Viel und Wenig
Ein Jüngling von edlem Gemüth wollte zur Königsstadt des Glückes hinauf; und wo er von jemanden hörte, der des Bergansteigenden Weges kundig sei, den glaubte er, darüber fragen zu müssen.
Und allerdings fanden sich viele, die ihm mit großer Zuversicht die Reise vorzeichneten, Philosophen, Politiker, Mönche, Einsiedler, Zauberer sogar, und die einen Vorschmack der Gottheit enthusiastisch träumten.
Von allen Seiten Reisecharten gnug; wie er aber nach ihrer Vorschrift den Weg antrat – Wunder! wie oft stieß er an! wie oft kam er ab vom Wege! an welche Klüfte, an welche Höhen gerieth er! Er fluchte allen den Stuben-Wegweisern, die in ihrem Kopf Wege und Stege im Himmel und auf der Erde wollen ausgemessen haben.
Endlich bemerkte er von weitem einen einfach gekleideten, schlichten Mann; den suchte er mit großer Mühe zu ereilen. Ganz außer Athem trug er ihm sein Unglück vor, und wie wunderte sich der fremde Mann, da er alle diese verwegnen Vorschläge anhörte.
Bisher bist du irre oder gar rückwärts gegangen, sprach er; willt du mir aber folgen, mein Freund, so thue es und merke dir zu unsrer Reise nur die zwei Worte, viel und wenig.
Siehe viel; bewundre wenig. Höre viel; glaube wenig. Wisse viel; sprich wenig. Lies viel; schreibe wenig. Untersuche viel; behalte wenig. Dulde viel; billige wenig. Meide viel; fürchte wenig. Erwarte viel; hoffe wenig. Bedecke viel; haße, rüge, verlache wenig. Ueberlege viel; beschließe wenig. Laß viel zu dir; weniges liebe. Arbeite viel, befiel wenig. Bete viel; lehre wenig.“
Der Jüngling gehorchte und reisete glücklich.