Unschuldig Verurtheilte
[468] Unschuldig Verurtheilte. Immer von Neuem drängt sich uns die Frage auf, ob der Staat nicht die Pflicht hat, unschuldig Verurtheilte, soweit das möglich ist, zu entschädigen: denn eine volle Entschädigung für die Kümmernisse, den Schreck, die schuldlos erduldete Schmach, für alle diese das Gemüth herabstimmenden, herzkränkenden Wirkungen eines Mißgriffs der Justiz kann es ja nicht geben. Daß aber für all dies Herzeleid wenigstens eine materielle Sühne unerläßlich ist: darüber sollten doch die gesetzgebenden Gewalten nicht mehr verschiedener Ansicht sein. Die Humanität und jedes menschliche Gefühl verlangen dies.
Wir haben erst vor kurzem in Nr. 21 einen größeren Aufsatz: „Die irrende Justiz und ihre Sühne“ von Fr. Helbig gebracht, in welchem die Freisprechung des früher wegen Mordes verurtheilten Dienstknechtes Loth nach abermaliger Verhandlung vor dem Geschwornengericht eingehend erörtert wurde. Und jetzt brachten die Blätter die Nachricht, daß der Samenhändler und Barbier Ziethen aus Elberfeld unschuldig wegen Mordes zum Tode verurtheilt worden und der einzige Zeuge, welcher bekundete, gesehen zu haben, wie Ziethen seine Frau erschlug, der Barbiergeselle August Wilhelm, jetzt selbst der That geständig sei. Dann hätte Ziethen Recht gehabt, als er stets seine Unschuld betheuerte und erklärte, es sei an ihm ein Justizmord begangen worden. Jedenfalls ist die Untersuchung in der Ziethen’schen Affaire wieder aufgenommen worden, gleichzeitig wird Wilhelm der Proceß gemacht. Bestätigt sich die Schuld des letzteren, so werden die Gegner der Todesstrafe neues Kapital aus diesen Vorgängen schlagen; denn nur die Verurtheilung zum Zuchthause schloß ja dann in beiden Fällen einen krassen Justizmord aus. Ueber das ganze, oft rührende Detail des Ziethen’schen Processes haben die Zeitungen eingehend berichtet: wir wollten aber nicht die Gelegenheit versäumen, bei diesem Anlaß abermals für ein unveräußerliches Recht, die Entschädigung der unschuldig Verurtheilten, zu plaidiren.†