Textdaten
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Autor: Leonhard Ennen
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Titel: Der Dom zu Köln
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, 42, 43, S. 633–638, 686–688, 703–705
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1880
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[633]
Der Dom zu Köln.[1]
Zum Weihefest eines deutschen Nationalbaues.
Von Dr. L. Ennen.

Als die einzelnen, mit reichen Gütern ausgestatteten Stifter Kölns begannen, Kirchen zu erbauen, welche die alte, aus dem zehnten Jahrhundert stammende Kathedrale, die Ruhestätte der heiligen drei Könige, an Pracht, an ruhiger Majestät, an äußerer Schönheit, an verschwenderischer Ausstattung übertrafen, mußte das Bedürfniß nach einer Mutterkirche fühlbar werden, welche auch im Aeußern das richtige Verhältniß des Domes zu den übrigen Stiftskirchen kund gab. Der fromme, gewaltige, prachtliebende [634] Erzbischof Engelbert war es, der zuerst den Plan anregte, den Dom des heiligen Petrus neu zu erbauen; er gewann das Capitel für diesen Gedanken und versprach fünfhundert Mark zum Beginne der Ausführung, sowie jährlich bis zur Vollendung eine gleiche Summe.

Wir verdanken diese Nachricht dem Biographen Engelbert’s, dem Novizenmeister Cäsarius von Heisterbach, der sie niederschrieb, noch bevor der Dombrand des Jahres 1248 den Neubau nothwendig machte.

Diesseits der Alpen gab es keine Reliquien, die in so hohem Ansehen gestanden und ihre frommen Verehrer so massenhaft angezogen hätten, wie die Leiber der heiligen drei Könige. Engelbert durfte sich daher überzeugt halten, daß der größte Theil der ganzen Christenheit freudig seinen Beitrag darbringen werde, wenn über dem Grabe der morgenländischen Weisen ein Tempel aufgeführt würde, der auf dem ganzen Erdenrunde vergebens seines Gleichen suchte. Ehe er selbst Hand an das große, gewaltige Werk legen konnte, erlag er den Streichen ruchloser Mörder, und sein Nachfolger, Heinrich, ließ den Plan seines Vorgängers ruhen. Nach dessen Tode scheint das Capitel die Dombaufrage in die Hand genommen zu haben.

Die älteste Nachricht über die Absicht des Capitels, eine neue Domkirche zu bauen, findet sich in einem in das Kalendarium der Domthesaurarie eingetragenen Capitelsbeschluß vom 23. März 1247, also dreizehn Monate vor dem Dombrande. Sobald sich das Capitel entschieden hatte, traf es mit dem Thesaurar Philippus ein Abkommen, wonach dieser sämmtliche Opfer, welche auf den Altar des heiligen Petrus gelegt würden, sechs Jahre lang zur Baucasse abführen solle; nur dreißig Mark solle er für sich behalten. In gleicher Weise wurde der Custos angehalten, die Opfer, welche in der goldenen Kammer bei den daselbst ruhenden Reliquien niedergelegt wurden, nach Abzug von drei Mark an die Rendanten der Baucasse abzuliefern. Diese Uebereinkunft wurde in das Kalendarium des Ober-Custos, der zugleich Thesaurar war, eingetragen. Es geht aus diesem Actenstücke unwiderleglich hervor, daß im Jahre 1247 der Gedanke an Herstellung einer neuen würdigern Domkirche bei der zuständigen Stelle zur Geltung und Anerkennung und zu bindendem Beschlusse gekommen und nicht etwa ein blos theilweiser Neubau oder eine gründliche Reparatur der alten Domkirche beabsichtigt war.

Wie Engelbert der Heilige, wird auch der nunmehrige Erzbischof Conrad, welcher die Anregung des Capitels freudig begrüßte und welchem denn auch beschieden war, den Grundstein des Baues zu legen, sich zu reichlichen Beiträgen für den beabsichtigten Neubau bereit erklärt haben. Den bei weitem größten Theil der Baukosten hoffte man durch Opfer, Vermächtnisse und Collectionen zu decken; die Opferwilligkeit der Christgläubigen aber konnte am erfolgreichsten zu Gaben geweckt und lebendig erhalten werden, wenn der Papst sich der Sache annahm.

Der Ablaßbrief, durch welchen Papst Innocenz am 6. April 1247 allen Denjenigen, welche am Tage der Kirchweihe den Kölner Dom mit reumüthigem Herzen besuchen würden, Nachlaß der zeitlichen Sündenstrafen verhieß, wird denn auch seinen guten Einfluß auf die Bereicherung der Baucasse nicht verfehlt haben. Das Capitel aber hat sicher, so gut wie es sich die Gründung und Füllung einer Baucasse angelegen sein ließ, auch alsbald auf einen Plan für die Ausführung des neuen Werkes Bedacht genommen, und so will es mich denn, gegenüber den Ausführungen Schnaase’s, als zweifellos bedünken, daß der ganze Grundriß des Kölner Domes schon im Laufe des Jahres 1247 entworfen ist. Zwar ist es richtig, daß der Plan zu Langhaus und Querschiff, so wie unser Jahrhundert ihn in unvollendeter Form vorfand, nicht im Geiste der Baukunst des dreizehnten Jahrhunderts componirt ist. Der Grund für diese Thatsache kann aber sehr wohl darin gesucht werden, daß die Ausführung des ursprünglichen Planes nur stückweise vorging und der Plan zu Langschiff und Seitenschiff, bevor dieselben in Angriff genommen wurden, nach den im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert zur Geltung gekommenen Bauprincipien umgeändert wurde.

Aus Rücksicht auf den Stiftsgottesdienst dürfte man sich entschlossen haben, zuerst das Chor hinter der alten Domkirche fertig zu stellen und dann erst den alten Bau niederzulegen und den Ausbau des Langhauses und Querschiffes in Angriff zu nehmen. Daß es im ursprünglichen Plane gelegen habe, den alten Dom nur durch das neue Chor zu vergrößern, dafür kann die auf die Einweihung des Chores bezügliche Inschrift nicht entscheidend sein; es liegt in der Inschrift nur der Sinn, daß man im Jahre 1322 den Chorbau als eine factische Erweiterung des alten Domes ansah, keineswegs aber, daß man im Jahre 1248 weiter nichts als eine solche Erweiterung beabsichtigt habe.

Einen werthvollen Beweis, daß von Anfang an die Absicht bestand, an die Stelle des alten Domes ein ganz neues Prachtgebäude aufzuführen, bietet Folgendes dar. In diesem Falle mußte das Capitel, da die zwischen dem Porticus und der Johannis-Capelle liegenden „Gademen“ in den Bauplan fielen, alle diese Häuschen eigenthümlich erwerben; und wirklich wurden sie, wie das Domcapitel ausdrücklich erklärt, schon gleich beim Beginne des Baues der Fundamentirung wegen niedergelegt und vernichtet. Erst einige Jahre später, als die alte Kirche wieder nothdürftig reparirt worden und man sich vorläufig auf die Ausführung des Chorbaues zu beschränken entschlossen war, konnten die Gademen wieder hingesetzt werden, und der Custos erscheint im Maihinger Kalendarium als Zinsherr derselben.

Die Werkleute – so erzählen nun zwei Handschriften des siebenzehnten Jahrhunderts – welche mit dem Abbruche der östlichen Mauer beauftragt waren, wollten den Einsturz dadurch herbeiführen, daß sie den Boden aushöhlten, die Fundamente untergruben, die Höhlen mit Holz füllten und dieses dann anzündeten. Die Unvorsichtigkeit der Arbeiter und ein ungünstiger Wind verursachten ein weiteres Umsichgreifen der Flammen, als man erwartet hatte. Hierdurch brannte das alte Gebäude bis auf die Mauern ab; die zwei in der Kirche hängenden goldenen Kronleuchter wurden gänzlich zerstört, der Schrein der heiligen drei Könige aber war beim Beginn der Arbeit, damit er nicht durch den Einsturz der Mauer beschädigt werde, von seiner Stelle inmitten der Kirche an den Ausgang derselben gebracht und hierdurch vor jeder Verletzung bewahrt worden.

