und Anklagen.

Daß unter solchen Umständen Abd-ul-Hamid ohnmächtig ist, kann nicht wunder nehmen. Seine Vorgänger sind es ja auch gewesen.

Sultan Mahommed, der wirkliches Genie besaß, hatte große Reformen begonnen und das Reich von dem gefährlichsten Element der Unordnung, von den Janitscharen, befreit. Sein Nachfolger Abd-ul-Medschid war schwach. Abd-ul-Aziz, der gut begonnen hatte, verkam ganz in dem Haremsleben und endigte damit, daß er seine Zeit dem Anwohnen der Hühnerkämpfe widmete und die siegreichen Hühner dekorierte. Murad hat nicht lange regiert. Abd-ul-Hamid widmet sich ganz dem Harem, wobei er moralisch und physisch zu Grunde geht; die Ausgaben für den Harem heben alle Reformversuche auf.

„Zählt man alle dem Serail angehörende Personen zusammen, alle Offiziere, Günstlinge, Beamte, Bediente, die im Dienste des Sultans stehen, so kann man 6000 Mann annehmen, die Abd-ul-Hamid täglich zu ernähren hat.[6] Man braucht also nicht zu erstaunen, wenn man liest, daß in den kaiserlichen Palästen jeden Tag 2000 bis 3000 Pfund Fische, beinahe 18000 Pfund Brot, 2000 Pfund Reis für den unvermeidlichen Pilau, 600 Pfund Zucker verbraucht werden, ohne von dem Fleisch, dem Gemüse, den getrockneten oder frischen Fruchten, den Spezereiwaren, den Zuckersachen und Bonbons zu reden. Diese Thatsachen erklären gleichzeitig, wie es möglich ist, daß eine Zivilliste von achtzig Millionen Mark kaum den Bedürfnissen des Sultans genügt.“[7]

Neben den Ausgaben für seinen Harem giebt der Sultan, der großmütig – um nicht zu sagen verschwenderisch – ist, für Geschenke und gute Werke noch enorme Summen aus. Um all diese Ausgaben bestreiten zu können, benützt er jede Gelegenheit etwas zu erwerben und scheut sich nicht, von seinen Unterthanen Geschenke anzunehmen, die zum wenigsten einen Herrscher sehr bloßstellen.

Um ihre Einnahmen zu vergrößern, sind die letzten Sultane, Abd-ul-Hamid besonders, bemüht gewesen, die kaiserlichen Güter durch vorteilhafte Erwerbungen zu vergrößern, was ihnen auch nach Wunsch gelungen ist. Angenommen, Seine Majestät will etwas ankaufen; kann ein treuer Unterthan noch einen Augenblick zögern, seinem gnädigsten Herrn die günstigsten Bedingungen zu stellen, besonders wenn dieser gnädigste Herr auch imstande ist, sich den Gegenstand anzueignen, ohne überhaupt etwas dafür zu bezahlen?

Darum haben sich diese Domänen auch so ungeheuer vergrößert; in dem einzigen Vilayet von Mosul übersteigen die Revenuen des Sultans allein 600000 Mark. Man rechnet, daß die Hälfte des Vilayets von Baghdad allein dem Sultan als Privateigentum gehört. Man hat auch dafür Sorge getragen, daß überall die besten Ländereien dazu gewählt wurden, und es ist bemerkenswert, die Revenuen dieser Domänen gehen viel pünktlicher ein als die des Reiches. Leider fließen sie alle in die Privatkasse des Sultans, schädigen dagegen um so mehr den Staatsschatz.

Was die Kaufbedingungen betrifft, so grenzen sie ans Unglaubliche. Gewöhnlich nimmt man an, daß der Kaufpreis der Ländereien der Hälfte des jährlichen Ertrages gleichkommt, mit anderen Worten, ein Landstück, das jährlich ungefähr tausend Mark reinen Gewinn abwirft, wird für fünfhundert Mark verkauft. Damit stimmt auch überein, was einer meiner Korrespondenten, ein sehr zuverlässiger Mann, mir schrieb: „Was die von Sr. Majestät, unserm erlauchten Souverän, dem Sultan Abd-ul-Hamid, gekauften Ländereien betrifft, so hält es sehr schwer, deren Zahl oder Ertrag zu erfahren, noch schwerer aber auszukundschaften, zu welchem Preise sie angekauft worden sind. Ich gebe Ihnen bloß ein einziges Beispiel, das jedermann bekannt ist, und wonach Sie urteilen können. Das Gut, genannt El Dschehalla in dem Sandschak von Amara gelegen in dem Vilayet von Basra ist für 5000 türkische Lire gekauft worden, bringt aber jährlich 25000 türkische Lire ein. Viele andere Güter sind nach dem Ankauf verbessert worden, bringen aber noch keine solch glänzende Resultate.“ Man behauptet, daß die Eigentümer, die nach dem „Verkauf“ ihrer Ländereien an den Sultan auf ihrem frühern Gute als Pächter bleiben, sich bei dem Wechsel doch nicht sehr schlecht stehen, denn da sie Zinspflichtige des Sultans selbst sind, brauchen sie nicht mehr so viele Steuern zu zahlen wie früher und auch nicht nach Belieben der Beamten Frondienste zu verrichten.

