Unverstanden
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„Vetter Ulrich! Vetter Ulrich!“ rief eine frische Mädchenstimme hinter mir, als ich eben aus dem Gartenpförtchen hinausging, und mich umsehend, erblickte ich über dem glänzenden Grün der Cornelius-Kirschhecke den blonden Kopf meiner Base Frieda.
Frieda war mir eigentlich mehr als nur Base. Ihr hübscher, kleiner, rother Mund hatte mir just vor einem Jahre in der verschnittenen Buchenlaube dort unten im Garten feierlich versprochen, sie wolle meine Frau Doctorin werden, eine Thatsache, die großen Sturm erregte in dem freundlichen Oberförsterhause. Denn der Onkel schalt uns dumme Kinder und wollte nichts wissen von einer Studentenverlobung, und die Tante, die gute, freundliche, stand officiell auf ihres Mannes Seite, heimlich aber tröstete sie an uns herum und malte uns in den prächtigsten Farben aus, wieviel schöner ein solches Glück sei nach einer kurzen Prüfungszeit, die noch dazu nur dreihundertfünfundsechszig Tage dauere.
Nach einem Jahre nämlich dürfte ich, wenn ich noch so dächte wie jetzt und es bis dahin wirklich zum „Doctor“ gebracht, auch glücklich das Staatsexamen bestanden hätte, im Oberförsterhause wiederum anfragen; so lautete des gestrengen Onkels Ultimatum. „Und,“ fügte er noch hinzu und nahm die Pfeife aus dem Munde, aus der er so rasch und hastig geraucht hatte, daß die blauen Wölkchen so regelmäßig wie bei einer arbeitenden Dampfmaschine hervorgequollen waren, „und, mein alter Junge, ich erwarte nun von Dir, daß Du dem Mädchen, der Frieda, nicht Fisematenten in den Kopf setzest mit Liebesbriefen und unnütz Papier verschwendest. Nach so einem Wisch sind die Frauensleute allemal acht Tage lang nicht zurechnungsfähig; bis sie geantwortet haben, verlieren sie Schlüssel, lassen die Suppe anbrennen, und wenn das Geschreibsel endlich zur Post ist, gucken sie schon anderen Tages nach Antwort aus, laufen dem Postboten meilenweit entgegen und heulen sich die Augen roth, kommt nicht zur rechten Zeit so ein rosenrother Papierfetzen; – ich will solche Wirthschaft nicht – laß es Dir gesagt sein!“
Was blieb mir übrig? Ich versprach es, und ehe ich abreiste, gelobte mir Frieda noch einmal ewige Treue in der Buchenlaube unten und ich ihr desgleichen, und die Thränen aus ihren großen blauen Augen wollten gar kein Ende nehmen. Ich mußte trösten und trösten und schied mit einem so schweren Herzen, wie man es eben nur haben kann, wenn man jung, Student und so bis über die Ohren verliebt ist, wie ich es in meine kleine blonde Cousine war. Ein Mann, ein Wort! Ich schrieb nicht an Frieda, obgleich ich nicht leugnen kann, daß ich anfänglich täglich einen Brief verfaßte: ich vernichtete ihn aber jedesmal – zu meiner Ehre sei es gesagt! Dennoch gewährte mir diese einseitige, nie ihre Bestimmung erreichende Korrespondenz eine gewisse Beruhigung, denn ich hatte doch Alles das, was mir das Herz zum Zerspringen voll machte, herausgefördert. Daß ich natürlich allerlei kleine erlaubte Listen anwendete, wird mir wohl Niemand verargen können. So zum Beispiel schrieb ich an meine liebe Tante und zukünftige Schwiegermutter einen langen Geburtstagsbrief; bis Dato hatte ich sie immer nur mit einer Karte beglückt, auf welcher ein bunter Blumenstrauß oder pausbäckiger Engel das „Ich gratulire“ illustrirte; nun schrieb ich und schrieb und fragte nach allem Möglichen und so nebenbei auch nach Frieda; denn der Onkel las alle Briefe seiner Frau. Ich erhielt auch eine Antwort auf diesen Brief, aber leider war's ein Lied ohne Worte; denn Tante begnügte sich, mir eine respectable Eßkiste, mit prächtiger frischer Wurst vom letzten Schlachten, nebst den besten Grüßen zu übersenden. „Sie habe so gar keine Zeit zum Schreiben“, war auf der Paketadresse noch hinzugefügt.
Nun erwies sich die Wurst zwar als sehr delikat, wie es bei einer Hausfrau vom Schlage meiner Tante gar nicht anders sein kann, aber so ganz befriedigte mich diese Antwort denn doch nicht; ich wandte mich in meiner Noth mit der Bitte um irgend einen guten Rath in irgend einer Angelegenheit, in der ich allein ganz gut wußte, was ich zu thun hatte, an meinen Onkel. Diesmal kam auch ein Brief „Junge, laß mich ungeschoren! Ich verstehe nichts davon, frag doch Deinen Alten!“ war ungefähr der Inhalt, und ein letzter Versuch, durch meinen Schwager in spe etwas von Frieda zu erfahren, lief nicht besser ab; denn der zehnjährige Bengel, dem ich wegen eines jungen Teckels schrieb, nach dessen Besitze ich angeblich strebte, antwortete mir freilich auch, aber der ganze Brief war mit Beileidsbezeigungen angefüllt, „weil leider alle jungen Teckel schon vergeben seien“. Gott sei Dank! Ich hätte wirklich nicht gewußt, wohin mit solchem kleinen Ungeheuer. – Aber von Frieda nicht ein Wort!
Seufzend ergab ich mich in das Unvermeidliche, und siehe, das Jahr verging; ich hatte es kaum für möglich gehalten. Nun war ich „Doctor“ geworden; ich hatte sämmtliche Examina summa cum laude bestanden, die Stelle eines zweiten Assistenten an der königlichen Universitätsklinik erhalten und war mit vollen Segeln in das Forsthaus am Harz eingelaufen, um im Hafen des Glückes zu ankern.
Aber – o weh! Meine kleine Cousine und heimliche Braut trat mir mit einem Ernst, ja, mit einer Kälte entgegen, verleugnete mit einer Natürlichkeit in ihrem Thun und Lassen jede andere [594] schönere Beziehung zu mir und kehrte so deutlich die Cousine – nur immer die Cousine – heraus, daß mir nichts anderes übrig blieb, als mit möglichster Ruhe, wenn auch mit heimlichem Verdruß, der Vetter zu bleiben, weiter nichts als der „Vetter“.
Sie war nicht unfreundlich zu mir, o bewahre! Keine Cousine der Welt hätte liebenswürdiger sein können, aber sie vermied doch Alles, was an Vergangenes auch nur im Entferntesten erinnern konnte, und die Buchenlaube dort unten im Garten schien gar nicht mehr für sie zu existiren. Desto mehr für mich; ich saß halbe Nachmittage und des Abends zuweilen bis Mitternacht darinnen, und mitunter klopfte mein Herz zum Zerspringen, wenn in nächster Nähe ein duftiges weißes Kleid durch die Büsche schimmerte und eine anmuthige Stimme ein Liedchen trillerte. So recht aus der Seele klang es freilich nicht, und es schnitt mir in's Herz, wenn sich die zierliche Gestalt, die ich bereits in die Laube treten sah, kurz abwendete, um in einem der schattigen Wege zu verschwinden.
Onkel und Tante betrachteten mich sorgenvoll, denn daß mir die Geschichte tief zu Herzen ging, mochten sie mir wohl ansehen. Der Cousine Frieda zeigte ich es freilich nicht – um so weher that es nach innen.
Bis jetzt hatte das Mädchen jedes Alleinsein mit mir zu vermeiden gewußt; um so überraschter war ich, als ich sie plötzlich meinen Namen rufen hörte.
„Willst wohl zum rothen Hause? Wenn es Dir nicht unangenehm ist, Vetter“ – sie betonte dieses entsetzliche „Vetter“ immer ganz besonders – „so komme ich mit. Vater sagt mir eben, dem alten Wendenburg sei die Frau erkrankt, und Mutter hat mir Tropfen für sie gegeben; sie hat lange Jahre hier im Hause gedient, weißt Du; ich muß also hinüber, und gehe doch so ungern allein durch den Wald.“
Sie war bei diesen Worten aus dem Gitterpförtchen getreten und stand nun neben mir in ihrem schlichten Sommerkleide, das sie etwas in die Höhe genommen, damit das fleckenlose Weiß mit den feuchten Waldwegen nicht in Berührung komme. Um den Kopf trug sie ein schwarzes Spitzentüchlein geschlungen, und das liebliche Gesicht schaute doppelt reizend aus der düsteren Umhüllung hervor. Zum ersten Male fiel es mir auf, daß sie leidend aussah und daß ein schmerzlicher Zug sich um den hübschen rothen Mund gelegt hatte, den ich vor einem Jahre dort noch nicht bemerkt hatte. Ich erschrak und wollte, Alles vergessend, fragen, ob sie sich krank fühle. Aber ihre Augen blickten gleichgültig an mir vorüber in das Dunkel des Waldpfades, und dabei schwenkte sie mit kindischer Lust ein leichtes Körbchen im Kreise, sodaß ich das teilnehmende Wort unausgesprochen ließ.
„Unendlich schmeichelhaft, theuerste Cousine!“ gab ich zurück, „ich würde Dir nun zwar gern den weiten Weg ersparen, und in meiner Eigenschaft als junger und patientenhungeriger Arzt den Besuch am Krankenbette Dir abnehmen, aber –“
Sie zuckte ungeduldig die feinen Schultern.
„Ich habe diesen Gedanken ebenfalls gehabt und es dem Vater auch gesagt,“ versicherte sie, „aber die Alte ist wunderlich, und Doctoren, noch dazu „junge Doctoren“, haßt sie förmlich; sie würde die Tropfen aus Deiner Hand nicht nehmen, und der Vater will nun einmal, daß ich hingehe.“
„Ich bin Dir also wirklich genügend zum Schutz gegen etwaige Spitzbuben, Räuber oder was Du sonst zu fürchten scheinst? In der That, dieses Vertrauen –“
„Warum denn nicht?“ unterbrach sie mich und schickte sich zum Gehen an, „Du bist ja ein baumstarker, großer Mensch und mein Vetter dazu.“
Ich schritt hinter ihr – und wer mag mir's verdenken? – ärgerte mich über die Launen und Capricen der Mädchen im Allgemeinen und über die meiner Cousine im Besonderen; am liebsten wäre ich wieder umgekehrt, hätte mich nicht eine ganz unbezwingliche Neugier nach dem „rothen Hause“ fortgezogen.
So wanderten wir nun durch den Wald, sie immer voraus, leise ein Liedchen trillernd, als sei sie in der fröhlichsten Laune der Welt.
„Halt!“ rief sie plötzlich, „da wären wir ja beinahe daran vorübergegangen!“
„Woran?“ fragte ich.
