Vermißte Landsleute jenseits des Oceans (Die Gartenlaube 1870/4)

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Titel: Vermißte Landsleute jenseits des Oceans
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, 13, 24, S. 63, 208, 383
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Vermißte Landsleute jenseits des Oceans.

Daß es sich zwei Male so glücklich gefügt, sorgenvollen Müttern mit Hülfe der „Gartenlaube“ Kunde von ihren verschollenen Söhnen zu verschaffen, hat in unserem Leserkreise für diese neue Wirksamkeit unseres Blattes ein gewiß allzugroßes Vertrauen erregt. Dies ersehen wir aus den zahlreichen ähnlichen Anliegen von Anverwandten Vermißter, die seitdem bei der Redaction eingegangen sind und die uns einen Einblick gestatten in so viel stillen, geheimen Familienkummer, wie ihn die riesigen und rastlosen Verkehrsmittel unserer Tage kaum ahnen lassen.

Müssen wir nun auch im Voraus daran zweifeln, daß den in dieser Hinsicht so plötzlich gesteigerten Ansprüchen unserer Leser so oft, als sie und wir wünschen, entsprochen werde, weil schon die lange Reihe der Vermißten, deren signalisirendste Schicksale wir in möglichster Gedrängtheit wiedergeben wollen, die theilnehmende Aufmerksamkeit für den Einzelnen beeinträchtigt, so soll dennoch von Seiten der Redaction der Gartenlaube Alles geschehen, was irgend dazu beitragen kann, die Nachforschung nach vermißten Deutschen jenseits des Oceans zu erleichtern.

Dagegen dürfen wir wohl auch erwarten, daß unser Publicum seine Ansprüche und Wünsche in dieser Beziehung auf das Maß des Nothwendigsten beschränke, nicht Fälle, wo der Einzelne durch die Benutzung der öffentlichen Verkehrseinrichtungen und der Thätigkeit der Behörden sich selbst helfen kann, der „Gartenlaube“ zur Ermittelung zuschiebe. Das wahre Unglück ist so reich, daß es dieser hiermit eröffneten neuen Rubrik leider niemals an Stoff fehlen wird; liegen uns doch jetzt schon Zuschriften von Behörden vor, welche, nachdem sie die gesetzlich gebotenen Aufrufe nach Verschollenen erlassen, in unsrem Blatte das letzte Mittel sehen, vielleicht dennoch die für die Hinterbliebenen oft so unentbehrliche Kunde über sie zu erlangen. So möge denn unsere Liste „vermißter Landsleute jenseits des Oceans“ hiermit beginnen.

1) Albert Schröder, aus Mühlberg an der Elbe, geboren im März 1835, Landwirth, wanderte im September 1854 im besten Einvernehmen mit seiner sehr wohlhabenden Familie und besonders mit seiner Mutter, nach Nordamerika aus. Gelder zum Erwerb von Grundbesitz sollten an ihn durch einen Herrn Augustus Staude in Okaw Postoffice, County of Washington, Illinois, besorgt werden, dem er empfohlen war. Er zog es jedoch vor, schon in Newyork eine Gärtnerstelle anzunehmen; von da begab er sich Anfang August 1856 nach Indianopolis in Indiana, wo er in eine Brauerei eintrat. Hier schrieb er die einzigen Zeilen, welche seitdem Nachricht über ihn brachten: einen Brief an Herrn Staude, in welchem er sich bitterlich darüber beklagt, daß er auf keinen seiner Briefe in die Heimath Antwort erhalten habe: „Sie, der Sie selbst die große Reise von hier nach unserm Vaterlande und von da zurückmachten, um Ihre Mutter wiederzusehen, werden es sich am besten vorstellen können, wie unglücklich ich mich fühle.“ So schreibt der Sohn, der seitdem dieser Mutter so gut wie verloren ist. Es gilt hier mehr als ein Geheimniß zu ergründen: wohin sind die von ihm erwähnten Briefe gekommen? Wohin hat er sich von Indianopolis gewendet? Die beklagenswerthe Mutter scheut keine Kosten, wenn ihr nur eine Gewißheit gebracht werden kann.

