Unser Wochenbericht (Illustrirte Zeitung, 1843, Heft 2)

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Titel: Unser Wochenbericht
Untertitel:
aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843, S. 18–19
Herausgeber: Johann Jacob Weber
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung:
Fortsetzung: Unser Wochenbericht (Illustrirte Zeitung, 1843, Heft 3)
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Unser Wochenbericht.
Vorwort.

Die Illustrirte Zeitung soll nicht blos ihrem Namen, sondern auch der Sache nach eine Zeitung sein. Sie wird daher in ihrem „Wochen-Bericht“ eine Uebersicht der Tagesereignisse, so wie es der Charakter einer Wochenschrift bedingt, in möglichst gedrängter Form liefern. Sie kann in der raschen Mittheilung von Neuigkeiten mit ihren täglich erscheinenden Schwestern natürlich nicht rivalisiren wollen, aber sie will noch viel weniger sich darauf beschränken, bloße Betrachtungen über die Ereignisse anzustellen, oder eine karge Nachlese zu halten, wo Andere schon reichlich und vollständig geerntet.

Unser Zeitungsbericht wird sich vielmehr bestreben, die Begebenheiten der Woche in einer selbständigen Darstellung zusammenzufassen, und so hofft er in Gemeinschaft mit dem illustrirten Theile des Blattes eine historische Bildergallerie der Gegenwart und zugleich eine raisonnirende Uebersicht derselben zu liefern.

Vor Allem soll jedoch unsere illustrirte Zeitung in diesem ihrem referirenden Theile eine Deutsche Zeitung sein, und wie sehr sie sich auch befleißigen wird, Alles zu daguerreotypiren, was in der civilisirten wie in der uncivilisirten Welt Erfreuliches und Erschütterndes, Großes und Burleskes sich zuträgt, wird doch ihr Wochenbericht hauptsächlich auf die Vorgänge des Vaterlandes den Blick gerichtet halten. Das wäre auch eine schlechte Deutsche Zeitung, die heutzutage noch, wie es leider seit dem letzten Frieden viele Jahre lang geschah, Deputirtenkammer und Parlament in den Vordergrund stellen, Deutschland dagegen und seine Sprechsäle in eine Ecke des Blattes verweisen wollte! Nein, immer allgemeiner wird jetzt die Ueberzeugung, daß kein rechtschaffener Deutscher mehr, ohne ein Verbrechen an sich und an der Zukunft seiner Kinder zu begehen, unbekümmert um das bleiben kann, was den innern, gesunden oder kranken Organismus seines Landes und dessen Berührungen mit dem Auslande betrifft. Nicht mehr ist es jetzt, wie noch im vorigen Jahrhundert, wo der deutsche Bürger sagte:

„Nichts Bess’res weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei
Die Völker auf einander schlagen. …
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag Alles durcheinander geh’n,
Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten!“

Er hat es seitdem nur zu gut erfahren, daß wenn sie draußen erst sich schlagen und die Köpfe spalten, bald auch zu Hause der Friede bedroht sei, wie es im Jahre 1840 der Fall war, wo die Kriegsflamme da hinten, weit in der Türkei und in Syrien, beinahe am Rhein und in ganz Europa ein gefährliches Feuer entzündet hätte. Und wer weiß, ob uns, trotz aller Rheinlieder und patriotischer Zeitungsartikel, der Krieg damals nicht eben so innerlich theilbar und schwach gefunden haben würde, wie uns die Kämpfe des 17. und 18. Jahrhunderts trafen, wie uns Napoleon zu Anfang unseres eigenen Jahrhunderts und wie uns endlich die französische Juli-Revolution im Jahre 1830 fand!

Nein, mögen wir uns über unsere innere und äußere Kraft nicht täuschen! Mögen wir nicht gar zu zuversichtlich auf die Macht des deutschen Bundes vertrauen, die ja ihre erste Probe noch zu bestehen hat! Alle Achtung vor dem Bunde der deutschen Fürsten, aber seine wahre Bedeutung wird er erst dann erhalten, wenn auch die deutschen Völker innig verbunden sind, und damit sie es im Geiste und in der Wahrheit, unauflöslich und mit Vertrauen einflößender Sicherheit seien, müssen sie sich gegenseitig von Grund des Herzens achten lernen, müssen sie sich sagen können, daß ihre Institutionen nicht blos eben so hoch, sondern höher stehen, als die jedes fremden Volkes, und müssen sie fühlen, daß des einen deutschen Stammes Leid auch den andern trifft, wie des einen Wohlfahrt auch der andere theilt.

