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Titel: Unfall-Meldestellen
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[66]
Unfall-Meldestellen.

Es war eine dunkle und stürmische Novembernacht. In dem ansehnlichen Dorfe N., wohin wir unseren Leser führen, lag alles in tiefem Schlafe. Mitternacht war vorüber, als auf einmal von einem Hause am Ende des Dorfes ein Feuerschein leuchtete. Es brannte unter dem Dache eines stattlichen Bauerngehöfts. Die Flamme, durch den Sturm kräftig angefacht, griff rasch mächtig um sich. Noch hatte keiner der Dorfbewohner das drohende Unglück bemerkt.

Doch da – endlich ertönt der Feuerruf. Gleich darauf wird die Sturmglocke gezogen und – schauerlich beleuchtet von dem inzwischen gewaltig angewachsenen Brande, bemühen sich bald die Mannschaften der beiden Dorfspritzen, des Feuers Herr zu werden. Doch vergeblich sind ihre Anstrengungen. Die Gefahr für das Dorf wächst mit jeder Minute, da der Sturmwind brennende Korngarben weithin durch die Luft führt.

Gleich nach Ausbruch des Feuers hat der Ortsvorsteher, dessen Gehöft in der Nähe der Brandstelle liegt, seinen erwachsenen Sohn zu Pferd nach der acht Kilometer entfernten Stadt geschickt, um die schleunigste Hilfeleistung der dortigen, als ausgezeichnet tüchtig bekannten Feuerwehr zu erbitten. Inzwischen führt die Feuerwehr des Dorfes den aussichtslosen Kampf gegen das entfesselte Element mit Aufbietung aller Kräfte fort. Doch da kommen neue Hiobsposten. Das Flugfeuer hat an zwei entfernten Stellen des Dorfes gezündet. Die Spritzen überlassen nun das ohnehin verlorene Gebäude seinem Schicksal und rücken ab, um den neuen Feind zu bekämpfen. In angstvoller Erwartung hoffen die Dorfbewohner auf das baldige Eintreffen der städtischen Feuerwehr.

Doch – was ist das? Blutbespritzt und mit Schaum bedeckt sprengt das reiterlose Pferd, das vor einer Stunde den hilfesuchenden Boten zur Stadt tragen sollte, in das Dorf zurück. Ein Blick genügt, zu erkennen, daß das Pferd unterwegs gestürzt ist und seinen Reiter abgeworfen hat. Ein anderer reitender Bote wird abgesandt. Doch die verlorene kostbare Zeit ist nicht wieder einzubringen. Die Kräfte der Feuerlöschmannschaften sind erschöpft. Das Feuer greift immer weiter um sich.

Als endlich nach langem verzweiflungsvollen Harren die städtische Feuerwehr eintrifft, findet sie das halbe Dorf in Flammen. Die brave Feuerwehr leistet das Mögliche und verhindert mit Erfolg das weitere Umsichgreifen des Brandes; doch liegen, als der Morgen endlich trübe heraufdämmert, mehr als 30 stattliche Bauernhöfe in rauchenden Trümmern.




Am Nachmittage nach den soeben berichteten Ereignissen saßen in der Gaststube des vom Feuer verschont gebliebenen Wirthshauses mehrere Männer in eifrigem Gespräch. Außer dem Wirthe, der zugleich die Postagentur des Ortes verwaltete, waren noch der städtische Feuerwehrhauptmann sowie der telegraphisch herbeigerufene Oberinspektor der ... Feuerversicherungsgesellschaft und endlich der Ortsvorsteher anwesend. Der zuletzt Genannte, dessen gesammtes Besitzthum den Flammen zum Opfer gefallen war und der erst vor wenigen Stunden seinen bei dem nächtlichen Ritte verunglückten Sohn in das städtische Krankenhaus gefahren hatte, saß jetzt als ein gebrochener Mann, als ein Bild des Jammers da.

„Das Unglück Ihres Sohnes,“ wendete sich der Feuerwehrhauptmann zu dem Vorsteher, „hat diesen nicht allein getroffen; das ganze Dorf hat schwer darunter gelitten. Hätten wir die Meldung rechtzeitig bekommen, so würde der Brandschaden kaum halb so groß geworden sein.“

„Haben Sie denn nicht,“ fragte jetzt der Oberinspektor den Wirth, „den Versuch gemacht, nach der Stadt zu telegraphiren?“

„Gewiß,“ war die Antwort, „trotzdem ich die Nutzlosigkeit des Versuches voraussah, habe ich stundenlang fast ununterbrochen das Rufzeichen gegeben; da aber in der Stadt das Telegraphenzimmer Nachts geschlossen ist und unsere Gemeinde seiner Zeit die Einrichtung einer Unfallmeldestelle abgelehnt hat, so habe ich natürlich keine Antwort bekommen.“

Bei dem Worte „Unfallmeldestelle“ horchten der Oberinspektor wie auch der Feuerwehrhauptmann hoch auf

„Was für eine Einrichtung erwähnen Sie da eben?“ fragte der Erstere.