Den Nachrichten dieser Handschriften ist aber nicht viel Glauben beizumessen. Gerade die Umständlichkeit, mit der die Einzelheiten bei der ganzen Operation erzählt werden, erweckt die gerechtesten Zweifel, und ich halte mich für berechtigt, der Thatsache, die von keinem gleichzeitigen Localschriftsteller berichtet wird, den Glauben zu versagen. Die ganze Erzählung ist weiter nichts, als ein willkürlicher, dazu noch unwahrscheinlicher Versuch, den Dombrand des Jahres 1248 zu erklären, welcher im Uebrigen zweifellos am Quirinus-Abend den alten Dom beschädigt hat.

Es sagt Papst Innocenz in seiner Bulle vom 21. Mai 1248, daß die Domkirche durch Brand zerstört worden. Der Chronist Matthäus Paris schreibt, daß die Kathedrale des heiligen Petrus bis auf die Mauern durch Feuer vernichtet worden. König Heinrich der Dritte von England empfiehlt die Collecte für den Kölner Dombau mit dem Bemerken, daß in Köln die Kirche, in welcher die Leiber der heiligen drei Könige ruhen, durch einen traurigen, unvorhergesehenen Unfall in Flammen aufgegangen, und die Kölner Annalen von St. Gereon berichten zum Jahre 1248, daß am Tage des heiligen Quirinus der hohe Dom abgebrannt sei. Was die Ausdehnung des Dombrandes anbelangt, von dem auch das Kalendarium der Custodie spricht, so war derselbe keineswegs so bedeutend, daß die Kirche dadurch völlig vernichtet oder unbrauchbar geworden wäre; es handelte sich allem Anscheine nach um ein Brandunglück, welches zeitweilig die Fortsetzung des Gottesdienstes hinderte, jedoch keinen vollständigen Um- oder Neubau bedingte, und ist es richtig, daß bei diesem Brande die beiden goldenen Kronleuchter geschmolzen sind, so wird der Brand das Dach und das Gewölbe des Schiffes zerstört haben.

Rasch und energisch wurde die Reparatur in Angriff genommen. Wenn nicht schon früher, war die Kirche im Jahre 1251 wieder dem Gottesdienste geöffnet, da im Mai dieses Jahres eine Rechtshandlung im Dome vor vielen Zeugen aus dem geistlichem und weltlichen Stande vorgenommen werden konnte. Auf diese Reparatur bezieht sich die so vielfach angeführte und angefochtene Urkunde des Papstes Innocenz des Vierten, durch welche jeder Beitrag zu den Reparaturkosten mit einem Ablasse belohnt wird.

Der Grundstein zum neuen Dome wurde vom Erzbischof Conrad 1248 am 14. August in Gegenwart des deutschen Königs Wilhelm, des Herzogs Heinrich von Brabant, des Herzogs Walter von Limburg, des päpstlichen Legaten, des Bischofs von Lüttich und vieler anderen weltlichen und geistlichen Großen unter pomphaften [635] Feierlichkeiten gelegt. Er ruht an der Stelle, wo später die Ueberreste des Erzbischofs Conrad beigesetzt wurden. Während der Bau des Chores inmitten der gewaltigsten Aufregung, der bittersten Parteistreitigkeiten und der blutigsten Bürgerkämpfe gegen die Erzbischöfe langsam fortschritt, blieb, wie schon angegeben, die alte, zureichend wieder hergestellte Domkirche bestehen und für kirchliche und gottesdienstliche Benutzung erhalten. Es sind uns viele Nachrichten und Urkunden aufbewahrt, welche auf’s Unzweideutigste bezeugen, daß bis zur Einweihung des Hochchores in dem alten Dome Rechtshandlungen stattgefunden haben, gottesdienstliche Verrichtungen gefeiert und Beerdigungen vorgenommen worden sind.

Bei der Einweihung des Chores 1322 bestand die alte Kirche noch; erst bei dieser Gelegenheit wurde der Schrein der heiligen drei Könige in feierlicher Procession aus der alten Kirche in den neuerbauten Chor versetzt.

Dem Chorbau, dessen Geschichte wir hier kurz zusammenstellen, fielen die alte Sacristei und die goldene Kammer zum Opfer; sie wurden abgebrochen, und an einer gelegeneren Stelle wurde die neue goldene Kammer errichtet, wie wir in dem Maihinger Kalendarium finden. Das Dormitorium, das Gewandhaus, der Kreuzgang, der Holzschuppen, die Waschkammer konnten während des Chorbaues stehen bleiben, unser Kalendarium führt diese Räumlichkeiten gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts als noch vorhanden auf. Nur mäßig gingen die Fonds ein. Collectengelder, Opfer, Zinsen, Vermächtnisse, die Einkünfte suspendirter Beneficien, versessene Präsenzgelder boten den Provisoren der Baucasse die Mittel, die ungeheueren Kosten des großartigen Baues zu bestreiten. Unter den Wohlthätern des Domes ist uns speciell der Voigt Gerhard bekannt, der im Jahre 1256 für den Bauzweck eine Mark Rente vermachte. Von großem Gewichte für den glücklichen Fortgang des Unternehmens war die eindringliche Sprache, welche Papst Innocenz in der Bulle von 1248 gebrauchte.

Im Jahre 1264 entsandte der Erzbischof Engelbert einen Priester und Provisor der Casse, den Magister Gerhard, mit einem offenen Hirtenschreiben an alle Kirchenvorstände der kölnischen Provinz, um die Opferwilligkeit anzuregen. Das wilde Parteigetriebe in der Stadt, die wüthenden Kämpfe zwischen der Bürgerschaft und den Erzbischöfen, die blutigen Fehden, welche unablässig alle Einwohner des Niederrheins in Athem hielten, hemmten von Zeit zu Zeit den Zufluß der Beiträge und stellten die Vollendung des großartigen Unternehmens in Frage. Zur Gewinnung der nöthigen Quadersteine hatte das Domcapitel einen eigenen Steinbruch am Drachenfels angeraumt und in Betrieb gesetzt, und mittelst Vertrages vom 26. August 1267 erwarb es von dem Burggrafen von Drachenfels einen von diesem Bruche in gerader Richtung zum Rheine führenden Weg. Im Jahre 1274 ward mit dem Burggrafen ein Abkommen getroffen, wonach sechs Arbeiter, von denen drei Steinbrecher und drei Vorschläger sein sollten, fortwährend beschäftigt sein müßten. Wiederholt wird dieser Vertrag erneuert und 1294 die Zahl der Steinbrecher auf vier erhöht; ebenso tritt 1306 eine Vermehrung der Arbeitskräfte ein, nachdem das Capitel den Dombruch durch Ankauf eines Weinberges erweitert hat. In dem Aufrufe, durch welchen Erzbischof Siegfried seine Diöcesen zu Beiträgen für den Dombau auffordert, heißt es: „Der Bau unserer Kirche, der in Folge von Freigebigkeit schon zu ziemlicher Höhe emporgestiegen ist und bereits in herrlicher Pracht dasteht, bedarf zu seiner Vollendung noch vieler und reicher Beiträge.“

Im Jahre 1297 war der Bau bereits so weit vorgeschritten, daß die Errichtung und Dotirung der einzelnen Altäre in’s Auge gefaßt werden konnte. Der Domvicar Gerhard von Xanten stiftete in diesem Jahre schon eine Vicarie an dem Altare der heiligen Johannes Baptist und Laurentius im neuen Chore; unter den achtzehn Altären, für die er Meßdenare auswirft, sind nicht die Altäre der alten Kirche, sondern die des neuen Baues, des Chores zu verstehen. Die Altäre mochten schon an Ort und Stelle stehen, hatten aber ihre Benennung noch nicht; darum werden sie in den Urkunden auch nicht namentlich aufgeführt. Jedenfalls, obwohl vom Ende des dreizehnten Jahrhunderts bis zur Einweihung des neuen Chores der Gottesdienst beständig in der alten Domkirche gehalten wurde, hatte das Capitel sein Augenmerk auf den Neubau gerichtet, und die einzelnen Stiftsherren wetteiferten, die im neuen Chore errichteten oder noch zu errichtenden Altäre zu dotiren oder mit Stiftungen zu bedenken.

