Das Herz und die Zunge
Zur Zeit des Glückes, wenn holde Gestirne regieren, schwätzet die Zunge gern, erlaubt sich alles, und will den Namen einer beherzten Sprecherin für Freiheit und Rechtschaffenheit davon tragen.
Es fehlet ihr auch nicht an Schmeichlern, denen die Schamlose Frechheit, über alles und gegen alle zu reden, wohlgefällt.
So schwatzte die Zunge einst in begünstigten, glücklichen Zeiten; wer aber diese Frechheit nicht ertragen konnte, war das Herz.
Das männliche Herz hatte andre, schwerere Zeiten erlebt und sich unter den Schrecknissen der Tyrannei tapfer geübet. Es hatte Zeiten erlebt, da die Religion verachtet, das Verdienst unter die Füße getreten war. Talente hungerten, die Gerechtigkeit erröthete, die Schaam war Landes verwiesen.
„Vortreflich! rief es jezt der Schwätzerin Zunge zu, weil du einmal im Reden bist, rede! Erinnere dich aber, wie du zu anderer Zeit heucheltest, schmeicheltest, logest, krochst und schändlich dientest. Da bat ich dich, meine Dolmetscherin zu seyn, und du erschrackst. Jezt bist du eine Herzlose Weiberzunge, die nicht aus Eifer fürs Gute, sondern weil dirs so wohlbehagt, das Ohr der Guten mißbraucht. Irre ich nicht, so wird bald wieder der Winter da seyn, da du mit allen Fröschen aufs neue verstummest.“
Die Zunge schwieg, und vermied fortan, der Sprache des Herzens irgend zu begegnen.