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Sie besitzen auch eine Apotheke, wo jährlich mehr als 6000 Personen unentgeltlich Rat und Arznei erhalten.

Außer den Chaldäern zählt die Gegend von Saïrd ungefähr 6000 schismatisch armenische Familien, die größtenteils nördlich von der Stadt wohnen in dicht bevölkerten Dörfern (gegen 30 000 Seelen).

Die jakobitischen Syrer wohnen in ungefähr 25 Dörfern und werden ungefähr 4000 Seelen zählen.

Der Rest der Bewohner des Sandschacks (Bezirks) von Saïrd setzt sich aus Kurden, Mohammedanern und Jesiten zusammen.

Nahe bei Saïrd findet sich das „Land“ von Bohtan, das von dem „Wasser von Bohtan“, dem Bohtan-Su, bewässert wird. Dieses „Land“ zählt dreihundert Dörfer mit einer Gesamtbevölkerung von vierzigtausend Seelen, zusammengesetzt aus Mohammedanern, Chaldäern und Armeniern.[1] Die Hauptnahrungsquellen sind Viehzucht und Ackerbau;[2] bei einer richtigen Verwaltungseinrichtung müßten die Leute reich werden, während sie jetzt fast vor Hunger sterben.

Da ich gerade diesen Umstand erwähne, so will ich auch hier die Auskünfte wiedergeben, die ich in jenen Gegenden gesammelt habe, besonders in den Dörfern, die wir nach dem Verlassen Saïrds passierten, wiewohl diese Notizen eigentlich eine andere Stelle einnehmen müßten.

Die Furcht vor den Erpressungen und Plünderungen bringt die Dorfbewohner dahin, daß sie nur so viel anbauen, als sie unbedingt nötig haben; der Handelsverkehr ist infolgedessen sehr schwach, und das primitive System des Tauschhandels mit Früchten genügt gewöhnlich bei dem Verkehr; daher kommt es auch, daß bares Geld rar ist.

Mißrät aber die Ernte, so ist die Hungersnot da, weil kein Geld im Lande ist, um fremdes Getreide zu kaufen, und auch keine andern Früchte, um Getreide dafür einzutauschen. Zudem wäre bei den erbärmlichen Verkehrsverhältnissen das Einführen einer beträchtlichen Menge Getreide eine sehr schwierige Sache.

Die Gegend des Bohtan machte in den Jahren 1879 und 1880 eine solche Hungersnot durch, wobei die Bevölkerung zum großen Teile von dem Hunger weggerafft wurde. Bei den traurigen ökonomischen Verhältnissen, in denen sich die Bevölkerung befindet, hätte sie jetzt gerade eine sehr nachsichtige Verwaltung notwendig, um sich einigermaßen erholen zu können.

Statt dessen aber sollte der Bohtan gerade damals die rückständigen Steuern im Betrage von 19 Millionen Piastern (3344000 Mark) entrichten, während das Land auch schon den Gesamtbetrag der Steuern mindestens dreimal erlegt hatte. Angenommen, ein Privatmann – der Fall ist auch derselbe, wenn wir an Stelle eines Privatmannes ein ganzes Dorf annehmen – hat hundert Piaster Steuer zu zahlen. Er bringt diese dem Steuereinnehmer, der ihm dafür eine Quittung über

  1. Es muß betont werden, daß diesen Zahlen nur ungefähre Schätzungen zu Grunde liegen.
  2. Die Hauptprodukte sind Korn, Gerste, Hirse, Baumwolle, Gallnuß, Krapp (Bitlis hat die Rotfärbereien, wozu der Bothan und andere Bezirke den Krapp liefern), Trauben, Feigen, Mandeln und andere Früchte. Das Land besitzt Schafe und Ziegen; auch führt man Panther-, Fuchs-, und Wildziegenfelle aus. Alle diese Produktionen sind aber infolge der erbärmlichen Verwaltung auf das Mindestmaß beschränkt.
Empfohlene Zitierweise:
Paul Müller-Simonis: Vom Kaukasus zum Persischen Meerbusen. Verlag von Franz Kirchheim, Mainz 1897, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Vom_Kaukasus_zum_Persischen_Meerbusen.pdf/258&oldid=- (Version vom 1.8.2018)