Gegen 1320 wurden die prachtvollen gemalten Fenster im Chore und in den Seitencapellen eingesetzt; durch die in ihnen eingelassenen Wappen bekunden sie sich als Schenkungen des Erzbischofs Heinrich von Virneburg sowie der ihm verwandten Grafenhäuser Holland, Jülich und Cleve, der Stadt Köln und einer großen Anzahl vornehmer Kölner Familien.

Nach Westen erhielt das Chor durch eine starke bis in die höchste Spitze reichende Mauer einen provisorischen Abschluß; nur so konnte dasselbe bis zur Vollendung des Hauptschiffes mit den Nebenhallen als eine selbstständige Kirche benutzt werden. Der Umgang um das Chor wird ebenso gegen die Seitenschiffe hin durch Mauern geschlossen worden sein. Diese Schlußmauern wurden aufgeführt, bevor man zum Abbruche der alten Domkirche schritt; sonst würde ohne Zweifel ein Theil der Quadern des alten Baues benutzt worden sein.

Im Jahre 1322 war endlich das Chor mit seinen Seitencapellen vollendet. „Innerhalb umgaben doppelte, von schlanken Säulenbündeln gestützte Nebengänge das 150 Fuß aufsteigende Mittelgewölbe. Außerhalb bildeten die Nebengebäude mit ihren einfachen Strebepfeilern und Fenstern einen mächtigen, siebenundsechszig Fuß hohen Untersatz, auf dem sich reich mit zierlichem Thurmwerk geschmückte Widerhalter erhoben und mit ihren Strebbogen das eigentliche Chor stützten.“ Das Dach war mit Bleiplatten gedeckt, welche mannigfache Ornamente und verschiedene auf die heiligen drei Könige bezügliche Inschriften zeigten. Auf der westlichen Giebelspitze war ein zierliches Dachthürmchen errichtet, welches mit seiner reichen Vergoldung weithin in die Umgegend glänzte. Die feierliche Einweihung fand am 27. September, am Jahrestage der Weihe des alten Domes, unter Assistenz einer großen Anzahl von Bischöfen, Aebten, Pröpsten und anderen Geistlichen durch den Erzbischof Heinrich statt. Bei dieser Feier wurden die Gebeine der heiligen drei Könige in pomphaftem Zuge aus dem alten Dome in ein provisorisches Mausoleum im östlichen Seitenchörchen übergeführt.

Von den Baumeistern, unter deren Leitung das Chor aufgeführt wurde, sind uns bekannt: Gerhard von Rile, Arnold und Johann. Ob Gerhard von Rile und der „Werkmeister Gerart vonme Doyme“, der in „einer alder tzedulen“ als Eigenthümer eines Erbes bei St. Marien-Garten genannt wird, identisch sind, kann nicht festgestellt werden. Dem Letztgenannten begegnen wir als Wohlthäter der Kirche St. Martin.

Erzbischof Heinrich wollte die Begeisterung für den Fortbau der herrlichen Domkirche nicht erkalten lassen. Nach der Einweihung des Hochchores wurden sofort die Fundamente zu den zuerst in Angriff zu nehmenden Bautheilen der eigentlichen Kirche gelegt, nachdem man für diesen Zweck mit der Niederlegung der alten Domkirche begonnen. Die Glocken erhielten vorläufig ihre Stelle in einem zwischen der Johannis-Capelle und dem Hohen Gericht aufgeführten provisorischen hölzernen Thurme. Den Anfang der Umwandlung scheint man mit der östlichen Mauer des nördlichen Kreuzschiffes gemacht zu haben. Erst im Jahre 1325 wurde zur Fundamentirung des südlichen Kreuzschiffes der an der Südseite der alten Kirche gelegene Porticus niedergelegt. Mit der Erwerbung eines westlich an diesen Porticus grenzenden Besitzes scheint man auf Schwierigkeiten gestoßen zu sein; darum konnte an dieser Stelle für die westliche Seite des Südportals die Fundamentirung nicht vorgenommen werden. In einer Urkunde des Jahres 1325 heißt es, daß „ununterbrochen zur Förderung des Bauwerkes mit großen Anstrengungen gearbeitet werde“. Zur Beschaffung der erforderlichen Baumittel wurde wiederum vom Erzbischofe wie vom Papste die Opferwilligkeit des gläubigen Volkes angerufen. Schon Erzbischof Wichbold hatte allen Denjenigen, welche in ihrem Testamente die Baucasse bedenken würden, einen vierzehntägigen Ablaß bewilligt, und sämmtliche Priester der Diöcese hatte er beauftragt, ihren Einfluß bei den Pfarrinsassen zu Gunsten des Dombaues zu verwenden. Auf Grund dieses Erlasses setzte sich in der Kölner Diöcese der Gebrauch fest, daß kein Testament errichtet wurde, in welchem nicht wenigstens etwas für den Dombau bestimmt worden wäre. Nach allen Richtungen zogen Sammler aus, welche in Kirchen und auf öffentlichen Plätzen die Gläubigen durch feurige, begeisternde Reden und mit Zusicherung der göttlichen Gnade und des Nachlasses zeitlicher Sündenstrafen ermunterten, mit freudiger Hand nach Kräften für das heilige Werk des Dombaues beizusteuern.

Die Sammlungen erhielten eine fördernde Organisation und

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[638] Leitung, als sie in die Hand der im ersten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts gegründeten Petri-Bruderschaft gelegt wurden. Allen, welche sich als Mitglieder der Petri-Bruderschaft aufnehmen ließen und ihren bestimmten Jahresbeitrag entrichteten, wurde die Vergünstigung zugestanden, auch an Orten, auf welchen das Interdict lastete, die heiligen Sacramente zu empfangen und des feierlichen kirchlichen Begräbnisses theilhaftig werden zu können. Der Papst Johann der Zweiundzwanzigste ertheilte in einem besonderen Schreiben allen Indulgenzen und Privilegien, welche der Erzbischof den für den Dombau Beitragenden bewilligt hatte, seine oberhirtliche Genehmigung. In dem Diöcesanstatut des Jahres 1327 wurde bestimmt: „Niemand solle Denjenigen, welche für den Dombau sammeln, hindernd in den Weg treten. Alle Gelder, welche für die Petri-Bruderschaft eingehen, sollen sorgfältig aufgehoben und den Collectaren unverkürzt übergeben werden. Den Collectaren soll es freistehen, bei ihrer Anwesenheit in einer Parochie bei der Pfarrmesse gleich nach verlesenem Evangelium in einer besonderen Predigt die Sache des Dombaues zu empfehlen und zu reichlichen Gaben aufzufordern.“

Leider wurde die allerwärts geweckte Opferwilligkeit sehr bald von Schwindlern gemißbraucht. Gerade weil Jeder bereit war, seine freigebige Hand zu öffnen, so oft ein Collectant im Namen des Domes einen Beitrag forderte, lag für Geistliche wie Laien die Versuchung nahe, unter dem Vorwande, Beiträge für den Dom zu sammeln im Lande umherzuziehen, die für den Bau der Metropolitankirche bestimmte Spenden in Empfang zu nehmen und dieselben zu eigenem Nutzen zu verwenden. Erzbischof Wilhelm sah sich bewogen, diese Mißbräuche auf's Strengste zu rügen und alle Diejenigen mit den härtesten Kirchenstrafen zu bedrohen, welche die für den Dom bestimmten Beiträge zurückhalten und so den Fortgang des Baues gefährden würden.

Die Verwaltung der Verwendung der aus Sammlungen, Opfern und Vermächtnissen in die Dombaukasse fließenden Gelder stand unter zwei Provisoren, wovon gemäß einem Abkommen vom Jahre 1365 der eine vom Erzbischof, der andere vom Capitel bestellt wurde. Nach Maßgabe einer Urkunde vom Jahre 1452 stellte sich allmählich der Gebrauch fest, daß die ganze Verwaltung der Dombaukasse, die Disposition über die vorhandenen Gelder, die Beaufsichtigung des Baues, die Anstellung des Werkmeisters und der Arbeiter einem Capitularen übertragen wurde, der mit Zustimmung des Capitels seine Bestallung vom Erzbischof erhielt und „Baumeister der Kirche zum Dome“ (fabrice ecclesie Coloniensis magister, rector, provisor et administrator) genannt wurde. Als solche Baumeister kennen wir: Bernard de Castro, Pfalzgraf Stephan, Graf Philipp von Oberstein.