Das aber ist zunächst nur durch die offenste Besprechung der gegenseitigen Zustände zu erlangen; nur was sich redlich kennt, das liebt sich auch redlich. Ein Anfang dazu, uns gegenseitig zu begreifen und zu durchdringen, ist freilich durch Niederreißung der Zollschlagbäume im Innern Deutschlands gemacht, aber noch fehlt viel dazu, um auch nur diese Seite der Ganzheit vollständig zu machen. Hat doch der deutsche Zollverband noch nicht einmal das deutsche Meer erreicht, und wie viele Zollgrenzen sind noch zu beseitigen! Aber was so deutlich und allgemein als Nationalbedürfniß sich ausspricht, das kommt auch unvermeidlich!

Und hiermit wäre der Gesichtspunkt gegeben, von welchem aus unser „Wochenbericht“ geleitet werden soll. Deutschland wird den Ausgangs- und zugleich den Mittelpunkt unserer Betrachtungen bilden. Deutschland nimmt ohnehin so ziemlich die Mitte von Europa ein und Leipzig [19] liegt fast im Centrum von Deutschland, so daß wir von der hier errichteten Warte aus, eine eben so wenig vom Norden und Osten als vom Westen und Süden influenzirte Umschau in Europa halten können. Daß unser Blick nicht getrübt sei, daß wir keiner nach falschen Principien gefertigten Instrumente uns bedienen, dafür werden unsere Beobachtungen dem aufmerksamen Leser bald ein Zeugniß sein. Und sollen wir die Fahne bezeichnen, die wir auf unserer Warte aufpflanzen, so bezeichnen wir sie allerdings als die Fahne einer Partei, einer entschiedenen Partei, die weder eine bloße Vermeinung noch eine sogenannte richtige Mitte duldet, aber diese Partei wird keine andere, als die des Rechtes und der Wahrheit sein!


Trotz dem, daß das Jahr 1843 in unserm Vaterlande durch einzelne Erscheinungen als ein rückwärtsgehendes sich ankündigte, ist doch der Fortschritt des Landes in materieller, wie in geistiger Beziehung, nicht zu verkennen. Es ist im Ganzen so viel gesunder Sinn in Deutschland verbreitet, und die Achtung vor jeder vernunftgemäßen Tendenz so sehr in das Volk eingedrungen, daß selbst das Prinzip des Beharrens, wo es sich geltend macht, doch eben nur bei dem Vernünftigen zu beharren vermag, während alles der Vernunft Widerstrebende mit dem Augenblicke, der es geboren, auch wieder untergeht. Eine deutsche Zeitung, die für konservativ gilt, hat kürzlich diese Bezeichnung dahin zu erklären versucht, daß sie allerdings konservativ sei, aber nur, indem sie stets den ruhigen Fortschritt wolle und sich darin weder durch die Zurück-, noch durch die übereilt Vorwärtsdrängenden beirren lasse. In diesem Sinne sind auch wir konservativ und ist es das gesammte deutsche Volk, denn die Wenigen, die unter dem Konservativsein ein Konserviren mittelalterlicher Ueberlieferungen verstehen, sind ein eben so geringfügiger Theil der Nation wie diejenigen, die mit Verleugnung des Bodens, auf welchem die gesammte europäische Bildung ruht, das Christentum zugleich mit dem Königthum vernichten möchten, um auf der tabula rasa das Luftschloß ihrer neuen Socialeinrichtungen aufzuführen.

