Textdaten
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Autor: Anton von Perfall
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Titel: Truggeister
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1-16, S. 16-18, 31-34, 48-52, 62-64, 79-83, 92-97, 112-115, 128-130, 143-148, 160-163, 176-180, 192-196, 210-214, 234-236, 250-255 und 267-271
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[16]

Truggeister.

Roman von Anton von Perfall.

Der Tag graute noch kaum, dichte kalte Herbstnebel ließen ihn nicht durchdringen. Die schwarzen Umrisse der Pappeln lösten sich eben aus dem Nichts, raschelnd jagten die Blätter, vom Morgenwinde getrieben, über die gefrorene Landstraße. Eine Reihe einstöckiger, wie nach einem und demselben Plan gebauter Häuser, mit langen, rückwärts in das Feld sich streckenden Bretterzäunen, zog sich in gleichen Zwischenräumen zur rechten Seite derselben hin, der Plänklerkette eines noch unsichtbaren Feindes vergleichbar.

Alle diese Häuser lagen noch in tiefem Schatten, nur eines wachte bereits. Ein gelber Lichthof bildete sich im Nebel, zwei dunkle Gestalten regten sich wie Schattenbilder darin in rhythmischer Bewegung.

Es war Vater Margold, der Gärtner, der laut zählend seinem auf einem Wagen stehenden Sohne Kohlköpfe zuwarf. Bei „Hundert“ hörte er auf.

„Genug, Hans! Jetzt rasch die Blumen und die zwei großen Yucca! Ist schon alles hergerichtet – rasch! rasch! Beim Weinmann drüben sind sie jetzt auch schon auf, und unser Fuhrwerk war sonst immer das erste.“

„Als ob was dran läg’!“ entgegnete sichtlich übelgelaunt der junge Mann.

„Ja, Euch jungen Leuten liegt freilich nichts daran, das ist eben das Elend! Wo Ihr einen Stolz haben solltet, da habt Ihr ihn nicht, aber sonst alleweil oben hinaus!“

Der junge Mann brummte etwas Unverständliches und ging mit der Laterne in den Schuppen. „Schau nur, daß die Bertl fertig wird, wegen meiner brauchst Dich nicht zu kümmern!“ rief er.

Vater Margold ging, das graue Haupt schüttelnd, über den Flur und die knarrende Holztreppe hinauf.

An einer der Thüren klopfte er.

„Bertl!“

„Was giebt’s?“ fragte eine helle Mädchenstimme. „Bist Du’s, Papa? Komm’ nur herein, ich bin schon fertig.“

Margold trat in die niedere Stube. Peinliche Sauberkeit herrschte da bis in die Ecken hinein, ein warmer feuchter Duft lag darüber, der von den Töpfen mit frischem Samen am Fenster ausging. – Vor dem überhängenden Spiegel stand Bertl, sein Kind, und legte die letzte Hand an ihre Toilette.

Sie rückte das spitz zulaufende Hütchen, strich die Falten des Regenmantels in der Taille zurecht, ordnete mit den Fingern die Löckchen an den Schläfen, wandte sich rechts, wandte sich links und zuletzt mit einem Ruck ganz dem Vater zu, militärisch mit den Stiefelchen aneinander klappend.

„Nun, wie gefall’ ich Dir, Papa?“

Der Alte humpelte mit den Schlappschuhen um sie herum und strich da und dort mit seinen krummen erdigen Fingern sorgfältig ein Fältchen zurecht.

„Gefallen? – Was gefällt mir nicht an Dir? Das ist’s ja eben! Aber schau’, ich mein’ halt – die Bertl Margold bist Du nicht, die Gärtnerstocher von Haching.“

„Alles zu seiner Zeit, Papa!“

„‚Vater‘! Bertl, ich bitt’ Dich – ‚Vater‘!“ flehte der Alte.

„Im Garten, bei der Arbeit, wirst Du Dich über meine Toilette nicht beklagen können. Das ist eben der Unterschied zwischen Euch Alten und uns Jungen! Ihr haltet es für ein Verbrechen, als Arbeiter denselben Rock zu tragen wie die vornehmen Leut’, und meint, Ihr seid aus einem andern Holz geschnitzt als diese – wir denken ein bißchen anders darüber und kleiden uns ebenso, wenn es uns Spaß macht und wir einen guten lieben Papa – Vater wollt’ ich sagen, haben, der uns das Geld dazu giebt ...“

Sie umarmte und küßte die gebräunten lederartigen Wangen.

„Deswegen sind wir um kein Haar schlechter und rühren ebenso die Händ’, wenn es noth thut – oder ist’s etwa nicht so? Hundert Kohlköpfe gestern zurecht gemacht mit diesen Händen – na, sie sind auch danach!“

Bertl spreizte die kräftigen, für ihre sonst schlanke Erscheinung etwas derben rothen Hände.

„S’ ist wahr. Du arbeitest für zwei! Aber schau – wenn ich so zurück denk’, wie ich jung war – da – man lernt’s halt’ nicht mehr in meinen Jahren –“

„Wie Du jung warst, da war Haching eben noch Haching, ein Bauernnest, und die Stadt M ... ein Landstädtchen, und jetzt giebt es bald kein Haching mehr und wir sind Bürger von M ..., Großstädter! Man muß sich jetzt schon vorbereiten – das kommt über Nacht,“ erklärte das Mädchen.

„Großstädter!“ Der Alte nickte mit dem Kopfe. „Das ist eben das Elend, wir werden aufgefressen von der verdammten Kreuzspinne! Wie weit wir auch fliehen, sie erreicht uns dennoch mit ihren endlosen Fangarmen, das ist ja eben das Elend!“

„Und alle Hachinger, außer Dir, können es nicht mehr erwarten, bis sie aufgefressen werden, um dann in dem Bauch der bösen Spinne ein behagliches Leben zu führen –“

„Nicht alle außer mir! Es giebt noch Männer, die keinen Segen darin sehen, trotz des augenblicklichen Vortheils!“

„Du meinst den Herrn von Brennberg, ich weiß schon – ja, der ist hartgesotten, aber der junge Herr denkt auch anders; wir Jungen rechnen eben ein bißchen –“

„Rechnen?“ – Vater Margold lachte. – „Der junge Brennberg und rechnen? Ja, wie er das Geld seines Vaters am besten durchbringt! ’S ist keine Solidität mehr darin. Und Ihr werdet schon sehen, wie es endet, Euer Rechnen, ich erleb’s nicht mehr, Gott sei Dank!“

[17] Ein dreimaliges Peitschenknallen tönte von der Straße herauf und das Rasseln fahrenden Fuhrwerks.

„Komm, Bertl!“

Sie gingen die Treppe hinunter. Hans saß bereits auf dem Wagen; er trug auffallend sorgfältige städtische Kleidung, ein hellgrauer Filzhut auf dem glatt gescheitelten Haar und ein hellbrauner Ueberzieher gaben ihm ein fast sportsmännisches Aussehen. Frau Margold, die Mutter, eine untersetzte Frau, der man die jahrelange harte Arbeit ansah, stand in eifrigem Gespräche neben dem Gefährte; aber sie paßte in ihrem Werktagskleid gar nicht zu ihren Kindern.

„Jetzt bin ich allerdings nicht mehr der erste,“ sagte Hans, seiner Schwester Platz machend.

„Ja, bis die Bertl fertig ist!“ meinte Frau Margold, mit strahlender Miene ihre Tochter betrachtend. „Aber verstehen thut’s halt das Mädel, ich hab’s mein Lebtag nicht so zusammengebracht – nur schad’, daß die Krautköpf’ Euch verrathen!“

„Verrathen als die Gärtnerskinder! Das ist gut,“ sagte bitter Margold.

„Geh’, Alter, werd’ nicht wieder spitzig! Du weißt ja, wie ich’s meine. Das mußt Du doch selber sagen, daß die Zwei nimmer recht da hinaufpassen – andere Zeiten, andere Leut’!“

„Natürlich, sag’ nur gleich, daß es eine Schand ist – – fahr’ zu, Hans!“

Ein flotter Traber war vorgespannt. Hans verstand es, wie ein Kavalier die Zügel zu führen, das Gefährt sprang nur so auf der gefrorenen Straße, daß die Kohlköpfe lustig in die Höhe hüpften und die Yucca sich in ihren Töpfen schüttelten. Der Traber flog vorbei an den schweren Fuhrwerken, die sich der Straße entlang der Stadt zu bewegten. Hans wollte doch der erste sein.

Allmählich zerrissen die Nebel, die bereiften, gefrorenen Aecker dampften im Morgensonnenstrahl. Es war empfindlich kalt, üble Gerüche verschiedenster Art durchzogen die Luft, entströmten den unzähligen, im Brachfelde zerstreuten Leim-, Farben-, Dachpappen- und anderen stadtverbannten Fabriken, die hier auf Rechnung von Gottes freier Natur ihr Unwesen trieben. Dazwischen bildeten sich bereits geradlinige Häuserreihen – Wirthschaften, Wohnungen von Kleingewerbsleuten – Arbeiterquartiere; und jetzt rasselte das Gefährt an dem ersten Neubau an der Landstraße vorbei, einer riesigen Miethkaserne, der in kurzen Zwischenräumen andere sich anschlossen, weiter vorgeschrittene, eben vollendete, schon bewohnte, links und rechts der Straße. Die Pappeln waren schon längst verschwunden, seitwärts in die Felder zogen sich bereits weit hinaus frisch ausgesteckte Straßen, Grund wurde ausgehoben – überall Arbeitslärm, Reihen von Ziegelfuhrwerken – es war einer der vielen Fangarme von Margolds so gefürchteter Spinne, welche täglich ein neues Glied ansetzte. Das Unthier schien jetzt einen bestimmten Raub gierig ins Auge gefaßt zu haben, so zielbewußt reckte es die Fänge – – Haching!

Das Stoßen des Wagens ließ die Geschwister nur zu einem abgerissenen Gespräch kommen. Die Neubauten beschäftigten sie beide. Wie stattlich die mit aufgepappter Stukkatur geschmückten Fronten dalagen! Kaum eingedeckt, waren die Häuser auch schon bewohnt! Diese Einnahmen von einem Stück Boden, auf welchem vor einem Jahre noch schlechte Kartoffeln wuchsen! Und da jammerte der Vater über die Kreuzspinne, die, nachdem er selbst sie sein ganzes Leben lang mit seiner Arbeit hatte ernähren helfen, jetzt in der Ueberfülle ihrer Kraft sich dehnte und streckte! Im Gegentheil, sie war ein dankbares Geschöpf, welches ihm seine viele Arbeit, den vielen um sie vergossenen Schweiß reichlich lohnen wollte, indem sie ihn in ihre steinernen Fänge schloß. – So dachten beide.

Rechts von der Straße, von Fabriken und Neubauten fast verdeckt, erblickte man im freien Felde ein schloßähnliches Bauwerk im französischen Stil des vorigen Jahrhunderts, an welches sich ansehnliche Wirthschaftsgebäude anschlossen.

Es bildete mit seiner vornehmen alterthümlichen Fassade einen starken Gegensatz gegen die geschmacklosen nagelneuen Kasernenbauten, welche dem Schlößchen bedenklich auf den Leib rückten. Die Spinne war sichtlich auch danach lüstern; quer über die Felder richtete sich drohend eine eben im Bau begriffene Häuserreihe gerade gegen die Front des Gebäudes, wenn auch noch eine ansehnliche Strecke Feldes dazwischen lag.

Hans stieß mit dem Arm die Schwester an und wies mit der Peitsche hinüber.

„Der Brennberg ist auch so ein Narr, thut alles, um die Ausbreitung der Stadt nach seiner Seite zu verhindern, und pflanzt seine Erdäpfel weiter, nur wegen des alten Kastens, der schon seinem Urgroßvater gehört hat. Könnt’ ein Millionär sein, wenn er wollte – na, der Lieutenant wird ihn schon mürbe machen! Ein fescher Mann, der junge Brennberg, nicht wahr, Bertl?“ Er lachte verschmitzt. „Dein Freund!“

Bertl ließ ihr von der Kälte geröthetes Antlitz in dem hohen Kragen des Regenmantels verschwinden.

„Das war er auch, wie der Vater noch dort im Dienst stand – Gott, wir waren Kinder, die kennen keinen Unterschied! Jetzt ist das alles aus! Ein Offizier und eine Gärtnerstochter von Haching – das wär’ eine nette Freundschaft!“

„Wenn Du eine Gärtnerstochter von Haching bleibst, dann ist’s freilich aus – aber ein reiches Bürgermädel von M .... ist auch für einen Lieutenant gut genug.“

„Dazu habe ich alle Aussicht!“ meinte Bertl.

„In vier Wochen könntest Du’s sein, wenn der Alte vernünftig wär’! Der alte Weinmann, unser Nachbar – da hast Du’s ja – heute soll’s verbrieft werden – 100 000 Mark kriegt er für seine zwei Hütten und seine drei Acker Land, und unser Vater hat mehr im ganzen.“

„Wirklich, 100 000 Mark? Und da springst Du und singst Du nicht? Da brauchst Du ja den Vater gar nicht mehr!“

„Warum?“

[18] „Geh’, verstell’ Dich nicht so! Glaubst Du, ich hab’ keine Augen und kenn’ Dein Techtelmechtel nicht mit der Loni Weinmann? Sie selbst hat mir schon davon erzählt.“

„Ich leugne’s auch nicht,“ entgegnete Hans, das Pferd zu stärkerem Lauf antreibend; „aber grad die 100 000 Mark ändern die Sach’, ich kenn’ die Loni!“

„Die können’s doch nur zum Guten ändern, mein’ ich.“

„Das meinst Du, die Bertl; die Loni denkt aber anders, die will jetzt keinen Gärtnerburschen von Haching mehr zum Mann haben – die will höher hinaus –“

„Eine nette Lieb’!“ warf Bertl ein.