Einen ganz anderen Geschäfts- und Wirkungskreis hatte der technische Werkmeister, welcher ebenfalls vielfach unter dem Namen „Baumeister des Domes“ erscheint. Nach dem Tode des bereits erwähnten dritten Werkmeisters Johann tritt als dessen Nachfolger ein gewisser Rütger an die Spitze des Baues. Gegen die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts treffen wir als obersten Werkmeister den Steinmetzen Michael Lapicida. In einem Actenstücke, durch welches 1398 „Bürgermeister, Rath und Bürger gemeinlich der Stadt Köln“ vor das kaiserliche Hofgericht zu Rottweil geladen werden, erscheint unter den Vorgeladenen Andres, Meister „im Turm“; es ist dies Meister Andreas von Everdingen der noch 1412 als „Werkmeister in dem Doyme zo Coelne“ erscheint. Darauf finden wir Meister „Clais“, das ist Nicolas von Büren als Dombaumeister, und nach ihm erhielt der Gemahl seiner Nichte Sophie, Meister Conrad, die Leitung des Dombaues. Im Jahre 1463 wurde ihm auf der Tagsatzung zu Regensburg das Obermeisterthum für die Steinmetzbruderschaft in dem Gebiete von Niederdeutschland zugestanden. Auf diesem Obermeisterthum beruhte es, daß durch einen Schiedsspruch in Steinsachen zwischen den Steinmetzen und Malern 1491 dem „Doymmeister“ ein gewichtiges Wort eingeräumt wurde. Johannes von Frankenberg scheint damals Dommeister gewesen zu sein. Schon seit dem vierzehnten Jahrhundert nehmen die Steinmetzen in der Dombauhütte eine bevorzugte Stellung unter ihren Zunftgenossen ein, wie der Zunftbrief vom Jahre 1308 zeigt.

[686] Im vierzehnten Jahrhundert stockte der Zufluß der Gelder zur Vollendung des Domes mitunter gänzlich, und es war Gefahr, daß das begonnene Werk unvollendet bleiben müsse. Die langjährigen traurigen Streitigkeiten, in denen Capitel, Erzbischof und Bürgerschaft mit blutigen Waffen einander bekämpften, dauerten eben auch in dieser Zeit fort und mußten einen nachtheiligen, lähmenden Einfluß auf die Bauthätigkeit ausüben.

Im Jahre 1447 war der südliche Thurm so hoch aufgeführt, daß er die Glocken, die bisher in dem hölzernen Thurme neben der Johanniskirche gehangen hatten, aufnehmen konnte. Man gab aber jede Hoffnung auf, die Kirche nach dem ursprünglichen Plane vollenden zu können, und schien zufrieden zu sein, wenn man erreichte, das Langschiff und die Seitenhallen der Kirche durch ein provisorisches Dach zu schließen, die vier ersten Felder des nördlichen Seitenschiffes einzuwölben und die für dieses Schiff bestimmten großen Glasgemälde einzusetzen, was in den Jahren 1508 und 1509 geschah.

Seit der Eindeckung und Verglasung der Seitenschiffe ruhten Hammer und Meißel. Die Bauhütte stand verwaist; der Krahnen blieb unbenutzt; für einen Domwerkmeister war keine Beschäftigung mehr an dem alten Baue, und der magister fabricae beschränkte seine Fürsorge auf die nöthigsten Reparaturen.

Der neue Geist, der sich auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft geltend zu machen und den mittelalterlichen Bestrebungen und Richtungen jede Berechtigung abzusprechen begann, konnte nur geeignet sein, die Indolenz für die Sache des Dombaues zu erhöhen. Dazu kam, daß die trüben Zeiten eines Hermann von Wied und Gebhard Truchseß wenig dazu angethan waren, die Begeisterung für die Fortführung des Dombaues neu anzufachen und die Beiträge wieder in reichen Fluß zu bringen. Allmählich verlor sich jeder Sinn und jedes Verständniß für die mittelalterliche Bauweise, und man würde es für eine Versündigung an dem Geiste der Zeit gehalten haben, wenn man es hätte unternehmen wollen, die Ruine des Domes in dem alten Stile herzustellen und zu vollenden. Das Vermächtniß von 400 Thalern, welches Peter de Berghes 1620 für den Dom bestimmte, im Falle derselbe, „so imperfect, im Verlaufe von zwanzig Jahren fertig gebaut werden sollte“, wird der Dombaucasse nicht zugeflossen sein. Man verstieg sich so weit in der vornehmen Verachtung des Mittelalters, daß man alles, was aus dieser „finstern Zeit“ herrührte, als Erzeugniß der Verdummung und Finsterniß charakterisirte. Im Vollgefühle der eigenen Unübertrefflichkeit und des erhabenen Standpunktes, den man selbst in Kunst und Wissenschaft einzunehmen wähnte, sah man mit Uebermuth oder mitleidigem Bedauern auf jene düsteren Jahrhunderte hinab, und was irgend Anspruch auf Bildung machen wollte, mußte mit Hand anlegen, die Schöpfung derselben aus dem Wege zu räumen.

Sandrart’s „Teutsche Academie“, die lange Zeit hindurch für die ästhetischen Studien als untrügliches Orakel galt, sprach das schärfste Verdammungsurtheil über die deutsche Baukunst aus, „welche keine richtige Ordnung, Proportion und Maß beobachte, voller Unordnung sei und als eine schnöde, barbarische Art zu bauen betrachtet werden müsse“.

[687] Kaum fühlte man Lust und Kraft, die wundervollen gothischen Denkmale in leidlichem Zustande zu erhalten, und als die Gothik dem neuen Zeitgeiste zum Opfer gefallen und allerwärts in Verruf gekommen war, bequemte man sich auch in Köln zum Anschluß an Rococo und Zopf. Man überbot einander in Ueberkleistern, Abhobeln, Glatthauen und Verstümmeln der vorhandenen Kunstwerke.

Im Jahre 1767 wurde die ganze Domkirche durch die Italiener Johann Syrus und Genossen vollaus in neuerem Geschmack illuminirt und übertüncht. Der Hochaltar an Dome wurde 1770 verstümmelt und durch den kuppelförmigen Aufsatz verunstaltet; das an der westlichen Schlußwand des Chores errichtete prachtvolle Grabmal des Erzbischofs Wilhelm von Gennep zerstört, um bequemen Raum für eine Thür in diese Wand zu gewinnen; die werthvollen gemalten Glasfenster unter dem Laubgange der obersten Fenster und in den unteren Seitencapellen wurden entfernt und durch ordinäres weißes Glas ersetzt. Damit noch nicht genug, wurde die um das Chor gehende durchbrochene Steingallerie zerstört und an ihrer Stelle ein Eisengitter in neuerem Geschmacke aufgerichtet. Allerwärts, wo eine Reparatur vorgenommen, irgend ein Monument aufgestellt, ein neuer Altar errichtet wurde, gab man sich alle Mühe, den Gegensatz zu den Anforderungen des Stiles, in welchem die Kirche erbaut war, oder zu den alten ursprünglichen Ornamenten und Denkmälern des Domes so schreiend wie möglich zu machen, den größten Frevel aber verübte der blinde Vandalismus an dem links vom Hochaltar stehenden Sacramentshäuschen. Dieses Meisterwerk der architektonischen Sculptur mußte im Jahre 1766 dem entarteten Geschmacke zum Opfer fallen und unter den Hammerschlägen einer vandalischen Rohheit zusammenstürzen. Die zerschlagenen Bruchstücke wurden größtentheils als Schutt in den Rhein gefahren; kleinere Reste wurden gerettet und befinden sich jetzt im städtischen Museum. Aber die größte Gefahr für den Bestand des Domes trat ein, als das Capitel sich mit den Schätzen seiner Kirche flüchtete und der Gottesdienst im Dome ganz eingestellt wurde. Eine Zeitlang mußte nun der ehrwürdige Bau, in welchem Könige die Krone des deutschen Reiches empfangen hatten, zum Fourragemagazin für die republikanische Armee dienen.