„An dem Grabe unter der Hubertus-Eiche.“
„Wessen Grab, Cousine?“
„Ei, frage doch nicht! Du hast ja ein ganzes Actenstück in der Tasche, das die Geschichte des Todten hier erzählt. Vater, der es Dir gegeben, hat gesagt, ich soll Dich hierher führen, bevor wir in das rothe Haus gehen; nun komm!“
Sie hielt die Zweige von ein paar prächtigen dunkelgrünen Tannen aus einander und wies auf einen schmalen, kaum zu erkennenden Pfad. Ich hatte Mühe, ihr nachzukommen; denn die Büsche schlugen wie ungestüme Wellen hinter ihrer feinen Gestalt zusammen und trafen empfindlich mein Gesicht, als wollten sie mich zurückhalten von dem Betreten dieses Ortes.
Und nun befand ich mich plötzlich auf einem mäßig großen Platze, rings umstanden von dunklen Tannen; inmitten derselben aber ragte eine prächtige uralte Eiche empor und breitete ihre Aeste wie schützend über einen Hügel aus, der kunstlos aus Feldgestein zusammengefügt war, überwachsen von Waldepheu und Moos. Ringsum die tiefste Stille, die erhabenste Waldeinsamkeit; nur durch die Tannen ging ein leises Rauschen und Flüstern, und zuweilen wehte ein gelbes Blättlein von der Eiche hernieder und blieb in dem dunklen Epheu hängen.
Ich ging hinüber zu dem schmucklosen Hügel und setzte mich auf die Bank daneben, während meine Hände den Epheu zur Seite bogen, um die Inschrift einer eisernen Tafel zu lesen. Ob hier der Urgroßonkel lag, der wunderliche Alte, der mehr gefürchtet als geliebt wurde in seiner Familie und gestorben war, einsam und verlassen, wie ein verwundeter Löwe in seiner Höhle?
„Frieda, wer liegt hier begraben?“ fragte ich; denn die ehemals vergoldete Schrift war schwarz geworden und ließ sich schwer entziffern. Aber es erfolgte keine Antwort; sie stand, mir den Rücken zuwendend, und blickte durch einen Aushau in der dunklen Tannenwand zu dem herzoglichen Schloß hinüber, das aus dem grünen Laube des Schloßberges stattlich und vornehm zu uns herübersah. Die Fenster blitzten golden in dem Scheine der Herbstsonne, und die weißen Mauern leuchteten fast blendend; kaum einen Büchsenschuß weit dünkte mich die Entfernung, und doch waren wir eine halbe Stunde gewandert.
„Schönste Cousine, erhöre meine Bitte und sage mir: liegt hier der räthselhafte Jägersmann und Urgroßonkel?“
Sie wandte sich um und schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht,“ sagte sie dann kurz; ihre Augen ruhten auf dem Hügel, und plötzlich fügte sie mit weicher, völlig veränderter Stimme hinzu: „Es ist ja gleichgültig, wer hier ruht, aber nicht wahr, es ist ein köstliches Plätzchen für den letzten Schlaf? Es träumt sich so süß, wenn der Wald über uns rauscht und die Sonnenstrahlen durch die Zweige lugen.“
„Ein echtes Waidmannsgrab, Frieda; ich kann es ihm nicht verdenken, wenn er hier begraben sein wollte, statt in Reih' und Glied mit dem übrigen Menschengesindel auf einem regelrechten Kirchhof zu liegen.“ Und meinen Lieblingsdichter recitirend, begann ich:
„In kühler Erd', bedeckt von Moos und Farren, Die oft mein Fuß beim Waidmannsgange traf Durch's Tannendickicht – also möcht' ich harren Der Ewigkeit in süßem, stillem Schlaf –“
„Hast Du die Inschrift schon gelesen?“ unterbrach das Mädchen meinen Erguß rasch. „O, bemühe Dich nicht; ich kann die Verse auswendig!“ und feierlich sprach sie:
„So lernten wir uns kaum Für diese Welt hier kennen, Wo uns so kurz die Sonne scheint. Wir finden einst, wenn Jeder ausgeweint, Uns wieder, um uns nie zu trennen.“
Dann wandte sie sich rasch ab.
„Sehr hübsch, Frieda, aber mich dünkt, es sei just keine Grabschrift für einen Jägersmann.“
„Du hast wohl Recht,“ sagte sie und brach ein paar Zweige von dem Epheu; dann schritt sie wieder vor mir her durch die dunklen Waldespfade.
Wenn meine Mutter mit mir während der Ferien zu dem Onkel Oberförster in den Harz reiste, so war Abends im traulichen Familienkreise hin und wieder wohl die Rede gewesen von einem gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts gestorbenen Urgroßonkel. Und mochte nun meine Großmutter von ihm erzählen oder die alte Tante Rieke, die sonst die Prosa in Person war, mochte mein Onkel von ihm berichten oder der uralte Castellan des herzoglichen Schlosses, der mitunter in Schlafrock und Pantoffeln [595] in die Oberförsterei zu einem Plauderstündchen kam, es wob sich immer ein Stückchen echter Poesie wie ein duftiger grüner Tannenkranz um seine Gestalt, die gleichwohl nur undeutlich aus dem Rahmen der Erzählungen hervortrat. Denn von den damals lebenden Mitgliedern der Familie hatte ihn selbstverständlich Niemand mehr gekannt, und nur meine hochbetagte Urgroßmutter erinnerte sich, ihn einmal gesehen zu haben, da er wie ein Einsiedler in dem rothen Hause mit einem alten Factotum von Diener gelebt, der Köchin und Gesellschafter zugleich war.
„Ich weiß es noch wie heute,“ pflegte sie zu erzählen, „ich saß auf der Gartenmauer und aß Weintrauben; so ein acht- oder neunjährig Ding mochte ich dazumal sein; es war ein kalter Octobertag; wir hatten schon Nachtfröste gehabt, und die Trauben hatte der Fuchs geleckt – darum schmeckten sie so süß. Da kam ein Mann aus der Schloßgartenpforte heraus, langsam und bedächtig; wundersam sah er aus, seine Kleider waren altmodisch, aber wohlerhalten, und sein Haar und Bart silberweiß. Erstaunt blickte ich ihn an und sah ihn näher kommen; er schritt an unserer Mauer entlang, und gerade als er an der Stelle war, wo ich mich neugierig hinüberbog, schaute er empor und – ich weiß nicht mehr, wie er ausgesehen, nur das weiß ich noch, daß ihm Thränen in den Augen standen und auch ein paar Tropfen in dem weißen Barte hingen, und daß ich unwillkürlich und sehr respectvoll „Guten Tag!“ zu ihm sagte. Ob er meinen Gruß erwidert hat, erinnere ich mich nicht mehr. Eine halbe Stunde später aber flog die Kunde durch's Städtchen: Prinz Christian sei todt, und sein so lang verfeindeter Jugendfreund habe an seinem Sterbebett gestanden und ihm die Augen zugedrückt, nachdem sie sich versöhnt.“
So meine Großmutter. Und nun gab es geheimnißvolles Vermuthen und unnützes Kopfzerbrechen noch hinterher, wie es gekommen sei, daß jene Beiden, die eine glühende Jugendfreundschaft verband, sich so plötzlich trennten. Mitunter wurde ein Frauenname dazwischen geworfen, aber Niemand wußte Näheres, und nur das Eine stand fest: der Unterthan kündigte dem Prinzen die Freundschaft, und so oft auch dieser ihm die fürstliche Hand zur Versöhnung bot, sie wurde mit einer an Verachtung grenzenden Kälte zurückgewiesen, ohne daß die Geduld und Langmuth des Prinzen sich je erschöpfte; als aber der Oberförster, alt und grau geworden, sein Amt niederlegen wollte, da wurde das „rothe Haus“ ihm als Eigenthum zugewiesen und die Oberförsterei in ein neues Gebäude, näher dem Städtchen, verlegt. Und der Einsiedler, der sich sonst schroff und abweisend der fürstlichen Huld gegenüber verhielt, machte in diesem Falle eine Ausnahme und nahm es dankbar an, sein Leben dort beschließen zu dürfen. Nach seinem Tode fiel das Haus an die Herrschaft zurück, laut einer Clausel im Testamente des Prinzen Christian aber blieb es unbenutzt stehen; die Zimmer wurden belassen wie zu Lebzeiten des Besitzers, und nur selten sah die gewölbte Halle einmal eine bunte Jagdgesellschaft, wenn gerade in diesem Revier gejagt wurde und die Zeit zu einem Imbiß gar zu knapp bemessen war, um nach dem eine Meile entfernten Jagdschlößchen zu fahren.
Und allmählich schwand das Interesse für den Mann, über den seiner Zeit das ganze Ländchen den Kopf geschüttelt. Die Alten starben, und die Jungen nahm das Leben mit all seinen Anforderungen an die rastlos klopfende Brust. Auch ich hatte lange nicht an den längst begrabenen Uronkel im grünen Harzwalde gedacht.
Gestern Abend nun hatte plötzlich Onkel Oberförster das Gespräch wieder auf jenen Mann gebracht, mir, nachdem Manches hin und her geredet worden, ein Päckchen vergilbter Papiere übergeben und mir mit fast feierlichem Tone gesagt, ich möge sie dort lesen, wo diese Zeilen dereinst geschrieben seien – im rothen Hause; es sei die Lebensgeschichte des Verstorbenen.
„Ich bin noch nicht gar lange im Besitze des Manuscriptes,“ hatte er hinzugefügt, „durch einen wunderlichen Zufall kam es in meine Hände; der Pastor in Bergerode – doch das erzähle ich Dir ein anderes Mal.“
Und dort unten am Ende des schattigen Weges, tief hineingebettet in des Buchenwaldes Schweigen, tauchte nun das rothe Gemäuer des einsamen Hauses auf; plump und unschön lag es da mit seinem runden ziegelgedeckten Thurme und den unregelmäßigen Fensterreihen. Eine tiefausgetretene Sandsteintreppe führte zu der hohen Hausthür, auf jeder Seite hielt eine uralte knorrige Linde Wacht, mit einem steinernen Ruhebänklein darunter. Es mochte wohl schon Jahrhunderte überdauert haben, dieses einsame Jägerhaus, und Zeuge gewesen sein der Waidmannslust längst dahingegangener Geschlechter.
Meine Cousine schritt jetzt etwas rascher voran unter den hochaufstrebenden Buchen; die durch das Blättergewirr fallenden Sonnenstrahlen huschten goldig über ihre schwebende Gestalt und ich blieb stehen und sah sie die moosbewachsenen Stufen der Treppe emporschreiten, die reizendste Staffage zu dem alten Hause. Dann schaute sie sich nach mir um. Ueber ihr krönte ein prächtiges Hirschgeweih die hohe eisenbeschlagene Thür, auf deren einem Flügel ein Käuzchen festgenagelt war, das Gefieder von Sturm und Zeit zerweht und zerzaust. Die in unzählige kleine Scheiben geteilten Fenster blickten schläfrig und erblindet in das üppige Waldesgrün hinaus; Haselbüsche und junger Buchennachwuchs hatten sich bis dicht an die alten Mauern gedrängt und schauten neugierig in die Fenster hinein, den Sonnenstrahlen jeglichen Eingang verwehrend; es wehte schier ein zauberhafter Friede um dieses alte Jägerheim.