2) Karl Schmidtgen, aus Löbau in Sachsen, wird von seiner einzigen Schwester gesucht. Er war Bootsmann auf dem amerikanischen Schiffe „Emily Farnum“, schrieb zuletzt am 10. April 1867 aus Rangoon, als sein Schiff zur Fahrt nach Liverpool bereit stand. Der Capitän hieß Sims; er und seine Mannschaft sind wie von der Erde verschwunden, ohne daß das Schiff selbst untergegangen wäre, denn im December 1867 war dasselbe in England und Holland, aber mit vollständig neuer Bemannung, und weder Capitän noch Schiffspapiere wissen etwas von Sims und den Seinen. Nur ein Mann kann vielleicht Nachricht geben, wenn dieses Blatt zu ihm gelangt: der Bruder des Capitäns Sims war der Commandant des seiner Zeit vielgenannten südstaatlichen Caperschiffes „Alabama“, und soll jetzt Professor an einer Universität der Südstaaten sein. Er allein weiß vielleicht, was aus seinem Bruder und dessen Leuten geworden ist.

3) Karl Schinck, Kaufmann, einziger Sohn der fünfundsechszigjährigen Wittwe Amalie Schinck in Barmen, ging vor sechszehn Jahren nach Amerika, schrieb zuletzt vor zwölf Jahren aus Franklin in Texas.

4) Friedrich Gottlieb Ilse, aus Hannover, jetzt vierundvierzig Jahre alt, dringend gesucht von seinem Schwager, dem Eisenbahn-Zugführer Rojann in Geestemünde; letzte Nachricht aus St. Louis.

5) August Albert Leszinsky, seit siebenzehn Jahren in Australien, Süd- und Nordamerika, der Gegenstand der Sehnsucht seines alten Vaters und seiner Schwester Marie in Pleschen; sein letzter Brief kam aus St. Francisco in Californien.

6) Dr. med. Otto Krakow, aus Krakehmen bei Tilsit in Ostpreußen, segelte Ende October 1867 von London auf dem Segelschiffe „Robert Peel“ nach Newyork, scheint auf der Passagierliste fälschlich als „Otto Kasko“ eingetragen zu sein und ist trotz aller Consularnachforschungen und obwohl das genannte Schiff weder unterging, noch ihn als Todten anzeigt, seitdem für Gattin, Töchterchen und Schwiegervater in der Heimath verschollen.

[208] 7) Hermann Köllner, Uhrmacher, aus Meyenburg in der Ostpriegnitz, jetzt sechsundzwanzig Jahre alt, ließ sich 1865 in Luxemburg für die Mexicanische Expedition anwerben, segelte mit einem Regiment (angeblich „Etranger, Nr. 2477“) am 12. November 1865 von Marseille ab. Seine Eltern (der Vater ist Sattlermeister in Meyenburg) drückt schwer die Ungewißheit seines Schicksals.

8) Fritz August Coblenz, aus Leipzig, ließ sich 1856 in Harderwyk, damals einundzwanzig Jahre alt, auf sechs Jahre unter die holländisch-ostindische Fremdenlegion anwerben, trotzdem ihm ein Finger der linken Hand fehlt, und kam so nach Batavia. Obwohl er seiner bekümmerten Mutter mit Hand und Mund versprochen, Nachricht von sich zu geben, ist seit dreizehn Jahren keine Zeile von ihm angekommen, und der Familie ist es unmöglich, bei den holländischen Behörden kostspielige Nachforschungen zu veranlassen.

9) Lebrecht Steyer, aus Erbisdorf hinter Brand bei Freiberg in Sachsen, wanderte im October 1859 nach Comal County, Neu-Braunfels, in Texas aus, schrieb zuletzt am 4. Juli 1864, daß er krank sei; seitdem hat seine in Angst und Sorge um ihn lebende Mutter keine weitere Nachricht erlangen können.

10) Julius Herrmann, Kaufmann aus Dresden, gab seiner Mutter, der Wittwe Frau Caroline Herrmann in Dresden, zum letzten Male im Januar 1868 Nachricht von sich; seitdem blieben alle Briefe unbeantwortet. Vielleicht wird die Nachforschung nach ihm erleichtert durch seine Geschäftskarte: „Pfeifer & Herrmann, Dealers in all kinds of Tobaccos, pipes etc. and Manufacturers of Segars. No. 299. third St. Milwaukee, Wis.“

11) Emil Steger, aus Luckau i. L., segelte im November 1862 mit dem holländischen Schiff „Van Nam“ von Marseille nach Newyork ab, um, versehen mit einem preußischen Officierpatent, in die Unionsarmee einzutreten. Das Schiff kam, ohne Menschenverlust, dort an, aber kein Lebenszeichen Steger’s an seine Verwandten; auch ein Aufruf in der „Newyorker Staatszeitung“ blieb ohne Erfolg.

