Vierundzwanzig Stunden im Paris der bittern Noth

Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Vierundzwanzig Stunden im Paris der bittern Noth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 204–206
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[204]

Vierundzwanzig Stunden im Paris der bittern Noth.[1]

Von Friedrich Hofmannn.
Orleans, den 9. Februar 1871.

Sie wissen bereits, daß es nicht meine Absicht war, nach Paris zu gehen, sondern mein kühnstes Ziel eines Abstechers von dem Sanitätszug war Versailles. Dorthin lautete auch der Reisepaß, welchen ich mir von der Präfectur in Orleans hatte ausstellen lassen und auf welchen hin ich eine Fahrkarte bis Vitry erhielt, der nächsten durch die Eisenbahn von Orleans zu erreichenden Station vor Versailles. In Juvisy, einem Knotenpunkt, wo die Pariser Bahn nach Orleans und nach Corbeit abzweigt, versorgte ich mich, auf den Rath deutscher Landsleute, mit einem Proviant an Brod, Butter und Wurst für die Weiterreise und fuhr dann mit dem Mittagszuge nach Vitry.

Das Etappen-Commando zu Vitry hatte, wie alle diese Commandos um den Pariser Mauergürtel, die Verpflichtung, Niemanden französischer Nation nach oder von Paris passiren zu lassen, der nicht im Besitz der ganz bestimmt vorgeschriebenen Legitimation war – dem leichtfertigen Franzosenvolk gegenüber allerdings eine Aufgabe, deren Durchführung nicht zu den Freuden dieses Lebens gehörte. – Ich für meine Person war in Vitry am ersten Ziel meiner Reise angelangt. Jetzt galt es, von da nach Versailles zu kommen. So fest stecken in unsern deutschen Köpfen die Friedensvorstellungen, daß ich mir nicht anders denken konnte, als in Vitry könne es an Fahrgelegenheit nach dem deutschen Hauptquartier gar nicht fehlen. Statt dessen konnte ich kaum einen Weg dahin entdecken. Die Aussicht, fünf bis sechs Stunden querfeldein stampfen zu müssen, verführte mich zu einem Gedanken, den ich dem Herrn Commandanten mit der Frage vorlegte: „Sollte ich denn von Paris aus nicht leichter nach Versailles gelangen können?“

„Das ist wohl möglich,“ meinte er. „Zeigen Sie doch mal gefälligst Ihren Paß.“ Nachdem er ihn gelesen, fragte er mich in theilnehmendem Tone: „Ist es Ihnen wirklich darum zuthun, nach Paris zu gelangen?“ Und als ich dies bejahte, sagte er: „Aus Achtung vor der Gartenlaube gestatte ich Ihnen die Weiterfahrt nach Paris, ich will sogar Ihrem Paß auch noch meine Unterschrift beifügen; nach Paris kommen Sie, wie Sie aber in Paris damit zurechtkommen, das ist Ihre Sache. Jedenfalls thun Sie am besten daran, über Vitry zurückzukehren.“

Ich sprach meinen Dank für die außerordentliche Vergünstigung aus und wenige Minuten später rollte der Zug, von da an nur noch voll Stockfranzosen um mich herum, der weltberühmten „Enceinte“ entgegen. Jetzt erst, wo man „die schreckliche Tyrannei der preußischen Barbaren“ überstanden hatte, zeigten alle Zungen, und zwar auf einmal, daß sie gelöst waren; es gab ein ohrzerreißendes Durcheinanderschreien in allen Tonlagen und Tempi, haarsträubende Wuthausbrüche und Drohungen gegen die Preußischen Räuber und Mörder, – und da saß Einer mitten unter ihnen – und sagte es nicht! – Wie vollkommen mit Allem einverstanden, was man da zusammen und durcheinander parlirte, hielt ich’s mit einem wahrhaft Moltke’schen Schweigen und ließ um so eifriger die Augen links und rechts hinaus nach den neuen Eindrücken haschen.