Frieda war ungeduldig geworden. „Kommst Du?“ rief sie, und ließ den eisernen Klopfer der Thür auf die Metallplatte fallen, daß der Schall dröhnend aus dem Hause zurückhallte. Ein Schwarm Dohlen erhob sich vom Thurme, umkreiste ihn erschreckt und schwang sich dann kreischend in den blauen Himmel empor, von innen aber erscholl heiseres Hundegebell und gleich darauf ein freudiges Schnuppern hinter der Thür.
„Diana, Diana!“ rief das Mädchen leise, „geh, hole den Alten! Es ist Besuch draußen.“
Bald hörten wir schlürfende Tritte, ein Schlüssel wurde kreischend herumgedreht, und ein alter gebückter Mann mit silberweißen Haaren und eigenthümlich scharfen Augen, die den Jäger sofort kennzeichneten, öffnete die Pforte.
„Das ist mein Vetter Ulrich, Wendenburg! Er will das rothe Haus sehen,“ begann Frieda und überschritt die Schwelle. „Vater läßt bitten, Ihr sollt ihm die Zimmer des alten Herrn aufschließen. – Ich komme zu Eurer Frau; hoffentlich ist's nichts Schlimmes?“
„Schön Dank,“ antwortete der Alte brummig, ohne mich eines Blickes zu würdigen; nur die Thür öffnete er etwas weiter, um mich einzulassen. Wir waren indessen in einen hallenartigen Flur getreten, der reich decorirt war mit Hirschgeweihen und Rehkronen; über einem hohen Kamine hing das nachgedunkelte Oelbild eines verwegen dreinschauenden Mannes in mittelalterlichem Jagdcostüme; Hundeköpfe und ein schnaubendes Pferdehaupt mit fliegenden Mähnen schaueten ihm zur Seite von der Wand herab.
„Hakelnberg, der wilde Jäger,“ erklärte Frieda beiläufig, und bedeutete mich, dem vorausschreitenden Alten ein paar ächzende Stufen hinauf zu folgen. Der Hund raste wie toll hinter ihm drein und sprang an ihm empor, als er jetzt stehen blieb, um in einer gewölbten Nische der ungefügen Mauer eine niedrige Thür aufzuschließen. Gebückt trat ich hinter Frieda ein.
„So, da hätte ich Dich hergebracht,“ sagte sie, „wie ich es dem Vater versprach. – Und nun, Wendenburg, kommt zu Eurer Frau; ich bringe ihr die Tropfen; es ist doch wieder die alte Geschichte, nicht?“
Der alte Mann antwortete nicht; er rückte ein paar Stühle und fuhr mit dem Rockärmel über die eingelegte Platte des massiven Tisches.
„Wenn der Herr mich braucht, ich bin im Hinterstübchen,“ murmelte er, „meine Frau schläft jetzt grad'; möcht' sie nicht wecken – werd' das Fräulein rufen, wenn sie aufwacht.“ Dann flog die Thür hinter ihm zu, und wir waren allein.
Im ersten Augenblick machte das Mädchen eine hastige Geberde, als wolle sie ihm nacheilen; ich sah, wie das bleiche Gesicht von einer purpurnen Röthe übergossen wurde; dann kam sie zurück und setzte sich in einen Lehnstuhl, der am Ofen stand. Sie schloß die Augen und jeder Zug ihres Gesichtes schien zu sagen: „Gott, wie unangenehm und langweilig, aber ich fürchte mich nicht vor dem Alleinsein mit Dir; Gott bewahre, es ist mir ganz und gar gleichgültig.“
Das ließ sich nun seltsam an, und jetzt wäre es wohl Zeit für mich gewesen, zu fragen: „Frieda, warum bist Du fremd gegen mich? Was that ich Dir? Hast Du mich nicht mehr lieb?“ Dies Alles lag mir auf den Lippen, und doch schwieg ich und wandte mich verletzt ab; sie sah so eiskalt aus, so unnahbar, und ich hatte ein gutes Gewissen. Ueberdies war mir erst kürzlich von einem Freunde gerathen worden, man müsse die Frau vor [596] der Hochzeit erziehen; und hier zuerst sprechen – da hätt' ich jawohl all mein Lebtag verspielt gehabt ihr gegenüber, wenn sie wirklich noch meine Frau werden sollte.
Meine Frau! Ich seufzte tief auf und warf doch wieder einen Blick zu ihr hinüber, und sie blinzelte eben auch unter den langen Wimpern hervor, aber wie erschreckt schloß sie die Augen, als unsere Blicke sich trafen. „Gut, ich werde thun, als wäre ich allein hier,“ nahm ich mir vor.
Wir befanden uns in einem mäßig großen, gewölbten Raume; durch die tiefen Fensternischen fiel das Licht nur spärlich hinein. Ein einfaches Bett an einer Seitenwand, ein Schreibtisch am Fenster, am Ofen ein Lehnstuhl, ein Pfeifenbrett und ein Tischchen mit Schachfiguren, eine Uhr in altmodisch verschnörkeltem Kasten, der plumpe Eichentisch und einige Stühle – das war die Einrichtung des Gemaches, streng und einfach.
Mich fröstelte fast in dem kaltfeuchten Zimmer; ich stieß ein Fenster auf und ließ die warme Herbstluft ein; dann nahm ich einen Pokal von dem Gesims an der Wand und füllte ihn mit dem Weine, den mir die Tante sorglich in die Wandertasche gepackt hatte. Es war ein schönes, geschnittenes Glas mit Jagdstücken; auch eine Inschrift befand sich darauf: „Seinem Freunde Heinrich Mardefeld. Prinz Christian v. S. B.“
Wo waren die Hände, die einst dieses Glas erfaßt, die Lippen, die sich daran genetzt? – Gestorben, verdorben wie die Freundschaft, die es dem Freunde geschenkt! Was kann nicht Alles verderben und sterben in der Welt!
Ich zögerte, zu trinken; es war mir, als sollte ich den Mund eines Todten berühren; dann stürzte ich den Inhalt mit einem Male hinunter. Und mit dem feurigen Weine kam eine fast weihevolle Stimmung über mich; Frau Poesie war eingetreten, rückte mir den Schemel zurecht vor dem alten Schreibtische und breitete die vergilbten Blätter vor mir aus. Schon schickte ich mich an zu lesen – da, eine leise Bewegung hinter mir; ich wandte den Kopf und sah in Frieda's Augen. Es lag eine stumme Bitte in ihnen, aber der kleine Mund war trotzig zusammengepreßt; dennoch verstand ich sie, und rasch fragte ich:
„Kennst Du den Inhalt dieser Blätter?“
Sie schüttelte stumm den blonden Kopf.
„Soll ich laut lesen?“
Sie zögerte mit der Antwort; ich sah, wie sie kämpfte. Dann nickte sie, und beinahe schien es, als gewähre sie mir nur höchst ungern die Gnade, mir zuzuhören; sie schmiegte sich wieder in den Lehnstuhl und sah, meinen Blicken ausweichend, in die dunkle Laubmasse des Waldes hinaus; die grüne Dämmerung wob sich reizend um ihre schlanke, weiße Gestalt; harziger Tannenduft quoll durch das Fenster; die Schatten der Blätter huschten im Spiele des Herbstwindes über das Papier; ringsum feierliches, stolzes Schweigen; nur das Ticken eines Holzwurmes in regelmäßigen Pausen und vom Walde herein der Schrei eines Raubvogels. Und nun senkten sich meine Augen hernieder zu dem Papier, und ich las wie folgt:
Alter Freund, ich könnte es mit den zwei Worten sagen: 'ich hab' nimmer verstanden, glücklich zu sein.'
Aber siehe, da draußen hat mein alter Jobst ein jung blondhaarig Dirnlein zum Besuch, sein Enkelkind, und sie sitzet im Abendschein unter der Linden und singet –
„Es sind die Lieder, die ich verlor
Im wechselnden Laufe der Jahre,
Nun kommen mir Wort und Töne zurück
Mit ihnen kommt zaubrisch der Jugend Glück
Und küsset die silbernen Haare.“
Du hast es gewißlich niemalen geglaubet, Johannes, daß ich auch dichten könne, maßen wohl manch ein Waidmannsfluch aus meinem Munde ging, nur kein poetisch Verslein; ich glaube auch nicht, daß ich selbiges auszusprechen vermöchte; meine Zunge ist ein ungefüg Ding immer gewesen. Aber da innen im Herzen, da hat es wundersam mitunter geklungen; da haben auch Blumen geblühet und Glocken geläutet, nur nicht herausblühen und tönen konnten sie; ja, wenn das anders gewesen, wenn ich auch hätt' schmeicheln und lachen können, dann –
Du fragst mich nach dem Heimgange Prinz Christian's, unseres Christels, wie wir ihn nenneten ehedem. Ja, Johannes, wir sind in seinem Sterbestündlein, im Tode, wieder zu Freunden geworden; im Leben waren wir getrennt, Johannes, lange düstere Jahre, und das, was uns trennete, war ein Grab, und unserer Jugend Glück lag darinnen.
Die wilde Taube unter der Linden girrt noch immer zu, der Teufel hole sie! Wollt' eben aufstehen und ihr sagen, sie möge sich auf den Blocksberg scheeren –
'Da klang es leise von Lieb und Treu,
Wie hold, wie süß die Minne sei –
Ein Lied, ein Lied vom Lieben.
Im duft'gen Mondschein ein Lindenbaum,
Zwo blaue Augen – Es war ein Traum
Und einsam bin ich geblieben!'
Johannes, das ist's ja eben: einsam, einsam! Kein Weib mehr und keinen Freund mehr, und sie sagen noch: ich fühle es nicht, ich habe ein Herz, so härter sei, als der Fels in unseren Bergen. Es ist wahr, Johannes, ich konnt' nicht jammern dazumalen, es war ein Leid, zu groß zum Klagen. –
Wie es sich begeben?
Ei nun, Johannes, Du weißt ja noch, wie wir Drei, Prinz Christel, Du und ich zum letzten Male bei einander waren. Du standest bereits im Priesterröcklein an der Schwelle einer fetten Pfarre, und Dein Wesen war schon in Etwas salbungsvoll worden; ich trug noch nicht lang das grüne Waidmannskleid als wohlbestallter Oberförster in unseres herzoglichen Herrn Revieren; fürwahr, unser fürstlicher Freund hatte gesorgt für uns als ein echter Freund; denn wir waren jung an Jahren für solch Amt; er selbst aber wollt' am Morgen des nächsten Tages seine große Cavaliertour antreten zu den fremden Höfen.