„Aber es ist so, und recht hat sie!“ Hans hieb zornig auf das Pferd, daß dieses einen Seitensprung machte und ein Krautkopf auf die Straße kollerte. „Wenn man aus dem Elend einmal heraus ist, will man nicht wieder hinein, und am End’ – der Vater ist ein kräftiger Mann – der kann noch –“

„Hans!“ fuhr Bertl auf, „schäme Dich! Laß sie laufen, es ist kein Schade um so ein herzloses Ding. Sei froh, daß Du sie zur rechten Zeit erkannt hast! Wenn ich so seh’, wie’s Geld doch schlecht und hart macht, mein’ ich, der Vater hat am End’ ganz recht. Es käm’ mich selber hart an, von meinen Blumen weg zu müssen, aus meinem Garten, wo ich jede Pflanze kenn’; es ist doch eine schöne, lustige Arbeit, viel lustiger, als den ganzen Tag in so einem langweiligen steinernen Haus zu sitzen und sich zu langweilen wie eine vornehme Dame. Abgehen thut uns ja nichts – er hat ganz recht, der Vater!“

„Nun, dann schlag’ Dir den Lieutenant aus dem Kopf und behalte Deine Blumen und Krautköpf’ dafür, Bertl!“

„Was Du nur mit dem Brennberg hast – als ob ich – ich verbitt’ mir das, Hans, als ob ich – es ist zu unartig, wenn Du so sprichst, was sollen die andern Leut’ – – kann ich dafür, wenn er mir überall nachläuft? Du solltest mich in Schutz nehmen gegen ihn, anstatt – anstatt –“ Bertl standen die Thränen in den Augen – „o, ich hasse diese Stadt! Der Vater hat ganz recht – ganz recht hat er!“

„Du bist nicht gescheit, Bertl,“ entgegnete Hans, „als ob ich Dir nicht recht gäbe? Nur nicht so heucheln sollst Du. Schau – wir wollen alle beide was besseres werden, als der Vater und die Mutter waren – wollen einmal das Leben besser genießen. Das macht der Stadtwind, da nutzt alles nichts, und daß Du es als Frau von Brennberg genießen willst, das werd’ ich Dir nicht verdenken – war auch alles schon da – es kommt nur drauf an, wie man’s angreift.“

„Jesus, was der Mensch heut’ alles zusammenred’t! Als ob ich daran dächte!“ – –

Man war jetzt in der eigentlichen Stadt angelangt, Bertl trocknete sich rasch mit dem Taschentuch die nassen Augen, rückte das Hütchen zurecht und zog dann den Schleier wieder herab.

Auf den Straßen drängte sich zu dieser frühen Stunde nur die arbeitende, dienende Klasse, die Fenster der vornehmen Häuser waren alle noch mit schweren Gardinen verhangen. Bertl fiel das heute besonders auf, und ihre Phantasie schlüpfte hinter die Vorhänge in prächtige Gemächer mit kostbaren Möbeln, kostbaren Spitzenbetten, jeden Laut dämpfenden Teppichen – sie hatte das alles schon als Mädchen gesehen, wenn sie mit Aufträgen ihres Vaters in die Häuser der Reichen kam. Heute aber sah sie sich zum ersten Male selbst hinter diesen verschwiegenen Gardinen, in dem duftigen Spitzenbett, und vor ihr stand ein schöner junger Mann in glänzender Uniform und drückte einen Kuß auf ihre Stirn, wie es bei den Vornehmen Sitte ist, und wünschte ihr guten Morgen. – – Lieutenant von Brennberg! – Von einem Fenster zum andern schweifte ihr Blick und hinter jedem sah sie dasselbe Bild! –

Jetzt kam man durch das Geschäftsviertel – da verschwand der schöne Traum, und um sie her sprangen wieder die Krautköpfe, gaukelten die Blumen, die sie so sehr liebte, von denen sie sich nicht trennen konnte, wie sie eben dem Bruder gesagt. Wie das alles durcheinander stürmte hinter der kleinen, schneeweißen Stirn! Daran war nur der Hans schuld mit seinem dummen Geschwätz.

Nun war man auf dem Marktplatze. Der wirre Lärm, das bunte Gedränge, diese ihr heimische Atmosphäre von Obst– und Blumenduft, Fleisch- und Fischgeruch verscheuchten auf einmal alle müßigen Gedanken. Rasch eine Schürze vorbindend, griff Bertl wacker zu, die Blumentöpfe und die Yucca mit dem Bruder in den Stand zu schleppen, auf welchem in goldenen Buchstaben stand: „Thomas Margold.“

Der Markt war bereits gefüllt, es schillerte von kräftigen bunten Farben; da lagen in Pyramiden aufgeschichtete rothbackige Aepfel, strotzende Trauben, Berge von Gemüsen in allen Schattirungen des Grün, daneben scharfriechende Gewürzpflanzen, Sämereien, in zierlichen Säckchen ausgestellt, verlockende Butter in großen Ballen, ätzend riechendes Sauerkraut in mächtigen Kübeln, weißglänzendes Schmalz und in der Sonne rosig schimmernde Eier; dazwischen tönte das Gegacker unzähliger Hühner, das Gequiek der Schweinchen, Gemecker der Lämmchen und Gurren der Tauben – das lärmende, lawinenartig sich fortpflanzende Gefeilsche der Käufer und Verkäufer, das Fluchen der Bauern und Fuhrleute, helles Gelächter – – das alles sammelte sich im Glanze der Oktobersonne zum farbigen, kraftstrotzenden Lebensbilde. –

Die fruchtreiche, liebevolle Erde schüttete hier ihre Schätze auf zur Fütterung des steinernen Kolosses, der hochmüthig mit seinen Thürmen und Palästen hinausblickte auf ihre durchwühlten bescheidenen Fluren, und ihr kräftiger aromatischer Duft lag wie eine segenbringende Wolke über dem Platz, den wüsten Dunst verbrauchter Luft, den Qualm des Häusermeeres ringsumher besiegend. –

Neben dem Verkaufsstand Thomas Margolds lag der seines Nachbarn von der Landstraße, des Gärtners Weinmann. Er war heute geschlossen und bildete einen schmutzig grauen Fleck inmitten des Blumenwaldes ringsum. Jedermann wußte, warum. Weinmann hatte sein Anwesen verkauft, der Kaufpreis betrug, wie der junge Margold berichtete, 100 000 Mark; er verursachte allgemeine Aufregung. Weiber und Männer starrten in Gruppen mit einer gewissen Ehrfurcht auf den alten staubigen geschlossenen Kasten. Solch ein Glück! Das große Los! Und womit haben sie es denn verdient, die Weinmanns? Waren sie besser wie andere? Nur, weil ihr Anwesen gerade im Wege lag! Warum hatte man nicht auch das Glück? Warum mußte diese verfluchte Stadt gerade dorthin sich ausdehnen, auf der andern Seite konnte man sich zu Tod arbeiten und kam doch zu nichts. Nun, der wird jetzt den Großen spielen, und die Loni, diese eitle Person, wie wird’s die jetzt erst treiben!

Diejenigen, welche in gleicher Richtung wie Weinmanns ihre Gärten hatten, befiel ein ordentliches Fieber; sie berechneten mit pochendem Herzen ihren jetzt sicheren Erlös, sie sahen schon den Tag nahe, wo auch ihr Stand geschlossen sein würde, wo auch sie zu den Verzehrenden, nicht zu den Ernährenden dieser Stadt gehören, wo sie der schwarzen Erde, die sie ein Leben lang umgewühlt hatten, Lebewohl sagen würden, wo das ewige Säen endlich aufhörte und die ewige mühelose Ernte begann.

Kein dankbarer Gedanke, kein Quentchen Liebe blieb übrig für die getreue stetige Ernährerin, die ihnen jede Arbeit reichlich gedankt hatte. Das lustige Brausen der Großstadt umher betäubte sie jetzt schon, und jeder hatte seine heimlichen üppigen Wünsche, die er dann zu befriedigen gedachte. Genießen, mühelos genießen!

Dieser Zuruf erscholl ja in allen Tonarten aus allen Häusern, aus den glänzenden Läden der stattlichen Paläste, aus den Restaurationen und Vergnügungslokalen, den üppigen Auslagen der Bilderläden, die sie auf ihrer Wanderung durch die Stadt so oft staunend mit geheimer Begierde betrachtet hatten. Das alles gehörte jetzt auch den Weinmanns, gehörte auch ihnen in kurzer Zeit, und der geschlossene Stand dünkte ihnen der Sarg der Arbeit – sie wollten ihn tüchtig vernageln, wenn sie einmal so weit wären, daß er gewiß sich nicht mehr öffnete und ihre Quälerin aufs neue ans Tageslicht erstehen ließe.

Hans war zunächst der Mittelpunkt des allgemeinen Neides; als Nachbar Weinmanns mußte sein Vater ja sofort an die Reihe kommen, und man konnte seine helle Freude nicht verbergen, als Hans den Starrsinn desselben schilderte – eines ausgemachten Narren in den Augen aller.

[31] Margolds Stand stach vortheilhaft ab gegen seine Nachbarn durch seine Sauberkeit und durch die mit den einfachsten Mitteln erreichte Gefälligkeit der Form, noch mehr aber durch die dort feilgebotene Ware; selbst den völligen Laien mußte es auffallen, wie dort alles nach Farbe und Wirkung sinnreich geordnet war: das Aufdringliche mehr zurück, das Bescheidene, Schlichte mehr im Vordergrunde. Dann die großen und kleinen Sträuße und Kränze, welcher Geschmack bei aller Einfachheit! Sie wären einem sinnigen Gemüthe auch in der glänzenden Auslage der hauptstädtischen Kunstgärtner aufgefallen. Das Publikum, das diese beehrte, das Publikum hinter den seidenen Gardinen, welche heute morgen in Bertl so sonderbare Gedanken hatten aufsteigen lassen, kaufte allerdings nicht bei Margolds. Ihre Kunden waren ein ganz anderes, eigenes Publikum, das sich schwer unter bestimmte Begriffe fassen ließ – das Publikum der Dachstuben, der Hinterhäuser, die „kleinen Leute“ nach dem großstädtischen Ausdruck; der arme Student, der Ladenjüngling, der junge Künstler, der Arbeiter, der Unteroffizier, der mit sorgfaltiger Wahl ein Sträußcheu ersteht für sein Liebchen; die junge Frau, die mit strahlendem Antlitz ein Angebinde aussucht für irgend ein häusliches Fest, für den kleinen Liebling, für den Gatten, oder zum Schmuck des dürftigen Heims, das alte Mütterchen, das mit feuchten Augen und zitternden Lippen einen Kranz kauft für das Grab des letzten theuren Todten.

Dieses große Heer der vielgestaltigen Liebe, in dessen Panier immer und ewig die Blume prangt, zog täglich vor dem Stande Margolds vorüber. Bertl, durch deren fleißige Hände alle diese duftigen Liebesgaben gingen, kannte genau die Bedürfnisse ihrer Kunden. Sie verstand wie keine ihrer Genossinnen die Sprache der Blumen, unter denen sie aufgewachsen war, sie wußte auch die bescheidenste, werthloseste sinnig zu verwenden und so um billigen Preis den liebevollen Zweck des Käufers zu erfüllen. Und ihre Abnehmer fühlten das; sie kamen immer wieder, und die Nachbarn mit ihrer plumpen aufdringlichen Ware, mit ihren schlechten Nachahmungen der Kunstgärtnerei sahen mit scheelen Augen auf das unverschämte Glück neben ihnen, nicht ohne spitzige Bemerkungen über die schöne Verkäuferin.

Bertl betheiligte sich nicht an dem Gespräche über Weinmanns, sie war mit ihren Blumen beschäftigt, denn schon standen die ersten Kunden prüfend umher. Sie fühlte, die Arbeit war das beste Mittel gegen die dummen Gedanken, die sie jetzt so oft quälten. Sie war überhaupt nicht schuld daran, daß die begehrlichen Wünsche immer stärker sich aufdrängten, sie war ja ganz zufrieden und glücklich bei ihrer Hantierung, in dem kleinen Häuschen beim Vater, den sie so gern hatte, sie wünschte es sich gar nicht anders, die Stadt war ihr selbst zuwider, wo die armen Blumen in den staubigen Vorgärten, auf den öffentlichen Plätzen kränkelten. Der Bruder war schuld daran mit seinen verlockenden Reden und seinen Plänen von Reichthum und Wohlleben, auch die Nachbarstocher, die Loni, ihre Schulfreundin, die immer etwas Neues, Aufregendes wußte aus der Stadt, das ihr Blut so unruhig machte, und – dann noch jemand, das konnte sie nicht leugnen – der Lieutenant von Brennberg, ihr Jugendgespiele. Ihr Vater war Gärtner auf dem Gute seines Vaters gewesen, und jetzt war der junge Brennberg ihr einziger, aber ständiger Kunde aus den vornehmen Kreisen. Die treue Anhänglichkeit, die sie darin zu sehen glaubte, bestärkte nur ihre Neigung zu dem schönen jungen Manne. Er flüsterte ihr Schmeicheleien zu, deren Einfluß sie sich nicht entziehen konnte: sie sei viel zu gut für ein Gärtnermädchen; mit ihrer schönen, eleganten Erscheinung, ihrem künstlerischen Geschmack sei sie zu Besserem geboren, in der Stadt nur könne sie ihr Glück machen! Sie sei ja reich, wenn der Vater nur wolle, ein reiches Bürgermädchen, dem bei den jetzigen gesellschaftlichen Anschauungen die ganze Welt offen stehe – es war dasselbe, was ihr der Bruder heute auf dem Weg gesagt, und darum hatte es sie so gepackt. Ihre fast kokette Kleidung, die dem Vater so unnatürlich vorkam, war nur eine Folge davon; alle diese Redensarten vom Fortschritt der Jungen, mit welchen sie den alten Mann heute so gekränkt hatte, waren nur das Echo der Brennbergschen Ansichten, in ruhigen Stunden stand sie wieder ganz auf der Seite des Vaters.

