Textdaten
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Autor: Johannes Wilda
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Titel: Voll Dampf voraus!
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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 589, 596
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[589]

Voll Dampf voraus!
Gemälde von H. v. Bartels.

[596] Voll Dampf voraus! (Zu dem Bilde S. 589.) Vorwärts! – Die See brandet haushoch gegen die Molenköpfe des Hafens. Jetzt sind die gewaltigen Steinquadern bis tief unten entblößt, und jetzt wieder flutet der schäumende Schwall donnernd bis oben über die Mauern, und wild jagt der spritzende Gischt über die Kuppeln der Feuertürme. Aber vorwärts – dennoch vorwärts!

Ein schwaches Geräusch, wie ein ferner Paukenschlag, durchdringt das Tosen. Und wieder – und abermals! Es ist die höchste Zeit, dem draußen bei dem Unwetter festgekommenen Dreimaster zur Hilfe zu eilen; die rasche Folge der Notschüsse, dies unbeschreiblich ans Herz greifende dumpfe Flehen aus Todesnot lehrt es!

Und vorwärts! Der Kapitän des Schleppers steht auf seiner Brücke fest wie aus Erz gegossen. Sein Arm ist ausgestreckt, wie er das Kommando giebt. Eherne Züge zeigen sich unter dem nassen Südwester. Sie sehen kalt und gelassen aus, aber drinnen in der Brust schlägt ein warmes Herz, ein Herz voll Pflichtgefühl, voll Menschenliebe.

Zu Hunderten halten die Menschen auf den inneren Molen dem sprühenden Seewasser stand und folgen mit weit geöffneten Augen, fast atemlos, dem Manöver des Schleppers. Dieser hat sich quer von der Mole ab in den Hafen gedreht: die Trosse, das starke Tau, die seinen Bug gegen die Wellenrichtung halten soll, ist wie Glas gesprungen, und schon sieht jeder, wie die wütende See das noch unbehilfliche Fahrzeug gegen die Quadern der Ausfahrt schleudert. Man preßt die Hand des Nachbarn; ein Zittern läuft durch die Kniee.

Aber der Kapitän versteht seinen Renner zu meistern und herumzuwerfen. Zwar streift der Steuerbord-Radkasten noch den Molenkopf, daß es weithin kracht von splitterndem Holz; jetzt aber ist der Dampfer frei, und tief in die Brandung gräbt er seine Brust und dann hebt er sie wieder triumphierend, während das Wasser stromweise von den Außenbordleisten fließt. Hipp – hipp – Hurra! Ein dreifaches, elementar aus den Herzen brechendes Hoch gellt ihm nach. Der Kapitän wendet sich einen Augenblick zurück und winkt seinen Dank.

Und nun verschwindet das kämpfende Fahrzeug immer mehr in dem Wolkengrau, das über der schäumenden Fläche lagert. Man sieht schwächer und schwächer, wie es aufwärts steigt und sinkt; immer länger wird die horizontale Rauchsäule, die dem Schornstein schwarz entquollen ist. Stunde auf Stunde verrinnt. Die halbe Nacht vergeht. Die Leute auf den Molen rühren sich nicht vom Fleck. – Endlich – endlich – ein rotes und ein grünes Licht und ein Weißes darüber!

Noch immer heult der Sturm und wütet die Brandung. Da jagt es dunkel und groß durch die Einfahrt. Noch ein heftiges Schleudern und das ruhige Wasser ist erreicht. Das brave Schiff hat sein aufopferndes Werk glücklich vollendet!

Und wieder gellt das Hurra dnrch die Nacht. Hunderte von Händen wollen helfend zupacken, wollen den gedrängt auf dem Deck hockenden geretteten Seeleuten, die ihr Fahrzeug freilich verloren haben, ein Obdach bieten, wollen dem einfachen, tapferen Manne mit den ehernen Zügen ihre Bewunderung, ihren Stolz, ihre Liebe kundgeben. Und dieser sucht mit dem Blick das sich schiebende, schwärzliche Menschengewimmel zu durchdringen: er sucht nach Weib und Kind! Gott sei Dank, sie haben sich wieder!

Was für ihn auf dem Spiel gestanden hat, das kann niemand ihm nachfühlen; aber jedermann weiß, daß es allezeit, nach wie vor, bei dem Appell an seine Pflicht, bei ihm heißen wird: Voll Dampf voraus! Johannes Wilda.