L’enceinte, l’enceinte!“ schrieen plötzlich die Glücklichen an den Fenstern, und husch! steckten so viel Köpfe in den Luken, daß es Nacht in den Wagen wurde. Das Donnern derselben im Walldurchgange sagte mir: jetzt bist du drinnen! Mit einem Blick zurück glaubte ich noch zu Geschützständen führende Rampen und allerlei wild durcheinander liegendes Schanzzeug zu erkennen. Das Erste, was ich von Paris sah, war eine Reihe kleiner Vorstadthäuser, die Neugierigen an Fenstern und Thüren, die Kinder auf der Straße, gerade wie bei uns; dann große, rauchgeschwärzte, aber leere Niederlagen und Waarenhallen, todte Maschinenbauwerkstätten und endlich die offene Aussteigehalle mit einem großen umgitterten Hof. – Fünfzig Centimes Nachzahlung für die Fahrt von Vitry her – und nun noch Befriedigung des Octroibeamten. Meine verehrten Mitreisenden waren meist mit sehr vielen Säcken, Bündeln und Schachteln behaftet, so daß ich es für zweckmäßig fand, mit meiner leichten Last mich vorzudrängeln. Ich eröffnete dem Manne am Gitterthor einen Einblick in mein Paketchen mit dem erklärenden Zusatz – und meinem ersten Französisch in Paris! –: „Un peu de pain!“ – „Entrez, Monsieur!“ Und so geschah’s, und da war ich! –

„Du bist in Paris!“ Das mußte ich mir immer und immer wieder sagen, und ich hatte Grund dazu, denn die Boulevards (B. de l’Hopital, Place und B. d’Italic), die ich, um nach dem Linken-Ufer-Bahnhof von Versailles zu suchen, zuerst durchwanderte, erinnerten keineswegs an die Großartigkeit und Pracht, die für unser Ohr an den Namen hängt. Ein- und zweistöckige Häuser, gepflasterte Trottoirs oder mit Steinen eingefaßte Asphaltwege, Parterre Laden an Laden sehr gewöhnlicher Art, viel Schmutz [205] und viel Volk ohne die Rührigkeit und Beweglichkeit, welche ein bestimmtes Ziel und Streben in die Glieder bringt, und welche ja das „glückliche Paris“ als ein besonderes Kennzeichen seiner unternehmenden Bewohner rühmte. Hier war offenbar eine der Heimstätten jenes unglücklichsten Theils des Mittelstandes, welcher sich zurückzieht, wo gefordert, und sich schämt, wo gebettelt wird, d. h. Das, was wir den unverschämten Straßenarmen gegenüber den „verschämten Hausarmen“ nennen. Bei den Männern mochte das Gewand täuschen, denn etwas Militärisches hatte Jeder an sich und wär’ es nur die rothe Streife an der Hose oder Mütze, auch hatten sie vielleicht wirklich weniger gelitten; aber in die Gesichter der armen Frauen war das bittere Leiden förmlich eingeschnitten, da hatten Hunger und Thränen entsetzliche Furchen gezogen. Ueberhaupt – wenn der Antheil des Heldenmuths bei der Vertheidigung von Paris gemessen wird, so gebührt den Frauen, und vor Allen den Müttern der größte Theil: sie haben das Ungeheuerste ausgestanden, siehaben ihre Kinder dahinsterben sehen müssen, weil sie für sie keine Nahrung, keine Milch und keinen Ersatz für Milch mehr hatten, kein Ei, keinen Zucker, kein Weißbrod, kein Mehl, keine Butter, und an der rauhen Kost, welche der kräftige Organismus noch leidlich überwand, gingen namentlich Kinder unter einem Jahr über zehntausend zu Grunde!