Das Geschäft ging heute vortrefflich; der Aermste suchte ein Stückchen Sommer sich zu retten für den langen traurigen Winter, und Bertl war unerschöpflich in herzlichen Zusprüchen, guten Rathschlägen betreffs Behandlung ihrer Lieblinge, heiteren Bemerkungen und Anspielungen und, wenn es Noth war, kräftigen Trostesworten; sie suchte sich gewaltsam zu zerstreuen, um etwas zu verdrängen, das sich immer wieder in ihr regte.

Die Stunde vor Mittag war immer die lebendigste; Bertl konnte all den unentschlossenen, sich drängenden Käufern gar nicht mehr nachkommen; dann aber nahm der Zulauf mit einem Male ab, und sie konnte sich wieder mit dem Binden der kleinen Sträußchen beschäftigen, um die entstandenen Lücken auszufüllen. – Da kamen sie wieder, die bösen Gedanken, und zu allem Ueberfluß leistete ihr Hans noch Gesellschaft, der unterdessen seinen Gemüsehandel an der Rückseite des Pavillons beendigt hatte, und begann von dem Glück der Weinmanns zu schwärmen, seine Befürchtungen in betreff Lonis zu äußern, die ihm sichtlich näher stand, als er gestehen wollte. Er fand es zum Erstaunen Bertls ganz begreiflich, daß das Mädchen ihm von jetzt ab die Freundschaft kündigen werde, daß sie von nun ab mit dem Markt und seinem Trödelkram nichts mehr zu thun haben wolle, jetzt, da sie ebensogut wie jede andere berechtigt sei, die Dame zu spielen. Bertl meinte allerdings, eine wahre Liebe lasse sich dadurch nicht abschrecken, doch Hans, den grauen Hut im Genick, die Hände in den Hosentaschen, lachte hellauf darüber: das seien Hachinger Begriffe, die er sich schon längst abgewöhnt habe.

Bertl ging dabei die Arbeit nicht von der Hand, jeden Augenblick riß der Faden, die Rosen entblätterten sich, die Veilchen fügten sich nicht und neigten die Köpfchen nach innen – da klirrte es auf dem Trottoir, es gab ihr einen Stich in das Herz, sie wagte nicht, aufzusehen – wenn er nur heute nicht käme! Die Rose zitterte in ihrer Hand.

Hans beugte sich vor, blinzelte seiner Schwester lachend zu und zog sich pfeifend zurück.

Lieutenant Brennberg trat mit leichtem Gruß an den Pavillon.

„Guten Morgen, Fräulein Bertha! Immer fleißig und reizend, die personifizirte Flora!“

Er griff in einen Blumenkorb und suchte scheinbar nach etwas Geeignetem.

„Ich kann’s nicht ändern, es thut mir immer weh, wenn ich Sie unter all dem eckigen häßlichen Marktvolke da sehe, in dieser Bude Ihr junges Leben verträumend!“

„Verträumend! Wer sagt Ihnen denn das?“ entgegnete in verletztem Tone Bertl.

„Gewiß verträumend! Das ist doch kein Leben für ein junges, hübsches Mädchen, wie Sie sind, die in der Lage wäre, eine ganz andere Stellung einzunehmen, wenn nicht ihr Herr Papa so bockbeinig wäre. – Ah, was ist denn da mit Ihrer Nachbarin, mit der Loni? Vater gestorben?“ – Er deutete auf die geschlossene Bude Weinmanns.

„Er hat sein Anwesen verkauft um hunderttausend Mark.“

„Um hunderttausend Mark! Donnerwetter! Das ist ein Gebirge von Gemüse! Da sehen Sie es ja am besten, wie es mit Ihrem Vater stände. Er besitzt ja fast das Doppelte! Sie wissen, ich interessire mich für ihn, er zählt zu meinen liebsten Erinnerungen, der alte Gärtner Margold, und das hält nach in den Stürmen des Lebens, Fräulein Bertha!“

Er sagte die letzten Worte in einem ernsten, dem lebenslustigen Manne sonst fremden Tone.

Bertl wurde feuerroth und nestelte in den aufgeschütteten Blumen.

„Ich glaube es Ihnen, Herr von Brennberg, wir alle hegen so auch die innigste Verehrung für Ihren Herrn Vater, der so viel Gutes für uns gethan hat.“

„Ach, gehen Sie, das meine ich nicht! Gutes gethan! Ich meine, Ihr Vater sollte endlich einmal Vernunft annehmen und sich ein behagliches Alter verschaffen, wie man es ihm von allen Seiten anbietet –“

„Und macht es Ihr Herr Vater nicht ebenso? – Könnte er nicht auch ein reicher Mann sein, wenn er aus seinem Gute Baugründe machen würde? Und doch thut er es nicht!“

[32] „Ganz richtig, Fräulein Bertha, derselbe Eigensinn, ganz richtig! Aber bei Ihnen wäre der Unterschied zwischen den zukünftigen Verhältnissen und Ihren jetzigen immer noch bedeutender. Sie würden damit in einen ganz andern Lebenskreis treten. Was kümmert man sich heutzutage um die Vergangenheit!“

„Wie meinen Sie das, Herr Lieutenant? Ich denke, unsere Vergangenheit war eine durchaus ehrliche, die jeder wissen darf!“ entgegnete Bertl etwas gereizt.

„Aber, Fräulein, es liegt mir doch fern, Sie beleidigen zu wollen! Alle Achtung vor der Arbeit, dem Handwerk! Gott, heutzutage denkt man selbst in der Uniform etwas freier über diese Dinge! Aber ich meine das anders – es giebt einmal gewisse Gesetze, über die wir nicht hinaus können – ich meine, Sie treten dann in einen Lebenskreis, der – der – –“ der junge Mann zögerte – „der es jedem, wer er auch sei, ermöglicht, offen mit Ihnen zu verkehren,“ sagte er dann rasch. „Fräulein Bertha Margold, ein reiches Bürgermädchen, eine Dame – das meine ich – und – –“ er ergriff eine Rose und sog wiederholt ihren Duft ein – „und das ist mir gar nicht gleichgültig, Fräulein Bertha! Sehen Sie zum Beispiel, ich möchte jetzt noch gern mit Ihnen plaudern – aber es geht nicht – es würde sofort darüber gesprochen werden!“ Er beugte sich etwas vor und reichte ihr die Rose. „Verstehen Sie mich jetzt? – Adieu, Bertha, denken Sie darüber nach!“

In demselben gleichgültigen Bummelschritt, in dem er gekommen war, entfernte er sich, um sich in den Augen der allenfallsigen Beobachter nicht den Anschein eines absichtlichen Besuchers des Blumenpavillons zu geben. Bei den Marktweibern umher fruchtete indessen diese Bemühung wenig, sie hatten ihn und Bertl schon längst beobachtet.

„Da kann man freilich das Geschäft hinauf bringen, wenn man es so macht!“ das war der Inhalt ihrer nicht eben freundschaftlichen Bemerkungen.

Auf Bertl machten die Worte Brennbergs einen gewaltigen Eindruck. Sie waren ja gar nicht mißzuverstehen; was sie kaum zu denken wagte, das sprach er eben klar aus – er liebte sie! Er wollte sie zu sich emporheben – als – als – Aber nein, das war ja gar nicht möglich – er wollte nur mit ihr, ohne darum angesehen zu werden, verkehren – das konnte er jetzt ja nicht – Jugendfreundschaft, weiter nichts! „Das ist mir gar nicht gleichgültig!“ Wie fest er das sprach, wie bedeutungsvoll! die Freundschaft einer Gärtnerstochter war einem Lieutenant von Brennberg nicht gleichgültig! Dann war es eben keine Freundschaft, sondern – Liebe, heiße, innige Liebe! Es gab für sie kein drittes! Ihre Neigung zu dem jungen, vornehmen Mann, deren sie sich schon längst bewußt war, schlug jetzt plötzlich in hellen Liebesflammen empor. Nichts entzündet ein Mädchen mehr als das Herabsteigen des geliebten Mannes von einem wirklichen oder eingebildeten Piedestal, ihm zu Liebe. In dem Sinnes- und Herzensrausch bei diesem seligen Anblick vergißt es nur zu leicht die sorgfältige Prüfung der Beweggründe.

Bertl war nur eins klar: sie hatte jetzt die heiligste Verpflichtung, alles zu thun, um sich emporzuschwingen zu dem Geliebten, der ihr ja bereits beide Arme helfend entgegenstreckte; jede andere Rücksicht mußte verschwinden. Am Ende gab es ja gar keine Rücksicht mehr zu nehmen, der Vater würde selbst nicht mehr bei seinem Willen beharren, sobald er das Glück seiner Bertl erfuhr; er liebte sie über alles, er verehrte das Haus Brennberg – – den alten Herrn von Brennberg! – Herrn von Brennberg – o weh! den kannte sie als gestrengen, absonderlichen Herrn; er verschmähte alles Geld, das man ihm für sein altes, ihn und seine Familie kaum ernährendes Familiengut bot, und jetzt sollte sein einziger Sohn die Tochter seines Gärtners –

Doch das ist ja das Große, das Herrliche der neuen Zeit, von der man immer spricht, daß diese dummen Schranken gefallen sind, ihr muß das Alte weichen – der Herr von Brennberg – der Vater! Sie band die verwirrtesten, sinnlosesten Sträuße bei diesen stürmischen Gedanken, sie mußte über die häßlichen Dinger lachen, als sie zu sich selbst kam – da stand Hans vor ihr, der ihr schon lange zugeschaut hatte.

„Komm, Bertl, es ist jetzt Mittag, wir sperren die Bude zu und wollen uns auch einmal etwas gönnen. Ich lade Dich zu einem Diner bei Arnold ein.

Bertl sah den Bruder erstarrt an. Arnold galt für das vornehmste Restaurant der Hauptstadt.

„Na, was schaust Du? Glaubst Du vielleicht, wir dürfen dort nicht hinein? Da sitzt mancher drin und macht sich breit, der nicht die Hälfte von dem hat, was wir haben könnten. Grad extra! Ich hab’s satt, die ewige Schinderei!“

Um keinen Preis hätte Bertl unter andern Umständen je eingewilligt, sie hätte gar nicht den Muth gehabt, dort einzutreten. Heute aber willigte sie ein, ja, die Aufforderung schien ihr ganz erwünscht zu kommen, der hastigen Eile nach, mit welcher sie zusammenräumte und den Pavillon zuschloß. Sie machte vor dem kleinen Spiegel sorgfältig Toilette, sie durfte sich überall sehen lassen, nur die rothen Finger konnten sie verrathen. Hans steckte eine Rose in das Knopfloch, setzte den hellen grauen Hut gerade und bot seiner Schwester den Arm. Spitzige Reden verfolgten sie auf dem Wege durch die Stände links und rechts, aber sie fühlten sich jetzt schon beide erhaben darüber.

Zum ersten Male bummelte Bertl so ohne alle Beschäftigung und Zweck, nur zum Vergnügen, in den Straßen der Stadt herum. Es entging ihr nicht, daß die Herren ihr nachblickten, manch schmeichelhafte Bemerkung drang an ihr Ohr. Vor jedem Auslagefenster blieben sie stehen. Da blitzten kostbare Geschmeide in roth- und blausammetenen Etuis, dort war alles Erdenkliche ausgebreitet, was weibliche Eitelkeit reizen konnte, in den hohen Spiegelscheiben erblickte Bertl ihre schlanke Gestalt; wenn sie erst diese Hilfsmittel der Schönheit alle zur Verfügung hätte, da sollten sie nur kommen, diese feinen Damen alle, die da so stolz an ihr vorübergingen!

*               *
*

Es war jetzt die Promenadezeit der ersten Gesellschaft, und das Restaurant Arnold lag in der Hauptstraße. Dahin war Bertl noch nie gekommen. Das war eine ganz andere Welt als in den engen übelriechenden Vierteln um den Markt herum, mit ihrem farblosen Publikum! Diese Toiletten, diese lautlos dahinrollenden, sich wohlig schwingenden Equipagen, diese prächtigen, alle Sinne in Aufruhr bringenden Auslagen, an den Ecken unzählige bunte Plakate mit verlockenden Bildern, mit Anzeigen von Bällen, Konzerten, Theatervorstellungen. Die Arbeit war hier unbekannt, sie mußte sich erschrecklich düster, schmutzig ansehen in dieser Umgebung. „Genießen“ war hier die Losung, „mühelos, rücksichtslos genießen!“ Was ihr auffiel, das waren die ernsten oder wenigstens völlig gleichgültigen, kalten Gesichter, die sie überall erblickte. Warum lachten diese Menschen nicht? Freuten sie sich nicht über ihr Glück? Sie, Bertl, glühte ja und hätte laut aufschreien mögen vor Lebenslust. Diese schöne junge Frau da am Arme des Offiziers in glänzender Uniform, die ihr entgegenkam, wie gelangweilt, wie freudlos sah sie drein! – Wenn sie einmal am Arme ihres Geliebten –

Die Sinne schwanden ihr fast bei dem Gedanken, sie hielt sich fest an dem Arm des Bruders, dem alle diese Dinge durchaus nicht mehr neu waren; er hatte sich bereits das Nichtverblüffenlassen des Großstädters zu eigen gemacht, diese erheuchelte Gleichgültigkeit gegen alles, die Bertl empörte.