„Nun,“ erwiederte der Wirth und Postagent, „sollten Sie davon noch nichts gehört haben? Das ist ja doch schon eine alte Geschichte. Vor länger als einem Jahre bekam ich mal von der Oberpostdirektion ein Schreiben, in dem auseinandergesetzt war, wie es in verschiedener Beziehung für kleine Landorte mit Telegraphenverbindung höchst nützlich wäre, in dringenden Nothfällen auch zur Nachtzeit Depeschen absenden zu können. Die Einrichtung müßte jedoch von der Gemeinde beantragt werden, die auch für die besonderen Kosten, ich glaube, es waren 50 Mark, aufzukommen hätte. Ich habe damals mit unserem Vorsteher – Nachbar, ist’s nicht so? – über die Sache gesprochen; der meinte aber, die Gemeinde könnte ihr Geld nützlicher anwenden, als es für solchen neumodischen Firlefanz auszugeben. Ich glaube, die Sache ist in der Gemeinderathssitzung wohl überhaupt nicht vorgebracht worden.“

„Ja, meine lieben Herren,“ antwortete jetzt mit matter Stimme der Vorsteher den fragenden Blicken der beiden Fremden, „wer konnte denn auch wohl dies schreckliche Unglück voraussehen? Und daß nun mein einziges Kind, mein armer guter Fritz, so furchtbar dafür leiden muß! O Gott, es ist zu viel!“

Von dem Gefühle seines Unglücks überwältigt, wankte der alte Mann schluchzend zur Thür hinaus.

„Man sollte es denn aber doch wirklich nicht für möglich halten,“ sagte der Feuerwehrhauptmann, „daß, wenn auch der Ortsvorsteher in dieser Sache beschränkt und starrköpfig ist, Niemand sonst in der Gemeinde Interesse für eine Einrichtung zeigt, die doch nicht bloß bei Feuers- und Wassersnoth, sondern eben so auch bei Verunglückungen und Krankheiten zur schleunigen Herbeirufung des Arztes oder bei Einbruchsdiebstählen und Verbrechen der Polizei etc. von größtem Nutzen sein muß. Haben Sie denn nicht,“ wandte sich der Sprecher an den Postagenten, „Ihrem Pastor oder sonst Jemand von dem Schreiben der Behörde Mittheilung gemacht?“

„Das nun eigentlich nicht,“ war die Antwort, „dazu hatte ich keinen Auftrag; und, offen gefagt, unsereinem geht so mancherlei durch den Kopf, daß ich nachher auch gar nicht wieder daran gedacht habe. Aber Sie sollen mal sehen,“ fuhr der Agent fort, „sobald wir nur erst wieder einigermaßen in Ruhe sind, da wird die Gemeinde schon ihren Antrag wegen Einrichtung einer Unfallmeldestelle an die Oberpostdirektion richten. Darauf können Sie sich verlassen.“

„Ja, ja,“ sagte der Oberinspektor, „immer die alte Geschichte; erst wenn das Kind hineingefallen ist, wird der Brunnen zugedeckt.“

„Uebrigens muß ich Ihnen gestehen, Herr Hauptmann,“ fuhr der Versicherungsbeamte fort, „daß ich heute zum ersten Male von der Einrichtung des für die Feuerversicherungsangelegenheit so ungemein wichtigen Unfallmeldewesens höre. Haben Sie denn schon davon gewußt? Für das Feuerlöschwesen ist die Sache doch auch von Belang.“

„Mir geht es gerade wie Ihnen,“ erwiederte der Hauptmann; „mir ist die Sache auch bis jetzt unbekannt gewesen, ich werde aber nicht verfehlen, auf dem nächstens stattfindenden Bezirksfeuerwehrtage das heutige Erlebniß zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Doch jetzt vor allem, Herr Wirth, holen Sie uns einmal das Schreiben Ihrer Behörde, damit wir etwas Zuverlässiges über die Einrichtung erfahren.“

Der Angeredete schob verlegen sein Käppchen aufs Ohr und sagte dann achselzuckend: „Damit kann ich leider nicht dienen, meine Herren. Das betreffende Schreiben habe ich damals unserm Vorsteher zum Durchlesen gegeben und habe leider vergessen es zurückzufordern. Jetzt nun wird es wohl mit verbrannt sein. Aber beim Postamte in der Stadt ist es sicher vorhanden.“

„Nun, dann ist’s gut,“ sagte der Oberinspektor, „zufällig kenne ich den Postamtsvorsteher; ich bin sicher, dort die gewünschte Auskunft zu erhalten.“

Die beiden Herren entfernten sich hierauf, um ihre Berufsgeschäfte auf der noch immer rauchenden Brandstelle wieder aufzunehmen.