Und dagegen war noch während meiner Anwesenheit keine genügende Hülfe geschafft: während noch keiner Stunde waren schon sieben Kindersärge an mir vorüber getragen. Noch am selben Abend belehrte mich La petite Presse, welche ich unterwegs gekauft, über diese Zustände. Jetzt folgte ich der allgemeinen Strömung, die Männer, Weiber und Kinder nach einem Ziele lockte. Der Menschenstrom stemmte sich vor einem Hause zur Linken, und bald war die Ursache zu riechen: hier begann eben der Brodverkauf oder eine Brodvertheilung, dahinter kam ich nicht. Aber hier sah ich zuerst selbst Frauen in anständiger schwarzer Tracht und selbst zwei Priester, letztere mit Tragkörbchen am linken Arm, um der lieben Gottesgabe willen mit in der Menge stehen. Uebrigens herrschte hier kein Schreien und Drängen; der furchtbare Ernst des Lebens hatte die Zungen gebändigt.

Um einer Procession auszuweichen, kam ich von den Boulevards weit links ab und nach vielen Irrgängen, endlich mich nordwärts haltend, auf den Quai de la Tournelle. Auf diesem ganzen Wege – ich war drei Stunden gelaufen, der Tag neigte sich zum Abend – hatte sich immer dasselbe Straßenbild wiederholt: überall ganz und halb uniformirte Gruppen und Züge von Männern und jungen Burschen, Zeitungsverkäufer, bettelnde Kinder, die Frauen der untern Stände außer den fast immer reinlich weißen Hauben in ziemlich verwahrloster Toilette, die wenigen schwarzgekleideten Frauen meist verschleiert, häufiges Trommeln bei Wachthäusern der Nationalgarde, halbe Knaben mit Chaffepots und rothgestreiften Mützen, nur hier und da ein zweirädriger Karren, fast nirgends ein Geschirr, kein Omnibus, kein Fiacre, und Alles trübselig, wie der Regentag – sodaß schließlich das Beobachten von Alledem von selbst aufhörte.

Ich habe Ihnen gestern geschrieben, wie übel es mir mit meinen Versuchen erging, mein preußisches Geld zu verwerthen. Nachdem ich auch mit einem Zehnthalerschein so schlechte Ehre eingelegt hatte, stand ich mit meinem blauen Proviantpäckchen allerdings wie Einer da, dem die Hühner das Brod gestohlen haben. Drüben, jenseits der Seine, die ich nun in Paris zum ersten Mal sah, that sich erst die Pracht der Weltstadt auf, da ragten Paläste und Dome und wogte ein ganz anderes Massenleben, als ich bisher gesehen, – und ich mitten darin ohne Geld! – Indeß hieß es auch da: rasch entschlossen! Ich durfte die Versuche, mein preußisches Geld anzubringen, nicht fortsetzen; diese Thaler und mein entschieden thüringisches Französisch konnten mich zu leicht als „Prussien“ verrathen, und den politischen Zauber der österreichischen Münze kannte ich noch nicht. Ich beschloß, sofort nach Vitry zurückzukehren, und schlug den Weg rechts der Seine entlang ein. Endlich hielt ich’s für gut, mit etlichen Sousstücken in der Hand einige Knaben nach der „Gare d’Orléans“ zu fragen. Während von den Jungen jeder sich nach den Sous herandrängte und alle durcheinanderschrieen, wandte sich von einer Gruppe Erwachsener ein junger Mann zu mir, warnte mich vor den Buben und erbot sich, mir den gewünschten Weg zu zeigen. Ich nahm das freundliche Anerbieten natürlich sehr dankbar an, warf aber doch die Sousstücke den Jungen zu, die sich nun wacker darum balgten und uns ohne Nachlauferei gehen ließen.