Sie traten in das Restaurant Arnold.

„Guck nicht so erstaunt herum wie ein Banernmädl, man lacht Dich sonst aus!“ flüsterte ihr der Bruder zu und schritt, den Stock in der Ueberziehertasche, die Schultern emporziehend, mit kühnem Blick durch die Reihen der tadellos gedeckten Tische. Bertl folgte ihm Schritt für Schritt, schüchterne Seitenblicke werfend; ihr sonst so entschlossenes Wesen war verschwunden, es lag ein so eigenthümlich schwüler und doch so prickelnder Dunst über dem weiten Raum, gemischt aus dem Aroma feiner Cigarren, Speisegeruch und Weindunst, dem Parfüm der Damen und Herren.

Aus einem lauschigen Winkel, in welchem bereits das Gas brannte, erschallte lautes lärmendes Gelächter und Gläserklingen.

Hans wollte eben in erzwungener Achtlosigkeit daran vorbei, da rief jemand seinen Namen, und er wandte sich danach um. Ein breitschulteriger, knochiger Mann mit hochgeröthetem Antlitz inmitten einer lärmenden Gesellschaft schwenkte ein Champagnerglas gegen ihn.

„Nur ’ran, Nachbar! Kommen ja wie bestellt – es lebe die – die – Gä – Gärtnerei! Prosit, Kinder!“

[34] Er fiel auf das rothe Sammetpolster zurück, und unter schallendem Gelächter stieß man an.

Es war Weinmann, der Gärtner, der Nachbar der Margolds.

Hans wußte, was hier gefeiert wurde, und er wäre am liebsten sofort umgekehrt, denn der Neid packte ihn. Da erblickte er Loni, die Tochter, unter der Gesellschaft, sie lachte und scherzte mit einem jungen, fein gekleideten Mann – da folgte er der Einladung.

Alles war schon ziemlich angeheitert, eine Batterie geleerter Flaschen mit rothen Köpfen stand umher.

Loni war in sichtlicher Verlegenheit beim Anblick des jungen Mannes, der ihren Nachbar so scharf ins Auge faßte; sie wandte sich, um dieselbe zu verbergen, mit lauter Stimme an Bertl, welche, ganz betäubt von dem Lärm, dem schweren Weindunst, dem blendenden Lichte, sich kaum zurecht fand.

Der alte Weinmann übernahm die Vorstellung.

„Herr Bau – Baumeister Stef-f-fanelly, Herr Ingenieur Mareschall – künftiger Schwie – Schwiegersohn.“

„Papa!“ rief Loni in verweisendem Tone.

Herr Stefanelly machte ein verdutztes Gesicht.

„A was – lange G’ – G’schichten – seid fi – fidel Kinder! Heute darf man ja doch einen Spaß ma – machen!“

Man nahm Platz, ein Kellner brachte zwei weitere Gläser und schenkte ein.

Hans war empört über den angetrunkenen Alten; denn sprach er auch zu viel, so war doch etwas daran. Mareschall war die rechte Hand des Stefanelly, des Käufers des Weinmannschen Anwesens, eines der ersten Bauspekulanten M ... s. Aber Hans hatte doch bereits von der Welt so viel gelernt, um sich nichts merken zu lassen.

„Natürlich schon gehört, Herr Mar – Margold? Herr Stefanelly ist jetzt Ihr Nachbar – großes Palais – Straße Stefanelly – Sie sind doch ein verfluchter Kerl, Stefanelly –“

Weinmann drohte blinzelnd mit dem von harter Arbeit gekrümmten Finger. „Die Hachinger sollten Ihnen die Hand küssen – alle – der alte Margold – das heißt, mir sollte man sie eigentlich küssen, ich habe den Anfang gemacht, jetzt kann’s jeder – keine Kunst mehr!“

„Da irren Sie sich ein wenig,“ sagte Stefanelly, dem die Art und Weise Weinmanns sichtlich nicht angenehm war; er rückte wenigstens etwas von ihm weg. „Herr Margold hätte schon längst vor Ihnen verkaufen können, das sage ich Ihnen, aber er will nicht.“

Hans schoß das Blut in den Kopf: kein Zweifel, Stefanelly selbst hatte dem Vater schon ein Angebot gemacht, ein höheres jedenfalls wie dem Weinmann.

„Entschuldigen Sie, Herr Margold, aber ich versichere Sie,“ wandte sich der Baumeister an Hans, „ich habe noch nie eine solche Hartnäckigkeit getroffen wie bei Ihrem Vater.“

„Na, der Brennberg – bei dem langt’s auch!“ warf Weinmann ein.

„Bei solchen Leuten begreife ich es eher, die stecken einmal in ihrem Vorurtheil und all dem alten Kram, aber ein Mann wie Margold, ein Mann der Arbeit, dem jetzt das Glück in den Schoß fällt, daß der sich so gegen seinen Vortheil wehrt, das ist mir in meiner Praxis noch nicht vorgekommen. Das Gute ist nur, daß er zu seinem Glück noch gezwungen wird; einem solchen Ungeheuer wie M ... kann man keine Schranke entgegen setzen, es zerbricht sie einfach. Entschuldigen Sie meine Offenheit, Herr Margold, aber ich setze voraus, daß Sie in diesem Punkte andere, praktischere Ansichten haben als Ihr Herr Vater.“ Er betrachtete Hans von oben bis unten.

„Hab’ ich auch, aber was nützt es mir? Er fürchtet sich nun einmal vor baarem Gelde, er hat keine Ahnung, wie man damit arbeitet.“

Weinmann lachte hellauf.

„Es ist etwas daran, es ist etwas daran!“ – die hohe kahle Stirn des Baumeisters zog sich, als er das sagte, in schwere Falten – „aber ein so einfacher, solider Mann, er braucht ja nicht zu spielen – sicherste Anlagen –“

„Nein so was! Fürchten thut er das baare Geld!“ fiel Weinmann dazwischen, indem er sich wand vor Lachen. „Ich nicht! Ich nicht! Mein Lebtag nicht! Allerdings ein bißl umzugehen damit muß man verstehen, daß es auch was gleich sieht; das kann man aber auch als früherer Mann der – Arbeit – ha, da ist mir nicht bang’ – G’schmack muß man haben – da – da – zum Beispiel –“

Er spreizte seine krummen harten Finger; an dem einen steckte ein blitzender, aufdringlich gefaßter Diamant, der die Hand wie aus Erde geformt erscheinen ließ.

„Den hat mir die Loni heut’ gekauft zur Erinnerung an den Tag, d. h. die Loni – Sie verstehen schon!“ – er lachte selbstgefällig und wendete die Hand hin und her, daß sich die Strahlen darüber kreuzten – „das nenn’ ich Geschmack, und haben thut man auch was davon – ja, da ist mir nicht bang!“

Er ergriff ein Kelchglas, als packe er eine Schaufel, und trank es auf einen Zug leer.

[48] Während die andern, dem Beispiele Weinmanns folgend, ihre Gläser leerten, richtete Stefanelly sein stechendes schwarzes Auge auf Bertl. Diese konnte den Blick dieses Mannes nicht ertragen, sie dachte unwillkürlich bei seinem Anblick an die Kreuzspinne, von der heute früh der Vater gesprochen hatte.

Augenblicklich war Bertl ganz allein und ungestört. Loni hielt sich jetzt in ihrer lebhaften Unterhaltung mit dem hübschen jungen Mann an ihrer Seite nicht mehr zurück, so hatte Bertl Muße, das Lokal zu betrachten, das jetzt schon in vollem Lichtglanz strahlte. Das war ein unruhiges Geflunker von Gold und Farbe: dort umfing Amor voll heißen Verlangens Psyche, oben auf der Decke raste ein Bacchantenzug, aus allen Ecken winkten üppige Figuren, Becher und Kränze schwingend; grellrothe schwellende Polster die Wände entlang, Nischen, mit schwerseidenen Gardinen verschlossen, aus denen heimliches Geflüster klang, unterdrücktes Gelächter, leises Gläserklingen – ein Glas des Bertl so ungewohnten Champagners genügte, um sie vollends zu betäuben; es war ein häßliches, nie empfundenes Gefühl, das sie jetzt durchzitterte, [50] eine pochende Hitze in den Wangen, dazu der lärmende angetrunkene Weinmann, der Mann mit dem stechenden Auge, Lonis freches Benehmen –, Bertl sehnte sich hinaus in das kleine Häuschen zum Vater, zu ihren Blumen, und einen Augenblick dämmerte in ihr mitten in dem unsteten Treiben um sie her der Gedanke auf, ob das Glück dieser Welt nicht so falsch sei wie all das Gold, all der Marmor, all der Glanz im Restaurant Arnold.

Sie machte Hans schon lange ein Zeichen, daß er aufbrechen solle, doch dieser sah und hörte nicht darauf – die Spekulation war jetzt Gesprächsstoff. Weinmann schrie und schlug mit der Faust auf die Marmorplatte, daß die Gäste im Saale mit ärgerlicher Miene hereinblickten; er wolle in einem Jahr Millionär sein, es handle sich nur um die ersten Hunderttausend, das andere sei Spaß – nicht mit der Hand, mit dem Kopfe müsse man arbeiten – wobei er sich mit der rauhen Hand auf seinen knochigen Schädel schlug – ja, wenn er das früher begriffen hätte, dann führe er jetzt schon lange mit Vieren.

Stefanelly stimmte ihm vollkommen bei, indem er seine Rede größtentheils an Hans richtete. Er schilderte in den verführerischsten Farben die heutige Spekulation, die Zukunft M ... s. Sein bleiches Gesicht mit den harten Zügen röthete sich, er glaubte offenbar selbst daran. Hans horchte athemlos, Haufen Goldes flammten vor seinen Augen, der Sekt that das übrige.

Man kaufte und verkaufte M ..., ein Strom flüssigen Goldes floß durch ihre Taschen und füllte sie mit seinem kostbaren Niederschlag, die Bacchanten winkten und grinsten aus allen Ecken, Faunen, Amoretten lächelten lüstern herab auf den glühenden Hans – „komm! genieße, genieße!“

Auch Bertl lauschte jetzt; es war ja auch die Zukunft des Geliebten, ihres künftigen Gatten, von der die Rede war. Sein Bild stand wieder lebhaft vor ihr, sein Wort tönte ihr wieder im Ohr – da kam ihr plötzlich der Gedanke: ja, du gehörst ja gar nicht mehr unter diese Leute, unter diese Weinmanns und Stefanellys – wenn er dich jetzt darunter sitzen sähe! – Eine förmliche Angst befiel sie – da klirrte es draußen im Saale, sie fuhr jäh zusammen, sie sprang auf und rüstete sich zum Gehen, aber Hans hielt sie zurück. Da trat Lieutenant Brennberg, begleitet von einem Freunde, unter die grauseidene Gardine, welche die Nische vom Saale trennte. Eben wollte er bei dem Anblick der lärmenden Gesellschaft wieder umkehren, da erblickte er Bertl, die sich vergebens hinter Hans zu verbergen gesucht hatte, trat, seinem Kameraden winkend, ein und nahm mit einem kurzen und gemessenen Gruße an dem noch freien Tische nebenan Platz.

Stefanelly hatte den Eintretenden scharf ins Auge gefaßt, sprang dann plötzlich auf und machte eine unterthänige Verbeugung, die kaum erwidert wurde. Das war unangenehm, man fühlte sich auch sonst in seiner Lust gestört, besonders Weinmann, der mit seinem wankenden Haupte und verschleierten Blicke die Eindringlinge betrachtete und seinen Diamant möglichst zur Geltung brachte.

Bertl saß wie auf Kohlen, sie zitterte vor jedem lauten Worte, vor jeder Bewegung ihrer Tischgenossen; besonders Loni brachte sie zur Verzweiflung, die sofort in der auffallendsten Weise mit den Offizieren kokettirte, ohne daß dieselben im geringsten Notiz davon nahmen. Bertl war in athemloser Spannung, was Brennberg thun würde. Wenn er herbeikäme und sie begrüßte, das wäre ein Triumph vor diesem Volk!

Kaum dachte sie es, da erhob sich Brennberg, seinem Gefährten etwas zuflüsternd, und trat zu ihr, ohne die Gesellschaft weiter zu beachten.

„Sie nehmen sich ja meine Lehre sehr gut zu Herzen, Fräulein Bertha!“ sagte er. „Arnold – Champagner – das sind Fortschritte! Ich darf Sie wohl Ihrer Gesellschaft nicht entziehen! Ja, wenn ich das gewußt hätte, würde ich mir schon längst einmal erlaubt haben, Sie einzuladen. Uebrigens –“ er sprach jetzt ganz leise, sich von dem Tisch abwendend, „haben Sie sich das überlegt, was ich heute früh sagte? Es war mein voller Ernst.“

Er sah mit einem eigenthümlichen Ausdruck in das Antlitz Bertls, das jetzt in seiner Erregung doppelt schön war.

„Was Sie sprechen, vergesse ich gewiß nicht!“ entgegnete sie.

„Und noch etwas“ – er flüsterte jetzt nur noch – „gefällt Ihnen die Gesellschaft, in der Sie sich jetzt befinden?“

„Ich verachte sie!“ erwiderte Bertl.

„Das ist alles, was ich wissen wollte. Es ist schon spät, ich rathe Ihnen, rasch heimzukehren. Auf Wiedersehen, Fräulein Bertha!“

Leicht grüßend trat er zurück zu seinem Kameraden.

