Urkundenbuch der Stadt Worms
[155] Von dem Urkundenbuch der Stadt Worms, das auf Veranlassung und mit Unterstützung des Freihern C. W. Heyl zu Herrnsheim von H. Boos herausgegeben wird, liegen zwei Bände vor (erschienen 1886 und 1890), von welchen der letztere uns hier beschäftigen soll[1]. Die Jahre 1301–1400 behandelnd, mit umfangreichen Nachträgen und Berichtigungen, namentlich zum ersten Bande, bringt er über 1200 Urkunden, von denen etwa die Hälfte bisher gar nicht oder doch nur in ganz ungenügender Weise bekannt war. Bei der Fülle des Stoffes hat sich der Herausgeber veranlasst gesehen, unter den Urkunden privatrechtlicher Natur eine Auswahl zu treffen, wobei er sich in erster Linie von der Bequemlichkeit der Benutzung (dem Ort der Aufbewahrung) leiten liess, und von allen minder erheblichen Stücken (der grossen Mehrzahl des Bandes) bloss Auszüge zu geben, die unter Ausscheidung alles Formelhaften den urkundlichen Ausdruck festhalten, also gewissermassen das Gerippe des vollen Textes darstellen. Doch nur im Hinblick auf die privatrechtlichen Urkunden kann von Fülle des Stoffes die Rede sein. Ueberblickt man das Gebotene nach der Seite der verwaltungs- und verfassungsgeschichtlichen Momente, so wird man nicht verkennen, dass die Archive der Stadt und der weltlichen Corporationen schwere Verluste erlitten haben müssen; über die innere Regierung und die Zünfte war nur wenig beizubringen. Darum wird man aber das Erhaltene, das der fleissige Bearbeiter gesammelt hat, nicht gering achten; es sind recht werthvolle Stücke darunter, von denen man mit Interesse Kenntniss nehmen wird.
Während die Auszüge ohne Ueberschriften sind, werden die vollständig zum Abdruck gebrachten Stücke durch kurze Inhaltsangaben eingeleitet, die nicht immer das Wesentliche der Urkunde richtig herausgreifen, bisweilen sogar geradezu irre führen. Ein paar Beispiele: Nr. 242 trägt folgende Ueberschrift: „Kämmerer, Richter und Rath der Stadt Mainz zeigen dem Rath der Stadt Worms an, dass Bischof Salmann von Worms sich in Mainz habe niederlassen wollen“. Um zu zeigen, wie gänzlich falsch und verkehrt dieses nur aus den sechs ersten Zeilen des Briefes geschöpfte und auch diesen nicht entsprechende Regest ist, will ich den Inhalt kurz vorführen: Die Mainzer benachrichtigen die Stadt Worms, Schenk Konrad von Erbach habe ihnen geschrieben, dass Bischof Salmann sich, wie er vernommen, bei ihnen niederlassen wolle, und habe dagegen Einsprache erhoben, weil Salmann ihm seinen Bruder ermordet hätte. Sie hätten auf Andringen der Mainzer Verwandtschaft Salmanns (er stammte aus dem Mainzer [156] Geschlecht der Klemann) dem Schenken geantwortet, er möge eine solche Beschuldigung nicht ohne rechtlichen Beweis aussprechen, und bitten Worms – das ist der eigentliche Zweck des Briefes – um ein gleiches Abmahnungsschreiben an Konrad. Wolle Salmann sich bei ihnen niederlassen, wovon sie jedoch noch nichts gehört hätten, so könnten sie ihm das nicht verbieten. Die Urkunde hat zudem ein viel weitergehendes Interesse, als der Herausgeber ahnt. Der Ermordete ist nämlich kein anderer als der Gegenbischof des vom Papst ernannten Salmann, der vom Wormser Domkapitel gewählte Schenk Gerlach von Erbach, von dessen gewaltsamem Tode wir hier die erste Kunde erhalten. Das Regest musste (in aller Kürze) lauten: Die Mainzer bitten die Wormser, gleich ihnen die Beschuldigung des Schenken