In diesem jungen Mann nun erkannte ich, nach kurzer Unterhaltung, so viel Bildung und gutes Herz, daß ich mich ihm ohne Weiteres anvertraute, – und ich hatte es nicht zu bereuen. Wenn Jahre des Friedens Paris der deutschen Reiselust wieder erschlossen haben, dann kann ich denen, welchen es um einen ebenso unterrichteten wie grundbraven Führer zu thun ist, keinen bessern empfehlen, als meinen jungen Freund, und werde seine Adresse gern mittheilen; seinen Namen sogleich zu nennen, möchte um seiner selbst willen nicht rathsam sein.

„Aber nun, mein Freund, eilen wir zu einem wo möglich recht nahen Ort, wo es ein gutes Glas Wein und Etwas zu essen giebt!“ Dieser Stoßseufzer meiner deutschen Natur, die sich stark regte, fand Anklang auch im französischen Herzen, und bald saßen wir bei einem Restaurant am Boulevard de l’Hopital gemüthlich in einer Ecke einander gegenüber. Ich hatte mit meinem Führer, Herrn P., unter Anderm die Verabredung getroffen, daß er mir Alles, was meine Person ganz besonders angehe, zu meinem sicheren Verständniß aufschreibe. Jetzt schrieb er mir auf, ich möge sofort diniren, weil er später nicht dafür stehen könne, daß ich noch etwas Gutes bekomme. Währenddeß wolle er eine „Auberge“ für mich suchen. Er führte mich in’s nächste Zimmer, bestellte für mich ein Diner nach der „Carte du jour,“ lehnte meine Einladung dazu ab und ging. Ich lehnte mich an ein einsames Tischchen, legte vorsichtig mein blaues Proviantpäckchen daneben auf einen Stuhl und harrte nun seltsam gespannt der Dinge, die da kommen sollten.

Angesagt war mir: „Bouillon, Roastbeef und Confitures“, ein Teller mit Brod und eine Flasche Wein machte die Einleitung. War dies das verschrieene Belagerungsbrod das aus Kleie, Gerste, Hafer und Sägespähnen bestand und so viel Siechthum und Todesfälle verursacht haben soll? Ich schnitt ein Stück ab und versuchte es, nach eifriger Voruntersuchung nach dem letzteren [206] Bestandtheil, zu kauen, – aber es widerstand meinen gesunden Kauwerkzeugen, ich – konnte durchaus keinen Gebrauch davon machen, wickelte mir das abgeschnittene Stückchen in Papier ein, um es Ihnen nach Leipzig mitzubringen, und ersetzte es durch ein Stück von meinem Vorrath von Juvisy. Das Brod war offenbar besser, als das berüchtigte Belagerungsbrod, von Sägespähnen fand ich keine Spur, aber es war weder unser Schwarzbrod, das uns so trefflich mundet und gut bekommt, noch war es Weißbrod, sondern eine hellbraune Rinde lagerte um eine gelbliche Masse, die aus lauter einzelnen, engzusammenhängenden Mehlklümpchen bestand und süßlich roch. Die übrigen Gäste schienen es sogar mit Behagen zu verzehren, wie Alles, was ihnen vorgesetzt wurde.

Da kam Nr. 1, die Bouillon in der großen Tasse oder dem kleinen Porcellanschüsselchen. Es war gewiß Pflicht gegen mich selbst, hier Alles zu verzehren, um den Fremden nicht zu verrathen, – aber im vorliegenden Fall mußte ich’s auf’s Aeußerste ankommen lassen: ich konnte diese Bouillon nicht hinunterbringen, sie duftete gar zu verdächtig, meine aufgehetzte Phantasie konnte die Rattenschwänzchen nicht loswerden. Trotz der Pfefferlage, die ich darauf warf, mußte ich von ferneren Versuchen gegen dieses Gericht abstehen. – Wie ich befürchtete, so geschah’s: der „ Garçon“ schöpfte Verdacht, die verschmähte Bouillon und mein fremdes Brod sagten ihm genug. Er maß mich mit sehr eigenthümlichen Blicken und auch Herr und Madame gingen mehrmals mit ähnlichen Augen an mir vorüber, so daß es mir in steigendem Grade unbehaglich zu Muthe wurde. Da mußte etwas Versöhnendes geschehen. Als der Garçon Nr. 2 brachte, bot ich ihm ein tüchtig Stück meines Brodes als „pain d’Orléans“ an – und abermals war ich gerettet. Der junge Mann sagte mir mit tausend Dank, daß er selbst aus Orleans sei, und dem eben zurückkehrenden Herrn P. versicherte er, er wisse zwar, ich sei ein „Prussien“, aber er wolle schweigen.

