Ueber die politische Lage der aus dem spanischen Amerika hervorgegangenen neuen Staaten
Ueber die politische Lage der aus dem spanischen Amerika hervorgegangenen neuen Staaten.
Man müßte sehr kurzsichtig seyn, wenn man den Grund großer und einflußreicher Begebenheiten in den besondern Veranlaßungen suchen wollte, durch welche sie äußerlich hervorgerufen wurden. Das, was den eigentlichen Charakter jener Bewegungen bestimmt, die nach und nach die ganze Welt umgestalten, ist freilich selten schon beim ersten Anfang derselben sichtbar, es tritt aber im Verlaufe der Zeit immer stärker hervor, bis es endlich auch dem blödesten Auge nicht mehr verborgen bleibet. So dürfen wir z. B. nicht annehmen, daß der Patriotismus der Nord-Amerikaner gerade dadurch so aufgeregt wurde, daß man sie zwingen wollte, einen halben Pfennig zu viel für ein Pfund Thee zu bezahlen. Dieß war nur eine Form, unter welcher sich das fehlerhafte, politische Verhältniß des Mutterlandes zu seinen Kolonien fühlbar machte, und jeder andere Schritt, wodurch England seine Auctorität möchte haben geltend machen wollen, würde die Veranlassung zu denselben Ereignissen geworden seyn.
Machen wir von diesem allgemeinen Satze ein Anwendung auf das ehemalige spanische Amerika, so war hier die besondere Veranlassung der ersten Bewegungen die Zwietracht im Mutterlande, und die Usurpation des spanischen Thrones durch einen Fremden. Um das französische Joch abzuwerfen nahm sich jedes Königreich und jede Provinz das Recht, sich selbst zu regieren, und die amerikanischen Kolonien waren nicht minder dazu berechtigt, als die verschiedenen Theile der pyrenäischen Halbinsel. Peru und Mexiko befanden sich in derselben Lage, wie Kastilien und Grenada, ihre Regierungen handelten daher auch eben so selbstständig. Dieser Umstand unterscheidet die Revolution des spanischen Amerikas auf eine sehr vortheilhafte Weise von fast allen andern Staats-Umwälzungen: sie hatte Anfangs nicht einmal eine ungesetzmäßige Form. In dieser Hinsicht stehen die neuen Reiche viel reiner da, als die Vereinigten Staaten; denn wenn die Einwohner dieser leztern auch immer behaupteten, sie nähmen nur die Rechte, die jedem Engländer zukämen, in Anspruch, so behauptete doch auch die Regierung, stets nur ihre gesetzliche Gewalt auszuüben. Die südamerikanische Revolution traf aber bei der Wiedereinsetzung des Königs von Spanien im Jahre 1813 auch nicht der leiseste Vorwurf einer Ungesetzlichkeit. Inzwischen hatten die Amerikaner gelernt, sich selbst zu regieren, sie hatten unter einander und mit fremden Mächten Verbindungen angeknüpft, und sich in vielfacher Hinsicht in eine neue Lage hineingelebt, in welche sie sich nicht willkührlich, sondern durch die Macht der Verhältnisse gezwungen, versetzt hatten. Ob sie unter diesen Umständen verbunden waren, bei des Königs Rückkehr, auch selbst nur der Form nach, unter seine Herrschaft zurückzukehren, ist eine Frage, die sich nicht sogleich auf den ersten Blick bejahen läßt. Die Rechte eines Menschen gegen den andern hängen von den gegenseitigen Verhältnissen ab, die unter ihnen statt finden. Aendert nun eine von den beiden Partheien durch eine unrechtmäßige Handlung das bestehende Verhältniß, so kann sie durch dieses Unrecht natürlich niemals neue Rechte erwerben; ändert sich aber das Verhältniß ohne Mitwirkung einer der beiden Partheien, so richten sich auch ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten nach dem neu entstandenen Verhältnisse, und nicht mehr nach dem alten. Dieß war der Fall zwischen dem Könige von Spanien und seinen amerikanischen Kolonien. Man könnte daher wohl mit Recht bezweifeln, ob man genau genommen diesen Kolonien, von der Zeit der ersten Bewegungen an, die vor achtzehn oder neunzehn Jahren statt hatten, bis auf den heutigen Tag, den Vorwurf eines unrechtmäßigen Widerstandes, oder einer Rebellion gegen die rechtmäßige Obergewalt des Mutterlandes machen könne.
