Unsere Landsleute in Frankreich

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Unsere Landsleute in Frankreich
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 348
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[348] Unsere Landsleute in Frankreich. Unmittelbar aus einer in Paris stationirten Gesandtschaft erhalten wir folgende Zuschrift:

„Der Unterzeichnete beehrt sich, seinen verehrten Landsleuten Nachstehendes mitzutheilen:

Der Hutmacher Leo Grünebaum, genannt Léon, wohnhaft zu Paris, Rue Neuve St. Augustins 71, bairischer Staatsangehöriger, hatte vor Ausbruch des Krieges ein sehr bedeutendes Geschäft. Wie alle übrigen Deutschen aus Paris ausgewiesen, wurde ihm während des Waffenstillstandes im März 1871, unter der fälschlichen Angabe, er wäre während des Krieges Zahlmeister in der bairischen Armee gewesen, der Laden zerstört. Nach dem Friedensschlusse eröffnete er sein Geschäftslocal wieder und wenn er auch den größten Theil seiner französischen Kundschaft einbüßte, so wird er wenigstens durch einen desto größeren Zuspruch der hiesigen Deutschen entschädigt. Vor einigen Tagen ward Léon von einem seiner früheren Kunden, der im Grand Hôtel, Boulevard des Capucines, logirt, dorthin bestellt. Léon, der früher dort täglich ein- und ausging, wurde von dem Inspector des Grand Hôtel mit den Worten abgewiesen: ‚Deutschen Verkäufern ist und bleibt von nun an der Eintritt in’s Grand Hôtel untersagt.‘ Herrn Léon wurde darauf hin von competenter Seite gerathen, die Sache alsbald vor das Friedensgericht seines Arrondissements zu bringen. Der Inspector wurde vorgeladen, und lautete der Bescheid des Friedensrichters natürlicher Weise dahin, daß Ersterer kein Recht habe, einem deutschen Verkäufer den Eintritt in sein Hôtel zu verweigern, wenn derselbe von einem dort logirenden Fremden verlangt würde, und daß bei einem Wiederholungsfalle der Inspector für den erlittenen Schaden haftbar sei. Wüthend schrie hierauf der doch vor deutschen Gästen katzenbuckelnde Inspector: ‚Wohlan, ich lasse dann, wenn Léon wieder in’s Grand Hôtel kömmt, ihn von zwei Aufwärtern begleiten, wie einen deutschen Dieb.‘

Der Unterzeichnete, dem dieser Vorfall mitgetheilt wurde, glaubte, daß der Herr Inspector auf eigene Faust handle; er hat aber inzwischen vernommen, daß die beiden Inspectoren zu ihrer deutschfeindlichen Haltung angewiesen seien, daß die Verwaltung des Hôtels keinen deutschen Kellner mehr anstellt, ja, daß dieses Hôtel das erste in Paris war, das noch vor der allgemeinen Ausweisung der Deutschen seine deutschen Angestellten alle auf die Straße setzte. Unter diesen Umständen glaubt der Unterzeichnete, daß es der Würde aller deutschen Reisenden angemessen sei, dieses Hôtel wie ein von der Pest angestecktes zu meiden, und mögen vor Allem unsere deutschen Fürsten bei allenfallsigem Besuch in Paris hier mit gutem Beispiel vorangehen. Solche deutschfressende Geschäftsleute, deren es hier noch andere giebt, werden nur dadurch zur Einsicht ihres thörichten Gebahrens gebracht, daß man sie mit gleicher Münze bezahlt.

Paris, 4. Mai 1872.

Dn.“

Daß natürlich nicht alle Franzosen von solchem fanatischen Hasse gegen Deutschland erfüllt sind, bedarf kaum der Versicherung. Trotzdem sind hierüber auch diesseits des Rheins da und dort die irrigsten Anschauungen verbreitet und darum theilen wir im Anschluß an den vorausgegangenen Fall gerne noch ein Vorkommniß aus Lyon mit, welches – gerade weil es aus der Stadt gemeldet wird, die am meisten in dem Geruche des widersinnigsten Deutschenhasses steht – auch am meisten unsere Beachtung verdient.

Die Leser der Gartenlaube erinnern sich vielleicht noch, daß im September und October vorigen Jahres die deutschen Journale Genugthuung verlangten für einen Act brutaler Rohheit, welcher gegen einen Landsmann, gegen den in Lyon ansässigen Kaufmann Jahr, vom Pöbel verübt worden war. Man hatte in Folge der Aufreizungen des berüchtigten Schandblattes „Anti-Prussien“ die Spiegelscheiben seines Schaufensters eingeschlagen und erst den eindringlichen Reclamationen des in Glauchau lebenden Vaters des Beschädigten beim Bundeskanzleramt, sowie Vorstellungen des Betroffenen selbst beim deutschen Gesandten in Paris gelang es, ein Verbot des Blattes herbeizuführen.

Seitdem blieb Jahr allerdings unangefochten, aber mehr noch, gebildete Einwohner von Lyon selbst suchten, soweit es eben ihnen möglich war, das Geschehene wieder gut zu machen, und drückten rückhaltlos ihren Unwillen über das Gebahren und über die Brutalität des aufgeheizten Pöbels aus. Man hat uns den Brief, in welchem Jahr diese Thatsachen meldet, freundlich mitgetheilt und wir heben folgende Stelle aus ihm heraus:

„Noch immer wie früher kommen die Anständigen, die Gebildeten unter den Einwohnern, bei uns zu kaufen. Ja, neulich besuchten uns sogar drei Franzosen, welche noch nie bei uns gekauft hatten, und frugen, ob wir die Deutschen wären, welche man so schlecht behandelt hätte. Auf unser Bejahen sagte der Eine: ‚Wir kommen aus diesem Grunde, um bei Ihnen zu kaufen; Sie können versichert sein, daß Sie uns stets zu Kunden haben werden.‘ Damit kaufte er gleich für achtundsechszig Franken. Der Zweite kaufte eine Meerschaumpfeife für neunundzwanzig Franken und bezahlte, ohne ein Wort zu sagen, den ausmarkirten Preis. Doch bevor er hinausging, sagte er: ‚Sie kennen mich noch nicht. Doch daß mehrere meiner unverständigen Landsleute Sie so schlecht behandelt haben, führt mich hierher; ich werde zugleich mit meinen Bekannten mich stets Ihrer bedienen.‘ Ein Dritter endlich kaufte eine Pfeife und wünschte, daß wir selbst ihm eine aussuchten, die leicht anrauchbar wäre. ‚Denn,‘ meinte er, ‚ich verstehe nichts davon, da ich niemals rauche. Ich kaufe die Pfeife nur, um Ihnen etwas zuzuwenden. Sie können versichert sein, daß meine Freunde und Bekannte alle zu Ihnen kommen, damit Sie ein wenig entschädigt werden. Es hat uns Alles, was geschehen, sehr leid gethan; doch vermochten wir daran so wenig etwas zu ändern, als ich oder Sie für den Krieg verantwortlich gemacht werden können.‘“