Ja, als im Jahre 1801 die Aufhebung des Kölner Erzbisthums ausgesprochen wurde, trat sogar die Gefahr nahe, daß die Domkirche auf den Abbruch verkauft würde. Sie wurde dadurch beseitigt, daß bei der neuen Pfarrcircumscription des Jahres 1802 der Dom zur Hauptpfarrkirche des vierten Bezirks bestimmt und ihm das Vermögen der alten von St. Lorenz überwiesen wurde. Er erhielt jetzt wieder einen Theil der geflüchteten Kirchenschätze zurück. Lange hatten sich die französische und darmstädter Regierung über das Eigenthumsrecht des Restes der zu Frankfurt in Beschlag genommenen Domkostbarkeiten gestritten.

Endlich kam man dahin überein, daß von diesen Schätzen die Schreine der heiligen drei Könige und des heiligen Engelbertus, die große Monstranz und die Clementischen Paramente zurückgeliefert werden sollten. Als die Kaiserin Josephine im Jahre 1804 den Dom besichtigte, setzte sie eine zureichende Summe zur Wiederherstellung des Dreikönigen-Kastens aus und schenkte außerdem noch mehrere Hundert Napoleonsd’or zur Ausbesserung der Domkirche. Aber die geringe Summe war nicht im Stande, dem raschen Verfalle der Domkirche Einhalt zu thun, und als Napoleon angegangen wurde, die erforderlichen Herstellung- und Unterhaltungskosten der Domkirche zu bewilligen, erklärte er, daß die Staatscasse außer Stande sei, die Summe für kirchliche Zwecke herzugeben.

Je länger man die Reparatur aufschob, desto bedrohlicher gestalteten sich die Schäden. Endlich im Jahre 1807 entschloß man sich, die nothwendigsten Ausbesserungen vornehmen zu lassen. Der Kostenanschlag, den die Bauverständigen Schmitz und Odenthal zur Reparatur an den Dächern, dem Chore, den Seitenchören, den Schiffen und dem Thurme der städtischen Verwaltung einreichten, belief sich auf 23,5440 Franken 90 Centimes; 19,652 Franken wurden bewilligt und verausgabt. Auch diese Reparatur konnte den raschen Verfall nicht hemmen. Im Sommer 1811 wandten sich die Kirchmeister der Dompfarre an den Maire und ersuchten ihn, durch Sachverständige eine Besichtigung vornehmen zu lassen und für die zureichende Instandsetzung sorgen zu wollen. Der darmstädter Baurath Georg Moller, der für einen äußerst „gründlichen Kenner der meisten größern antiken und modernen Gebäude und namentlich der sogenannten gothischen Kathedralen“ galt, wurde von Seiten der Stadt beauftragt, in Gemeinschaft mit dem Baumeister Leidel und dem Stadtbaumeister Schmitz die Bauschäden zu untersuchen. Das betreffende Gutachten ging dahin, daß der Thurm auf dem Chordache abgetragen und ein starker eiserner Anker zur Verbindung der den Anfang zum Kreuz der Domkirche bildenden Mauern angebracht werden solle.

Nicht wenig hatte zu der Berufung Moller's Sulpiz Boisserée beigetragen. Dieser schwärmte für das höchste Werk mittelalterlicher Baukunst, deren Studium er sich auf's Eifrigste angelegen sein ließ, und des Domes Erhaltung und Vollendung war sein sehnlichster Wunsch; denselben zu verwirklichen, scheute er keine Opfer, keine Mühe, und seinen Vorstellungen ist es guten Theils zu verdanken, daß, nachdem die Rheinprovinz dem Königreiche Preußen einverleibt worden, man sich in Berlin allmählich mit dem Gedanken an eine Herstellung des altehrwürdigen Kölner Domes befreundete. Der Geheime Oberbaurath, später Oberlandesbaumeister Schinkel erhielt im Jahre 1816 den Auftrag, den baulichen Zustand des Kölner Domes an Ort und Stelle zu untersuchen und die Resultate seiner Wahrnehmungen und Ueberzeugungen der Staatsregierung zur ferneren Beschlußnahme vorzulegen. In Folge dieses Auftrages traf Schinkel gegen Ende August 1816 in Köln ein. Auf Grund seines den bedenklichen Zustand der Domkirche in grelles Licht stellenden Berichtes und auf besondere Befürwortung des Kronprinzen befahl König Friedrich Wilhelm der Dritte, „daß das Vorhandene erhalten werden solle“. Es währte aber noch lange, ehe man rüstig Hand an's Werk legte. Erst im Jahre 1823 machte man Miene, die Herstellungsarbeiten an den äußeren Mauern mit Ernst zu beginnen, bald aber ließ man wieder nach, und das Ganze beschränkte sich darauf, die große Giebelmauer vor dem hohen Chore zu verankern und einige Thürmchen an der Südseite abzubrechen.

Am 19. April des folgenden Jahres nahm man die auf die Summe von 381,000 Thalern veranschlagten Arbeiten wieder auf. Das Hochchor erhielt ein neues Dach; am 18. August wurde der Dachstuhl aufgeschlagen, und am 18. October war auch die Eindeckung beendigt; im Ganzen wurden 109,623 Pfund Blei aufgelegt. Das auf der Spitze des Chores befindliche Kreuz wurde herabgenommen, durch freiwillige Beiträge ein neues beschafft und am 3. August 1825 aufgestellt. Zur Fortsetzung der Reparaturen bewilligte der König auf wiederholte Vorstellung des Baudirectors Schinkel im Jahre 1826 7000 Thaler, zugleich genehmigte er die Einführung einer besonderen Kathedralsteuer, welche von Heirathen, Geburten und Sterbefällen in der ganzen Diöcese erhoben werden sollte. Am 8. März 1826 wurde mit der Herstellung des südlichen Fenstergiebels begonnen, und am 19. August 1827 legte der Erzbischof Ferdinand den Schlußstein zu dem neu erbauten Fenster im untern Theile der Nordwand. Unter Leitung des Bau-Inspectors Ahlert hatten diese Arbeiten bis im Jahre 1833 ihren ungestörten Fortgang. In diesem Jahre wurde nach Ahlert's Tode der Bau-Inspector Zwirner zur Leitung der Reparaturbauten am Dome berufen, und er brachte frische Regung und neues Leben in die Dombausache.

Je mehr er sich bei der mühevollen Herstellung des Hochchores mit dem Studium des ganzen Baues beschäftigte, desto lebhafter wurde in ihm der Wunsch, seine volle Kraft der Vollendung dieses Wunderbaues widmen zu können. Er benutzte im September 1833 die Anwesenheit des für die mittelalterlichen Kunstwerke in hohem Grade begeisterten Kronprinzen dazu, um diesem die Dombausache warm an’s Herz zu legen. Nach dem von ihm vorgelegten Plane sollte zuerst der Ausbau und die Eindeckung der Seitenschiffe und der Langkirche, dann die Entfernung der Abschlußmauer am Chore innerhalb sechs Jahren mit einem Kostenaufwande von 154,000 Thalern vorgenommen werden. Die Baukosten, welche zum vollen Ausbau des Domes, mit Ausschluß der Thürme, erforderlich seien, veranschlagte er auf zwei Millionen Thaler. Der Kronprinz, durch Zwirner’s Vortrag freudig überrascht, versprach das Ausbauproject mit allen Kräften zu unterstützen, und ließ im folgenden Jahre einen partiellen Bauplan dem Oberbaudirector Schinkel zur Revision vorlegen.

Die Zeit war da, in welcher es sich entscheiden mußte, ob mit rüstiger Hand der Fortschritt begonnen oder ob die gut geschulten Arbeiter entlassen, die Bauhütten geschlossen und die [688] Baugerüste niedergerissen werden sollten. Die Kölner Dombaufrage wurde brennend, und es gelang, die ganze deutsche Nation dafür zu interessiren. Fortbau und Vollendung des würdigen, heiligen deutschen Werkes, „zu Gottes Ehre und zum Ruhme des Vaterlandes“, wurde bald die allgemeine Losung.