Wie nun aber dem auch seyn mag, so wird doch die wahre Rechtfertigung für die Fortdauer der Unabhängkeit des spanischen Amerikas, auch nach Wiederherstellung des Friedens in Spanien, ohne Zweifel eben darin zu suchen seyn, worein wir sie bei Nordamerika setzen, nämlich in dem falschen Verhältniß, worin es zur Krone Spanien stand. In beiden Fällen übten die Mutterländer das Besteurungsrecht nur in ihrem Interesse aus, sie unterwarfen die Einwohner der Kolonien mancherlei Beschränkungen, von denen ihre europäischen Unterthanen befreit waren, und machten auf diese Weise eine Verbindung, die schon Unnatürliches genug in sich trug, noch drückender. Eine solche Verbindung, da sie eigentlich nur durch Zufall gebildet und beibehalten war, konnte kaum als wahrhaft verpflichtend für eine von beiden Partheien betrachtet werden, und hätte eine von ihnen den Vorschlag gemacht, sich in Güte zu trennen, so sieht man nicht ein, [47] worauf die andere sich hätte berufen können, um denselben zurückzuweisen. Ein solcher Fall ist wirklich zwischen Portugal und Brasilien eingetreten. Eine ähnliche Trennung, sey sie nun friedlich oder gewaltsam, wird unter ähnlichen Umständen früher oder später immer eintreten. Die Frucht, wenn sie zur Reife kommt, wird entweder gebrochen, oder sie fällt von selbst ab.
Auf der andern Seite muß man aber auch zugeben, daß von Regierungen, die Jahrhunderte lang über große Provinzen, oder vielmehr Reiche unter dem Namen Kolonien, geherrscht haben, und deren Stolz wenigstens dabei interessirt ist, ihre alten Rechte und Titel beizubehalten, kaum erwartet werden kann, daß sie diese Besitzungen ohne Kampf aufgeben. Wie klar auch das Gesetz der Natur oder die Vorschriften der Politik seyn mögen, so wird Leidenschaft und Vorurtheil doch immer mehr Beredsamkeit besitzen, und wenigstens eine Zeitlang in den Staats-Räthen aller Länder des Erdkreises den Vorsitz einnehmen. Je mehr eine Nation unter dem Einflusse des Herkommens und der Gewohnheit steht, desto weniger wird sie geneigt seyn, sich den Forderungen äußerer Verhältnisse zu fügen. Es darf uns daher nicht befremden, wenn Spanien sich bei dem Eintreten eines solchen Falles weniger nachgiebig zeigt, als dieß unter gleichen Bedingungen gegenwärtig von Seiten Großbritanniens zu erwarten wäre. Betrachten wir die ungeheure Ausdehnung des amerikanischen Continents, die geistige Entwicklung des Volks, den Reichthum und die Macht, denen dasselbe entgegen strebt, und vergleichen damit die Schwäche und den hülflosen Zustand Spaniens, so erscheint es als vollkommene Verrücktheit, wenn eine solche Macht glaubt, Herr werden zu können über eine so tiefgreifende, umfassende Bewegung. Spanien bleibt aber verblendet, es sieht in diesen kräftig, jugendlichen Staaten nur undankbare Kinder. Das natürliche Streben sich zu trennen und sich unabhängig zu machen, da sie zur völligen Reife gekommen sind, ist eine Sünde gegen die Legitimität. „Des Königs Ehre und Gewissen verlangt es, daß er seine ererbten Reiche seinem Thronerben wiederum ungeschmälert übergebe.“ Die Macht ist zwar nicht mehr vorhanden, aber der Titel bleibt; die Regierung willigt lieber in jedes Opfer ein, und vollendet den Ruin ihres Landes, als daß sie eine Thatsache anerkennte, die kein Vernünftiger, ja nicht einmal sie selbst, wenn sie nicht als Regierung auftritt, zu läugnen vermag. Spanien würde kein größeres Glück widerfahren können, als wenn seine europäischen Alliirten, die es sich so angelegen sein ließen, sich in einem Falle, wo es sich leicht selbst helfen konnte, in seine Angelegenheiten zu mischen, unter Umständen, in denen es unfähig ist, sein eigenes Beste einzusehen, die Anerkennung desselben erzwängen. Aber dieß verbietet, wie es scheint, die Delikatesse. Eine sonderbare Delikatesse, die es freilich erlaubt, alle zehn oder fünfzehn Jahre unter Vorwänden allerlei Art das Königreich militärisch zu besetzen, und, ohne ihn zu fragen, in des Königs Namen zu regieren; die aber nicht wagt in seinem Namen eine Maßregel zu ergreifen, die, ohne allen Zweifel, die einzige ist, welche vor dem gänzlichen Verfall des Reichs bewahren kann! Ist dieß Verblendung, oder ist es Heuchelei? was es auch seyn mag, so ist es traurig genug für das spanische Volk, und bewährt das spanische Sprichwort: Gott erhalte mich vor meinen Freunden, vor meinen Feinden werde ich mich schon selber erhalten.