Nr. 3 war als Roßbeef gar nicht zu verkennen, aber jetzt galt’s klug und artig sein. Ich bedeckte die blühende Röthe des Fleischstücks dick mit Senf und verzehrte es, die Gabel in der Rechten, das Weinglas in der Linken. Gottlob, das war „dinirt“ im Paris des Jammers. Die „Confitures“ sowie den Rest meines Brodes nebst Butter und Wurst verehrte ich meinem Führer, und wie freute sich dieser, solche Herrlichkeiten seiner Gattin und seinem Kindchen mit heimbringen zu können.

Wenige Häuser von diesem „Restaurant“ entfernt war das „Hotel de Tours“, in welchem Herr P. mir ein Logis besorgt hatte. Ich verabredete mit Herrn P., daß wir am andern Morgen Punkt halbacht unsere Wanderung durch Paris beginnen wollten, – für heute war der Tag geschlossen, denn Abendvergnügungen, wie Theater, Concerte, Cafés-Chantants und dergleichen giebt es nicht in diesem Paris. Ist leidlich dinirt und genügend schwadronirt, so legt man sich nieder. Gute Nacht! –

Trotz aller Ermüdung war ich jedoch zu aufgeregt von den Erlebnissen des Tages, um schon Ruhe im Bette zu finden. Ich steckte mir eine deutsche Friedenscigarre an und öffnete die Fenster. Draußen dehnte sich die lange Boulevardstraße in die Finsterniß hinein; nur einzelne Gestalten gingen des Wegs, hie und da von dem Lichtschein getroffen, der aus den Häusern auf die Straße fiel. Gegenüber ein freier Platz, über den hier und da ein Laternchen wie ein Irrlicht dahinhuschte. Und das ist Paris! Paris, dessen Gasstrahlenglanz ehedem durch den Widerschein am Himmel auf Meilen Entfernung dem Reisenden und den Umwohnern sich verkündete! Und nun so todt, Alles todt, das Licht und das Leben!

Der erste Gang am Morgen des Achten führte wenige Häuser weit in ein Café. Auch hier vertrat Cognac die Stelle der Milch oder Sahne. „Mürbes“ gab’s ebenfalls nicht und ebensowenig Butter. Nur Zucker war wieder da. Wir begnügten uns mit dem Kaffee, der anderthalb Franken kostete.