Bertl war es, als müßte sie sich an ihm festhalten, als müsse sie ihn anflehen, daß er sie rette aus dieser Gesellschaft, die ihr jetzt mit einem Male in ihrer ganzen Rohheit erschien. Loni machte spöttische Bemerkungen, der alte Weinmann blinzelte beleidigend, auch Stefanelly und der Ingenieur warfen ihr Blicke zu, die sie wohl verstand. Sie fühlte aus allem einen häßlichen Verdacht heraus, und sie mußte sich zurückhalten, um sich nicht offen als die Braut des Herrn von Brennberg zu bekennen. Aber bleiben durfte sie jetzt nicht mehr, ihr Geliebter würde es ihr nie verzeihen! Was lag ihr daran, wenn sich diese Leute beleidigt fühlten! Sie stand entschlossen auf.

„Wenn Du nicht mitkommst, fahre ich allein; der Vater ängstigt sich zu Tode,“ sagte sie zu Hans.

Mißmuthig stand dieser auf; er hatte sich so wohl gefühlt in diesem Element, der Gedanke an Haching war ihm jetzt fürchterlich. Brennberg sprang Bertl hilfreich bei, als sie ihren Regenmantel anzog. Dieser kleine Ritterdienst machte sie beben vor Wonne und Stolz, in diesem Augenblick gehörte sie ihm ganz. Sie schwur in ihrem Innern die heiligsten Eide.

Stefanelly sprach noch einige Worte insgeheim mit Hans, Bertl verließ mit kurzem Abschied den Tisch und warf Brennberg noch einen Blick zu, der ihm seine völlige Herrschaft über dieses Mädchenherz verkündete.

Hans war in übelster Laune. Er wäre heute überhaupt nicht mehr heimgekehrt, wenn Bertl nicht bei ihm gewesen wäre. Von dem Stefanelly, meinte er, habe er in einer Stunde mehr gelernt, als sein Lebtag in der Gärtnerei des Vaters. Er schalt auf seinen Beruf, auf den Vater, auf die Arbeit und bedauerte fortgesetzt sich selbst, daß er in solche Ketten geschmiedet sei.

Bertl hörte ihn gar nicht mehr, sie mußte sich nur alle Mühe geben, nicht zu lachen und zu jubeln, so glücklich, so selig fühlte sie sich. Die glänzende Zukunft an seiner Seite lag ja sonnenklar vor ihr, und, in ihrem vorausstrahlenden Lichte gesehen, kam ihr die eben erlebte Stunde in der abgeschmackten Gesellschaft, ihr einfältiger Bruder, das Gartenhaus in Haching, die Mutter und selbst der Vater furchtbar kleinlich vor.

Das Fuhrwerk stand im „Schwarzen Rößl“ auf dem Marktplatze, dem ständigen Absteigequartier Margolds.

Hans spannte rasch ein, denn es war schon dunkel. Schweigend fuhren sie an den jetzt geschlossenen und verlassenen Marktbuden, an den umgestürzten Ständen vorbei, an der Bretterstadt, in der sie beide ihr junges Leben verbracht hatten. Die Gesichter der Geschwister glühten vom Wein und von Erregung, und zornig hieb Hans auf den Traber ein. In der Vorstadt wälzte sich ihnen das Heer der Arbeiter entgegen, welches von den außerhalb gelegenen Bauplätzen und Fabriken kam. „Als ob es nicht voll dem Volk genug gäbe!“ brummte Hans vor sich hin. „Andere arbeiten lassen, darin liegt’s! Ja, der Stefanelly, das ist ein Mann!“

Wieder fuhren sie die neuentstandene Straße entlang, die geradeswegs zu ihrem Anwesen führte. Die noch unbeworfene kahle Häuserreihe strahlte schon im Lichtglanz, der zu jedem Fenster herausdrang – fast alle diese Häuser gehörten dem Stefanelly! War es da ein Wunder, wenn die Loni sich an den Ingenieur hing, der bei ihm ein riesiges Geld verdiente? Sie hatte es ihm ja insgeheim zugeflüstert, daß sie den Mann nichts weniger als lieb habe, aber der Vater dränge zu der guten Partie; Hans solle doch seinen Alten rasch herumkriegen, dann gebe sie dem Ingenieur sofort den Laufpaß. Hans war über solche gewissenlose Reden Lonis gar nicht empört. Nach seinen Begriffen war sie danach einfach ein schlaues, kluges Mädchen, dem er es im gleichen Falle ohne weiteres nachthun würde. Ein Ingenieur und ein Gärtnerbursche – das war ein Unterschied! Ein Ingenieur und der Sohn eines reichen Privatmannes war auch einer, aber nur einer zu seinen Gunsten. An ihm, dem Hans, war es jetzt, den Vater gehörig zu behandeln; er mußte nachgeben! Daß Bertl zu derselben Zeit denselben Entschluß gefaßt hatte, daran dachte er nicht.




Es war völlig Nacht, als die Geschwister an Margolds Haus ankamen. Das Dorf lag schon in stiller, lichtloser Ruhe, nur gegen Osten schimmerte über die schwarzen Felder eine röthliche Gluth – die Stadt.

[51] Die Eltern Margold saßen eben beim einfachen Abendessen, Kraut mit Knödln, was des Alten Lieblingsspeise war; doch heute berührte er sie nicht. Das Ausbleiben seiner Kinder erfüllte ihn mehr mit Unwillen als mit Besorgniß: das war noch nie vorgekommen, wenigstens nie, wenn Bertl dabei war. Er erging sich in unzähligen Vermuthungen. Frau Margold fand dagegen nichts besonderes daran. „Die Leute sind jung,“ meinte sie, „wollen sich auch einmal unterhalten, und für Bertl ist das ja so kein Dasein mehr; das Herz thut mir weh, wenn ich das schöne Kind so dahinleben sehe!“

Diese Reden waren dem Alten stets unverständlich; er hatte es aber schon längst aufgegeben, zu widersprechen, denn am Ende geschah ja doch, was er wollte. Als er endlich das Fuhrwerk vor dem Hause halten hörte, ging er voller Grimm hinaus.

„Wo treibt Ihr Euch denn herum bis in die sinkende Nacht, daß es eine Schande ist vor den Nachbarn?“ schalt er.

„Spare Deinen Zorn, Vater, wir kommen ja eben von unsern Nachbarn!“ entgegnete Hans gereizt, das Pferd in den Stall führend.

Der Alte ging ihm nach, während Bertl sich eilig zur Mutter in das Zimmer begab.

„Was schwätzest Du da für albernes Zeug, Hans? Von den Nachbarn kommst Du? Von welchen Nachbarn?“

„Nun, vom Weinmann, der seit heute mittag bei Arnold sitzt und Champagner kneipt mit dem Stefanelly – das ist gar nicht albern – 100000 Mark! Der lacht über Dich!“

„So, lachen thut er? Laß ihn nur lachen! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!“

„Vater, ich muß heut’ noch ein ernstes Wort mit Dir reden,“ sagte Hans, plötzlich in eine Art von überlegenem Ton übergehend.

„Du ein ernstes Wort; da bin ich wirklich neugierig – nur heraus damit!“

Hans lehnte sich auf den Braunen. „Das Geschäft, das unser Nachbar gemacht hat, muß Dir doch zeigen, was unser Anwesen werth ist, und daß es einfach eine Narrheit wäre, so weiter zu arbeiten.“

„Aha, daher bläst der Wind? Na natürlich, Champagner bei Arnold – kann mir’s denken, und der Stefanelly dazu – kann mir’s denken, wie sie Dir den Kopf vollgeschwatzt haben. Und ich sage Dir, ich arbeite so weiter, trotz aller Weinmann und Stefanelly und trotzdem Dir’s so gefallen hat bei Arnold und seinem Champagner! Das verstehst Du natürlich nicht, trotz Deiner Klugheit, an die wir Alten nicht mehr ’rankönnen – das ist eben das Elend! Könnt Ihr nicht ein paar Jahr’ noch warten, bis ich in der Grube lieg’? Ich mein, es sei nachher noch alleweil Zeit für Euch, in Euer Unglück zu rennen, und ich kann Euch nachher nimmer aufhalten –“

„Ja, was soll denn das für ein Unglück sein, wenn man, anstatt sich Tag für Tag um ein paar Groschen abzurackern, ein schönes Vermögen einsteckt, von dem man gut und sorgenfrei leben kann?“ entgegnete Hans.

„Das ist freilich an und für sich kein Unglück, ein schönes Vermögen, aber in Eurer Hand ist’s ein Unglück! Weil Ihr jungen Leut’ es nur anschaut als ein Mittel, der Arbeit ledig zu werden, gut zu leben, ohne einen Finger mehr zu rühren, deshalb ist’s in Eurer Hand ein Unglück! Es giebt kein Glück ohne Arbeit, es giebt keine Ernte ohne Saat, außer eine Teufelsernte, die unter der Hand zergeht.“

„Aber wer sagt denn, daß ich nicht arbeiten will? Giebt es denn keine Arbeit als graben und schaufeln? Mit dem Kopf muß man arbeiten, so wie der Stefanelly arbeitet! Oder ist das keine Arbeit?“ warf Hans ein.

Der Alte fuhr jäh auf, diese Bemerkung schien seine empfindlichste Seite zu treffen. „Nein, das ist keine Arbeit!“ rief er, „das ist ein Spiel, ein frevelhaftes Spiel mit dem Zufall, mit anderer Leute Glück und mit dem der eigenen Familie! Ein Spiel, das wie jedes andere den Mann durch und durch vergiftet, ein Spiel, das den Unterschied zwischen Recht und Unrecht bald verwischt und zuletzt, wenn es nicht hinein ins Zuchthaus, so doch grad daran vorbeiführt! Dir steckt der Schwindel schon im Kopf, und grad deswegen thu’ ich’s nicht! – Du bist ein Gärtner, als der bist Du erzogen, das verstehst Du; es ist ein ehrliches, gerechtes Handwerk, warum verachtest Du’s? Glaubst Du wirklich, daß so einer wie der Stefanelly besser ist als unsereiner, Hans?“

Der Alte legte seine Hand auf des Sohnes Schulter.

„Glaub’ mir auch ein bißl, gieb nicht so viel auf den äußeren Schein, ’s ist eine Krankheit heutzutage, das Jagen nach dem Glück!“

„Aber Du weißt ja nicht, um was sich’s bei mir handelt, hör’ mich doch zuerst!“

„Na, so red’!“

„Um die Loni handelt es sich, die einen andern nimmt, wenn ich das bleibe, was ich bin, ein Gärtnerbursch. Du weißt ja schon lang, daß ich ein Verhältniß mit ihr hab’.“

Der alte Margold schüttelte das Haupt. „Und Du schämst Dich nicht, mir das zu sagen, daß Du ihr zu schlecht bist, der nixnutzigen Person? Wo bleibt denn da Dein Stolz, Dein Hochmuth? Ihr seid komische Leut’, Euch studier’ ich nimmer aus. Also der Loni ist mein Sohn, der Gärtner Margold, zu schlecht, und deshalb soll ich – – kein Wort mehr, sonst packt mich der Zorn.“ Und er ging schnellen Schrittes aus dem Stall. – –

Im Zimmer erzählte unterdeß Bertl der freudestrahlenden erstaunten Mutter ihr Zusammentreffen mit Brennberg. Die schwache Frau konnte ihre Freude darüber nicht zurückhalten, sie sah in ihrer Tochter schon die künftige Frau von Brennberg und versprach Bertl ihre thatkräftigste Unterstützung. Aber beide fuhren jäh aus einander, als Vater Margold mit zorngeröthetem Antlitz eintrat.

„Ihr wart ja in einer sauberen Gesellschaft, da paßt Du hin, Bertl!“ begann er scheltend.

„Jedenfalls besser als unter Krautköpf’ und Rüben!“ meinte die Alte.

„Schweig! Ich red’ jetzt mit der Bertl,“ fuhr er jäh auf. „Hast Du Dir auch den Kopf verdrehen lassen von dem Stefanelly?“

„Aber Vater, wie kommst Du denn auf den Stefanelly? Ich habe ganz andere Dinge auf dem Herzen!“

„Oho! Auf dem Herzen? Schieß nur los, heute bin ich auf alles gefaßt!“

Bertl zögerte – begann – brach wieder ab.

„Mutter, sprich Du mit dem Vater, ich bringe es nicht heraus.“

„Na, ich mein, so was sagt sich leicht! Der Herr von Brennberg, der Lieutenant, will die Bertl heirathen. Na, Alter, darauf warst nicht g’faßt!“

Sie stellte sich mit in die Hüfte gestemmten Armen triumphirend vor Margold hin.

Der prallte förmlich zurück und hielt sich die Stirn.

„Der Herr von Brennberg, der Sohn von meinem Herrn -“

„Von Deinem Herrn? Hast Du denn einen Herrn?“ höhnte die Frau.

„Die Bertl heirathen! Ja, bin ich denn bei Verstand? Der Loni ist ein Gärtnerbursch zu schlecht, und der Brennberg – – Ja, wo hat Dir denn der Brennberg das gesagt – – ach so, auch bei Arnold, haha! – beim Champagner – und da hat Dir der Gelbschnabel so was vorgeschwatzt! – Na, den werde ich! – Und Ihr Schwachköpfe nehmt das für Ernst? Der Bertl ist halt der Champagner in den Kopf gestiegen – aber Du, Alte – Du! – Der Brennberg die Bertl! Heilige Zeit!“

„Nicht beim Champagner, Vater, hat er mir’s gesagt, am Stand hat er mich besucht – schon oft – heute aber hat er es klar ausgesprochen –“

„Daß er Dich –“ Margold brach in ein gezwungenes Gelächter aus.