Du weißt gewißlich noch, wie er das Glas, daraus wir den Abschiedstrunk gethan, im hohen Bogen in das Wasser schleuderte und dabei sagete: Niemandes Lippen sollen es wieder berühren, und wie wir uns dann küsseten und noch einmal Freundschaft schwuren, auf daß uns nichts trennen solle in der Welt.
Du mußt es noch wissen, Johannes; ich wenigstens meine noch, sein jugendlich begeistert Angesicht zu sehen; nie später ist es mir wieder so zum Bewußtsein gekommen, welch ein edelschöner Mann er war. Wie sahest doch Du dagegen aus, Johannes! Wie ein wohlgenährt Eselein neben einem edlen Roß. Und ich? Erspare mir das Gleichniß! Schönheit war niemalen mein Erbe. Doch genug hiervon! An diesem Abende haben wir uns wohl zum letzten Male in alter treuer Freundschaft die Hand gedrückt – vergangen, verloren! Durch wen? Durch ein Weib –!“
„Ein Weib! Suche nach, Johannes, in der Geschichte der Welt, von Adam an bis heute – die Ursache des Bösen in der Welt ist das Weib, und einer Frauen Schönheit ist wie Gift, berauschet die Sinne und machet das Herz elend. Wenn Freunde sich entzweiten, Familienglück zerriß, Ehen sich trennten, die Kriegsfuria über die Länder sich ergoß – cherchez la femme – où est la femme? Und Voilà, sie war stets zu finden, schuldig oder unschuldig – das Böse in der Welt ist das Weib. Und wenn es wahr ist, daran Du felsenfest glaubst, daß es einen Teufel gebe, der in der Welt umhergehet und suchet, wen er verschlinge, so gehet er wahrlich um in eines schönen Weibes Gestalt. Lasse getrost Pferdefuß und Hörner bei Seite, Johannes!
Es war um die heilige Weihnachtszeit, da ich sie zum ersten Male gesehen. Ein Wetter tobte über die Berge daher, daß es schien, als sei die wilde Jagd noch niemalen so arg über den Harzwald gezogen. Es pfiff und sauste und heulte um mein altes Eulennest, als sängen alle bösen Geister einen Triumphgesang; dazu prasselte ein Regen mit Schneeflocken untermischt gegen die verschlossenen Läden meines Gemaches; ich hatt' just mein nasses Fußzeug abgestreifet; denn ich war eben mit Büchs und Hunden heimgekommen, der Teufel weiß, verdrießlich genug, ohne eine Kugel versandt zu haben.
Da klopfete es draußen, und dieweil niemalen Abends Jemand einsprach in mein einsam Haus, am wenigsten bei solchem Unwetter, so hieß ich die Hunde schweigen, ging hinaus und öffnete die Thür, die mir von dem Sturm allsogleich aus der Hand gerissen ward.
Da stund sie auf der Schwelle. Johannes, wenn ich dermalen gewußt, wen ich eingelassen! Ein Weib, so königlich, schlank und stolz, und doch so demuthsvoll das schöne Haupt gesenkt; und der Sturm zerrete an ihren Gewändern und wirbelte den Schleier von dem weißen Antlitz und ließ mich in ein paar blaue Augen schauen – Die Augen – Johannes!
„Ein Obdach,“ heischte sie, „und Hülfe“! Der Wagen liege zerbrochen nahebei am Wege; der Kutscher sei bei den Pferden geblieben. Ich öffnete meines Zimmers Thür und hieß sie eintreten; sie bückete sich unter der niedern Gewölbung, und als sie dann neben mir stand, da reichete mir das blonde Haupt doch nur bis zum Kinn. – Ich war ungeschickt immer gegen Frauen, doch flog ein Lächeln um ihren ernsten Mund, als sie sah, wie ich mich mühete ihr Höflichkeit zu erweisen.
„Ich danke, Monsieur,“ sagte sie, und warf den Mantel ab; dann nahm sie den nassen Schleier vom Kopfe, setzte sich in den Lehnstuhl am Kamin und lockete meinen Cäsar; der legete zutraulich den Kopf auf ihre Kniee, und sie streichelte ihn mit ihren weißen zarten Händlein. Ich stand in Gedanken verloren vor ihr und schaute sie an; seltsamlich kam es über mich, da in meinem einsamen Stüblein ein Weib saß. Fremd, und doch so süß vertraut dünkete es mich, und ich vergaß Alles über solch' anmuthig Bild, bis sie mich bat, ich solle ihrem Kutscher Hülfe senden.
Da hastete ich fort in Schreck und Verlegenheit und gebot dem Jobst, er solle die fremden Mähren sorglich verpflegen und den Kutscher mit Bier und Imbiß laben, und im oberen Gestock solle sein, des Jobsten, Weib ein Kämmerlein herrichten für die Dame, da sich zeigete, daß das Gefährt zu arg beschädigt und sie in diesem Wettergraus nicht weiter könne.
Und es kam, daß ich mich nicht in mein eigen Gemach getrauete vor Herzklopfen und Verlegenheit, als ich mich aber dennoch überwand und vor ihr stand, da dankte sie mit süßen Worten, und ihre Augen sahen holdselig zu mir empor, bis sie sich senketen vor den meinen und ihr lilienweiß Antlitz sich röthete. Und so saßen wir stumm bei einander, und draußen tobete das Wetter und riß ungestüm in dem Geäst der hohen Linden.
Ich bin ein unbeholfener Gesell; ich konnt' nicht reden, sah sie nur an und wehrete dem Hunde, der nicht von ihr gewichen und nun zu ihren Füßen sich gestrecket. Sie aber merkte es kaum; ihre Augen hielt sie geschlossen, und ein schmerzlich Sinnen grub ihr ein Fältlein auf die weiße Stirn. Dann kam des Jobstens Frau und brachte Wein und Imbiß, aber sie rührte kaum die Speisen an, und dann begehrete sie zur Ruhe.
Ich aber fand solche nicht. Ich lief hinaus in Sturm und Regen und starrete zu ihrem hellen Fensterlein hinauf, und die halbe Nacht wanderte ich unstät umher, und da konnt' ich sprechen zu ihr, halblaut, lange Reden, daß die Hunde mich verwundert und blöde anstarrten.
Am andern Morgen aber war das schöne Vöglein vor Thau und Tag ausgeflogen, so früh ich auch aufstand. Auf dem Tisch vor ihrem Lager aber fand ich ein offen Brieflein, und darinnen mit zierlicher Schrift die Worte:
„Friederike von Babenberg danket Euch für die Gastfreundschaft und hoffet, sie vergelten zu können.“
Das Zettelchen lieget noch im Kasten meines Tisches mit anderem Tand, Löcklein, Bändern und getrockneten Blumen, vergriffen und morsch zum Zerfallen.
Nun wußt' ich's; sie war die Tochter des alten Generals Babenberg aus Mansdorf, kaum ein Stündlein von hier, und von [610] Jobsten erfuhr ich, daß sie vom Begräbniß ihres Bruders zurückgekehrt sei, der, ein toller Raufbold, auf der Mensur sein Leben gelassen habe. Nun falle das große Majorat nach dem Tode ihres sehr alten, schier kindischen Vaters an eine entfernte Seitenlinie zurück, und dann müsse sie Mansdorf verlassen. Der Kutscher, der dies erzählet, habe hinzugefüget, er möge wohl wissen, was dereinst noch aus ihr werde; denn nach einem armen Edelfräulein renneten sich die Freier just nicht die Hacken ab.
Ich aber hatt' fortan kein ruhig Stündlein mehr. Wohin ich sah, stund vor mir das schlanke Weib in dem dunklen Trauergewand; wohin ich ging, wandelte sie neben mir und blickte mich an aus den blauen Augen, und Nachts beugte sich ihr blasses Antlitz über mein Lager. Die Liebe war über mich gekommen mit schier zauberhafter Macht; ich war vierundzwanzig Jahr, Johannes, und hatte bisher noch niemalen in eines Weibes Auge geschauet.
Und es kam so; es kam das Unglaubliche, kaum zu hoffen Gewagte: Friederike von Babenberg ward meine Braut.
Ei, das ging Alles ordentlich zu; kein Teufelsspuk, kein Hexenwerk, aber mich dünkete es das lieblichste Wunder der Welt in dem Augenblick, als ich sie im Arme hielt an des kranken Vaters Bette. „Friederike, mein Leben lang will ich Dir's danken“ – weiter konnt' ich nichts sagen, alles Andere wär' arm und klein erschienen in so feierlicher Stunde. Und sie mußt' es ja auch, zum Donnerwetter! fühlen, daß ich mein Leben für sie gelassen hätte.
So meinete ich.
Und nun kam wieder Ruhe über mich; ich wußt' ja, sie war mein. Und so trieb es mich tagelang im Forst umher, immer mit dem einen wunderseligen Gedanken, daß ich nur ein Viertelstündlein des Weges brauchte, um in ihre räthselvollen Augen zu schauen. Und sie saß daheim am Bette ihres siechen Vaters, und wenn ich eintrat in das dunkel verhängete Gemach, dann leuchteten ihre Augen, und zwo feine, weiße Händlein streckten sich mir entgegen.
Vorbei! Alter Freud, vorbei! Ich habe niemalen Anlage gehabt für sentiments, wie es just die Mode wollte; es lag nicht in mir; das Leben in Gottes freier, gesunder Natur ließ auch Solches nicht aufkommen; schnurgrade wuchsen meine Gedanken aus dem Herzen wie die weißleuchtenden Stämme unserer heimatlichen Buchenwälder, und so klar, wie die köstliche Bergluft, sagte ich, was ich wollte, ohne Deuteln und Drehen. Freilich, die Luft hier herum weht manch' Einem scharf in's Gesicht, aber ich merkte es nicht, ich war sie gewöhnt; mir erfrischte sie Kopf und Herz.
Die alte Excellenz Babenberg ging dann mit Tode ab, und acht Tage später führte ich Friederiken als mein Weib heim. Wozu auch noch zögern? Der Tod des alten Mannes war eine Erlösung von namenlosen Qualen, und Friederiken verlangete es nach einem Heim – ihres Bleibens war nicht mehr länger im Hause ihrer Väter.
In der Schloßkapelle von Mansdorf gab uns der Prediger zusammen. Hm! Eine wunderliche Hochzeit! Gegen Abend sollte die Trau sein, und der Tag wollte schier ewig währen. Da nahm ich mein Gewehr und streifete durch den Wald, meinte, der Zeit so besser Herr zu werden, und versäumete über eine Wildkatz, so mich schon lange geäffet, die rechte Stunde. Nur so viel Zeit hatte ich noch, mich, wie ich ging und stund, auf meinen Rappen zu werfen. Ich trat bei meiner Braut ein, als sie schon eine Weile auf mich gewartet hatte.