Mit Freuden reihen wir den beharrlich fortschreitenden Staaten jetzt auch Oestreich an, dessen Staatsmänner eine Zeitlang den Fortschritt für ganz unverträglich mit dem Heile dieses aus so verschiedenartigen Elementen zusammengesetzten Staates hielten. Wie sollte auch Oesterreich allein zurückbleiben können, wenn die verschiedenen Nationalitäten, die ihm gemeinsam mit andern Ländern angehören, wenn die germanischen, romanischen und slavischen Volksstämme außerhalb Oestreichs in beständiger Wiedergeburt sind, und, wie ganz unvermeidlich, einen direkten oder indirekten Einfluß auf ihre stammverwandten Brüder im Kaiserstaat üben? Außerdem wohnt in Oesterreich mitten unter jenen Volksstämmen, die es mit dem übrigen Europa gemein hat, ein besonderes Volk, das, für sich allein dastehend, durch Sprache und Abstammung auch seinen eignen Weg in seiner politischen und socialen Ausbildung geht. Obwol nur etwa 41/2 Million Seelen zählend, übt das Volk der Magyaren zunächst allerdings auf den slavischen, walachischen und deutschen Theil der Bevölkerung Ungarns, indirekt aber auch auf die Gesammtbevölkerung Oestreichs den Einfluß eines fortwährend thätigen Ferments. Besonders seit einem Jahrzehend ist dieser Einfluß mit dem unter den Magyaren lebhafter als je angeregten Eifer für ihre Nationalität und Sprache, sowol durch den Widerspruch, den er einerseits hervorrief, als durch die Theilnahme, die andererseits ein so patriotisches Streben finden mußte, zur Erscheinung gekommen. Wir werden in der Folge Gelegenheit haben, auf diese Bewegungen in Ungarn – und zwar unter der Rubrik Ausland, da dieses Königreich zwar einem deutschen Fürsten, aber doch nicht Deutschland, nicht einmal in dem Sinne wie Kur- und Liefland, angehört – ausführlicher zurückzukommen und haben hier nur darauf hinzuweisen für nöthig gehalten, weil Ungarn eine Erklärung mehr für den Umstand abgiebt, daß der Kaiserstaat in den letzten Jahren von seinen frühern Verwaltungsgrundsätzen wesentlich abzuweichen angefangen.

Zunächst sind es allerdings die materiellen Interessen, denen in Oestreich Vorschub geleistet wird, aber es geschieht dies in einer Weise, daß dadurch auch nothwendig die geistigen Interessen gefördert werden. Besonders sind es Eisenbahnen und Posten, diese beiden Vermittler des innern Verkehrs, wie des internationalen Austausches der Werke des Gewerbfleißes und des Geistes, für welche die Regierung in der neuesten Zeit mehr als irgend ein anderes europäisches Land gethan. Nachdem die kaiserl. Regierung am 3. August d. J. den Bau von Staatsbahnen angeordnet, ist dieses Werk sogleich mit großer Energie angefangen worden und nach beiden Richtungen hin, sowol nach Prag als nach Triest, ist vom Mittelpunkt aus bereits im vorigen Herbst und den Winter hindurch gearbeitet worden, so daß der Unterbau von Olmütz bis Böhmisch-Triebau in einer Länge von 111/4 Meilen und (gegen Triest) von Mürzzuschlag bis Neudorf in einer Länge von 15 Meilen schon in diesem Frühjahr vollendet sein dürfte. Alle Eisenbahn-Bestandtheile für den im Sommer d. J. vorzunehmenden Oberbau konnten im Inlande bestellt und geliefert werden. Mit der königl. sächsischen Regierung ist im vorigen Herbst ein Vertrag abgeschlossen worden, demzufolge die Bauten beider Staaten im Elbthale zusammenstoßen und dergestalt eine einzige Bahn von Dresden über Prag nach Wien bilden werden. Eine Folge dieser Regierungsmaßregeln war, daß sich die bis dahin im Vertrauen der Kapitalisten außerordentlich gesunkenen Privat-Eisenbahnen wieder bedeutend gehoben, so daß die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn-Actien, die schon unter 70 pCt. ausgeboten wurden, jetzt wieder über pari bezahlt werden. Gegenwärtig hat die östreichische Regierung ein Anlehn von 50 Millionen Gulden zur Vollendung der Staatsbahnen eröffnet, und dasselbe den Bankhäusern Arnstein und Eskeles, Rothschild, und Sina, in zwölfmonatlichen Raten einzahlbar, zu 5 pCt. Zinsen überlassen.