Konrad gegen Bischof Salmann wegen Mordes an Konrads Bruder (dem Gegenbischof Gerlach) zurückzuweisen. Auch die ohne nähere Begründung unternommene Datirung des kein Datum tragenden Briefes („1330“) trifft nicht zu, denn Gerlach starb am 18. December 1332[2]. Die Urkunde fällt also später, vermuthlich in die Zeit, als Erzbischof Baldewin von Trier auch die Verwaltung des Bisthums Worms an sich gezogen hatte und den Salmann hart bedrängte. – Nr. 327 spricht das Regest von der Verpflichtung „einen Kanal zu bauen“; in Wirklichkeit handelt es sich um die Unterhaltung der Dachkandel eines Nachbarhauses, dessen Traufe verbaut worden war: „daz wir… den kannel der do geet von dez hüse von Brůnecken uff unsers convents hůs in unsern kannel… sollen legen und wider machen als dicke er abe [nicht alle] geet und zürbrichet, umb daz wir verbůwet han dez selben hüses draůff.“ Der Abdruck ist überdies recht fehlerhaft. – Nach dem Vertrage zwischen Worms und Oppenheim (Nr. 233) sollen nicht, wie das Regest meint, „die zwischen Bürgern beider Städte entstehenden Streitigkeiten nach dem Stadtrechte des Klägers entschieden werden“, sondern vor dem forum domicilii des Beklagten. – Nr. 841: „Dietz von Wachenheim der Alte sagt der Stadt Worms auf“; er theilt vielmehr der Weberzunft zu Worms zur Erklärung seiner Absage an die Stadt seine Beschwerdeschrift wider Bürgermeister und Rath mit (eingerückt S. 550,3–551,4). – Nr. 991 erwirbt die Stadt Worms nicht „einen halben Antheil“ an der Burg zu Mettenheim, sondern „daz halbteil“, also die Hälfte. – Nr. 1061: „Die Metzgerzunft in Worms gibt dem Rath von Worms einen Brief, worin sie in Beziehung auf [157] das dem Domprobst gesprochene Weisthum über dessen Rechte an der Metzgerzunft alle Freiheiten, Rechte und Gewohnheiten der Stadt Worms wahrt“. Weitläuftig und nicht treffend! Die Metzgerzunft nimmt aus ihrer dem Dompropst gegebenen Bekundung ihres Handwerksrechtes einen Punkt (Fleischverkauf nur mit Erlaubniss des Dompropstes und der Metzgerzunft zulässig) als den Rechten der Stadt zuwider zurück.
Auch die Correctheit der Texte entspricht vielfach nicht den Anforderungen, die man an eine wissenschaftliche Publication stellen muss, und bisweilen sind durch die Lesefehler solche Sinnlosigkeiten entstanden, dass man kaum begreift, wie der Herausgeber darüber hinwegsehen konnte. So wenn 21,25 f. von der letztwilligen Verfügung eines Wormsers gesagt wird: „quod in anniversario suo cedere deberent decem solidos hallensium, minus non habent“, während es heissen muss: decem solidi hallensium minus uno hallensi. Oder wenn man 81,21 liest: „hern Gerhartde Smůtzeln eime Rychen“ statt eime rythere; in derselben Urkunde (81,39) erscheint dem Bearbeiter die Wortform werschaf so auffällig, dass er es für angezeigt erachtet durch ein „so“ seine Lesung zu bekräftigen. Oder 7,16: „de area seu feudo dicte domus“ statt fundo. Von dem interessanten Statut für die Wormser Schulen meint eine Anzeige des Buches[3], der Text sei doch jetzt ein ganz anderer als der alte bei Schannat. Er enthält immer noch folgende Fehler: 33,5 emanarint ohne Grund in emanaverint geändert; 17 „cum“ lies tum; „quidquid“, l. quidquam; 28 „quoque“, l. commune; 34,8 „collegialis“, l. collegialium; 9 „munimus?“ l. munimen; 10 „tempore“, 738 in „reapse“ verbessert, l. recipere. 