Dieser Punkt ist wichtig, denn die Erpressungen bilden die schwersten Steuern der türkischen Unterthanen. Von diesen Erpressungen ist bereits früher (Bohtan Seite 236) gesprochen worden. Auch hier werden dieselben Klagen, vielleicht in etwas milderer Form laut. An ein Aufblühen der Landwirtschaft ist gar nicht zu denken, denn der kleine Eigentümer wird von dem Beamten ausgesogen, und sobald er ein wenig zu reüssieren scheint, wird er buchstäblich aufs Trockene gesetzt. Die Großgrundbesitzer sind, wenn sie nicht zugleich politische Chefs eines mächtigen Klanes sind, nicht besser daran, denn sie haben größere Backhschichs zu zahlen als der gewöhnliche Mann. Und wenn man von dieser Seite wegen des großen Einflusses, den sie ausüben, etwas vorsichtiger verfährt mit dem Aussaugen, so haben doch die Großgrundbesitzer die Betrügereien ihrer Pächter dafür zu fürchten, die auf Kosten ihrer Lehnsherren wieder zu ergaunern suchen, was sie mit Unrecht den öffentlichen Beamten zu zahlen gezwungen sind.

Betreffs der großen, eingeborenen kurdischen oder arabischen Chefs ist zu bemerken, daß dieselben nur teilweise unter der türkischen Verwaltung stehen. Diese Verwaltung hat zwar eine telegraphische Linie in dem Herzen von Kurdistan errichten können, das ist etwas; aber um in diesen wilden Gebirgen die türkische Herrschaft fest zu begründen, giebt es nur ein Mittel: es müssen ordentliche Straßen hergestellt und durch befestigte Posten verteidigt werden, ferner müssen einige Brücken über den Tigris gebaut werden, um die Verbindung der beiden Ufer zu erleichtern. Zwischen Diarbekr und Mosul giebt es keine ordentliche Brücke – dafür ist die Brücke in Mosul, von der bereits die Rede war, aber auch ein Meisterwerk. – Es fehlt hier eine intelligente, ehrliche aber auch entschiedene Verwaltung, freilich so viele Bedingungen, so viele Unmöglichkeiten. wenn die Kurden es verständen, sich zu einigen und ein gemeinsames Oberhaupt zu erwählen, so könnten sie die Türken aus Kurdistan zurückwerfen, und der Wiedereintritt in das Land könnte den Türken sehr schwer fallen.

Die durch die Wüste verteidigten Araber können wirklich ihre Bedingungen der Regierung aufdrängen. In diesem Jahrhunderte haben sie Baghdad schon öfters gebrandschatzt.

Vor acht Jahren ungefähr wurde Sayhud, der Scheikh eines Stammes zwischen Amara und Korna es müde, unaufhörlich dem Mutessarif von Amara Backhschichs zu schicken, ohne zum Ziel seiner Wünsche zu kommen, und ergriff ein radikales Mittel; da er mit Uberzeugungen der türkischen Behörden nichts ausrichten konnte, so suchte er sie einzuschüchtern. Zunächst begann er den türkischen Dampfer zu beschießen. Da man darauf nicht sonderlich achtete, so mußte er stärker vorgehen. Eines schönen Tages legte er sechzig Mann seines Stammes bei einer scharfen Biegung des Flusses, die von dem großen englischen Dampfer schlecht umfahren werden konnte, in den Hinterhalt. Als der Kalifah vorbeifahren wollte, empfing ihn der Scheikh mit einem schrecklichen Gewehrfeuer und befahl den Sturm auf das Schiff. Der schwer verletzte Kapitän, der von seiner kopflosen Mannschaft verlassen war, hatte noch so viel Überlegung, um zum Rade zu eilen und das Schiff außerhalb des Bereiches der Araber zu bringen. Heute noch trägt der Khalifah die Spuren der Kugeln. Aber England war nicht so ganz mit diesem Überfall zufrieden, und die Sache schien für den Scheikh schlimm zu werden, der flüchten mußte. Die Türkei ließ ihn „sorgfältig“ verfolgen und auf dem Gebiete des Scheikh einige Forts errichten. Sechs Monate lang wurden die Schiffe von einem Kanonenboot begleitet.