[383] 12) Karl G. Hantusch, der sich in Amerika Charles G. Huntosh schrieb, aus Schlunkwitz bei Bautzen, wanderte vor vierzehn Jahren als Stellmacher aus. Er heirathete 1860 eine Amerikanerin, als deren Adresse er angab: „M. Lydia M. Huntosh, Anoka, Minnesota“, war von 1864 bis 1866 Soldat in dem Cavallerie-Bataillon Hatche, erwarb 1867 ein Landgut bei Unoka und schrieb zuletzt am 15. October 1868 aus Popel Holler, Staat Minnesota, an seine Mutter, daß er in Geldverlegenheit sei. Ein Wechsel der Mutter auf die „First Nationalbank St. Paul in Minnesota“ an ihren Sohn kam jedoch ohne alle weitere Bemerkungen, als den „Not known“-Stempel auf der Adresse, zurück, eine zweite Sendung hatte denselben Erfolg – und so weiß die kummervolle Mutter noch heute nicht, was aus ihrem Sohn, dessen Gattin und beiden Kindern geworden ist.

13) Hugo Freyer, ein Müllergeselle, und dessen Schwester Hedwig mit ihrem Manne, dem Gärtner Dietrich, sämmtlich aus Mohorn bei Tharand, wanderten 1856 zu ihrem Bruder Franz Freyer nach Florida aus, wo dieser in Micanopy eine Farm besaß. Später ging Hugo Freyer nach Baltimore, und im März 1861 schrieb er seinem Bruder von St. Louis (Missouri) aus, daß er unter die Fahnen der Freiheitskämpfer getreten sei. Die Dietrich’schen Eheleute waren 1862 nach Baltimore und von da weiter in’s Innere gezogen. Seitdem sind alle Nachforschungen nach den Vermißten durch die deutschen Consuln in Nordamerika, sowie durch das Kriegsdepartement in Washington vergeblich gewesen; – und doch kann nur Gewißheit über Leben oder Tod derselben ihren sehr armen Verwandten zu einer im Bezirksgericht Dresden liegenden Erbschaft verhelfen.

14) August Hummel aus München, 1850 geboren, ging 1864 zur See, war zu Anfang des Jahres 1868 einige Zeit in Philadelphia, von wo die letzten Nachrichten an die Seinigen gelangten. Später ging er an Bord des V.-St.-Depotschiffes „Potomac“, Kapitän De Camp, diente im Sommer desselben Jahres einige Zeit in der „Pushmataha“ und soll von da nach einer Muthmaßung sich auf ein Handelsschiff, nach einer andern in die Goldminen Californiens oder Australiens begeben haben. Auf dem „Potomac“ hatte er sich als „James Warner“ eintragen lassen, früher aber den Namen „Barcham“ geführt. „Wer ihn gekannt,“ schreibt sein Vater, „erinnert sich gewiß noch des fröhlichen jungen Deutschen mit den hellblauen Augen und braunen Haaren und der über sein Alter kräftigen Gestalt.“ – Die bekümmerten Eltern würden einen Brief von ihrem Sohne gern mit Gold aufwiegen, wenn es sein muß.

15) Zwei Brüder Kallenberg, Albert und Eduard, aus Langensalza, beide gelernte Kaufleute. Der ältere Bruder wanderte 1862 nach Amerika und schrieb in seinem zweiten und letzten Briefe, daß er Soldat geworden sei. Der jüngere Bruder reiste im Frühjahr 1863 erst nach Liverpool, von wo er mehrmals schrieb, und von da ebenfalls nach Amerika, wie der Vater leider erst nach Jahr und Tag vom Liverpooler Principal desselben erfuhr. Seit fünfzehn Jahren verwittwet steht der vierundsechzigjährige Mann allein da, gepeinigt von der entsetzlichen Ungewißheit über das Schicksal seiner Söhne.

16) Wilhelm Hensel, Schiffsmann aus Heinsen a. d. Weser im Hannöverschen, seit Jahren von der Heimath abwesend, wird dringend gesucht von dem Schiffer Moritz Rathmann in Heinsen.

17) Louis Kleine von Laer bei Münster in Westphalen, wanderte im Frühjahr 1861 nach Amerika aus, wurde als Wundarzt in Blenker’s Regiment in der Schlacht bei Bull-Run verwundet, lag vierzehn Monate lang gefangen in Richmond, war dann nach Brooklyn bei New-York gegangen und dort, nach seinem letzten Briefe vom 3. Februar 1865, wegen Verwundung an der linken Hand um Entlassung und Pension eingekommen. Von da wollte er nach Kentucky gehen und dort als Arzt prakticiren. Er ist der jüngste Sohn seiner Familie, an dem die kränkliche Mutter mit ganzem Herzen hängt. Ein älterer Bruder desselben schreibt uns dies aus Amsterdam.