Sie harrete inmitten des großen Prunkgemaches, wo vor wenigen Tage die Bahre ihres Vaters gestanden; noch hingen die schwarzen Florstreifen über die Vergoldung des Getäfels; noch meinete ich, den Geruch von Wachholdern zu spüren und von Todtenblumen. Hinter ihr erblickete ich die beiden unverheiratheten Schwestern des jüngst Verblichenen, so in dem freien adligen Damenstift Klosterode hauseten; steif, verbissen und schier feindselig anzuschauen in ihren düsteren Gewändern. Fürwahr, ein unheimlich Hochzeitsgeleit!
Aber nur einen kurzen Augenblick achtete ich auf Solche; dann blieb mein Blick wie gebannt an Friederiken hängen; sie sah bleich aus, bleicher denn je; ihre schlanke Gestalt verhüllete ein schwarz Gewand; dunkel wob sich die Myrtenkrone in das goldschimmernde Haar; ein schöner Weib, als sie, hat wohl nie vor eines Mannes Augen gestanden.
Ich vergaß, daß ich als ein Tölpel hereingetreten war; kein Wort kam aus meinem Munde, so mein verspätet Kommen erklärete, obgleich ihr Auge fragend und vorwurfsvoll zu mir empor schauete. Zögernd anfangs, dann mit zitternder Hast reichte sie mir die Hand, und in eiligem Schritt gingen wir zur Capellen. Hinter uns wisperten die Zungen der alten Stiftsdamen; ich meinete, es gelte meinen bestaubten Jagdkleidern; da wandte sie sich um mit strafenden Blicken, und sie verstummten vor ihren Augen.
Da wir aber heim wollten nach der Trau, zeigete es sich, daß ich auch vergessen hatte, für ein Fuhrwerk zu sorgen. Friederike aber weigerte sich, in einem Wagen zu fahren, der bis annoch ihrem Hause gehöret und nunmehro, wie Alles dort, ihrem Vetter eignete. „Lieber wollen wir doch gehen,“ sprach sie herb, und ein stolzer Zug legte sich um ihren Mund. „Bitten ist nimmer meine Sach' gewesen.“
Ein peinvoll Viertelstündlein für mich, zumalen die zween verwitterten Gesichter der Stiftsdamen hohnvoll mein junges Weib maßen, und ein jeder Zug deutlich sagte: „Ei sieh', Du stolzes, ungefüges Trotzköpflein, welch' einen lumpigen Hochzeiter hast Du Dir ausgewählt, und bist doch aus edelstem Geschlecht! Ei, wer nicht hören mag, soll fühlen; Du gehst mit ihm dahin als ein Taglöhnerweib; haben wir Dich nicht gewarnt, so viel wir konnten?“
Friederike aber stund in der Halle; kein Blick streifete die alten Schwestern ihres Vaters, groß und bang schaute sie zurück in das Haus, in dem sie geboren und gelebet bis itzo, und ihre weiße Hand bewegete sich wie abschiednehmend.
„Ich bin bereit,“ sagte sie dann; das erste Wort, das sie mir gönnete an diesem Abend. Da nun aber mein Rappe vorgeführet ward, fragte ich: „Getraust Du Dich aufzusitzen, Friederike? Ich fasse die Zügel sicher – es soll Dir kein Leid geschehen.“
Ohne ein Wort zu erwidern, schwang sie sich an meiner Hand in den Sattel; ich legete meinen Arm um sie, und so führte ich mein Weib aus ihrer Väter Hause.
Als wir in den Waldweg bogen, stund schon der Mond am Himmel, und ich lenkte das Roß aus dem dunklen Schatten der Bäume in das weiße Licht – um ihre Augen zu sehen. Warm war die Luft der Augustnacht und schwül, wie vor einem heraufziehenden Gewitter, mir aber brannte Kopf und Herz, und die Augen brannten mir vom Anschauen, und sie wandte doch das stolze Haupt nicht einmal zu mir herum. So zogen wir schweigend dahin, bis das stille Haus vor uns lag, silbern beglänzet vom Mondeslicht, aber einsam, ohne Gruß und Schmuck für seines Herrn junges Weib; nicht einmal für ein Kränzlein über der Thür war gesorget, vergessen hatt' ich alles Andere über sie selbsten.
Ich trat hinzu, um sie herabzuheben vom Pferde, aber sie sah meine Arme nicht, sondern leitete das Thier bis zu dem steinernen Bänklein unter der Linde; dort schwang sie sich hinab und aus dem tiefen Schatten tönte ihre Stimme zu mir herüber, seltsam, kalt und deutlich:
„Ein Wort noch, ehe denn es zu spät ist! Mitleid begehre ich nicht; lieber sterbe ich –“
„Friederike!“ rief ich erschreckt, „was sagest Du da?“ Ich meinte, nicht recht gehört zu haben.
„Wenn mich nur Mitleid hieher geführet itzo – dann – es ist noch Zeit; noch habe ich jene Schwelle nicht überschritten.“
Da schrie es wild auf in meinem Herzen, und zornig wallte mir das Blut zu Kopfe.
„Was, zum Henker, thust Du für absonderliche Fragen!“ herrschte ich sie an, wie ein Kind am lautesten schreit, so ihm bange wird. „Meinest Du, ich werfe meine Freiheit aus Mitleid zum Fenster hinaus?“
Aber kaum hatte ich es gesaget, so lag ich zu ihren Füßen, und weinend barg ich meinen Kopf in ihren Kleidern.
Da beugte sie sich zu mir hernieder und zog mich an ihre Brust. „Ich bin ein arm verwaist Mädchen, und Du –“ sie stockte, „ich will es glauben, Heinrich, daß Du mich lieb hast; es ist so schön zu glauben.“ flüsterte sie nun mit süßem, bebendem Klang; „vergieb mein thöricht Fragen! Sieh, wenn ich es nicht glauben könnte, so wäre ich fort noch in dieser Nacht, und Du hättest mich niemalen wiedergesehen und nimmer gefunden.“
„Und ich hätte Dich doch gefunden, Friederike,“ erwiderte ich und zog sie ungestüm auf das Bänklein nieder. „und wärest Du zu jenem Stern dort oben geflohen – ich hätte Dich heruntergeholet.“
Sie schüttelte den Kopf und ließ erst jetzt die Zügel des Pferdes los, die sie noch immer gehalten. [611] „Von dort holt man Keinen wieder, Heinrich“, sagte sie, und zum ersten Male schlangen sich ihre Arme schier leidenschaftlich um meinen Hals, und ihr Haupt senkete sich an meine Brust.
Und über uns rauschte leise der Nachtwind in den Zweigen der Linde; bleicher zitterte das Mondlicht über dem spitzgiebligen Dache des Hauses, und dann und wann zuckte ein fernes Blitzen auf; still war es in dem weiten Rund, nur ein verschlafen Rauschen des Quellbrunnens drüben, und der Schrei eines Hirschen im tiefen Walde! –
Nur Geduld, Johannes, das Ende kommt, kommt rascher als Du vermuthest.
Sie blieb ein ernst und schweigend Weib, wie sie ein ernst und schweigend Mädchen gewesen; keine Spur von dem süßen Getändel des Wonnemonds, und doch, ich war der glücklichste Mensch, Johannes; ich meinete auch, es sei die Trauer um den Bruder und Vater, die sie stumm und ernst gemacht, und von Tag zu Tage hoffte ich auf ein Lächeln um ihren Mund – vergebens! Mit einer frauenhaften Milde, die schier bedrückend wirkte, waltete sie neben mir, sodaß ich vor ihr hätt' niederfallen mögen, um ihre Hände zu küssen, wär's mir nicht thöricht und läppisch erschienen. Ich sehe noch ihre schlanke Gestalt den Waldweg entlang kommen, wenn sie mir Abends bei meiner Rückkehr aus dem Forste entgegen zu schreiten pflegte; sie ging, als schwebe sie über dem Boden, daß es mich schier dünkete, kein Grashälmchen biege sich unter ihrem Tritt; um das blonde Haupt trug sie ein lose geknüpftes schwarzes Tüchlein aus Spitzen, und meistens hielt sie ein Sträußlein Waldblumen in der Hand, die sie emsig sammelte, bald hier, bald dort sich bückend, und Juno, meine alte Hühnerhündin, ging ihr klug zur Seiten. Später saß sie dann neben mir im traulichen Zimmer, geduldig horchend, wenn ich von des Tages Erlebnissen redete.
So waren vier Wochen dahin; da kam ich einst, wie immer mit dem sinkenden Abend, zurücke und spähete vergeblich den Weg entlang nach ihr, hatte einen Reiger geschossen und dachte, sie würde sich freuen an dem aschgrauen und weißen feinen Gefieder. Aber sie schritt heut nicht daher, ungeachtet es ein prächtiger Septemberabend war, und in Angst, es möge ihr etwas zugestoßen sein, ging ich rascher zu.
Als ich nun näher gelangete und mich eben anschickte, die Stufen hinauf zu gehen in das Haus, da erreichte ein Schall mein Ohr, daß ich innehielt und lauschete; er kam aus den jungen Tannen, hinter denen die Falknerei lag. Das Herz fing mir an zu klopfen; so süße und silbern scholl itzo ein Lachen aus Frauenmund zu mir herüber, und dann ein lockend holdes Sprechen:
„Rupf' an, mein Vöglein rupf' an!“
Rasch schritt ich über den Platz und bog um die Tannenwand; da sah ich im purpurnen Schein der Abendsonne mein Weib; sie hielt den Arm hochgestrecket, und mein weißer Edelfalk stund auf ihrer Hand, mit der Rechten aber bot sie ihm Atzung, und wieder scholl ihr silbern Lachen:
„Ei, Du trotziger Gesell! Rupf' an, mein Vöglein, rupf' an!“
Ich wußt' nicht, ob ein lieblich Wunder geschehen, daß mein ernstes, stolzes Weib ein holdes lachendes Kind geworden; rosenfarben erglühete das schöne Gesicht – ich weiß nicht, kam es vom Abendroth? Aber so neu und süße war sie mir, daß ich stehen blieb, um sie anzuschauen, und schier den trutzigen Vogel beneidete. Ich sahe auch den Mann, der da nicht weit von mir an dem Stamme einer Buche lehnte, erst, als ich dicht an ihm vorüberschritt, um zu ihr zu gehen.
Er war im tiefen Anschauen des lieblichen Frauenbildes verloren, aber nun wandte er sein Haupt, und im nächsten Augenblick hielt ich den heimgekehrten Jugendfreund in den Armen, und ein großes Freuen war über mich gekommen.
Er aber machte sich hastig los und fragete, nach Friederiken hinüber deutend:
„Heinz, Heinz! Was ist das?“
Meine Augen folgeten seinen Blicken und ich sah, wie itzo die schlanke Frauengestalt langsam hinter den Tannen verschwand. Der Vogel saß einsam auf seinem Gestänge, trutzig in sich geducket.