[51] Der Kampf für die Unabhängigkeit von Südamerika gereicht im ganzen genommen den Bewohnern jener Länder sehr zur Ehre. Er war viel blutiger und der Wechsel des Glücks in demselben weit häufiger, als dieß im Kampfe um die Freiheit von Nordamerika der Fall war; aber dieser Unterschied ließ sich schon nach der Verschiedenheit der obwaltenden äußeren Verhältnisse erwarten. Südamerika hat einen bei weitem größeren Umfang, und eine viel größere Bevölkerung, als die Vereinigten Staaten zur Zeit ihres Revolutionskrieges besaßen. Dieser Umstand vergrößerte die Wahrscheinlichkeit eines glücklichen Erfolgs, machte es aber auch für die einzelnen Staaten schwieriger in Uebereinstimmung zu handeln; und diese Schwierigkeit hat bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz aus dem Wege geräumt werden können. Die Vereinigten Staaten dagegen hatten schon lange vor dem Kriege eine organisirte friedliche Verbindung unter sich, und sobald die Noth es erfoderte, wirkten sie auch in militärischer Hinsicht zusammen. Dann fehlte es den spanischen Colonien an Erfahrung in Regierungsgeschäften und in der Gesetzgebung, denn auch hierin hängt nicht wenig von einem Mechanismus ab, der sich nicht in wenigen Jahren schaffen läßt. Die Vereinigten Staaten hatten den Vortheil, daß sie von Anfang an eigene Gerichte, eine feste Gemeindeverfassung, Versammlungen und Räthe für die innere Verwaltung, Volksredner und Zeitungen gehabt hatten. In Faneuil-Hall hatte man fünfzig Jahre lang die unwürdige Beredsamkeit der Cooke, des Vaters und des Sohnes, gehört, ehe die edlere Stimme eines Otis, eines Adams und eines Quincy darin [52] wiederhallte. Die Gouverneurs, von Andres an, der im Jahre 1688 abgesetzt wurde, bis auf Hutchinson herab, der landflüchtig hatte werden müßen, waren Märtyrer für die Volksfreiheit geworden, und seit länger als einem Jahrhundert schon rüstete sich das Volk zu dem großen Kampfe.
Das spanische Amerika war ferner weit weniger den Krieg gewohnt, als Nordamerika. Nach der ersten Eroberung des Landes hatte es mit den Eingebornen keine Kämpfe mehr zu bestehen gehabt, war nie in europäische Kriege verflochten gewesen, oder in innere blutige Händel gerathen. Dagegen waren in den Vereinigten Staaten die Wilden nie völlig unterjocht; sie mußten ausgerottet werden; dieß war ein beständiger Kampf auf Leben und Tod. Die Muskete und das Schwert durften nie abgelegt werden, jeder Tag wurde mit Blut bezeichnet. So bekamen die Nordamerikaner Geschmack am Kriegsleben, und mit ihm die mannhaften Tugenden, die der Preis sind eines langen Kampfes um die ersten Güter des Menschen, um Leben und Freiheit. So entfernt sie auch vom Mutterlande waren, so nahmen sie doch stets lebhaften Antheil an seinen Kriegen und zeichneten sich durch ihre Tapferkeit aus. Die Männer, die Louisburg eroberten, und unter Montgomery bei Quebec fochten, bedurften keiner langen Bedenkzeit, wenn sie aufgefordert wurden ihren Heerd und ihre Familie zu vertheidigen.