Und nun begann das Tagewerk. Am Ende unseres Boulevard wandten wir uns links am Eingange zur Rue de Buffon und am „Jardin des Plantes“ vorüber, über dessen angebliche Verwüstung und Auszehrung die lieben Engländer uns sogar mit illustrirten Berichten erschütterten, – und standen vor der „Halle aux Vins“, dem seit 1808 bestehenden Hauptweinmarkt von Paris. Hier erlebte ich den großartigsten Anblick, den ganz Paris mir bieten konnte. Der bedeutende Raum – er mißt hundertvierunddreißigtausend Quadrat-Mètres – ist für die daselbst lagernden Weinsorten in fünf Hauptgruppen durch fünf Straßen getrennt, welche darnach Rue de Touraine, de Languedoc, de Bordeaux, de Champagne und de Bourgogne heißen. Nun braucht Paris innerhalb der Octroi-Linie jährlich in Bausch und Bogen fünf Millionen preußische Eimer Wein und über zweihunderttausend Eimer gebrannte Getränke. Die Keller der Weinhalle fassen auf einmal etwas mehr als anderthalb Millionen Eimer. Am besten verproviantirt war aber ohne Zweifel Paris mit Wein. Da nun während der ganzen Belagerungszeit die geleerten Fässer nicht fortgeschafft werden konnten, so bildeten sie allgemach Das, was mir vor Augen stand: fünf Hochgebirgsreihen, zu denen man nur mit Staunen und Grauen hinaufsehen konnte. Und als geschickte Baumeister haben sich die Franzosen auch hier bewährt: so fest sind diese Fässermauern aufgethürmt, daß sie ruhig bis zu jener schwindelnden Höhe emporsteigen konnten, auf welcher jetzt die kühnen Kletterer beschäftigt sind, mit Tauen und Leitern ausgerüstet, vorsichtig die fünf Berge wieder abzutragen.

Unser nächster Gang führte uns vor und in die Notre-Dame. Nur in den Kirchen sind jetzt die hohen vornehmen Frauengestalten zu finden, schwarz umhüllt vom Haupt bis zu den Füßen. Auf dem Hochaltar und an einigen Seitenaltären brannten die Kerzen und vor ihnen lagen die Andächtigen zahlreich auf den Knieen. Aber wie in der Kathedrale von Orleans boten auch hier den ergreifendsten Anblick die, welche vor dem einsamen Lämpchen einer Mater dolorosa ihren Trost suchten. Ich sah da manches Antlitz, dessen Schmerz mich mit tiefer Ehrfurcht vor dem Unglück erfüllte. Hier weinten Mütter und Bräute ihr bitteres Leid aus – und gar mancher dieser Frauen war es anzusehen, daß mehr als ein Schwert durch ihre Seele gegangen war. –

(Wir müssen leider schon hier, aus Mangel an Raum, unsere Mittheilungen aus dem sehr ausführlichen Briefe, welchen der Verfasser in seinem Reisebuche vollständig zum Abdruck bringt, schließen und fügen nur noch den Schluß desselben an.       D. Red.)

Nach achtstündiger Pflastertreterei nahmen wir zum letzten Theil unserer Tour, über die Boulevards von der St. Madeleine bis zum Bastilleplatz, den Omnibus zu Hülfe. War das eine genußreiche Fahrt! Das Auge entzückte der Prachttheil einer wunderschönen Stadt. Nur am Bilde des Straßenlebens besserte sich nichts. Wie die Zeitungen, füllte alle Köpfe von Paris nur die Sorge um das „Ravitaillement“, die große Masse lebte eben im Uebergang von der schmerzlichen Entbehrung zur Hoffnung auf bessere Nahrung.

Auch bei der Julisäule hatte, wie bei der Statue von Straßburg auf dem Concordienplatz, eine Demonstration der Trauer stattgefunden: eine hohe Tricolore, mit einem schwarzen Flor umhüllt und mit einem Todtenkranz geschmückt, lehnte am Denkmal der Freiheitsmärtyrer von 1830.

Von da eilten wir in den Bahnhof von Orleans. Die Zahl der Reisenden entsprach auch heute nicht der Größe dieser Hallen. Herr P. verließ mich nicht eher, bis er mein Fahrbillet nach Juvisy (nur bis dahin durften von Paris aus Fahrkarten ausgegeben werden!) in meiner Hand wußte. Dann schieden wir von einander, ich mit dem dankbarsten Herzen für seine in solchen Tagen gewagte treue Führung, die ich ihm nie vergessen werde.