Von einer gewaltigen Begeisterung für den unvergleichlichen Wunderbau wurde bald Alles ergriffen, was nur irgend einer Begeisterung fähig war, und Fürsten, Dichter, Gelehrte, Publicisten, Patrioten, schlichte Bürger stimmten ein in den allgemeinen Ruf, daß ungesäumt und mit warmem Eifer das große Werk begonnen werden müsse. Eine Anzahl für die Dombausache hoch begeisterter angesehener Kölner Bürger trat im September 1840 zusammen, um durch Gründung eines Dombauvereins dieser Begeisterung einen kräftigen Halt und eine feste Grundlage zu sichern und der Einsammlung der Beiträge eine zweckmäßige Organisation zu geben. Der König begrüßte in seiner regen Liebe für alles Schöne und Große freudig diesen Plan, und er gab unter dem 23. November die königliche Autorisation zur Bildung eines Vereins, dessen Thätigkeit auf die Erhaltung und den Fortbau des Domes gerichtet sein sollte; zugleich eröffnete er die erfreuliche Aussicht auf reiche königliche Unterstützung bei Ausführung des großen Werkes. Nach dem Statut, über welches sich der gewählte Ausschuß einigte, hatte der Verein den Zweck, „vermittelst Darbringung von Geldbeiträgen und in jeder sonst angemessenen Weise für die würdige Erhaltung und den Fortbau des Domes thätig mitzuwirken“.

Der König bestätigte dieses Statut unter dem 8. December 1841 und übernahm zugleich, der vom Dombauverein ausgesprochenen Bitte gemäß, das Protectorat. Zum Präsidenten wurde am 16. März 1842 Herr von Wittgenstein und zum Secretär Herr August Reichensberger gewählt. Beide erkannten recht wohl, wie gewaltig die Last war, welche sie sich durch Uebernahme der bezüglichen Aemter aufluden, aber die Liebe zu der heiligen, großen Sache ließ sie jedes Bedenken überwinden, und mit Begeisterung und Energie unterzogen sie sich der anstrengenden Arbeit, welche mit der Leitung und Organisation des Centralvereins und seiner Hülfsvereine verbunden war.

Der Dombauverein rechnete nur dann auf eine Nachhaltigkeit der allgemeinen Begeisterung für das große Werk, wenn man sich entschließen wolle, Hand an den vollständigen Ausbau der Domkirche zu legen und Schiffe, Portale, Gewölbe und Strebebogen ganz nach dem genialen Plane des ersten Baumeisters auszuführen. Der König gab mit Freuden zu diesem Projecte seine Zustimmung. „Möge es dem Verein gelingen“ – schrieb er am 13. August 1842 – „die Flamme der Begeisterung, welche ihn beseelt, weit und breit in den Gauen des deutschen Vaterlandes nicht nur zu vorübergehendem Auflodern anzufachen, sondern dauernd zu nähren, damit das erhabene Werk gedeihe und sich vollende, einer großen Vorzeit würdig, der Gegenwart zum Ruhme und der Nachwelt zum bleibenden Vorbilde deutschen Kunstsinnes, wie deutscher Frömmigkeit, Eintracht und Thatkraft.“

Am 4. September desselben Jahres wurde in Gegenwart des preußischen Königspaares, des Herzogs Johann und einer großen Reihe anderer deutscher Fürsten in feierlicher Weise vom Erzbischof-Coadjutor, jetzigen Cardinal Johannes von Geissel, der Grundstein zum Weiterbau unter dem westlichen Pfeiler der mittleren Südportal-Halle gelegt. Bevor der König die üblichen drei Hammerschläge that, sprach er die Worte:

„Hier, wo der Grundstein liegt, dort, mit jenen Thürmen zugleich, sollen sich die schönsten Thore der ganzen Welt erheben. Deutschland baut sie; so mögen sie für Deutschland durch Gottes Gnade Thore einer neuen, großen, guten Zeit werden! … Der Geist, der diese Thore baut, ist derselbe, der vor neunundzwanzig Jahren unsere Ketten brach, die Schmach des Vaterlandes, die Entfremdung dieses Ufers wandte. Und das große Werk verkünde den spätesten Geschlechtern von einem durch die Einigkeit freier Fürsten und Völker großen, mächtigen, ja den Frieden der Welt unblutig erzwingenden Deutschland!“

Es schien, als sei der Vorwurf beseitigt und der Fluch gelöst, wovon Görres im Jahre 1813 sprach, wenn er schrieb:

„Ein ewiger Vorwurf steht der Bau vor unseren Augen, und der Künstler zürnt aus ihm hervor, daß so viele Menschenalter nicht zur Wirklichkeit gebracht, was er allein, ein schwacher sterblicher Mann, in seines Geistes Gedanken getragen hat. Auch ist ein Fluch darauf gesetzt worden, als die Bauleute sich verliefen, und also hat der zornige Geist geflucht: so lange soll Deutschland in Schande und Erniedrigung leben, preisgegeben eigenem Hader und fremdem Uebermuthe, bis sein Volk sich wieder der Idee zugewendet, von der es sich, der Eigensucht nachjagend, losgesagt, und bis es durch wahrhaftige Gottesfurcht, gründlich treuen Sinn, festes Zusammenhalten in gleicher Begeisterung und bescheidene Selbstverleugnung wieder tauglich geworden, solche Werke auszuführen, wie es sie jetzt in seiner Versunkenheit aufgegeben.“

Jetzt begann ein rüstiges Schaffen an dem gewaltigen Werke. Neue Steinbrüche wurden eröffnet, frische Arbeitskräfte herangezogen, tüchtige Steinmetzen ausgebildet, geschickte Zeichner angestellt. Die alten Gerüste sanken, um neuen Hülfsbauten und Maschinerien für die Errichtung der zweiundzwanzig Strebesysteme Platz zu machen. Der unverdrossenen Thätigkeit des Vereins ist es zu danken, daß die Geldbeiträge immer reicher flossen und daß jährlich gegen 50,000 Thaler an der Nordseite des Domes aus der Vereinscasse verwandt werden konnten, während an der Südseite 50,000 Thaler aus Staatsmitteln verbaut wurden. Das Werk „gedieh sichtbar unter dem Schutze des Himmels, durch die Huld und das Beispiel der Mächtigen auf Erden, durch die reine Gesinnung und das brüderliche Zusammenwirken so vieler theilnehmenden begeisterten Vereinsgenossen“.

Außer beim preußischen Königspaare fand die Dombausache die lebhafteste Theilnahme bei den meisten deutschen Fürsten und bei einer großen Anzahl anderer für das prachtvolle Bauwerk hochbegeisterter Männer. Auch die anonymen Gesellschaften bethätigten durch reiche Beiträge ihr lebhaftes Interesse für die große Sache des Dombaues. Es wurden der Vereinscasse bedeutende Summen zugewendet von der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft, von der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft, von der Aachen-Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft, von der Colonia, von der Rheinischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft, von der Concordia, vom A. Schaaffhausen’schen Bankverein, vom Kölner Männergesangverein etc. Im Ganzen flossen der Dombaucasse aus solchen Schenkungen 199,655 Thaler zu.

