Textdaten
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Titel: Unsere Zeitgeschichte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 126
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[126] Unsere Zeitgeschichte. An Geschichten der neuesten Zeit fehlt es in unserer Literatur nicht, und wir mochten namentlich einigen derselben hervorragende Verdienste nicht absprechen. Mehr oder weniger sind es aber doch nur geschickt verarbeitete Erzählungen der äußeren Hergänge, während gerade der Rückblick auf die Entwickelungen der jüngsten Vergangenheit den Anlaß bietet, uns an unserem eigenen Fleisch und Blut, nicht an fremden und fernliegenden Beispielen, auch die inneren Gesetze erkennen zu lassen, von denen das Leben und Ringen der Völker, ihr Werden und Vergehen, ihr Steigen und Sinken beherrscht wird. So ist der fünfundfünfzigjährige Zeitraum von 1815 bis 1870 von Constantin Bulle in seiner vielfach bereits anerkannten „Geschichte der neuesten Zeit“ (2 Bd. Leipzig, Beit u. Co.) aufgefaßt und geschildert worden. Dieses Werk zeichnet sich vor Allem dadurch aus, daß es eine organische, aus selbstständiger Forschungsarbeit erwachsene Schöpfung ist, daß es nach Inhalt und Form, nach der wissenschaftlichen wie nach der künstlerischen Seite hin, in der Entfaltung und Gestaltung des Ganzen, wie in der Fülle anziehender und treffender Einzelschilderungen das Gepräge eines Originalwerkes zeigt, nicht einer nur für das augenblickliche Bedürfniß zurechtgestutzten Marktwaare. Wie aus den Gesichtspunkten, Auffassungen und Urtheilen des Verfassers eine ebenso schwung- wie maßvolle Idealität, ein warmherzig fester, aber besonnener Freisinn uns wohltuend entgegen leuchtet, so fließt auch der Stil in einem schön und edel durchwärmten, aber ruhigen Gleichmaß dahin, ohne daß aus dem wohlgelungenen Streben nach Gemeinverständlichkeit ein Mangel an kritischer Schärfe, eine Verwässerung des Gedankens, eine Plattheit und Geschmacklosigkeit des Tons und der Sprache sich irgend ergeben hat. Kein Lernbegieriger wird sagen können, daß er aus diesem Buche nicht Geschichte gelernt, aber auch der Kundige, selbst wenn er in manchen Punkten anderer Meinung ist, wird gern zugestehen, daß diese kernhafte Schilderung bekannter Verläufe ihm erfrischenden Genuß gewährt, seine Hoffnungen belebt und seinen Ueberzeugungsmuth gestärkt, seine Ansichten über Erscheinungen und Persönlichkeiten gefestigt, hin und wieder auch ergänzt und berichtigt hat. Indem der Verfasser Geschichte und nur tatsächliche Geschichte erzählt, giebt er zugleich allen Denkenden, besonders den Leitungen der Schulen und der Bildungsvereine ein sprechendes Beispiel, wie man Geschichte erzählen und lehren muß, wenn dadurch ein Nutzen für Wissenserweiterung, die sittliche Erhebung und politische Bildung des Volkes erzielt werden soll.

Erwähnt muß noch werden, daß das Werk sämmtliche moderne Culturvölker umfaßt, daß aber den Mittelpunkt der Erzählung unsere deutsche Geschichte bildet, weil diese allein in dem vorgeführten Zeitraum einen Abschluß gefunden hat. Dadurch erhält die Arbeit des Geschichtsschreibers zugleich den Werth eines patriotischen Gedenkbuches, dem wir im Uebrigen einen möglichst großen Leserkreis schon wegen der zwei Hauptlehren wünschen, die es nicht gepredigt, sondern überzeugend an den Entwickelungen der Thatsachen vergegenwärtigt hat. Diese Lehren heißen: Eine gute und wahre Idee geht niemals wieder unter und kann auch nicht lange unterdrückt werden, wenn ihre Anhänger Muth und Treue bewähren. Kein Ideal aber wird durch schnellen Ansturm in die Wirklichkeit gezaubert, wenn es nicht in langsamer Arbeit (das heißt von lange her in der Geschichte) vorbereitet ist.