Was die Posten betrifft, so hat zunächst ein Erlaß vom 31. März d. J. den Tarif für die Fahr- sowol als für die Briefposten regulirt und ermäßigt, so daß das Briefporto für die nahen Touren 6 und für die entferntesten nur 12 Kreuzer beträgt. Ferner wurden Unterhandlungen mit dem Auslande eröffnet, um den so lästigen Frankaturzwang auf die nach Oestreich gehenden und von dort nach dem Auslande bestimmten Briefe abzuschaffen und eine gleiche Ermäßigung des Portos auf transistirende und andere Briefe herbeizuführen. Bereits sind Verträge dieser Art mit Bayern, Sachsen, den fürstlich Thurn- u. Taxisschen und den Schweizer Posten zu Stande gekommen, und es ist zu erwarten, daß auch Preußen bald einen ähnlichen Vertrag mit Oesterreich abschließen werde, weil ihm sonst der Post-Transit nach dem nördlichen Deutschland, nach England und den skandinavischen Ländern, den es bisher mit den Thurn- und Taxisschen Posten theilte, gänzlich entgehen möchte.

Das Kaiserhaus ist in diesem Frühjahre mit der ganzen Monarchie durch die schwere Erkrankung des präsumtiven Thronerben, Erzherzogs Franz Karl, einzigen Bruders des regierenden Kaisers (geboren im Jahre 1802) in tiefen Kummer versetzt worden, der jedoch durch göttliche Fügung nach einigen Wochen wieder beseitigt wurde. Die ersten ärztlichen Bülletins wurden am 3. März ausgegeben und ließen sogleich auf ein intensives, Gefahr drohendes Leiden schließen, was sich auch bestätigte, indem sich die Krankheit als Typhus abdominalis auswies. Das letzte Bülletin (vom 31. März) kündigte jedoch die Wiederherstellung des Erzherzogs an, so daß er schon am 16. April zum ersten Male wieder ausfahren konnte.

Zur Freude über diese glückliche Wendung hat sich dem Kaiserhause auch noch eine andere gesellt, an der die Bevölkerung ebenfalls großen Antheil genommen. Am 5. April nämlich feierte der deutsche Held, der Sieger von Neerwinden und Aspern, der greise Erzherzog Karl, den Tag, an welchem er vor funfzig Jahren, zur Anerkennung seiner in den ersten Monaten des Jahres 1793 bewiesenen Tapferkeit, das Großkreuz des militairischen Marien-Theresien-Ordens erhalten hatte. Die Brust des Helden wurde durch neue Diamanten-Insignien jenes Großkreuzes geschmückt, und der Kaiser hat die Pensionen der sämmtlichen Ritter des Marien-Theresien-Ordens, die, einer frühern Verordnung zufolge, um etwa den vierten Theil ihres Betrages ermäßigt worden waren, von jenem Tage ab wieder um eben so viel erhöhen lassen. Sämmtlichen Großkreuzen, Commandeuren und Rittern des Marien-Theresien-Ordens, deren Anzahl sich nur auf etwas über hundert beläuft, und unter denen sich die Könige von Schweden, Belgien und Sardinien, die Herzöge von Wellington und von Angoulème befinden, sind goldene und silberne Exemplare einer zu Ehren jenes Tages geprägten schönen Denkmünze übersandt worden.

Preußen, das, als derjenige Staat, welcher bei weitem die meisten deutschen Einwohner zählt – denn Oesterreich hat nach Abrechnung der Slaven in Böhmen, Mähren, Steyermark und Illyrien kaum halb so viel der deutschen Nationalität angehörende Unterthanen – und weil es fast mit allen übrigen deutschen Staaten in Gränzberührung ist, auch hauptsächlich das Augenmerk der Vaterlandsfreunde auf sich zieht, hat den Erwartungen, die es seit dem Jahre 1840 erregte, freilich nur in sehr geringem Maße entsprochen. Gleichwol ist auch hier, wenn wir nicht eben an denjenigen Staat, der allen ubrigen vorangehen sollte, die höchsten Forderungen stellen, bei der Regierung sowol wie beim Volke eine Bewegung wahrzunehmen, die wir als Fortschritt anerkennen müssen. Vergleichen wir das, was uns über die Wirksamkeit der heutigen Provinzialstände Preußens bekannt wird, mit den vor 1840 erlassenen Landtagsabschieden, welche bis dahin das einzige Merkmal bildeten, an dem die Thätigkeit jener Ständeversammlungen zu erkennen war, so machen sich Veränderungen bemerklich, die wir allerdings als Uebergänge – wenn auch als sehr allmälige – von einer absoluten zu einer verfassungsmäßig beschränkten Regierungsweise ansehen dürfen. Nicht minder hat die Presse in Preußen, trotz der vielen Schwankungen in der Gesetzgebung über dieselbe, doch von dem Boden, der ihr zu Ende des Jahres 1841 eingeräumt wurde, noch ein gutes Theil übrig behalten, und besonders die rheinländischen Blätter wissen denselben mit Freimüthigkeit, wiewol nicht ohne Klugheit und Vorsicht, zu benutzen.