[67] Am andern Morgen treffen wir den uns schon bekannten Versicherungsbeamten in lebhafter Unterhaltung mit dem Vorsteher des Postamtes in der Stadt. „Der Dienst bei unsern ca. 8800 Telegraphenbetriebsstellen,“ erklärte der Amtsvorsteher, „ruht, wenn wir von etwa 200 der größeren Städte absehen, während der Nacht. Gleichwohl läßt sich ohne besondere Schwierigkeit eine von der obersten Postbehörde vor etwa Jahresfrist angeordnete Einrichtung treffen, durch welche die mit den Postämtern durch den Telegraphendraht verbundenen kleineren Landorte in den Stand gesetzt werden, in Nothfällen auch zur Nachtzeit Telegramme abzusenden. Diese Einrichtung besteht einfach in der Anbringung einer elektrischen Klingel, die je nach Verschiedenheit der örtlichen Verhältnisse in dem vom Telegraphenbureau des Postamts entfernt belegenen Postdienstzimmer, oder im Beamtenwachtzimmer oder endlich im Schlafzimmer des Beamten neben dessen Bette, kurz, jedenfalls da angebracht wird, wo dieselbe von einem Beamten gehört werden muß. Sobald nun von der Postagentur durch einen Druck auf den Knopf des Apparates oder durch die Umdrehung einer Kurbel die bei dem Postamte befindliche elektrische Weckvorrichtung in Bewegung gesetzt wird, begiebt sich der diensthabende Beamte in das Telegraphenzimmer und meldet der Agentur seine Bereitschaft zur Entgegennahme der Depesche.

Die Landgemeinden, die sich auf diese Weise eine Tag und Nacht zuverlässige telegraphische Verbindung sichern wollen, haben nichts weiter zu thun, als dies ihrerseits bei der Postbehörde zu beantragen und zugleich ihre Bereitwilligkeit zur Uebernahme der Kosten der Anschaffung der elektrischen Weckvorrichtung etc. (50 Mark) zu erklären.“

„Durch Ihre Mittheilungen,“ ergriff jetzt der Oberinspektor das Wort, „bin ich aufs Angenehmste überrascht. Das ist ja eine ganz vortreffliche Einrichtung, die wir der umsichtigen Thätigkeit Ihrer Behörde verdanken. Hätte dieser biedere Dorfpascha in N., der ja allerdings schwer genug dafür gestraft ist, nicht in stumpfsinniger Beschränktheit die Anregung Ihrer Behörde unbeachtet gelassen, so würde Ihre vorzügliche Feuerwehr fast drei Stunden früher zur Stelle gewesen sein; das Brandunglück wäre sicher nicht entfernt so verhängnißvoll geworden und auch meine stark betheiligte Gesellschaft hätte viele Tausende erspart. Ich werde fernerhin nach Kräften dahin wirken, daß diese so wohlthätige neue Einrichtung immer weitere Verbreitung findet.“

„Von Herzen wünsche ich guten Erfolg,“ erwiederte der Beamte, „doch dürfen wir unsere Erwartungen nicht zu hoch spannen. Recht gerne lassen sich viele unserer Mitbürger alle die zahlreichen Verbesserungen der Verkehrsverhältnisse gefallen, die ihnen zu Theil geworden sind. Aber selbst für dergleichen auch nur ein geringfügiges Opfer zu bringen, fällt ihnen gar nicht ein. An Belegen hierfür fehlt es nicht. Ich will nur das Eine anführen, daß von den sieben Postagenturen, die dem hiesigen Amte zugetheilt sind, auch nicht eine einzige die Einrichtung einer elektrischen Nachtklingel beantragt hat, obwohl die Anregung hierzu durch Vermittelung der Postagenten seiner Zeit gleichmäßig an die betreffende Gemeinden ergangen ist.“

„Aber das ist ja kaum zu glauben,“ rief der Oberinspektor aus. „Da stellen sich die Leute bezüglich ihrer Intelligenz und ihres Gemeinsinns ja geradezu ein Armuthszeugniß aus.“

„Pst, pst,“ fiel der Beamte ein, „dies Thema wollen wir hier lieber nicht berühren. Lassen wir uns, mein lieber Herr Inspektor, durch unerfreuliche Erfahrungen nicht entmuthigen. Thun wir, ein Jeder an seinem Theil, in dieser Sache, wie überhaupt, unsere Schuldigkeit oder auch wohl noch etwas darüber, so wird, früh oder spät, der Erfolg, der der Allgemeinheit zu Gute kommt, nicht ausbleiben und dies Bewußtsein ist auch etwas werth.“ W. P.