[703] Die Stadt Köln konnte nicht zurück bleiben, wo es galt, den Ausbau des Gotteshauses zu fördern, in welchem die städtischen Schutzheiligen ruhten, und sich an der Ausschmückung und Vollendung der Perle aller deutschen Kirchen, des edelsten Kleinods deutscher Baukunst, zu betheiligen. Nachdem sie durch Stiftung eines eigenen Fensters, durch Erlaß eines großen Theiles der jährlichen Hafengebühren, durch bedeutende Beiträge zum Ankauf des im Interesse des Domes niedergelegten Lagerhauses auf dem Domhofe und des Krakamp'schen Hauses am Domkloster, durch Schenkungen von 15,000 Thaler für die Blei-Bedachung und durch bedeutende Zuschüsse zu den einzelnen Dombaufenstern von ihrem lebhaften Interesse für die Sache des Dombaues rühmliches Zeugniß abgelegt hatte, entschloß sie sich noch in jüngster Zeit zu einem Opfer von mehr als 50,000 Thaler, um die allseitige Freistellung des Domes zu ermöglichen. Schon in den vierziger Jahren war damit begonnen worden, die An- und Einbauten, welche den Dom einengten und verunstalteten, niederzureißen. So waren namentlich an der Nordseite unter anderm das Capitelhaus, neben und in dem Nordthurm die Küsterwohnungen, an der Südseite die Seminar-Kirche, das ehemalige Hohe Gericht, zwei Vicarhäuser, ein Zins- und ein Lagerhaus abgebrochen worden. Es erübrigte noch, an der Nordseite das alte Dompastorat, das Verwaltungsgebäude der Colonia, ein der Köln-Mindener Eisenbahn gehöriges Gebäude und endlich auf dem Domhofe das Local der Schulverwaltung niederzulegen. Dem Ernst und Tact des Ober-Bürgermeisters, Geheimen Regierungsrathes Stupp, gelang es, die desfalligen schwierigen Unterhandlungen zum glücklichen Ziele zu führen, und nachdem die Colonia, die Köln-Mindener Eisenbahn und das Domcapitel ihre Realitäten an die Stadt abgetreten, wurde von dieser Seite das Schulverwaltungsgebäude zum Abbruch käuflich erworben. Binnen Kurzem wird nun von allen Seiten ein freier, ungehinderter Anblick der herrlichen Domkirche ermöglicht sein.

Bei solcher allseitigen regen Betheiligung an dem großen Werke konnten die Arbeiten ungestört nach dem von dem Könige genehmigten Plane gefördert werden. Bis zum Jahre 1845 wurden die zerstörten Gewölbepfeiler und andere Mauerreste der Seitenschiffe in Stand gesetzt, die neuen Gewölbe in diesen Hallen eingezogen und die äußeren Umfassungsmauern so weit aufgebaut, daß die Bedachungen über den neuen Gewölben aufgelegt werden konnten. Drei Jahre später waren beide Portale sowie die Umfassungsmauern des Lang- und Querschiffes bis zur Höhe des ebenfalls eingespannten Nothdaches aufgebaut, sodaß am 14. August 1848, beim sechshundertjährigen Jubiläum der ersten Grundsteinlegung, die weiten Hallen des Langschiffes dem Gottesdienste geweiht werden konnten.

Nur mit unsäglicher Mühe gelang es, die Gefahr, welche der Fortführung des Baues durch die traurigen verwirrten Zeitverhältnisse im Jahre 1848 drohte, glücklich abzuwenden und die Bauhütte in Thätigkeit zu erhalten. Allmählich regte sich die Begeisterung wieder. So war es dem Meister möglich, den Bau so weit zu fördern, daß im Jahre 1854 sämmtliche kunstreiche Umfassungsmauern in Lang- und Querschiff vollendet dastanden und am 3. October des folgenden Jahres der Dachgiebel des neuen Südportals in Gegenwart des königlichen Protectors mit der Kreuzblume geschlossen werden konnte.

Von außen wurde der eigentliche Rumpf der Kirche durch die Eindeckung des eisernen Dachgerüstes über dem Lang- und Querschiffe des Domes vollendet. Die zusammen eine Länge von 720 Fuß messenden Dachflächen des Langschiffes und der beiden Querschiffe erhielten eine Bleideckung von circa 37,000 Quadrat-Fuß, deren Kosten größtentheils aus dem seitens der Stadt geleisteten außerordentlichen Beitrage von 15,000 Thalern bestritten wurden. Am 15. October 1860 setzte der Baumeister den goldenen Morgenstern auf der Spitze des 360 Fuß hohen kühnen eisernen Mittelthurmes auf. Es war dies das letzte Mal, daß Zwirner das Werk, dessen Vollendung der sehnlichste Wunsch seines Lebens gewesen, überschauen sollte. Am 22. September 1861 wurde er von dem Werke, an dem er achtundzwanzig Jahre lang mit so bewundernswerther Energie und Genialität gearbeitet, durch den Tod abberufen. An seiner Stelle übernahm sein langjähriger Gehülfe, Herr Landbaumeister Voigtel, die Leitung des Dombaues.

[704] Unter derselben wurden nach Vollendung der Strebesysteme und Gratbogen das Langschiff und die Querschiffe eingewölbt, das große Transept (Kreuzflügel) fertig gebaut, die Fenster des Langschiffes und der Querschiffe verglast, das Nothdach und die anderen Hülfsconstructionen entfernt, die Scheidemauer vor dem Hochchore niedergelegt und der ganze gewaltige, imposante innere Kirchenraum bis zur Thurmhalle völlig fertig gestellt. Hiermit war ein Hauptabschnitt in der Geschichte des Kölner Dombaues abgeschlossen. Die bis dahin aufgewendeten Kosten, von denen mehr als die Hälfte auf königliche, der Rest auf Dombauvereinsrechnung kam, beliefen sich seit Beginn der Thätigkeit des Dombauvereins auf 2,220,000 Thaler.

Der 15. October des Jahres 1863, der Geburtstag des ersten Protectors, Königs Friedrich Wilhelm des Vierten, wurde gewählt, um in einer würdigen Feier die Freude über die Erreichung dieses so lange und heiß ersehnten Zieles kund zu geben, und die überraschenden Ergebnisse, welche eine einundzwanzigjährige Bauthätigkeit geliefert, gaben der Ausdauer, Energie und Opferwilligkeit, mit welchen die Sache des Dombaues betrieben worden, das glänzendste Zeugniß. Diese Ergebnisse trugen in sich selbst die Bürgschaft, daß im Verlaufe von weniger als zwei Decennien der herrliche Wunderbau mit den Schlußblumen auf den beiden Thurmspitzen werde gekrönt werden, und daß der Dom in seiner ganzen Vollendung strahlen werde, wenn nur der Eifer und die Opferwilligkeit nicht erkalten und keine unvorhergesehenen Störungen dem Weiterbau hemmend in den Weg treten.

König Wilhelm der Erste zeigte sich nicht weniger als sein verstorbener Bruder für den Dombau günstig gestimmt. Unter dem 20. Februar 1861 nahm er das Protectorat über den Dombauverein bereitwilligst an. Noch zu Lebzeiten Friedrich Wilhelm's des Vierten bewährte er sich durch die That als ein freigebiger Dombaufreund. Auf seine Kosten ließ er von der Künstlerhand des Dombildhauers Professor Christian Mohr die plastische Ausschmückung des Südportals ausführen. Im Jahre 1863 ertheilte er bei seiner Anwesenheit in Köln seine Genehmigung zur Veranstaltung einer lotterieartigen Collecte zur Vollendung der beiden Thürme, und nachdem der erste Versuch solcher Collecte günstig ausgefallen war, wurde die Genehmigung der Dombaulotterie auf weitere acht Jahre ertheilt und hierdurch die Möglichkeit geboten, den Riesenbau der beiden Thürme bis zu den Kreuzblumen in einem möglichst kurzen Zeitraume auszuführen. Am 4. September 1867 konnte in Gegenwart des Kronprinzen die Schlußfiale auf den großen Wimperg über dem Haupteingange der Westfaçade gesetzt werden, und es erhielt hiermit das Hauptportal der Domkirche, dessen Gewölbeschlußstein König Friedrich Wilhelm der Vierte am 15. Juni 1852 eingefügt hatte, seinen architektonischen Abschluß. Bis zu dieser Zeit berechnete sich die Gesammteinnahme des Dombauvereins auf die Summe von 1,081,686 Thalern 16 Silbergroschen 2 Pfennigen, und der Zuschuß des Staats auf 1,250,000 Thaler. Es kam demnach durchschnittlich auf das Jahr eine Verwendung von 93,000 Thalern.