„Was das ist, Christel? Ei nun, mein Weib, mein herzliebstes junges Weib!“
Und ich fühlte, wie mir vor freudigem Stolz das Blut in das Antlitz trat.
„Heinz! Mein guter Heinz!“ rief Prinz Christian in alter vertrauter Weise, „so finde ich Dich wieder? Hast es nicht ausgehalten allein im alten Hause und Dir die schönste Elfe eingefangen, die jemals im Mondschein durch den Wald geflattert? Alter Borkenkäfer, wie hast Du's angefangen, das schönste, stolzeste Mädchen zu gewinnen, Friederike von Babenberg?“
„Wie ich es angefangen, Christel?“ entgegnete ich, und warf einen Blick da hinüber, wo mein Weib gestanden; „wie ich es angefangen?“ wiederholte ich noch einmal, und sah ihn stolz an. „Garnicht habe ich es angefangen; unsere Herzen haben sich in Liebe gefunden und –“
„Und sie kam gern in diese Einsamkeit?“ unterbrach mich Prinz Christian und wandte das Haupt nach den grauen Mauern des Hauses, aus dem die Giebelfenster gleich glühenden Augen in der Abendsonne leuchteten.
„Gern, Christel? Mein Weib liebt mich.“
„Hm!“ meinte er, und schritt neben mir durch das Tannengestelle dem Hause zu. „So schön, so jung und so allein, oder glaubst Du, Dein Edelfalk sei ihr auf die Länge ein guter Zeitvertreib?“
„Sie ist nicht wie die Andern,“ gab ich fast barsch zurück; „ihr ernster Sinn passet wohl zur Einsamkeit.“ Und so schritten wir schweigend in das Haus, und einen Augenblick wollt' es mich bedünken, als wär' mir der heimgekehrte Jugendfreund minder lieb, denn einst.
Da wir aber beim Nachtmahl saßen und uns wie sonst in die Augen schauten, nahm ich meinen Becher und stieß an den seinen: „Willkommen daheim, Christian! Laß Dir das rothe Haus nach wie vor gefallen zu gastlichem Einspruch! Du findest hier stets die alte Gesinnung.“
Mein Weib aber saß schweigend neben mir – ihr Lachen war verstummet; sie sah fast stolzer aus, denn je, nur ein rosiger Anhauch war auf dem bleichen Gesichte zurückgeblieben, und als sich unsere Becher mit vollem Klange trafen, hob sie den Blick und schauete mich an, daß ich zu trinken vergaß; ich weiß nicht, was Alles in ihren Augen lag, Angst und Vorwurf und stummes Bitten. Da ich aber den Mund aufthat, um sie zu fragen, legte sie mir sanft die Hand auf die Schulter, erhob sich und beurlaubete sich von dem Prinzen, „da sich die Herren gewißlich noch Mancherlei zu berichten hätten aus der Zeit der Trennung, und sie noch Hausfrauenpflichten zu üben habe.“
„Bleib, Friederike!“ bat ich, „es mag Dich interessieren zu hören, was man anitzo zu Paris treibet, und wie die Damen am Hofe die Hütlein tragen.“
„Erlaube, daß ich gehe!“ bat sie schier unfreundlich, „was kümmert mich Paris und die welsche Mode?“ Und mit einer tiefen Verneigung gegen den Prinzen schritt sie hinaus.
Ich aber warf einen triumpfhirenden Blick zu ihm hinüber und wiederholete:
„Sie ist nicht wie die Andern, Christel.“
Ich sehe noch sein Gesicht vor mir in jenem Augenblick; er schauete die Thür an, hinter der ihre schlanke Gestalt verschwunden war, und ein purpurn Roth überfloß sein schönes Antlitz. Ich lachete laut auf und hielt ihm den Becher hin, und als er mir Bescheid that, da sah er so bleich aus wie das Tuch auf dem Tische.
Dann aber hub er an zu erzählen von seinen Reisen und lobete Paris mit seinen schönen Frauen und manch ein verwegen Abenteuer klang da in meine Ohren. Welsche Sitte, lockere Zucht – es wollt' mir schier leid thun um den Mund, so dies erzählete, als ich aber in seine Augen sah, da leuchtete mir doch ein gut Theil alter deutscher Ehrenhaftigkeit entgegen und ich dachte, er kann sich wohl einmal in diese wirbelnden, rauschenden Wogen gestürzt haben, aber er wird niemalen darinnen untergehen, und ich dachte an seine Mutter, das Urbild einer edlen Frauen und Fürstin, und daß ihr reiner Geist ihn gefeiet habe gegen jeglich unedel Thun.
Da er heimwärts reiten wollte spät in der Nacht, schritt er leisen Fußes die Gänge entlang und in die Halle, und als ich laut nach den Knechten schrie, daß sie Leuchtung bringen sollten, verwies er mich heftig:
„Denkst Du nicht, daß Dein Weib schläft?“
Ich stutzete. Es ward mir einen Augenblick klar, welch ein ungefüger Gesell ich sei, dann aber lachte ich.
„Man merket, daß Du zu Paris die höfische Sitte noch vervollkommnet hast.“ [612] Als er sich dann auf das Pferd schwang, irrete sein Auge über die dunklen Fenster.
„Darf ich wiederkommen, Heinz?“ fragte er itzo laut.
„So oft Du willst, Christel; es ist meinem Hause eine Ehre und Freude, und bin ich nicht daheim, so triffst Du Friederiken; nur darfst Du ihr nicht von Paris sprechen,“ setzte ich lachend hinzu, „Du weißt itzo, wie sie darüber denket.“
Friederiken fund ich aber noch wach in ihrem Stüblein; sie las in einem Gebetbuch, und der Lichtschimmer floß um ihr blondes Haupt als ein Heiligenschein.
„Friederike,“ fragte ich, „warum ließest Du uns allein? Mißfällt Dir Prinz Christian?“
„Nein,“ sagte sie kurz, „er ist Dein Freund.“
„Wolltest fürderhin freundlicher sein zu ihm,“ bat ich und setzte mich zu ihr auf das gepolsterte Bänklein. Sie neigte gewährend das Haupt, aber ihr Mund blieb stumm, und die Augen blieben gesenket.
„Der weiße Falk, Friederike, er gefällt Dir?“ begann ich; ich wollt' ihr den Vogel schenken, an dem sie eine Freude hatte; ich sehnete mich nach einem Lächeln von ihr, seit ich wußte, daß sie lächeln konnte.
Sie schlug überrascht die Augen auf. „Ich hatt' einen solchen daheim,“ sagte sie leise. Dann stand sie eilig auf. „Es ist Mitternacht vorüber, und Du gehst früh in den Wald.“
Mir lag das Herz auf der Zunge; ich hätt' so gern ihr schmales Händlein erfasset und ihr gesagt: „Warum bist Du so kalt, und warum spielet nicht ein einzig Mal ein Lachen um Deinen Mund, wenn Du bei mir bist? Und ich weiß doch nun, wie hold Deine Lippen lächeln, Deine Augen strahlen können, wie ruhig Du zu erzählen vermagst! Sage mir, was Dir fehlet! Ich will Alles, Alles schaffen; nur sieh' mich einmal gütig an!“ – Aber ich blieb stumm; ich verstund eben nicht zu sprechen. O, daß ich nicht geschwiegen hätte, vielleicht wär' doch noch Alles gut geworden! Ihr Lachen aber verfolgete mich im Traum und im Wachen, und immer meinte ich, das silberne Getön zu hören und die süßen Worte „Rupf' an, mein Vöglein, rupf' an, Du trotziger Gesell!“
Ich mocht' den Vogel nicht mehr leiden seit jenem Tage.
Johannes, die Feder sträubt sich, das niederzuschreiben, was nun gekommen; ich will es rasch zu Ende bringen.
Prinz Christian kehrete täglich im rothen Hause an – wunderst Du Dich? Es war ja ohnedem auch kein Tag vergangen, an dem wir uns nicht gesehen. Mitunter fund ich sie beisammen, im Schein der Abendsonne mir entgegenschreitend, oder er saß ihr genüber im Gemach, wenn draußen Regenwolken über den Wald schauerten, und sah, wie sie spann, aber lachen hört' ich sie nie wieder, wie an jenem Abend. Sie war auch wieder bleich, noch bleicher fast, denn zuvor, und stiller, aber ein unruhig Wesen war über sie gekommen; nur secundenlang weilte ein purpurn Roth auf ihren Wangen. Einmal aber, da ich erst spät nach Hause kehrte, dieweilen mich eine halbe Mondennacht auf dem Anstande gehalten, und mich nun leise in mein Gemach stahl, ihren Schlummer nicht zu stören, trat sie bald darauf zu mir ein, rascher als ich es sonsten gewöhnt war von ihr, und da ich ihr „guten Abend!“ bot, merkete ich, daß sie geweint hatte und daß sie es gleichfalls zu verbergen trachtete.
Ich sagte daher nichts davon, und fragete nur so nebenher, ob Prinz Christian hier gewesen?
Da veränderte sich ihr Gesicht, und ein glänzend Roth flog darüber. „Er ist erst eben heimgeritten“ antwortete sie, „es sollt' mich Wunder nehmen, so Du ihn nicht getroffen auf dem Wege.“
„Ich bin aus den Reindorfer Buchen gekommen,“ gab ich zurücke.
„Ich meine, Du lässest Deinen Freund oftmalen vergeblich harren,“ sprach sie dann, und ihre Stimme klang verschleiert, als ob das Herz ihr stürmisch poche.
„Ei, trifft er doch meine Frau Liebste, so meine Stelle vertritt,“ scherzte ich und schlang meinen Arm um sie; „oder meinst Du nicht, Friederike, daß ihm solche Vertretung gar angenehm ist?“ Aber ihr Gesicht blieb weiß; sie wand sich aus meinen Armen und schritt hinaus, und ich wußt' mir nicht zu erklären, was ihr räthselhaft Wesen bedeuten solle.
Ein paar Male auch fand ich sie eingeschlossen in ihrem Stüblein, und da ich mich wunderte und sie neckte, sie habe wohl Angst vor Räubern und Dieben, und ob ich ihr solle eine gute Büchse zum Troste reichen, lachte sie auf und sagte seltsam betonend: „Ei freilich, meine thörichte Angst, was sollt' hier auch sein, das sich der Mühe verlohnte zu stehlen?“
Ich nahm dies als ein Zeichen fröhlicher Laune; wie hätt ich auch ahnden können, was für ein Sinn sich hinter diesen Worten barg? Ich plumper Gesell, dem nur eine ehrliche Sprache verständlich war. –
Und da – ja, genau weiß ich nicht mehr zu berichten, wie es war an diesem grauenvollen Tage – ich mußt' frühe fort; denn Serenissimus hatt' etliche vornehme Gäste invitiret auf eine Schweinshatz, und ich mußt' sorgen, die Garne und Lappen zu stellen und die Leute zu ordnen, doppelt sorgsam heut, dieweilen auch die hochfürstlichen Damen die Jagd mit ihrer Gegenwart zu beehren gedachten; ich vermißte auch während der Hatz Prinz Christian nicht, der sonsten niemalen gefehlet; ich that Alles rein aus Gewohnheit ab, da meine Gedanken bei Friederiken waren, hatte gemeint in der Nacht ein leises Weinen von ihr zu hören, konnte mir aber nicht klar werden, ob es im Traum oder Wachen gewesen. Wurde auch ein Keiler, nachdem er etliche Hunde darnieder geschlagen, im Garn gefangen, und ihm von dem fremden Prinzen der Fang gegeben, und fuhren die Herrschaften bald nachher zum Jagdschmaus auf das Schloß Elchsburg.