„Daß er mit mir in nähere Beziehung treten möchte, was aber nicht möglich sei, so lange ich da außen bin, ein Gärtnermädel!“

„Hat er gesagt, der gnädige Herr? In nähere Beziehung treten? hahaha! Und das nennt Ihr einen Heirathsantrag? O lieber Himmel!“ Margold ließ sich ermattet auf die Bank nieder. „Ich sag’s ja immer, die Welt ist verrückt, ist aus den Angeln –“

„Es ist aber doch so,“ begann jetzt Frau Margold wieder, „wenn Du es auch in Deinen alten Tagen nicht begreifen kannst und begreifen willst; und Du wirst als Vater, der seine Kinder gern hat, ihnen nicht im Wege stehen wollen und wirst alles thun, um dieses große Glück ihnen zuzuwenden.“

„Das große Glück? – Ein großes Unglück wär’s und eine rechte Schlechtigkeit an meinem alten braven Herrn, wenn ich dazu die Hand böte – sein Tod wär’s!“

„Margold, jetzt ist meine Geduld am Rand!“ rief zornglühend die Mutter, „Du sprichst ja, als wenn sein Sohn wunder was für schlechte Absichten hätte! – Wen heirathet er denn? Ein braves, schönes Bürgermädel mit einer hübschen Mitgift, deswegen braucht der alte Herr nicht zu sterben – und wenn, dann [52] stirbt er an einer Krankheit, von der die jungen Leut’ schon lang kurirt sind – an der Einbildung!“

Bertl weinte helle Thränen, der Vater ging stürmischen Schrittes in der Stube auf und ab.

„Ja, das ist die Stadt, diese verfluchte Allerweltsgleichmacherin! Alles gleich, Häuser und Menschen! Und doch ist’s eine Lüge, eine großmaulige Redensart, und nirgends glaubt man im Herzen weniger daran als gerade in der Stadt. Es giebt keine Gleichheit, so lange es Menschen giebt, und wer es erzwingen will wie Ihr, der erzwingt sein Unglück.“

„Ich versteh’ von dem allem nichts,“ mischte sich jetzt Bertl unter Thränen ein, „ich weiß nur, daß ich von dem Mann nimmer lasse und alles thue, um die Kluft, die mich und ihn trennt, auszufüllen, und daran soll mich niemand hindern! Ich verlasse morgen Dein Haus, Vater; wenn es Dir mehr am Herzen liegt als Dein eigenes Kind – auch gut!“

Sie erhob sich mit entschlossener Miene.

„Dann gehen wir zusammen, Bertl!“ – Hans sagte das, der eben eingetreten war.

Unter der Thür blieb Bertl stehen und sah zurück auf den Vater. Aber der sprach kein Wort. Er stand am Fenster und starrte in die Nacht hinaus.

Bertl ging auf ihr Zimmer, durch dessen offene Fenster der würzige Geruch des Herbstes, aufgewühlter Erde, überreifen Obstes drang; wie kahl und dürftig ihr hier jetzt alles erschien! Die Mutter kam eilig nach. Sie mußte erst recht ausführlich erzählen hören! Die Augen der Frau Margold glänzten von mitempfundenem Glück, der Vater war ihr unbegreiflich in seiner Hartnäckigkeit; übrigens zweifelte sie nicht, daß er nachgeben werde. „Er weint unten,“ sagte sie, „und das hat er nur einmal gethan, seit wir verheirathet sind; da hat er nachher auch nachgegeben. Es war am Abend, bevor er auf mein Zureden den Dienst kündigte beim alten Brennberg, um selbst ein Geschäft anzufangen. Er muß immer gezwungen werden zu seinem Glück, er ist wie ein Kind. – Träume nur recht schön von Deinem Schatz! Gott, ist das eine glückliche Zeit!“ Sie küßte leidenschaftlich ihre Tochter und verließ das Stübchen.

Margolds sonst so stilles Haus konnte diese Nacht nicht zur Ruhe kommen. Bald da, bald dort leuchtete es hinter den Fenstern auf, zwischen den Schuppen, selbst in den Warmhäusern im Garten – wie ein unruhiger Gedanke.

„Die läßt der Neid nicht schlafen!“ meinte Loni, als sie spät in der Nacht mit dem schlaftrunkenen Vater heimkam, um zum letzten Male in dem kleinen Häuschen an der Landstraße zu übernachten.

[62]
2.

Das Rittergut Schönau, dem Freiherrn Christian von Brennberg-Schönau gehörig, war noch vor zehn Jahren durch einen ehrwürdigen Hochwald von der Stadt getrennt. Für Christian war das ein heiliger unverletzlicher Bannwald, der, eine lebendige Mauer, sein geliebtes Schönau umgab und den verhaßten üblen Dunst der nahen Stadt in realem und idealem Sinne aufsaugte. Da machte sich in M … vor einigen Jahren das Bedürfniß eines zweiten Bahnhofes auf der Südseite der Stadt geltend, die Schienenwege führten unvermeidlich durch Brennbergs Wald. Verzweifelt wehrte sich der alte Mann um sein Heiligthum; er prozessirte zum ersten Male in seinem Leben, er trat bittend bis vor den Thron; dort, glaubte er, müsse man seine Gefühle ehren – Schönau war ein altes Lehen der Brennberg, hier an dieser ehrwürdigen Stelle hatten es vor Jahrhunderten seine edlen Vorfahren als Lohn der Treue erhalten – umsonst! Der Südbahnhof von M … erschien wichtiger als die Erhaltung des Schönauer Waldes. Da ergriff Christian von Brennberg zum ersten Male in seinem Leben ein Gefühl, das ihn entsetzte, das Gefühl der Empörung, des Trotzes – er begriff plötzlich Dinge, die ihm stets ein Räthsel gewesen waren: offene Auflehnung gegen die Staatsgewalt, Barrikaden, rothe Fahnen. Doch das hielt nicht lange an.

Als dann wirklich die Bresche geschlagen wurde, als seine alten Freunde krachend, ächzend zu Boden sanken, durch die kahle Lücke die Häuser der Vorstädte so unverschämt herüberzublicken begannen auf Schönau, da gab es ihm nur einen schmerzlichen Riß durch und durch, dann erfaßte ihn jene Ergebung, welche ein unabwendbares historisches Schicksal einer absterbenden Rasse gleichsam zum Trost verleiht. Es handelte sich in Christians Augen nicht um den Südbahnhof; nein, eine neue Zeit brach durch diese Lücke, der jede Absonderung, jede Individualität verhaßt war. Und mochte es auch nur ein unbedeutendes Rittergut sein hinter dem Walde – unter die Nivellirwalze damit! Platz gemacht für die steinerne Armee, die in geschlossenen Gliedern unaufhaltsam anrückte.

[63] Der Freiherr bekam jedes Mal einen Hustenanfall, wenn jemand die Rede auf den Wald und die Bahn brachte: er behauptete, die schlechte Stadtluft, die jetzt bei Nordwind gerade auf ihn zugetrieben wurde, sei daran schuld. Und sie kam wirklich an ihn heran, die Stadtluft. Der Holzhändler, dem er sonst die Thür gewiesen hatte, wurde von ihm jetzt wenigstens angehört. „Der Wald ist ja doch verloren, der Sturm kann ihn jetzt von allen Seiten fassen, die Freude daran ist mir nun einmal verdorben,“ so redete er sich selbst ein, während der gebotene hohe Preis ihn lebhaft erregte. Sein Theodor, der Lieutenant, brauchte viel Geld – so schlug er einen Morgen um den andern los. Schönau warf eine spärliche Rente ab und Christian hatte sein ganzes Leben mit finanziellen Verlegenheiten zu kämpfen, nur zu oft sparte er sich die Repräsentationskosten seines Hauses vom Munde ab. Jetzt in seinen alten Tagen fiel ihm auf einmal das Geld nur so in den Schoß, um das er oft die qualvollsten Nächte durchlebt hatte. Die Habsucht erwachte in ihm.

Was wurde denn geschätzt in der Stadt? Etwa ein alter Name, ehrenvolle Traditionen einer Familie? – Geld, und nichts als Geld! Nicht nur beim Volke, nein, auch bei Hofe! Wie sie ihn behandelten, die Herren Adjutanten und Kammerherren, ihn, den armen Brennberg von Schönau im altmodischen Frack, als er Audienz verlangte! Gab etwa sein Sohn, sein Theodor etwas auf die Güter, die er selber, der Vater, hochzuhalten gewohnt war? Konnte er die Idee in ihm retten, in der sein Vater aufgewachsen war? Nimmermehr! Die Kinder sind nicht mehr Kinder ihrer Väter wie früher, sondern Kinder ihrer Zeit. Theodor lachte über das verschnörkelte, altmodische, ärmlich eingerichtete Schlößchen, über die alten brüchigen Ahnenbilder, über den Vater selbst in dem kaffeebraunen langen Rock mit steifem Kragen, der hohen schwarzen Kravatte und den Vatermördern, über das „Euer Gnaden“ der Dienstboten, auf das so streng gehalten wurde. Geld wollte er, Geld, um zu genießen! Das war das neue Evangelium, gepredigt aller Orten, von allen Ständen, tausendstimmig scholl es heraus aus dem schwarzen Dunst der Stadt, und an den alten Mauern von Schönau brach sich das Echo.

Darum, wenn auch mit blutendem Herzen, die Taschen gefüllt von dem Erlös des alten treuen Waldes! Ihn selbst freilich, den Herrn von Brennberg mit dem kaffeebraunen Rock und der hohen Kravatte, sollte der Zeitgeist doch nicht unterkriegen, ihn nicht und das Schlößchen auch nicht, das schwur er sich wiederholt; da wollte er sich verschanzen und alle Angriffe muthig abschlagen, keinen Fuß breit weichen von seinem Standpunkt – sterben im kaffeebraunen Rock unter dem Gelächter der Menge!

Seine Frau war gestorben kurz nach der Geburt seines Sohnes, des letzten Brennberg; alles that der Vater, den Jungen in seinen Anschauungen zu erziehen; doch sonderbar, der kümmerte sich um nichts, als was hinter dem Walde lag. Seit er einmal mit dem Vater in die Stadt gefahren war, da war es vorbei, da war er nicht mehr zu halten, Schönau war ihm zu eng, zu langweilig; er war glücklich, als ihn der Vater in ein städtisches Institut gab, er lachte und schlug in die Hände vor Freude, als es zur Abfahrt ging.

Das war Christian zu viel. Er verstand sein Kind nicht mehr, an dem er hing mit der ganzen Liebe, die ein Vater zu seinem Einzigen haben kann. Er selbst hatte bis zu seinem zwölften Jahre nichts als Schönau gekannt, der Wald war seine Grenze gewesen, er hatte sich gefürchtet, sie zu überschreiten, und als er sie überschreiten mußte, welch’ qualvoller Schmerz, welch’ bitteres Weh der Trennung, welche Sehnsucht nach Hause! – Und sein Sohn, sein Theodor, der Erbe von Schönau, der letzte auf Schönau, er haßte es nahezu! Christian fühlte es damals schon, die Grenzlinie einer neuen Zeit lag zwischen Vater und Sohn, er hüben, dieser drüben! –

Noch einmal hoffte er, als sein Theodor den Entschluß faßte, Offizier zu werden. Das Brennbergsche Blut regte sich also doch in ihm, und einmal in der Uniform, so dachte der Vater, würde er auch alle die anderen neuzeitlichen, geradezu staatsgefährlichen Schwärmereien verlieren. Aber auch darin irrte er sich. Trotz aller Unterordnung im Dienste regte sich auch in dem Offizierskreise schon der neue tolle Geist. Die Kameraden frugen nicht nach dem Alter und dem Adel der Familie, sondern nach der Höhe der Zulage. Schönau war in den Augen des jungen Lieutenants erst recht ein altes fades Nest, und seine bürgerlichen Kameraden, die hie und da mit ihm hinausgeritten kamen, bestärkten durchaus nicht seinen Sinn für alte Ueberlieferungen mit ihren schlechten, Christian tief kränkenden Witzen über das alterthümliche Gerümpel.

Der alte Brennberg glaubte sich gefeit gegen die verlockenden Töne des neuen Evangeliums der Genußsucht; er lachte bei den Ermahnungen seines Sohnes, den Rest seiner Jahre es sich doch noch wohl sein zu lassen, jetzt, wo er um die Mittel dazu nicht verlegen sei. Und doch ertappte er sich oft auf einsamen Ritten durch Feld und Flur auf sonderbaren Gedanken. Er sah sich bei Hofe, in der ersten Gesellschaft der Stadt, als der reiche Brennberg, sein Wappen prangte an dem Wagenschlag, die Diener waren in den Farben seines Hauses gekleidet, trotz aller Aufklärung da drinnen in der Stadt, mit Geld in der Tasche spielt der Adel noch immer seine Rolle! Es wäre eigentlich eine drollige Ironie des Schicksals, wenn gerade die neue Zeit seinem Haus wieder zu dem alten längst entschwundenen Glanze verhälfe!

Aber er wies sie jedesmal ärgerlich ab, diese Gedanken, und wenn der Stefanelly kam, der alles Land umher förmlich auffraß, ließ er ihn jedesmal derb abfahren, so verlockend auch seine Anträge waren.

*      *      *

Die Herbstarbeiten waren im vollen Gange, die gelben Stoppelfelder verschwanden immer mehr, der rothbraune Ton des umgeackerten Erdreiches beherrschte die weite flache Landschaft. Schwere Ackergäule, Ochsenpaare tauchten da und dort schwerfällig aus dem Nebel auf, im täuschenden Lichtspiel zu unnatürlicher Größe anwachsend, während andere in der Ferne langsam zerflossen. Nur die saftgrünen langgezogenen Rübenfelder, aus denen die rothen und blauen Kopftücher und Röcke der Tagelöhnerinnen herausleuchteten, brachten Farbe in die Eintönigkeit der Landschaft.