Erst als ich nun allein im Wartesaal zwischen all’ dem schnatternden Volke stand, überkam mich wieder die Frage: „Wirst du wirklich so ohne allen Anstoß aus Paris herauskommen?“ Daß ich meinen deutschen Paß keiner französischen Behörde vorgezeigt, war offenbar gut gewesen. „Wer viel frägt, erfährt viel.“ Aber nun konnte man doch nachträglich darnach fragen. Zur bestimmten Zeit ward das Signal zum Einsteigen gegeben, die Thüren zum Perron öffneten sich und Alles drängte nach den Wagen. Ich kam zwischen einen Geistlichen und ein Frauenzimmer, das seine Köchin zu sein schien. Mir gegenüber saß ein Elsässer. Alle hatten bereits ihre Pässe in den Händen, so daß ich in meiner Vermuthung, die französische Behörde werde auch ihr Aufsichtsrecht hier ausüben, bestärkt werden mußte. Endlich ging der Zug ab. Haha, bei der Enceinte wird die Untersuchung losgehen, dachte ich und nahm auch meinen Paß in die Hand. Da verstopften plötzlich wieder alle Köpfe an den Fenstern die Aussicht – ich höre das Donnern der Wagen durch den Thürweg des Mauergürtels, der Zug rollt und rollt weiter, und als die Fenster wieder frei waren, lag Paris hinter mir und ich fuhr dem Schutze der deutschen Macht in Vitry entgegen.

  1. Seitdem wir Hofmann’s ersten Brief aus Paris in der Gartenlaube veröffentlicht, sind auch einzelne Berichterstatter großer Tageszeitungen von Versailles aus dort zugelassen worden und haben ihr Erschautes mitgetheilt. Die Data dieser Berichte nun geben uns die überraschende Ueberzeugung, daß, ausgenommen einige Deutsche, die mit einem Schweizer, letzterer unter dem Gesandtschaftsschutze des Dr. Kern, schon vor dem siebenten Februar nach Paris kamen, Fr. Hofmann der erste deutsche Berichterstatter war, der sich, und zwar ohne Paßschutz für das Innere von Paris und nicht von Versailles aus, sondern auf einer Seitenstraße her, in das Paris des Waffenstillstandes gewagt hatte. Selbst jener Engländer, welcher sich rühmte, mit seinem Schinken der erste Fremde in Paris zu sein, hat seinen Ritt erst am siebenten Februar ausgeführt, also an demselben Tag, an welchem Hofmann mit seinem Brodpaketchen unterm Arm dort einzog. Kann nun auch Das, was Hofmann in anderthalb Tagen Sturmlaufs durch die große Stadt sah und noch als besondere Merkmale der Belagerungszeit und der Kriegsnoth erkannte, nur ein flüchtiges Bild von der Stadt im Augenblick nach ihrem furchtbarsten Schicksal geben, so ist es doch ein Bild aus erster Hand, ein Bild, an welchem seit dem „Ravitaillement“ (der Neuverproviantirung) jede Stunde die größten Veränderungen bewirkt: jede Getreidezufuhr, jeder Viehtransport, jeder Pferdeeinzug, jeder Menschen-Aus- und Eingang, jede Schaufelführung der Tausende von Händen auf Straßen und Plätzen – Alles verwischt das Bild der Zerstörung, in welchem namentlich jedes deutsche Auge Paris nach dem Bombardement glaubt sehen zu müssen. Daß nun Hofmann dieses Paris zuerst gesehen, giebt seinem Berichte einen nicht mit dem Tag vergehenden Werth, und das berechtigt uns auch jetzt noch, nachdem die Berichterstatter, wenigstens die nichtdeutschen, in Schaaren die nun für Alle offenen Straßen durchschwärmen können, unsern Lesern wenigstens Einiges von seinen dortigen Erinnerungen mitzutheilen; das Ausführlichere wird er demnächst in einem besonderen Buche „Fünf Wochen im Sanitätszug. Eine Fahrt durch Frankreich vom 12. Januar bis 14. Februar 1871, mit Abstechern nach Straßburg, Nanzig, Orleans und Paris“ veröffentlichen.
    Die Redaction.