Mich aber hatte plötzlich eine Angst erfaßt, daß ich quer durch ein Tannengestelle drang, um rascher heim zu kommen. Das Geäst schlug mir die Augen wund – ich achtete es nicht; rasch athmend stand ich endlich unter der Linde neben dem Brunnen; es lag ein unheimlich fahlgelb Dämmern über dem alten Gemäuer und den herbstlichen Wipfeln der Bäume, und da ich Alles so friedlich und still vor mir sah, kam auch Ruhe über mich und ein fast übermüthig Thun. Ich schlich mich durch das Hofpförtlein, klomm an dem Epheu, der ihr Fenster umrankte, ein paar Fuß in die Höhe, und wollte schauen, was sie in der Einsamkeit wohl beginnen möge.
„Zuerst sah ich nichts; denn mein Auge konnt' sich nicht gewöhnen an die Dämmerung da innen, aber dann – Johannes! Wie bin ich nur herunter gekommen von dem Fenster, und zu dem Bänklein, wo ich mich hernach wieder fand!
Mein Weib – und mein Freund! Er lag auf den Knieen vor ihr, die im Sessel ruhete, hatte ihre Hände gefasset und den Kopf darüber gebeuget – kein Hauch, kein Laut, der sie störete in dem einsamen Hause! Der das Recht dazu gehabt, war ja tief im Walde. Da faßte mich ein finsteres böses Wesen; ich riß das Gewehr von meiner Schulter und legete an auf das Fensterlein, aber dann warf ich jenes weit von mir und barg den Kopf in meine Hände, und die finstersten Stunden meines Lebens senketen sich über mich.
Erst spät ging ich in mein Gemach und lauschte auf ihre Tritte – was ich mit ihr beginnen wollte, war mir selbst nicht klar, ein Zorn hatte mein Herz erfasset, eine Verachtung, daß ich sie mit dem Fuße hätte hinwegstoßen mögen, wie einen Hund. Und endlich hörte ich sie kommen; die Thür des Zimmers that sich langsam auf, und sie stand auf der Schwelle, so schlank, so süß, wie nur jemals; verweint und bleich schritt sie zu mir herüber, und vor mir stehen bleibend, sank sie zu Boden. „Heinrich! Heinrich!“ klang es in mein Ohr, und ihre gefalteten Hände reckten sich empor zu mir. Was sie noch sonsten sagte, verstand ich nicht; die Worte erstarben auf ihren Lippen.
Da sprang ich auf in wildem Zorne und riß sie jäh empor; mit festem Griffe packte ich ihre Hand und führete sie hinaus aus dem Gemache durch die Halle, über die Schwelle meines Hauses. Willenlos folgete sie mir, nur ein schier vergehender Blick brach aus ihren Augen, wie der eines todtwunden Rehes.
Ich sagte nichts und deutete nur mit der Hand den Weg entlang, aber nun verstand sie mich; hoch und stolz hatte sie sich aufgerichtet, das schöne Haupt in den Nacken zurückgeworfen – so stand sie vor mir, als wär' nicht sie, sondern ich schuldig. Ihre Lippen bewegten sich, als wollt' sie sprechen; dann wendete sie sich mit fast verachtungsvoller Geberde und schritt in den dämmernden Abend hinaus – und als sie mir entschwunden, da warf ich das Gewehr über und im wilden Schmerze lief ich die Nacht im Walde umher.
Als ich nach Hause kam im Morgennebel, hatte ich nur den einen Wunsch, sie möge wiedergekehrt sein, schuldig oder nicht; ich lag zu tief in des unseligen Weibes Fesseln. Jobst aber berichtete mir erschreckt, die Frau sei über Nacht nicht daheim gewesen, also daß ich bitter auflachte: „sie wird ein Obdach wohl gefunden haben.“ Doch im selbigen Momente sprengte ein Reiter daher, und ich erkannte an dem isabellenfarbigen Rosse Prinz Christian; da warf ich Jobsten mein Gewehr zu, auf daß kein Unglück geschehe, stemmete meine Hände in die Seiten und sah ihn finster herankommen.
Er streckte mir die Hand entgegen; das Haar hing ihm verworren um die Stirn; unordentlich saßen ihm die Kleider, und bleich und überwacht sah er aus, wie Jemand, der in schwerem Leid die Nacht durchsorget oder sie durchschwelget hat.
„Ich habe mit Dir zu reden, Heinz,“ sagte er tonlos und schwang sich vom Pferde.
„Was zwischen uns zu reden ist, vermag nur ein eiserner Mund,“ entgegnete ich. Er stutzte und sah mich forschend an.
„Ich meine, Du verstehst mich falsch, Heinz; ich will für Dein Weib sprechen –“
Da lachte ich gellend auf. „Mein Weib? Ich wüßte nicht, daß ich annoch eines hätte, und daß ich eines besaß, hab' ich vergessen.“
„Um des Himmels willen, Heinrich!“ schrie er entsetzt, „was soll dieses Gerede? Wie siehst Du aus? – Wo ist Friederike?“
[639] „Das magst Du wohl besser wissen, denn ich,“ erwiderte ich.
Er aber war blaß geworden wie der Tod.
„Fort ist sie,“ rief er, „Du hast –“ Dann brach er ab. „Heinz, Du bist ein roher, ein gefühlloser Gesell,“ schrie er, „Du bist nicht werth, daß sie Dir einen Blick gegönnt; Du hast sie niemalen geliebt.“
Da brach das Lachen wieder von meinen Lippen. „Du magst es freilich besser verstehen,“ entgegnete ich, „bin ich doch kein Höfling und kein Prinz und habe es nicht zu Paris erlernet, wie man seines Freundes Weib verführet.“
Aber er achtete meiner bitteren Worte kaum, schier verzweifelt geberdete er sich, und wie ein Rasender bot er Knechte und Jägerburschen auf, die Frau zu suchen, und jammernd und schreiend lief Jobstens Weib umher, immer dasselbe wiederholend: die Frau habe sich ein Leides angethan; sie sei schon lange so wirr und verstört gewesen und habe zuweilen so arg geschrieen und geweinet.
„Herr,“ jammerte das Weib und fiel vor mir nieder auf die Stufen der Freitreppe, wo ich noch immer stand, als sei ich zu Stein geworden, „Herr, ich überleb's nicht; sie ist in den See gegangen, in den See.“
Mir aber klangen die Worte in die Ohren, die Friederike am Hochzeitsabend gesprochen:
„Dann wäre ich fortgegangen, und Du hättest mich nicht wiedergefunden.“
Warum wollte sie damals fort? Weil sie wähnte, ich könne sie nicht lieben, und doch galt ihr diese Liebe ein Nichts; sie ward treulos bei der ersten Versuchung, so ihr entgegentrat.
Dann packte mich wieder eine wilde Verzweiflung; Gott, wenn es wahr wäre, wenn sie im See läge, bleich und todt!
Ich stürzte die Stufen hinunter; ich wollte sie suchen, aber – was ging sie mich an? Ein Anderer suchte sie ja schon mit aller Liebesangst – sie selbsten hatte mir das Recht dazu genommen.
Ich ging in mein Gemach und begann dorten auf und ab zu wandern; dann und wann streifte mein Blick das Schießzeug, und ich dachte, ob's nicht besser sei, dem elenden Leben ein Ende zu machen. „Um eines Weibes willen, die treulos?“ fragte ich dann, „ist dein Leben nicht mehr werth, denn solchen Preises?“
Ich stieß die Thür zu ihrem Zimmer auf; es stund und lag Alles, als sei sie nur eben hinausgegangen – auf dem Tischlein am Fenster Bücher, die ihr Prinz Christian gebracht, ein Spitzentüchlein, wie sie es so gern über dem Haar trug, und in einem Krystallgläschen ein Waldstrauß, rothe Ebereschen und bunt gefärbtes Eichenlaub; das kleine Spinnrad mit den Elfenbeinverzierungen war zur Seite geschoben; ich meinete, das blasse Händlein an dem feinen Faden zu sehen, den schmalen Fuß auf dem Trittbrett.
„Friederike, Friederike!“ rang es sich aus meiner Brust, „es kann ja nicht sein; es ist nur ein Träumen gewesen, ein entsetzlich Träumen; Du mußt wieder kommen; es muß werden wie früher, nein, besser, schöner noch; was hab' ich Dir gethan, daß Du mich so elend gemacht?“
Aber es blieb still um mich, todtenstill – und so lag ich vor ihrem Stuhle, Stunde um Stunde, und hielt das Tüchlein an meine brennende Wange gedrückt, bis die Dunkelheit herniedersank; nur das Ticken der Uhr mahnte, daß die Zeit nimmer stillstund.
Dann ein Gewirr von Stimmen, das Jammerrufen der Jobstin, und als ich hinausstürzete, da sah ich in dem unstäten Lichte einer Fackel – mein Weib! Prinz Christian trug sie in seinen Armen und legte sie eben auf ein Bänklein, und dorten lag sie seltsam starr und bleich, und von den langen blonden Haaren und den Gewändern rieselte es klar und hell, und eine lange nasse Spur zog sich durch die Haare.
Das Herz stand mir still; ich mußte mich an die Wand stützen, und still und lautlos war es rund umher geworden unter den Menschen, so die Halle fülleten. Dann wollte ich hinüber zu ihr, aber Prinz Christian vertrat mir den Weg und erhob abwehrend die Hand. „Was willst Du noch von ihr?“
Da wandte ich mich zurück; und schritt wieder in mein Gemach. – Johannes, und als das Frühroth hereinbrach, da war ich ein Anderer geworden – Sie sagten ja, ich habe ein Herz von Stein, sie wußten aber nicht, wie weich es gewesen.
Ich fragte nicht einmal, wohin man sie betten wollte – was ging es mich auch an? Man behandelte mich, als sei ich ein Fremdling in diesem Hause; die alten Tanten kamen aus dem Stifte, aber nach mir forscheten sie nicht; ich war ja ein herzloser Mensch, gefühlloser denn ein Stein; ich hatt' sie verkümmern lassen an meiner Seite – ich hatt' sie in den Tod gejagt.