Der alte Gutsherr von Schönau ritt von Acker zu Acker; die Reitstiefel mit gelben Ueberschlägen, der lange Rock, der zu beiden Seiten des altmodischen Sattels herabhing, die verschossene grüne Schirmmütze, der fette alte Schimmel mit dem langen Schweif, alles war weit und breit bekannt, es gab nur einen Brennberg im ganzen Lande. Die Mägde in den Rübenäckern stießen sich und kicherten, die Knechte winkten sich lachend zu, niemand grüßte ihn, das war er schon längst gewohnt. Mit gebeugtem Haupte, in Gedanken versunken, ritt er seinen Grundstücken zu.

Gegen Norden drang dumpfes Tosen aus dem Nebel. Dann hob sich dieser auf einen Augenblick; strahlenförmig sich in das Ackerland bohrende, im Bau begriffene Straßen wurden sichtbar, Dachstuhlgerippe, in denen es ameisenartig wimmelte; auf der Landstraße bewegten sich knarrend von der Stadt her ganze Kolonnen Ziegelfuhrwerke. Christian hielt an, hob sich im Sattel und blickte wie ein Feldherr prüfend auf die sich entwickelnde Schlachtlinie des Feindes. Er maß mit den Augen die Entfernung der ersten Vorposten von seinem Acker, sie betrug kaum mehr tausend Schritte! Vor ihm lagen die Felder bereits ungepflügt; wozu denn pflügen? Es verlohnte sich nicht mehr, im Frühjahr wurden sie ja überbaut, und die Leute erhielten, ohne eine Hand zu rühren, den zehnfachen Ertrag in klingender Münze. Ackern, säen, ernten, dreschen, welche Fülle von Schweiß und Sorge, und hier das blinkende schöne Geld mühelos über den Tisch heruntergestrichen! Für diese Leute war es doch eine herrliche Zeit, sie mußte es für jeden sein, der kein Brennberg war!

Da kam ein Mann auf einem Feldweg gerade auf ihn zu, und seine bekannte Erscheinung riß den Freiherrn aus diesem Gedankengang. Es war der alte Margold, sein früherer Gärtner. Auch ihn, den treuen Diener, den er noch von seinem Vater übernommen, hatte der Selbständigkeitstrieb der Zeit gepackt; Margold hatte ihn verlassen und eine Gärtnerei angefangen; und doch war er ihm nicht bloß Diener gewesen, er hatte ihn mit der alten treuen Herrenliebe geliebt, die schon längst ausgestorben ist, und Christian fühlte sich ihm jetzt noch verwandter als den in seinen Augen gesinnungslosen Standesgenossen, er war ein Stück seiner Zeit.

Christian ritt Margold entgegen, und der alte Schimmel wieherte hell auf, denn er erkannte seinen alten Futtermeister – Margold war seinerzeit im Hause Schönau alles gewesen. Der [64] Gärtner ging gebeugt und stützte sich ermattet auf den derben Knotenstock, demüthig grüßend blieb er stehen. Christian erwiderte huldvoll, er that ihm so wohl, der Gruß Margolds!

„Wohin? Wohin, Alter?“ fragte er mit der barschen Gemüthlichkeit alten Stils.

„Zu Ihnen, gnädiger Herr! Ich brauche Ihren Rath, unser einer kommt nicht mehr mit in der klugen Zeit. Wenn ich den gnädigen Herrn so wie einen einfachen Bauer der Arbeit nachschauen sehe, dann könnte ich weinen vor Zorn.“ Er stieß mit dem Stocke auf.

„Vor Zorn? Ueber mich? Du, Margold? Hat sie Dich auch schon gepackt, die moderne Krankheit?“

„Ueber Sie? Wie können Sie nur so etwas denken, gnädiger Herr! Nein, aus Zorn über meine Kinder – die Kinder eines Arbeiters, denen die Arbeit zu niedrig, eine Schande ist! Es ist ihnen zu schlecht bei mir draußen in Haching, ich soll verkaufen, in die Stadt ziehen – der Stefanelly hat ihnen den Kopf ganz verrückt. Es ist wahr, er bietet eine sündhafte Summe für das Anwesen – aber was nutzt denn das, wenn man nichts dabei im Sinn hat, als flott zu leben, den Herrn zu spielen und nichts mehr zu arbeiten, wie es den jungen Leuten jetzt allen im Kopf steckt! Ein paar Jahre, zehn Jahre vielleicht, und alles ist verlumpt und verludert in der Stadt drinnen! – Da kommen sie nun, um mich herumzukriegen mit Sachen, die mich ganz irre machen. Der Hans will die Loni Weinmann, die Nachbarstochter, heirathen. Ihr Vater hat erst vor ein paar Tagen an den Stefanelly verkauft um ein Heidengeld, und das ist dem Mädel in den Kopf gestiegen, sie will keinen Gärtnerburschen mehr zum Mann haben. Zu meiner Zeit wäre ein Mann viel zu stolz gewesen, so einem Mädel noch nachzulaufen – aber heut’ zu Tage! Mein Hans giebt ihr ganz recht und macht mir Vorwürfe, daß ich seinem Glücke im Wege stehe, und das will ich doch nicht, hei Gott nicht! So fremd einem heutigen Tages seine eigenen Kinder werden, man hat sie ja doch über alles gern! Und dann die Bertl. Das Mädel ist ja so fleißig und brav, hat mir immer Freude gemacht mein Lebtag. auch die haben sie herumgekriegt in der Stadt, und sie ist eigentlich die Hauptsache warum ich hier bin, – ich halt’s für meine Pflicht dem gnädigen Herrn gegenüber. Sie werden mir’s nicht glauben, Sie können’s ja fast nicht glauben, aber es ist doch so, Ihr Herr Sohn, der Herr Theodor, hat ihr den Kopf so voll geschwätzt; Sie wissen ja, gnädiger Herr, die Kinder sind zusammen aufgewachsen, sie haben sich gern gehabt – aber wer hätte denn an etwas weiteres gedacht!“

Brennberg fuhr auf aus seiner geduckten Stellung, in der er, mit dem Kopfe nickend, Margold zugehört hatte.

„Und wer soll denn an etwas weiteres denken?“ fragte er in strengem, kaltem Tone.

„Der Herr Theodor selbst! Ich sag es ja, die ganze Welt steht auf dem Kopf, der Herr Theodor selbst! Sie soll machen, daß ich verkaufe, hat der Herr Theodor meiner Bertl eingeredet, mit einer reichen Bürgerstochter könne heutzutage auch ein Lieutenant von Brennberg verkehren, der ständen alle Häuser offen, und er wolle mit ihr verkehren, er habe sie über alles lieb, und was so ein junger Herr denn halt alles sagt, um einem armen jungen Mädel den Kopf zu verdrehen. Da giebt’s nur zweierlei, was man glauben kann, Euer Gnaden, entweder, er meint’s wirklich ernst, der Herr Theodor – und dann ist es für beide ein Unglück – oder er hat schlimme Absichten mit meinem Kinde, dann – dann – ’s muß heraus, Euer Gnaden, dann ist er ein schlechter Mensch und macht Ihren alten Margold unglücklich! Darum bin ich gekommen, daß Sie dem jungen Herrn den Kopf zurecht setzen, daß Sie nicht eines Tags sagen können: ‚Der alte Margold selber hat dahinter gesteckt!‘ – Gott bewahre mich davor!“

Er seufzte schwer auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er seine Rede beendet hatte.

„Das glaube ich Dir alles aufs Wort, lieber Margold,“ entgegnete Christian; „ich glaube sogar, daß mein Junge die Werbung ernst nimmt. Was kümmert ihn sein Name, sein Stand! Deine Tochter ist hübsch, sie ist auch sehr klug und brav, sie vergiebt sich nichts ihm gegenüber und sie ist eines reichen Mannes Tochter, wenn Du Dein Anwesen verkaufst! Sein Vater, der alte Narr, will ja nicht, und der Bursche steckt in Schulden bis über die Ohren! Befriedigung seiner Leidenschaft, Genuß, Geld um jeden Preis, was sucht er denn sonst? Ich wüßte ein einfaches Mittel, meinem Jungen diese Heirath aus dem Kopf zu bringen: ich bin klüger als Du, verkaufe Schönau an den Stefanelly um ein paarmal hunderttausend Mark, ziehe in die Stadt – und mein Theodor sieht Deine Bertha nicht mehr an! Du bist starr, Margold, nicht wahr? Der alte Brennberg verkauft sein Schönau, die Welt geht unter, meinst Du? Sie geht aber nicht unter wegen des alten Brennberg und dreht sich lustig weiter. Ich sage Dir, Margold, Du bist nicht gescheit, wenn Du nicht verkaufst an den Stefanelly und in Deinen alten Tagen Dir Ruhe gönnst. So lange wird es ja reichen, und dann – was kümmert einen das ‚Dann‘? Bei mir ist es was anderes, ein alter Name, ein uralter Stammsitz – alter Kram, den alles verlacht, verhöhnt und den ich doch liebe! Wenn ich Du wäre, ich würde mich nicht besinnen, ich würde verkaufen und den tollen Tanz der Zeit noch mit meinen grauen Haaren mittanzen.“

Margold zerknüllte die Mütze zwischen den Händen und starrte mit offenem Munde und ängstlichem Blick auf Christian.

„Das sagen Sie, der Herr Christian von Brennberg auf Schönau! Mein Geschäft aufgeben, mit zwei noch rüstigen Armen ein Herumlungerer werden in der Stadt und ruhig zusehen, wie – wie alles das hart mit diesen Händen Erworbene zum Teufel geht, verpraßt wird von meinen Kindern? – Sie sagen das? Ja dann – dann haben sie ja ganz recht, die Bertl und der Hans, dann bin ich wirklich der einzige Blinde auf der Welt! Da muß ich ja laufen, daß ich den Stefanelly nicht versäume!“

Seine Stimme klang wie von zornigem Weinen erstickt, er wandte sich zum Gehen.

„Da schaue hin, Alter,“ – der Gutsherr wies mit dem Reitstock auf die neue Baulinie – „glaubst Du, dem gefräßigen Ungethüm dort könnten wir widerstehen? Unmöglich. Auch Schönau wird und muß fallen! Ich habe alle Hoffnung aufgegeben, es zu erhalten, Deine Nachricht über Theodor beschleunigt nur meinen Entschluß. Für uns zwei handelt es sich um etwas ganz anderes: darum, daß wir mit unseren grauen Haaren nicht von unseren Jungen selbst mit hineingezogen werden in den schwindelhaften Taumel, der jetzt alles beherrscht; das wäre das schmachvollste! In Dir steckt gesundes Arbeiterblut, bei Dir hat das weniger Gefahr, anders ist es bei mir! Mein Großvater war ein Spieler, die Brennbergs waren reich, bis er an das Regiment kam! Wenn nun das alte Laster, das unserem Stamme schon so viel Verderben gebracht hat, wieder zum Durchbruch käme! Mein Theodor kämpft bereits mit ihm, und Dir kann ich es ja sagen, Margold, das viele Geld, das ich für meinen Wald eingenommen habe, beunruhigt mich ganz sonderbar. Das glaubst Du nicht, wenn Du mich so ansiehst in meinem alten Rock und meinen Kappenstiefeln, und doch ist was daran! Ich sage Dir, ich fürchte mich vor mir selbst, darum verkaufe ich nicht, wenn ich nicht muß.“

Margold bekam eine förmliche Angst um seinen alten Herrn; der Schmerz um seinen Wald, meinte er, und der Leichtsinn seines Sohnes konnten ihn wohl verrückt gemacht haben.

„Das verstehe ich alles nicht,“ erwiderte er verwirrt; „aber das sehe ich schon, ich muß nachgeben, und vielleicht kann ich meine Kinder vor dem Taumel bewahren, denn es steckt auch in ihnen Arbeiterblut, denke ich. Nichts für ungut, gnädiger Herr, wegen dessen, was ich von dem Herrn Sohn berichtet habe! Mein Gott, er wird es sich nicht so überlegt haben. Ich hätte gar nichts sagen sollen! Es ist ja zum Lachen – der Herr Lieutenant von Brennberg und die Bertl Margold! Nein zum Lachen!“

Und Margold ging ohne Gruß den Feldweg zurück, den er gekommen war. „Nein zum Lachen!“ klang es noch aus dem Nebel, in dem er rasch verschwand.

Christian blickte seinem alten Gärtner nach und das Wasser trat ihm in die Augen. „Der hält aus! Den kriegen sie nicht unter!“ murmelte er vor sich hin, und in tiefes Sinnen versunken ritt er gegen Schönau zurück.

[79] Das Rollen eines Wagens weckte den alten Baron aus seinen Gedanken; in der Pappelallee, die sich gegen das alterthümliche Portal von Schönau hinzog, fuhr eine elegante Equipage, zwei herrliche Rappen waren vorgespannt und das silberbeschlagene Geschirr blitzte zwischen den alten Stämmen auf. So fuhren die Brennbergs nach Hause, ehe dieser Verschwender, der Großvater, an das Regiment kam. Christian dachte es und blickte unwillkürlich an sich herab.