Endlich war die royalistische Parthei in den Vereinigten Staaten so schwach, daß sich die Tories in den nördlichen Provinzen beim Ausbruch des Krieges genöthigt sahen, in Massen auszuwandern. Der Adel und die Geistlichkeit des Mutterlandes hatten nie Gewalt in Nordamerika, und der Regierung fehlte es an allen den Bollwerken, hinter welche sich die Könige gewöhnlich verschanzen, um sich etwaigen Angriffen des Volkes mit Kraft entgegensetzen zu können. In den spanischen Colonien aber bestand eine mächtige aristokratische Parthei, die nicht nur den größten Theil des Grundeigenthums besaß, sondern auch die ganze politische Gewalt in Händen hatte, und im allgemeinen entschieden für die Sache des Königs war. Auch die Geistlichkeit erklärte sich fast einmüthig für den König. Bedenkt man nun den ungeheuren Einfluß, den dieser Stand in allen Theilen der spanischen Monarchie ausübte, und vergleicht dabei den Reichthum und die Macht des Adels mit der Armseligkeit der übrigen weißen Bevölkerung und der Hülflosigkeit der Farbigen, so muß es in der That unbegreiflich scheinen, wie es möglich war, daß die Parthei, welche für die Unabhängigkeit kämpfte, obsiegen könnte. Keine fremde Macht unterstützte die Freiheit Südamerikas; erst nach einem zehn- bis zwölfjährigen Kampfe ließen die Vereinigten Staaten einiges Interesse für dieselbe blicken, und am Ende des dritten Lustrums von Blut und Kampf erkannte endlich eine einzige europäische Macht die Thatsache der Existenz unabhängiger südamerikanischer Staaten an.
Unter diesen Umständen hat man, wie gesagt, vielmehr Ursache über den endlichen Sieg der Freiheit, als über den langen, blutigen und zweifelhaften Kampf für dieselbe sich zu wundern. Freilich stand Südamerika aber auch kein Feind gegenüber, wie den Vereinigten Staaten. Hätte das spanische Cabinet eine Finanz- und Seemacht zu seiner Disposition gehabt, die der von Großbritannien gleich gekommen wäre, so wäre ohne Zweifel der Kampf ganz anders ausgefallen, und die Emancipation dieser Colonien wäre vielleicht noch in Jahrhunderten nicht erfolgt. Welchen Einfluß aber auch immer auf den Erfolg die innere Zerrüttung Spaniens gehabt haben mag; so bleibt doch die Anstrengung der unabhängigen Parthei, die so viele Hindernisse aus dem Wege zu räumen und so wenig Hülfsquellen zu ihrer Verfügung hatte, stets höchst ehrenvoll. In sechzehn Jahren hat sie eine Revolution bewirkt, die acht bis zehn mächtige Nationen schuf, den politischen Zustand eines halben Continentes völlig umkehrte und ihm eine schönere Aussicht auf eine glückliche Zukunft eröffnete, als auf irgend eine andere Weise möglich gewesen wäre.
Es liegt hier nicht in unserm Plane, die einzelnen Ereignisse zu schildern, welche den Gang der südamerikanischen Revolution bezeichneten, da die allgemeine Bekanntschaft mit denselben, welche wir bei unseren Lesern voraussetzen dürfen, hinreichend ist, um in unsere Betrachtungen über die neue Organisation einzugehen, die das Resultat derselben war.
[55] Auf den ersten Blick muß die Uebereinstimmung der Verfassungen, welche sich die ehemaligen spanischen Colonien gegeben haben, mit der Verfassung der Vereinigten Staaten in die Augen fallen.
Auch sie haben ein repräsentativ-demokratisches System eingeführt, auch sie haben eine einzige oberste Magistrats-Person an die Spitze der Verwaltung gestellt, auch sie haben zwei legislative Körperschaften, deren Mitglieder, wie die höchste administrative Behörde, vom Volke erwählt werden. Die ganze äußere Verfassung von Nord- und Südamerika ist in allen nur irgend wesentlichen Punkten dieselbe. Drei oder vier der neuen Staaten haben sogar auch das Föderativsystem angenommen, und alle übrigen neigen sich mehr oder weniger zur Aufnahme desselben hin. Wo dasselbe noch keine positive Gültigkeit hat, ist freilich eine Unähnlichkeit vorhanden, der wir aber doch keine so hohe Bedeutung beilegen können, daß wir [56] deshalb die Gleichartigkeit mit der nordamerikanischen Staatsverfassung in Zweifel ziehen möchten. Selbst Brasilien ist trotz seines erblichen Oberhauptes und seines Senates offenbar nach demselben Originale copirt. Nur die Verfassung des räthselhaften Paraguay hat weder mit der nordamerikanischen, noch sonst einer bestehenden Verfassung Aehnlichkeit; diese bleibt daher auch von unserer Untersuchung ganz ausgeschlossen.