Die Nacht vor dem Begräbniß aber schlich ich mich in den Saal, da man sie aufgebahret hatte; hell schien der Mond durch die Fenster und zeigte mir das Antlitz, so ich mehr geliebt als mein Leben, und das itzo im kalten grauenvollen Todesschlummer erstarret war; ich wollte die feinen weißen Händlein ergreifen, die gefaltet auf dem stillen Busen ruheten, aber es durchschauerte mich wiederum ein unfaßbar Grauen; die Hand war ja treulos gewesen, ein Truggebilde das holde Weib, Lug und Trug ihre Liebe, Lug und Trug die Freundschaft, Lug und Trug die ganze Welt.
Ein halberstickter Fluch kam über meine Lippen, und dröhnenden Schrittes verließ ich das Todtengemach; schallend flog der Hall der Thür durch das stille Haus. Dann pfiff ich meinen Hunden, warf das Gewehr über und schritt in die Nacht hinaus, ruhelos, ruhelos. Wie oft seitdem bin ich so gewandert in langen Nächten, bei süßem Mondenschein zur Sommerzeit, bei schauerlichem Sturm und Unwetter des Herbstes, immer das bleiche Frauenbild vor Augen!
Den Morgen aber, da man sie zur Ruhe brachte, tobte ein Sturm daher, daß die Knechte, so den Sarg trugen, kaum zu stehen vermochten und die halbentlaubten Bäume sich ächzend bogen unter der Windsbraut Gewalt; in den Lüften wirbelte der erste großflockige Schnee des kommenden Winters und streute seine leuchtenden Sternlein als weiße Blumen auf das dunkle Grün der Tannenkränze, mit welchen die Jobstin den Sarg geschmücket. Ich hatte die Stirn an die Scheiben meines Fensters gedrücket und schauete dem kleinen Zuge nach, wie er anitzt durch den Wettergraus dahin schwankte, aber mein Herz fühlete nichts und konnt' nicht mehr schreien und jammern; es war gestorben, Johannes, so kalt und todt, als jenes dort im Sarge. – Der Hund winselte neben mir; das unvernünftige Thier fühlete gar wohl, was es verloren, aus der Halle aber scholl das Schreien und Klagen der Frauen.
Da raffte ich mich empor, als der letzte Mann des Grabgeleites hinter den Bäumen verschwunden war, hieß mein Pferd satteln und ritt auf das Schloß, als ich aber Prinz Christian zu sprechen heischte, da ward mir der Bescheid, daß er in aller Frühe gereiset sei, es wußte aber Keiner wohin; nur ein Brieflein, so Seine Durchlaucht für mich zurückgelassen, sei eben zu mir gesendet. Da wandte ich mich um, und ein spöttisch Lachen kam mir auf die Lippen, „so ist's recht,“ sagete ich mir, „treulos und feig, und der ist erlauchten Blutes!“
Die Leute aber, denen ich begegnete, wichen mir aus und blickten mich schier entsetzt an, und ein jung Dirnlein hört' ich sagen:
„Da siehet man, was eines Mannes Treue gilt; vor einer Viertelstund ist die Frau eingesenket, und itzo reitet er dahin, als sei ihm nichts Böses geschehen – Mutter, ich nehm' keinen Mann.“
„Gott soll Dich behüten vor solch einem Unhold,“ war die Antwort der Alten.
Daheim aber öffnete ich den Brief. „Es ist das Beste“, hieß es darinnen, „es bleibet Alles zwischen uns für jetzt unausgesprochen; denn annoch würdest Du es nicht ertragen, die Wahrheit zu hören. Ich gehe, dieweilen ich mich nicht mit Dir schlagen will. Auch itzo noch Dein aufrichtiger Freund –“
Das zu glauben, wäre wohl mehr gewesen, als von mir zu verlangen stund.
Nach Jahren erst führete mich der Zufall an Friederikens Grab; an jenem Tage war es, an dem ich sie einst heim geholt. Ich streifte umher, verzweifelter denn jemalen, ich war ein verlassener, finsterer Mann, den die Menschen flohen; hatten doch die bösen Zungen wer weiß welche Märlein von mir herumgetragen, die mich als Ungeheuer, als einen Wütherich ausmaleten.
– Unter einer uralten Eiche hatte man sie gebettet; rings umher war Waldesrauschen, Waldesfrieden und feierliche Einsamkeit; schmucklos und einfach war der aus Steinen errichtete Hügel, gegenüber dem Grabe aber hatten sie einen Durchhau gemacht, und in dem grünen Rahmen der Zweige erschien fern das herzogliche Schloß, und die Fenster leuchteten und blitzten herüber, als grüßeten [640] sie das einsame Grab, als wollten sie eifersüchtig über seinen Frieden wachen.
„Auch im Tode noch!“ murmelte ich und wandte mich bitter lächelnd ab.
Prinz Christian kehrete erst nach Jahren wieder heim, als ich zwar körperlich noch jung, aber ein Greis an meiner Seele geworden. Er zehret, Johannes, solch ein Jammer; er macht alt vor der Zeit.
Der Prinz trachtete mit mir zu sprechen; ich wies ihn ab, maßen mein Herz vor Kummer und Zorn mich leichtlich hinreißen kunnt', die Ehrfurcht, die ich ihm als meines durchlauchtigsten Herzogs Bruder schuldig, zu verletzen; meines Herzogs Bruder – weiter war er nichts mehr für mich. – Doch nicht einmal, hundertmal wiederholete er den Versuch, aber ich wußte ihm dennoch auszuweichen.
Und wieder nach Jahren warf ihn ein hitzig Fieber danieder, und da sie mir sagten, es gehe mit ihm zum Sterben, ich möge kommen, da ging ich und stand an seinem Bette – nicht liebevoll und vergebend, nein, als ein Richter.
Und da bekannte er mir, daß er sie still geliebet, schon ehe ich sie gekannt, doch daß sie niemalen davon erfahren; nun habe er sie wieder erblicket als mein Weib und habe entdecket, sie sei nicht glücklich, und da sei ihm die Leidenschaft arg in Kopf und Herz gestiegen, also daß er nichts Anderes mehr gesehen als sie und ihr kummerschweres Antlitz. Und da er sie eines Tages in Thränen und Weh gefunden, habe er ihr, nicht mehr Herr seiner Leidenschaft, seine Liebe gestanden.
„Du weißt, Heinz, welchen Tag ich meine,“ setzte er hinzu, und sein farbloses Gesicht ward noch bleicher. „Sie aber wies mich ab mit harten Worten, sie liebe nur Einen, sagte sie – Dich Heinz, Dich Heinz!“ Er richtete sich in den Kissen empor und fassete meine Hände, „Dich allein, Heinz!“ wiederholte er mit vergehendem Athem, ihr Gram, ihr Kummer – sie meinte, Du liebtest sie nicht; armer Heinz, Ihr habt Euch nimmer verstanden – unverstanden! Das ist hart.“
Dann sank er matt in die Kissen zurück, und nach einer Weile flüsterte er nochmalen:
„Vergieb mir, Heinz, um ihres Angedenkens willen! Sie hat Dich, Dich allein geliebet.“
Ich saß bei ihm und hielt die erkaltenden Hände, bis sich der ewige Schlummer auf seine müden Augen gesenket. Von seinem Sterbebette aber eilte ich zu ihrem Grabe – Johannes, weißt Du, was Reue ist? Mag Gott es Dir ersparen! –
Es ist spät! die Dämmerung sinket hernieder; draußen schweiget schon lange das Lied. Es schauert kalt durch’s offene Fenster – ich bin alt.
Vorbei Liebe, Haß und Leiden – vorbei, Johannes!
Kommst Du einmal in unsere Berge, so kehre nicht bei mir ein, wenn ich noch leben sollt', behalte mein jugendfrisches Bild im Gedächtniß! Es ist besser so. Aber gehe nicht vorüber an ihrem Grabe, Du weißt, an dem Tannengestelle unter der Eiche! Und wenn Du die Worte liesest auf dem Täflein, so gedenke ihrer, und meiner – meiner, Johannes, als Eines, der es nimmer verstund, glücklich zu sein.
Geschrieben im rothen Hause.
Heinrich Mardefeld.“
Nun war der Laut meiner Stimme verhallt und das Gemach erfüllte rosiger Abendschein, noch ebenso rosig, wie vor langer, langer Zeit, als ein einsamer unglücklicher Mann diese Zeilen aufschrieb. Der goldene Schein lag draußen auf den Wipfeln der alten Linden und färbte purpurn die schlichten Wände des kleinen Gemaches, und wie ein rother verklärender Schleier wob es sich um die weiße Mädchengestalt in meinen Armen.
„Friederike!“ sagte ich leise und küßte die weinenden Augen.
Wer von uns Beiden zu dem Andern gekommen ? Ich weiß es nicht mehr.
„Ich war schuld,“ sagte sie endlich nach langem Schweigen, „ich war bös und trotzig.“
„Nein, nein, ich; ich hätte Dich doch ehrlich fragen können,“ entgegnete ich.
„O, ich dachte, Du wärst mir nicht mehr gut, weil Du nicht ein Mal geschrieben hast.“
„Ich durfte ja nicht, Liebchen, ich hatte es dem Vater versprochen –“
„O Ulrich, wie unglücklich war ich doch!“
„Und ich erst, Frieda!“
Und wie ich ihr nun so tief in die blauen verweinten Augen sah, da las ich ein süßes Versprechen darin: Nie, niemals will ich wieder stolz gegen Dich sein. Und in meinem Herzen versprach ich ihr auch etwas, und Beide haben wir es gehalten, dieses stumme Versprechen, bis zu dieser Stunde, und schon lag vor einem halben Decennium der silberne Myrthenkranz auf der Stirn meines Weibes.
Auf dem Heimwege aber sind wir noch an das einsame Grab getreten, und Frieda hat einen Tannenkranz auf den epheubewachsenen Hügel gelegt. Hand in Hand saßen wir dort auf dem kleinen Bänkchen, und über uns flüsterten und rauschten die Blätter im Abendwinde, und aus dem Rauschen klang es wunderbar an unser Ohr, bald Jubel und Weh, bald Klagen und Jauchzen; der Abendwind erzählte uns von Denen, die hier schlummerten, und die er gar gut gekannt, von der holden, unglücklichen Frau, von dem biederen, sie über Alles liebenden Manne, von einem unendlichen Schatz des süßesten Erdenglückes, der sich unter diesen Steinen barg, weil jene Beiden es nicht verstanden, ihn zu heben.
Am Gatterthor kam uns der Onkel entgegen; schon sah der Mond über die Berge.
„Nun?“ fragte er, „hast Du die Geschichte gelesen?“
„Ja, Vater!“ sagte ich. Und er nickte, lächelte erst, drückte uns die Hände und küßte sein Töchterlein auf die Stirn.
Ich wußte nun, weshalb er mir jene Blätter gegeben, jene alten, vergilbten Blätter.