Übrigens hatte der Scheikh gut gerechnet. Er wurde zwar in contamaciam verurteilt, und England verlangte seine Auslieferung; aber um Englands Verlangen zu erfüllen, mußte man den Scheikh doch zuerst ergreifen, und dies war nicht möglich. Er hielt sich zwar nur eine Stunde von Amara verborgen, wo er in seinem Schlupfwinkel sogar die Besuche der türkischen Beamten erhielt. Nach einer gewissen Zeit wurde Sayhud als unfindbar erklärt und von der Sache nicht mehr weiter gesprochen. Aber die türkische Regierung hatte eine Lektion erhalten. Einige Monate später erhielt der Sohn des Scheikh zum Geschenk ein großes Terrain, das er jetzt nutzbar macht; sein Bruder Uadi, ein sehr reicher Mann, wurde zum Scheikh eines bedeutenden Gebietes ernannt, das Amara gerade gegenüber liegt. Sayhud selbst, der noch eine Zeit lang einige Vorsicht gebrauchte, wurde noch einflußreicher als früher.

Die Türkei ist somit an ihrem Ruine angelangt: der „kranke Mann“ ist mehr als je dem Sterben nahe, ja er ist bereits tot; aber zu viel Erben streiten um den Vortritt bei dem Begräbnis. Dadurch, daß man abwartet, ob sich die einzelnen nicht darüber einigen werden, ist man wieder dazu gekommen, den kranken oder toten Mann als noch lebend zu betrachten.

Bloß die Schwierigkeiten, die bei dem Teilen der Türkei entstehen können, sind im stande, Europa zu entschuldigen, daß es so lange einen so beklagenswerten Zustand bestehen läßt.

Der Löwenanteil an der türkischen Erbschaft wird leider Rußland zufallen, das auf die türkische Schwäche und Ohnmacht einen allgemeinen, geregelten Despotismus folgen lassen wird. Von diesen beiden einander ausschließenden Zuständen weiß man nicht, welchen man wählen soll. Mag die Türkei auch tyrannisch verfahren in materieller Hinsicht, so läßt sie sich doch heute nicht mehr einfallen, einen Druck auf das Gewissen und die religiöse Überzeugung auszuüben, und gerade diese Freiheit in religiösen Dingen ist so kostbar, daß man sie höchst ungern gegen ein strengeres Regime vertauschen würde, wo sie verschwinden müßte.[8]

2. Februar.

Die „Arabia“ hat langsam die Ladung eingenommen; wir verabschiedeten uns von Asfar und seiner liebenswürdigen Familie und fuhren langsam den Schatt-el-Arab hinab, dessen beide Ufer mit großen Palmenwäldern eingefaßt sind.

Bei der Mündung des Karun warfen wir Anker, um noch sechzig Tonnen Datteln mitzunehmen.

Die Schiffahrt auf diesem Flusse wurde von England zum großen Verdruß Rußlands eröffnet. Es ist dies ein politischer Vorteil, den John Bull über den russischen Bären davongetragen hat; aber in Hinsicht auf den Handel hat man die Wichtigkeit dieses Unternehmens anscheinend überschätzt. Zur Zeit unserer Anwesenheit konnten die Schiffe den Korun nur bis Ahwas, ungefähr 150 Meilen von Mohammereh hinauffahren. Frankreich hat seinen Vize Konsul von Basra nach Bender-Buschir versetzt, um den Handel auf dem Schatt und dem Karun gleichzeitig überwachen zu können, was nach meiner Ansicht ein Mißgriff war.[9]

Die kleine Stadt Mohammereh, die auf persischem Gebiete liegt, befindet sich eine kurze Strecke von unserem Aufenthalte entfernt. Hier wohnt der Agent von Britisch-Indien; dieser arme Kerl hat entsetzlich viel zu leiden von dem Fanatismus der schiitischen Einwohner. Sein Vorgänger konnte nicht einmal eine Wohnung bekommen und mußte sich in einem Stalle einquartieren. Für den jetzigen zeigte man etwas mehr Erbarmen und trat ihm ein Zimmer ab; aber niemand will ihm ein Haus verkaufen. Der Verkauf würde übrigens auch nicht anerkannt werden von dem Scheikh des Ortes, obgleich er dem Vernehmen nach gut gesinnt sein soll gegen die Engländer, und obwohl er schon sehr weit civilisiert ist, da er sich sogar einen Vergnügungsdampfer hält. Der Agent kann keine Ware berühren, ohne sie kaufen zu müssen, und jeder Muselman hält sich durch den Verkehr mit ihm für verunreinigt. Hier herrschen noch die alten Zustände, wie man sieht.