Und dennoch stehen wir nicht an, den Charakter der südamerikanischen und der nordamerikanischen politischen Organisation für wesentlich verschieden zu erklären.
Als die Nordamerikaner sich eine Verfassung gaben, hatten sie allerdings Vorbilder vor Augen, die sich durch die Geschichte ein Recht auf diese Auszeichnung erworben hatten; sie entlehnten von mehreren fremden Gesetzgebungen Theile, von denen sie glaubten, daß sie auch auf die eigenthümlichen Verhältnisse ihres Landes Anwendung litten; aber sie hüteten sich wohl, geradezu die Form irgend einer schon bestehenden Verfassung nachzubilden. Freilich war damals keine Staatsverfassung vorhanden, von der es ihnen nur hätte in den Sinn kommen können, sie zum Muster zu nehmen; aber dies kann den allgemeinen Satz nicht widerlegen, daß der wahre Werth einer guten Verfassung nur darin besteht, daß sie dem Volke und seinen Verhältnissen angemessen sey. Wie steht es hienach nun um die neuen amerikanischen Verfassungen? Das Außenwerk, die Schale der Konstitution der Vereinigten Staaten haben sie ängstlich genug nachzuformen gestrebt; aber der Geist, das innere Wesen, das der äußern Hülle erst Werth gibt, ist ihnen entwichen. – Bei näherer Betrachtung muß gerade der Umstand, daß eine bestimmte Regierungsform bei einer bestimmten Nation mit einem außerordentlich glücklichen Erfolg gekrönt worden ist, es höchst zweifelhaft machen, ob sie, so wie sie dort besteht, auch in andern Ländern dieselben Resultate hervorbringen werde. Je mehr sie der Eigenthümlichkeit des Volks, den eigenthümlichen Verhältnissen des Landes angepaßt war, desto erfolgreicher muß sie bei diesem Volke und in diesem Lande wirken, aber eben deshalb wird sie in andern Ländern, deren geographische Lage, Klima, Volkscharakter und Produkte andere Bedürfnisse erzeugen, auch um so weniger gute Früchte tragen, je größer die Verschiedenheit zwischen beiden Ländern ist. Nun giebt es aber wohl kaum zwei Nationen, deren Lage nicht in mehreren der wichtigsten Punkte wesentlich verschieden wäre. Geht man daher überhaupt auf eine solche gefährliche Nachahmung fremder Staatseinrichtungen ein, so muß nothwendig bei jedem einzelnen Punkte zuvörderst genau untersucht werden, ob und in wiefern die Grundlagen, worauf das politische Gebäude aufgeführt werden soll, gleichartig sind. Irrt man sich – und das Irren hierin ist sehr leicht – so sind die schädlichen Folgen unberechenbar und in den meisten Fällen unheilbar. Diese Betrachtung ist es gerade, welche weise Gesetzgeber gewöhnlich dahin vermocht hat, den Geist des einmal bestehenden Zustandes zum leitenden Prinzip in allen Veränderungen der Verfassung zu machen. Im Allgemeinen lag dieses Prinzip auch der Ausarbeitung der nordamerikanischen Verfassung zum Grunde. Das große Ziel der Revolution war die Unabhängigkeit, und mit der Erreichung desselben mußten die Fehler des alten von selbst fallen. Alle alten Einrichtungen wurden beibehalten, insofern sie nicht mit der Abhängigkeit vom Mutterlande in Verbindung gestanden hatten: die Hauptaufgabe der Gesetzgeber war nach der Anerkennung dieses Grundsatzes nur: die Lücken, welche durch die Trennung nothwendig hervorgebracht werden mußten, auf eine Weise auszufüllen, die dem Geiste der übrigen Einrichtungen entspräche. Die Ernennung der Regierungs-Mitglieder und der Räthe in den einzelnen Staaten mußte neu bestimmt, statt des früheren Verhältnisses zum Könige ein anderes an die Stelle gesetzt werden. Dort füllte jeder einzelne Staat die Lücke aus, hier die Union. Im übrigen berührte man die bestehenden Institute kaum. Einige Jahre nach der Konstitution erkannte man das erste Unionsprinzip für mangelhaft, und führte statt dessen ein anderes ein, und dieß ist die einzige Abänderung von Bedeutung, die bis jetzt vorgenommen wurde.