Am 5. März d. J. traten in den sieben Provinzen Preußen, Brandenburg, Pommern, Schlesien, Posen, Sachsen und Westfalen die Provinzialstände zu einer Session zusammen, wie sie nach des Königs im Jahre 1841 ertheilter Zusage unabhängig von den in Berlin sich versammelnden ständischen Ausschüssen, von zwei zu zwei Jahren wiederkehren soll. Die Stände der Rheinprovinz treten, einem von ihnen selbst ausgesprochenen Wunsche zufolge, gewöhnlich erst im Monat Mai zusammen. Sämmtlichen Provinzial-Landtagen wurden 12–14 königl. Propositionen vorgelegt, die, obwol nicht überall gleich, doch nur in unwesentlichen oder lokalen Dingen in den verschiedenen Provinzen verschieden lauteten. Ganz gleich für sämmtliche Ständeversammlungen war die wichtigste Proposition, nämlich die eines Strafgesetzbuches, mit dessen Entwurf zur bessern Uebersicht des Gesetzes und zur vereinfachtern Darlegung der Ansichten 64 verschiedene Fragen vorgelegt waren. Die übrigen Propositionen betreffen die Bearbeitung der Provinzialrechte, die Bedingungen des Grundbesitzes zur Ausübung ständischer Rechte und zum Landraths-Amte, die bürgerlichen Rechte bescholtener Personen, und andere Gegenstände von meistens untergeordnetem Interesse.

Von den genannten Provinzialversammlungen gehören – um ein in der politischen Sphäre einmal recipirtes Bild zu gebrauchen – Brandenburg und Sachsen zur rechten Seite, Pommern, Westfalen und Schlesien zum Centrum, Preußen und Posen dagegen zur linken. Der zu einem großen Theil aus Gutsbesitzern von polnischem Adel bestehende Landtag von Posen hat gleich in seinen ersten Sitzungen eine Adresse votirt, wie sie kaum entschiedener und oppositioneller von irgend einer nach einer freien Verfassung gewählten reichsständischen Versammlung ausgehen kann. Drei Beschwerden bildeten den Gegenstand dieser Adresse, und zwar 1) über die angeblich bedrohte polnische Nationalität der Einwohner des Großherzogthums Posen; 2) über die geringfügige Wirksamkeit, die dem nach Berlin berufenen ständischen Ausschuß eingeräumt worden, und 3) über die Beschränkungen der Presse durch die neueste Censurverordnung. Auf diese unterm 8. März erlassene und unregelmäßigerweise dem Könige direkt eingesandte – statt dem Oberpräsidenten und königl. Kommissarius übergebene – Adresse erfolgte bereits unterm 12. desselben Monats die vom Könige und vom Staats-Ministerium unterzeichnete Antwort, in welcher den Ständen ihr Verfahren streng verwiesen und ihnen zugleich gedroht wird, sie, falls sie dabei beharrten, nicht mehr regelmäßig mit den übrigen Provinzialständen einzuberufen. Der weitere Verlauf des Posener Landtages ist jedoch minder stürmisch gewesen, als sein Beginn, und wiewol die meisten zur Verhandlung gekommenen Fragen in liberalem Sinne beantwortet wurden, hielt man sich doch überall in den Schranken einer blos berathenden Versammlung. Ja, das königl. Schreiben vom 27. März, wodurch der Provinz das Anerbieten gemacht wurde, sie vom Jahre 1844 ab funfzehn Jahre lang mit 40,000 Thalern jährlich zur Erbauung von Kunststraßen zu unterstützen, wenn die Provinz in dieser Zeit eben so viel zu demselben Zweck aufbringen wolle, hat sogar sehr günstig gewirkt und die Gemüther ungemein versöhnlich gestimmt.

(Fortsetzung folgt.)