148,2 wird aus einem Limmelzun (bekanntes Adelsgeschlecht dieser Gegend) ein „Kunnelzun“, 206,34 aus Cleselinum „Cleselmů“, 540,38 und 543,36 aus Holderbeymern „Holderbeyumer“, 551,31 aus einem von Smideberg einer von „Sundeberg“, 668,37 aus einem Clebesadel ein „Clebefůdel“. Der Wormser Domherr Ulrich von „Heinedefdin(?)“ 557,4 erscheint 693,7 als Ulrich von „Hymsder“; Boos hat nicht gemerkt, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, deren Name an der ersten Stelle Hemedesdur, an der zweiten (diese Urkunde liegt mir nicht vor) vermuthlich Hymsdor zu lesen ist; als dominus Vdolricus de Hymdisdoer can. eccl. Worm. studierte dieser Geistliche, dessen Heimath mir nicht bekannt ist, 1381 in Prag[4]. 727,2 [158] findet sich in der aus Baur wiederabgedruckten Urkunde „H. Oricchsac miles“; es ist der aus Band I bekannte Ritter Heinrich Cruthsac. 728 Nr. 312*, aus einem Copiar gedruckt, ist, obwohl nur zehn Druckzeilen umfassend, sehr schlecht weggekommen: „Hentzuscheim“, lies Hentzuschen; „puero“, lies pueris; setze Komma nach ibidem (womit für das Register aus einem Pleban ein Ritter wird); „Epingen“, lies Epingin; tilge das Fragezeichen nach Swabehen. Die nicht mitgetheilte Ueberschrift: Resignacio vinearum in Hentzuscheim ergibt, dass das im Text genannte Isenstal Flurname ist. Auch der nach diesen Correcturen die Niederschrift im Copiar richtig wiedergebende Text ist noch fehlerhaft: statt „actioni in iuri“ muss es et heissen; „Berge habet“ ist sinnlos, der Wormser Kanonikus Conradus de Bergeheym (I, 133,16) steckt dahinter; statt „Sigobo“ ist Sigelo zu lesen.
Nach diesen wenigen, einem weit reichhaltigeren Material entnommenen Proben noch einige Worte über das beigegebene Orts- und Personenregister, das Ergebniss einer ebenso mühseligen wie fleissigen Arbeit. Es leidet trotz des sichtlichen Bestrebens seines Verfassers, sich in seinen Stoff einzuleben, doch an recht erheblichen Irrthümern, namentlich in Bezug auf die Ortsbestimmungen. Auch hierfür einige Beispiele: Duntzensheym ist nicht Dunzenheim Kr. Strassburg, sondern Dintesheim Kr. Alzey; Geszbeszheim, Geiszpiszheim ist das rheinhessische Gabsheim; Gudemberg ist nicht Guttenberg südl. Bergzabern, sondern Guttenberg über Neckarmühlbach; „Fritzsche herre von Lueszelnheim“ war kein Herr von Leiselheim (solche hat es überhaupt nicht gegeben), sondern er hiess Herre; unter Mor sind auch die de Moro gebracht, welche doch deutsch zum Mulbaum (Maulbeerbaum) heissen; Mullebach ist nicht Mühlbach bei Landstuhl, sondern Neckarmühlbach bei Gundelsheim; Rinberg ist nicht Rheinberg Kr. Mörs (welches bis ins 17. Jahrhundert Berke hiess!), sondern Rheinberg im Wisperthal; Schonecke ist nicht Schöneck A. Bergzabern, sondern Schöneck Kr. St. Goar; Spechbrucke ist nicht Spachbrücken Kr. Dieburg, sondern Spabrücken Kr. Kreuznach; Kune von Ulmen benennt sich nicht nach Olm Kr. Mainz, sondern nach Ulmen Kr. Kochem; Walen ist nicht Wahlen Kr. Heppenheim (welches früher Waldowe hiess), sondern Wahlen Kr. Alsfeld; Winternheim (so auch 334,22 zu lesen) ist nicht Wintersheim Kr. Oppenheim, sondern Gross-Winternheim bei Oberingelheim.
Darmstadt.
Anmerkungen
- ↑ Vgl. Bibliogr. ’90, 2430. ’91, 3805.
- ↑ Grabschrift bei Schannat, Hist. Worm. 395. Vgl. das (nicht fehlerfrei abgedruckte) Condolenzschreiben Kaiser Ludwig’s an Worms v. 6. Februar 1333, Boos Nr. 259.
- ↑ Von G. v. Below in den Göttinger Gelehrten Anzeigen 1891, Nr. 19 S. 679.
- ↑ Mon. hist. Univ. Prag. II, 68.