Hätten nun die Gesetzgeber des spanischen Amerika’s sich dieses Verfahren der nordamerikanischen Staatsmänner zum Muster genommen, statt ihr Werk zu sanctioniren; so hätten sie gewiß einen besseren, jedenfalls einen sicheren Weg eingeschlagen. Ihre Handlungsweise wäre indessen ganz gerechtfertigt, wenn man annehmen könnte, daß die Verhältnisse, durch welche die ganze Eigenthümlichkeit des Volks in den beiden Amerikas bedingt wird, in hohem Grade übereinstimmten; und es ist daher nicht unwahrscheinlich, daß die südamerikanischen Gesetzgeber von dieser Voraussetzung ausgingen.
Es mag anmaßend scheinen, hierin von ihnen abweichender Meinung zu seyn, aber wir müßen dennoch bekennen, daß wir keine einzige auffallende Aehnlichkeit finden können, dagegen manche Unterschiede zu entdecken glauben, die es wenigstens sehr zweifelhaft machen, ob bei den beiden Völkern die gleichen Staatseinrichtungen auf gleiche Weise wirken werden. Betrachten wir zum Beispiel die Vertheilung des Eigenthums, von welcher doch niemand läugnen wird, daß sie einen höchst wichtigen Einfluß auf den Zustand eines jeden Volks ausübt, so zeigt sich hier die größte Verschiedenheit zwischen den Vereinigten Staaten und dem übrigen Amerika. Als die Nordamerikaner die Zügel der Regierung selbst ergriffen, fanden sie das Eigenthum schon sehr gleichmäßig vertheilt; fast die gesammte Bevölkerung (abgesehen von den Negersklaven) befand sich in einer unabhängigen Lage, und besaß alle Einsichten und Tugenden, welche eine solche Stellung natürlich mit sich bringt. Seit Jahrhunderten im Besitze ausgedehnter politischer Rechte, hatte sie gelernt, von denselben verständigen Gebrauch zu machen. Auf dieseer Grundlage war es nicht schwer, eine freie Repräsentativverfassung aufzuführen, und die Uebereinstimmung des Regierungs-Systems mit der Lage des Volks und der Bildungsstufe, worauf dasselbe steht, ist es, welche die nordamerikanische Verfassung so beglückend und zugleich so dauerhaft macht.
[63] Im spanischen Amerika war im Gegentheil das Eigenthum von jeher sehr ungleich vertheilt gewesen; wenige Privilegirte befanden sich im Alleinbesitz alles Grundeigenthums. Die Folge hievon war, daß weder die Bequemlichkeiten des Lebens, noch Kenntnisse und Aufklärung sich unter die Masse des Volks verbreiteten, und da die unprivilegirten Volksklassen keine politischen Rechte besaßen, [64] so konnten sie auch keine politische Einsicht erhalten. Ist es wahrscheinlich, daß eine freie Volksregierung, die auf solcher Basis ruht, dauerhaft seyn könne? Wir wollen nicht geradezu das Gegentheil behaupten, aber so viel dürfen wir sagen, daß diese Basis wesentlich von der verschieden ist, worauf die Vereinigten Staaten ihre Verfassung gebaut haben; daß also, wenn dennoch dieselben Institute für das spanische Amerika brauchbar sind, dies seine andern Gründe haben muß, als es dort hat.
In den meisten, oder in allen diesen neuen Staaten hat man Gesetze gemacht, welche die gleiche Vertheilung des Eigenthums unter Geschwistern verordnen, um dadurch allmälig die Zerstückelung der großen Besitzungen zu bewirken. Da einmal die democratische Regierungsform eingeführt ist, so ist dies ohne Zweifel gut und zweckmäßig, aber man kann jenen Schritt doch kaum anders betrachten, als einen Versuch den Zustand des Volks einer Verfassung anzupassen, die auf dem Wege der Theorie entstanden ist. Der Weg, welchen die Gesetzgeber der Vereinigten Staaten befolgten, ist dagegen der, das Volk zu nehmen, wie es ist, und seiner Eigenthümlichkeit gemäß die Verfassung zu wählen. Das Volk bekam daher hier eine Staatsverwaltung, die für die Gegenwart taugt, und Verbesserungen, welche die Zeit nothwendig macht, blieben einer allmäligen Einführung auf dem Wege der Gesetzgebung überlassen.