Bei Mohammereh teilt sich der Schatt in zwei Arme, wovon der westliche, auf dem wir unsere Fahrt fortsetzten, der bedeutendere ist. Der östliche Arm, Schatt-Behemschir, kann als zum Karun gehörend betrachtet werden. In jüngster Zeit angestellte Versuche scheinen das Ergebnis zu verzeichnen zu haben, daß die Schiffahrt auf ihm leichter möglich ist, als auf dem westlichen Arm.

Bei unserer Abfahrt von Mohammereh verschlimmerte sich das Wetter, und als wir am Abend in Fau Anker warfen, hatte sich der Wind in einen gehörigen Sturm verwandelt.

Am zweiten Februar überschritten wir auch die Sandbank, an der wir bei dem heftigen Sturm angelangt waren.

Wir waren somit im persischen Meerbusen. Mit Bezug auf den Titel des Buches kann ich hier von dem freundlichen Leser Abschied nehmen. Möge er durch das Lesen des Buches zu derselben Reise angeregt werden! Schwierigkeiten, Verdrießlichkeiten und Gefahren werden ihm dabei zwar so wenig wie uns erspart bleiben; aber die Erinnerung an die Reise ist angenehm, und die großartigen Panoramas der orientalischen Natur prägen sich in Geist und Herz tief ein. Einige in der Gesellschaft der Briganten zugebrachte Monate sind doch interessant und üben einen angenehmen Wechsel auf die Monotonie des civilisierten Lebens aus.

Beim Abschied aus dem Orient fühlte ich etwas Widerstrebendes in mir, das mich sagen ließ: Auf Wiedersehen!

Dreizehn Tage brauchten wir, um nach Bombay zu kommen, wo wir uns nicht weiter aufhalten wollten. Aber da wir einmal auf indischem Boden waren, konnten wir der allzu starken Versuchung keinen Widerstand leisten, zumal die Ratschläge des freundlichen Gouverneurs von Bombay, des Lord Rey, zu überzeugend und sein Programm zu verführerisch war. Kurz, in Indien brachten wir noch sechs ganze Wochen sehr angenehm zu. Von da aus machten wir einen Abstecher nach Ägypten, verweilten acht Tage in Jerusalem und betraten nach neunmonatlicher Abwesenheit am 1. Mai 1889 in Brindisi den europäischen Boden wieder.

Dr. Paul Müller-Simonis.


  1. Die Gesellschaft macht gute Geschäfte; man sagte uns, daß die Dividenden zwischen 12 und 25% schwankten. Die Aktien sind in den Händen einiger Geschäftsleute aus Baghdad und einiger englischer Unternehmer.
  2. Die türkische Gesellschaft hat drei schmutzige und unappetitliche Dampfer.
  3. Nichts wäre leichter, als diese Sandbank auszubaggern, wenn sie nicht in der Türkei wäre.
  4. Oppert giebt in dem Atlas seiner Expedition nach Mesopotamien die Abbildung einer Moschee in Basra, die eine schwache Andeutung von der Schönheit der Landschaft geben kann. Übrigens ist nach der Ebbe alle Poesie verschwunden, da der Kanal dann nicht weiter ist als eine Schlammpfütze.
  5. Die Reschid, Ali und Fuad wollen aufrichtig den Fortschritt; aber was können sie ausrichten ohne tägliche Unterstützung, ohne die thätige Mitarbeit tüchtiger Agenten, die der Sache ergeben sind? Und was für welche sind es, mit denen sie meistens arbeiten müssen? Angeblich Schüler abendländischer Schulen, von zweideutiger Natur, gleichgiltig im höchsten Grade, verdorben, die mit wenigen Ausnahmen von ihrer Berührung mit der Civilisation keine weitere Frucht aufweisen können als einen dummen Skeptizismus und das Gefühl ihrer relativen Überragung, und die dazu noch erfüllt sind mit einem Widerwillen, den ihnen die europäische Überlegenheit einflößt. Engelhardt, La Turquie 254.
  6. 6000 Personen hat der Sultan offiziell zu ernähren. In Wirklichkeit aber rechnet man, daß mehr als 20000 Personen keine andere Küche haben als die des Sultans.
  7. Correspondant, 10. März 1891. Seite 845.
  8. In diesem Punkte scheint der „kranke Mann“ aber seine Ansicht etwas geändert zu haben, wie die jüngst erfolgten Schandtaten in Armenien beweisen; oder sollte er daran unschuldig sein? Vergl. S. 280 ff. (Anmerkung des Übersetzers.)
  9. Seit der Zeit ist Asfar zum Konsular-Agenten ernannt worden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verhalten