Im Jahre 1868 wurde bei einem Arbeiterpersonal von 520 Werkleuten die Summe von 180,000 Thalern, im Jahre 1869 von 244,566 Thalern verausgabt, während die Zahl der in den Bauhütten beschäftigten Steinmetzen etwa 330 Mann betrug. Die Hauptthätigkeit war auf den Aufbau des nördlichen Thurmes gerichtet, und kamen namentlich die Wölbungen der acht Fenster der zweiten Thurmetage, die Wimpergsanfänge daselbst und der Blumenfries unter dem großen Hauptgesimse, dann die reich verzierten Fensterwimperge des ersten Thurmgeschosses, die Gallerien und Fiale zur Vollendung. Bis zum Anfange des Jahres 1869 war der Nordthurm bis zu einer Höhe von 47,07 Meter allseitig vollendet.

Die Vorbereitungen zum Weiterbau des Südthurmes, der in seinen Umfassungsmauern bis zu 50,21 Meter und in einem Eckpfeiler bis zu 56,49 Meter aufgeführt war, bedingten die Niederlegung des seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts auf diesem Mauertorso stehenden Krahnens, aber ehe der Fortbau in Angriff genommen werden konnte, mußte der obere stark verwitterte Theil bis zum zweiten Hauptgesims abgetragen werden, und nachdem dies geschehen, wurden die massiven Umfassungswände bis zu der Höhe der Fensterverdachung wieder aufgeführt.

Im Laufe des Jahres 1869 förderte man den Bau des Nordthurmes bis zu einer Höhe von 54,92 Meter, und im Frühjahr 1870 wurden die Fensterwimperge der dritten Etage an der Nord- und Westseite aufgesetzt. Von 1864 bis 1870 kamen für den Ausbau der Thürme 752,249 Thaler 18 Silbergroschen 1 Pfennig zur Verwendung.

Der französisch-deutsche Krieg des Jahres 1870 äußerte, wie auf alle Privat- und öffentliche Bauthätigkeit, so auch auf den Betrieb des Dombaues seine hemmende Wirkung. Wegen der Verkehrsstockung auf den Eisenbahnen war eine Ergänzung des Steinmaterials aus den Brüchen in Hannover, Württemberg und im Nahethal unmöglich. Es gelang aber der Bauverwaltung, den Betrieb in leidlichem Gange zu halten, so daß der Nordthurm um ungefähr 4,7 Meter und der Südthurm um 5,3 Meter gefördert werden konnte. Im Ganzen wurden 177,927 Thaler für den Fortbau verwendet.

Die Bauthätigkeit der Jahre 1871 und 1872 wendete sich vorzüglich der Weiterführung des südlichen Thurmes zu und förderte denselben bis 10,98 Meter über der zweiten Verdachung.

Die Einwölbung des Westportalfensters sowie die Ausführung des Fensterwimperges, der Gallerie und des Dachgiebels mit der großen Kreuzblume kam 1873 zur Vollendung, und waren inzwischen auch zahlreiche Restaurationsarbeiten an Ornamenten etc. vorgenommen worden. Nachdem der Raum zwischen den Thürmen durch Einfügung der achtundvierzig Meter hohen Portalwand innerhalb weniger Monate ausgefüllt worden war, gelangte die im Plane des Kölner Domes so formenschön und harmonisch angeordnete Westportalfaçade zur überraschenden Totalwirkung und verlieh der Domkirche das Gepräge der allseitigen Vollendung. Auch brachte die Einfügung des großen Sterngewölbes als erster massiver Abschluß der Thürme im Inneren die großen Hallen des dritten Geschosses zur vollen Geltung. Dieses Gewölbe, aus reich profilirten Rippen von Haustein und sorgfältig ausgeführten Kappen von behauenem Tuffsteine construirt, überdeckt bei einer diagonalen Spannweite von fünfzehn Metern einen Flächenraum von fünfzig Quadratmetern.

Während die Thürme bis zur Höhe von circa siebenzig Metern außen und innen viereckig emporsteigen, beginnt mit dem dritten Hauptgesimse das Oktogon, welches, bis zur Höhe von circa vierundneunzig Metern hinaufreichend, aus dem Achteck construirt ist. Auf den durch die Achteckslösung freigewordenen vier Ecken der Thürme erheben sich vom dritten Hauptgesims ab die vom Oktogonbau völlig abgelösten Eckfialen, die, bei kleineren Kirchen aus einzelnen Fialenschäften bestehend, am Kölner Dome zu Thürmen von dreiunddreißig Metern Höhe und sechs Metern Durchmesser heranwachsen.

Während im Inneren des Domes das Kirchenschiff, das Domdach zwischen den Thürmen und der eiserne Glockenstuhl vollendet wurden, begann man im Jahre 1874 mit der Aufführung des Oktogons an beiden Thürmen.

Die Steinhelme beider Thürme wurden im Herbst 1879 bis zum Beginn der Kreuzblumen ausgeführt und diese Kreuzblumen, welche in einer Höhe von acht Metern die Gallerie krönen, im Frühjahr 1880 aufgesetzt.

Im Anfang des Jahres 1879 begann die Einwölbung der Thurmhalle im Erdgeschoß des südlichen Thurmes mit der Construction des für den Durchzug der Glocken bestimmten Kreuzgewölbes, und nun konnte auch die Aufstellung der neuen Thurmuhr im ersten Stockwerk des südlichen Thurmes erfolgen, während das Aufziehen der sämmtlichen Domglocken mittels hydraulischer Presse vom 13. Juli bis zum 7. August 1878 zur Ausführung kam. Die Kaiserglocke, um dies nebenbei zu bemerken, wiegt 540 Centner; die Pretiosa 200 Centner, die Speciosa 120 Centner.

Wir verdanken es vor allem der Thatkraft und Opferwilligkeit des kunstliebenden deutschen Volkes, dann aber auch der werkthätigen Begeisterung deutscher Fürsten und einflußreicher Männer, daß der Torso des Domes, dieser stumme und zugleich beredte Ankläger der durch innere Zerrissenheit und äußere Drangsale geschwächten deutschen Nation, vor völligem Verfalle bewahrt, und das Ganze in der Weise ausgebaut worden ist, wie es dem genialen Gedanken der ersten Dombaumeister vorgeschwebt hat. Alle Freunde und Förderer des Dombaues reichten einander die Hand, um in edlem Wettkampfe die alte Rheinmetropole mit einem Wunderbau zu schmücken, der sowohl an Großartigkeit des ganzen Werkes, wie an künstlerischer Vollendung der Einzelheiten wohl auch [705] die gepriesensten kirchlichen Bauwerke des ganzen Erdenrundes hinter sich zurückläßt. Der Dom in seiner jetzigen Vollendung ruft dem staunenden Geschlechte in überzeugender Weise zu, wie das unmöglich Scheinende erreicht werden kann, wenn die Bevölkerung eines mächtigen Staatswesens in dem Streben nach einem großen Ziele von einer kräftigen Regierung unterstützt wird, wenn Fürst und Volk vereint der Verwirklichung eines großen Gedankens zustreben, wenn jede politische, confessionelle und gesellschaftliche Meinungsverschiedenheit vor der Gewalt einer großen Idee in den Hintergrund tritt.


  1. Der Verfasser obigen werthvollen Aufsatzes, langjähriger Archivar und Bibliothekar der Stadt Köln und bedeutender Geschichtsforscher, ist unerwartet am 14. Juni dieses Jahres aus dem Leben geschieden, die eben vollendete, von ihm erbetene Arbeit als die letzte seines Lebens uns hinterlassend. Indem wir dieselbe heute, als am Vorabende der Einweihungsfeste des Kölner Doms, unsern Lesern darbieten, fügen wir noch ein Wort über die Person ihres Verfassers hinzu. Leonhard Ennen, am 5. März 1829 zu Schleiden in der Eifel geboren, war früher katholischer Geistlicher und lebte als Curatvicar in Königswinter, bis Köln ihm, der eben in das Abgeordnetenhaus gewählt worden, 1857 Archiv und Bibliothek der Stadt anvertraute. Obwohl mehr ein friedfertiger Gelehrter, als ein Mann der That hat er doch schon im Jahre 1848 sich durch Betheiligung an einer liberalen Bewegung innerhalb des kölnischen Clerus Maßregelungen zugezogen und war bis zu seinem Tode ein erklärter Gegner des Unfehlbarkeits-Dogmas, ohne Altkatholik zu werden. Seine Hauptwerke behandeln die Geschichte Kölns.
    D. Red.