Es liegt uns viel daran, nicht mißverstanden zu werden, und wir müssen uns daher die Erlaubniß erbitten, noch ein Wort hinzufügen zu dürfen. So entschieden man auch liberalen Regierungsformen zugethan seyn mag, so muß man doch stets eingedenk seyn, daß es nichts nützen kann, einen bloßen Schatten von Volksherrschaft aufzustellen, wenn derselbe in Jahrhunderten noch keine Realität bekommen kann. In den Vereinigten Staaten giebt es noch beinahe zwei Millionen Negersklaven, während man in den Versammlungssälen des Senats täglich mit Begeisterung für die Freiheit reden hört. Und dieß ist keineswegs ein Widerspruch zwischen Wissen und Wollen, oder Wollen und Thun. Ist es denn nicht ganz etwas anders, die Freiheit lieben, als Mord und Aufruhr wünschen, welche die unausbleibliche Folge einer gleichzeitigen und allgemeinen Freilassung der Negersklaven seyn müßten? So ist auch nicht jede Veranlassung um deswillen allein schon politisch gut zu heißen, weil sie die äußere Freiheit fördert; vielmehr muß vor allen Dingen erst das Volk, dessen Wohl sie fördern soll, verstehen, was wahre Freiheit sey.
Was wir von den Verfassungen der südamerikanischen Staaten im allgemeinen darzuthun gesucht haben, gilt in noch viel höherem Grade von der Einführung eines Föderativsystems, wie es die Union der Vereinigten Staaten aufstellt. Hier übersehen die Gesetzgeber des spanischen Amerika’s offenbar völlig den Geist, aus welchem es dort hervorging. Die Union war das Werk einer Anzahl von Repräsentanten ganz von einander unabhängiger Gemeinwesen, die einen Bund mit einander geschlossen hatten, wie völlig souveräne Staaten. Dieser Bund, der ganz ohne die Absicht einer immerwährenden Vereinigung abgeschlossen war, macht die historische Basis der Union aus. Das spanische Amerika war allerdings auch in eine Anzahl völlig von einander unabhängiger Provinzen getheilt, die den Namen Königreiche oder Generalcapitanate führten, aber an eine Föderation dieser Reiche ist niemals gedacht worden. Mehrere einzelne Provinzen haben indessen bei der Organisation ihrer innern Verfassung ihr Ländergebiet willkürlich in unabhängige Staaten eingetheilt, „um sie nachher wieder nach dem Föderativsystem unter einander zu verbinden.“ Wir wollen nicht unbedingt behaupten, daß dieses Verfahren unweise war, und daß es einen nachtheiligen Einfluß auf das künftige Schicksal dieser Staaten haben muß; aber so viel sieht jedermann, daß es mit dem was die Gesetzgeber von Nordamerika thaten, gar keine Aehnlichkeit hat; das Prinzip, wornach diese handelten, ist gerade das entgegengesetzte. Hier will man eine naturgemäße Vereinigung, dort willkürliche Trennung. Man zerreißt eine feste und innige Verbindung, um ein loses und bloß äußeres Band wieder zu knüpfen.
Wir wissen übrigens sehr wohl, daß es weit leichter ist zu sagen, was nicht hätte geschehen sollen, als anzugeben, was hätte gethan werden müssen, und auch selbst jene negativen Behauptungen haben nur in sofern Wahrheit, als sie die allgemeine Regel angeben. Daß der neue Zustand Südamerikas’s keine historische Anknüpfung an den alten hat, wie zu wünschen wäre, ist gewiß, und hierin liegt ein unleugbarer Mangel. Denn wie wäre wohl ein so verkehrter Zustand der Dinge denkbar, daß man bei einer Verbesserung desselben alles bis auf das Kleinste und Geringste umstoßen müßte. Ob dieß im spanischen Amerika der Fall gewesen sey, wollen wir nicht entscheiden, und wir entfernen gerne durch dieses Geständniß unserer Unkenntniß noch mehr allen Schein von uns, als hätten wir gegen irgend eine Persönlichkeit unsern Tadel aussprechen wollen.