Der Wagen fuhr nach Schönau, zu ihm, ohne Zweifel! Wer es nur sein konnte? Von der städtischen Aristokratie besuchte ihn niemand, wer kümmerte sich dort um den armen komischen Kauz, den Brennberg! Er glaubte zwei Herren erkannt zu haben – wenn der Stefanelly dabei wäre? Dieser war zwar bis jetzt nur mit Lohnfuhrwerk gekommen, aber er konnte ja seitdem ein Millionär geworden sein, denn er war klug und nutzte seine Zeit. In der Equipage ein Stefanelly! Vor zehn Jahren arbeitete er noch als einfacher Polier in Schönau, und die Brennbergs waren schon vor dreihundert Jahren – das Blut stieg dem alten Herrn in den Kopf, und der alte Schimmel bekam zum ersten Male seit vielen Jahren die Sporen. Er machte einen drolligen Sprung, wandte den Kopf erstaunt nach seinem Herrn um und rannte dann wie von Entsetzen gepackt dem Schlosse zu.

So kam Christian gar ritterlich angesprengt; die Knechte im Hofe rissen erstaunt die Mäuler auf, denn so etwas war noch nie vorgekommen. Vor dem Portale stand Theodor mit Stefanelly in eifrigem Gespräche.

Der ungewohnte kühne Ritt hatte das Antlitz Christians geröthet, und als ob durch denselben alle Ideen des Ritterthums wieder in ihm wachgerufen worden wären, hob er sich aus dem Sattel und erwiderte im Tone eines großen Herrn den unterthänigen Gruß Stefanellys, der zu der vornehmen Equipage auf dem Kiesplatz gar nicht paßte.

Theodor war sichtlich verlegen, gedrückt.

„Herr Stefanelly hat mit Dir in wichtiger Angelegenheit zu verhandeln,“ begann er; „wir sind zusammen aus der Stadt herausgefahren. Ein brillantes Gespann, was?“ Er deutete auf die zwei Rappen.

„Sehr hübsch,“ erwiderte Christian gemessen, ohne sein Gefallen daran zu verrathen. „Wie kommen Sie dazu, Herr Stefanelly? Ich dachte wirklich in der Ferne, Fürst Löwenstein komme angefahren.“

Ein leichtes, aber nicht verletzendes Lächeln zog über das glatte Antlitz des Bauunternehmers.

„Etwas Glück, Herr Baron!“

Christian nickte mit dem Kopfe in der hohen Kravatte bei dieser Benennung.

„Heller Kopf, unverdrossene Arbeit – und man braucht heutzutage nicht Fürst Löwenstein zu sein, um sich diese kleine Freude gestatten zu können,“ fuhr Stefanelly fort. „Für Herrn Baron würde sich diese Equipage allerdings weit besser schicken als für mich, einen Arbeiter, und wenn der Herr Baron wollen, kann sie heute noch bestellt werden.“

[80] Christian erschrak, denn er wußte nun genau, weshalb Stefanelly gekommen war, und fühlte, daß er selbst in diesem Augenblicke nur schwachen Widerstand zu leisten vermöchte.

„Treten Sie ein, Herr Stefanelly!“ forderte er ihn auf mit zitternder Stimme.

Ein bittender Blick traf ihn aus den in höchster Erregung flimmernden Augen Theodors – er verstand ihn wohl.

Das Gemach, in welches Stefanelly und Brennberg eintraten, war bürgerlich einfach, verblichenes Rokoko; zerbrochene Porzellanfigürchen standen auf Etageren, aus einem verschnörkelten Glasschranke blickten alle Kostbarkeiten der seligen Herrin: bunte Tassen, niedliche Figürchen, Silberzeug, Schmucksachen. Ein altes Spinett, dessen weißer Lack überall gesprungen war, stand in einer Ecke. An den Wänden mit den zerbröckelten Goldleisten hingen die Bilder der Brennberge mit Zopf und Allongeperücke. Auch der unglückselige Großvater war darunter, seine langen schmalen Finger, durch welche all das schöne Brennbergsche Geld gelaufen war, ruhten feierlich gespreizt auf der weißen Brustkrause, als wollte er seine Unschuld betheuern. Er sah Christian auffallend ähnlich: dieselbe lange gebogene Nase, der stolz nach unten gezogene, von zarten Falten umgebene Mund.

Der Bauunternehmer setzte seinen goldenen Klemmer auf und ließ seine scharfen Blicke überall umherschweifen.

„Ihre Ahnen wohl, Herr Baron? Charmant!“

Dann ließ er das Glas plötzlich fallen.

„Ich komme, gerade herausgesagt, Herr Baron, um Ihnen ein Angebot für Schönau zu machen, welches Sie nicht ausschlagen dürfen. Ich könnte Ihnen, ich gestehe es, aus eigenen Mitteln das Angebot gar nicht stellen, wenn nicht Kapitalisten hinter mir ständen, die meine Pläne unterstützen. Wir bieten Ihnen –“ er machte eine kleine Pause – „fünfmalhunderttausend Mark, das heißt eine halbe Million!“

Christian machte sich absichtlich auf die Nennung einer hohen Summe gefaßt, um nicht überrascht zu werden, aber diese übertraf doch weit alle seine Erwartungen. Er preßte die Faust unter dem braunen Rock auf das Herz – umsonst! Eine halbe Million! Da zuckte er jäh zusammen, es flimmerte vor seinen Augen, durch die langen Finger des Großvaters an der Wand rieselte ein Goldstrom auf ihn herab – und der kalte stechende Blick des Unternehmers ruhte regungslos auf ihm; es war ein fürchterlicher Augenblick. –

„Nein, ich verkaufe nicht, um keinen Preis“ sagte er endlich mit fast übermenschlicher Anstrengung sich beherrschend. Ein furchtbarer Kampf wüthete in der Brust des Gutsherrn, der Schweiß stand auf seiner Stirn.

„Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Herr Sohn, der letzte Brennberg, dann ruinirt ist und wegen Spielschulden den Dienst quittiren muß?“ sagte jetzt scharf, mit blitzenden Augen Stefanelly.

„Wegen Spielschulden, sagen Sie?“

Die Stimme Christians klang wie von Thränen erstickt, seine Hände krampften sich um die Lehne des Stuhles.

„Hohe Spielschulden, dreißigtausend Mark!“ klang die kurze Antwort.

„Dreißigtausend Mark! Ja dann – dann – muß ich wohl –“

Christian nestelte an seiner Kravatte, wie um Athem zu bekommen.

„Dann bin ich ja gezwungen, nicht wahr? Ich kann doch nicht meinen Sohn – ja, Sie haben ganz recht, Herr Stefanelly, und es ist ja ein hoher Preis, eine halbe Million!“

Sein Antlitz glühte, sein Auge brannte fieberhaft, er sprach die Worte heftig, dann rief er, wie von plötzlicher toller Freude gepackt: „Ich – ich schlage ein, ich verkaufe um eine halbe Million, Schönau gehört Ihnen.“ Dann sank er wie leblos in den Sessel zurück.

Stefanelly entsetzte sich, der Schlag hatte den Alten wohl getroffen, die Aufregung hatte ihn getödtet; er rief laut um Hilfe.

Theodor trat hastig ein. Er erkannte sofort die Lage. „Rasch, fahren Sie in die Stadt um einen Arzt, das Entsetzen über meinen unverantwortlichen Leichtsinn hat ihn am Ende getödtet! Wie konnten Sie aber auch so rücksichtslos alles sagen?“

„Sie irren vollständig,“ entgegnete sarkastisch Stefanelly, „nicht die Entdeckung Ihres Leichtsinns, sondern das Angebot von einer halben Million hat ihn getödtet, wenn es wirklich so schlimm ist. Ich hole einen Arzt.“ Und er entfernte sich.

Vor dem bleichen Vater, dessen Lippen leise zitterten, knieete Theodor. Bittere Selbstvorwürfe regten sich in seiner Brust über seinen Leichtsinn, der an allem schuld war! Er kannte ja seinen Vater, was kümmerte der sich um Geld! Und wenn es eine ganze Million wäre, er würde Schönau nicht lassen, außer in der äußersten Noth, um seinen ehrlichen Namen zu retten. Innige Verehrung für den Vater, verbunden mit aufrichtiger Verachtung seiner selbst und seines unordentlichen Lebens, stieg in ihm auf, die besten Vorsätze wurden gefaßt. Da schlug Christian die Augen auf, blickte wirr, ängstlich im Zimmer umher, dann starr auf seinen Sohn.

„Theodor! Du? Ich hörte doch eben eine andere Stimme?“

„Stefanelly war bei Dir und erschreckte Dich so. Es ist ja nicht wahr, was er Dir sagte!“ beruhigte Theodor.

Der Alte trommelte mit den Fingern auf der gefurchten Stirn.

„Was sagte er mir nur gleich? Ja, ja, eine halbe Million, sagte er, und das ist nicht wahr, Theodor, die halbe Million ist nicht wahr?“

Sein Gesicht drückte ängstliche Erwartung aus.

„Die halbe Million ist schon wahr,“ entgegnete der Sohn, „aber das, was Dich so entsetzte, die Geschichte mit den dreißigtausend Mark Spielschulden – Gott! wahr ist es auch, aber es drängt nicht so, wie er Dir vorstellte, vorderhand nicht, beruhige Dich darüber! Ich sehe ja meinen Leichtsinn ein und es soll nicht mehr geschehen, ich weiß selbst nicht, wie ich zu der unglückseligen Leidenschaft komme –“

Christians Gesicht hellte sich auf, er lachte.

„Also die halbe Million ist wirklich wahr? Nun, dann beruhige Dich, Theodor, dann kann ich ja einstehen für Dich. Du bist ja dann reich und wirst nicht mehr spielen, nicht wahr? Man spielt doch nur so hoch, um zu gewinnen, und wenn man reich ist, nützt es nichts mehr, man hat ja dann, was man am Spieltisch suchte! Ist es nicht so, Theodor, nicht so? Sprich! Oder ist es eine Leidenschaft, die auch den Reichen nicht verläßt, eine Krankheit? Ich habe nie gespielt, ich weiß es ja nicht. Freilich Dein Urgroßvater da oben - der war auch reich – also das wäre keine Rettung davor, auch die halbe Million nicht! Es muß doch eine eigenthümliche Leidenschaft aein, das Spiel!“

„Der ich für immer entsagen will, Papa,“ schwur Theodor, den die wirren sonderbaren Reden Christians beängstigten. „Man ist jung, lebenslustig, ständig in Geldverlegenheit, da hat es etwas arg Verführerisches, zu denken: in einer Stunde kannst Du die ganze Last vom Herzen haben! Aber das wird ja jetzt alles anders, wenn Du in den Verkauf willigst – und Du willigst doch ein? Schönau ist ja doch nicht mehr zu halten.“

„Gewiß, Theodor, ich bin fest entschlossen, Du sollst die Last vom Herzen haben und nicht mehr spielen – nur nicht mehr spielen, Theodor, das schwöre mir! Wenn er nur wiederkommt, der Stefanelly! Daß ich auch ohnmächtig werden mußte! Das ist mir noch nie begegnet – ein böses Zeichen! Du wirst bald allein sein, Theodor, der letzte Brennberg. Dann bist Du reich, kannst eine glänzende Karriere machen, unserem Namen wieder zum alten Glanze verhelfen, dafür opfere ich ja mein geliebtes Schönau. Eine vornehme Heirath wird Dir – da fällt mir ein – Du sollst ja ein Verhältniß zu dieser Bertha Margold haben, der Alte war eben bei mir. Ein leichtsinniger Streich, weiter nichts, ich weiß es ja; aber das ist nicht recht von Dir, ich habe ihn gerne, den treuen Margold – versprich mir, die Sache nicht weiter zu treiben – mit einer halben Million, ein junger Brennberg!“

Theodor wurde feuerroth; er schämte sich dieses Verhältnisses, das ihm plötzlich furchtbar lächerlich vorkam.

„Ich denke ja nicht daran, Papa, es ist reine Einbildung von dem Alten; weiß Gott, was ihm das Mädel vorgeschwatzt hat! Ein paar scherzhafte Worte, die ich neulich zu ihr sprach, weiter nichts! Ich weiß, was ich Dir und meinem Namen jetzt schuldig bin, Du wirst mit mir von nun an zufrieden sein!“

Gleich darauf betrat Stefanelly mit dem Arzte das Zimmer. Seine glatte Stirn zog sich in Falten, als er den Gutsherrn ohne alle Hilfe aufstehen und auf sich zukommen sah; er hatte sich eine andere Erwartung gemacht.

[82] „Beruhigen Sie sich, mein Herr, es war nur ein kleiner Anfall ohne jede weitere Bedeutung. Ich bedaure sehr, daß Sie sich herbemüht haben, Herr Doktor! Ich werde alt und bin großen Aufregungen nicht gewachsen."

Der Arzt war bereits von seinem Begleiter über die Art dieser Aufregung aufgeklärt und entfernte sich mit einem sonderbaren Lächeln, nachdem er pflichtgemäß die üblichen Fragen gestellt hatte. Der Gutsherr sah jetzt wieder so lebensfrisch aus, sein Auge leuchtete von jugendlichem Feuer, ein Arzt war hier nicht mehr nöthig und konnte nur stören.

„Wir sind entschlossen, Ihr Anerbieten anzunehmen,“ sagte jetzt Christian, als der Doktor das Zimmer verlassen hatte, zu Stefanelly, der hei dem „Wir“ mit einem spöttischen Blick auf Theodor lächelte; „wollen Sie gleich einen Rundgang durch die Besitzung machen, durch den Park, die Stallungen? Ich fühle mich wieder bei vollen Kräften.“

Stefanelly lehnte dankend ab.

„Ich kenne Schönau zur Genüge, und die Einzelheiten sind für mich weiter nicht von Belang. Ich rechne, offen gesagt, nur nach Quadratmetern Bauplatz, weiter nichts, was darauf steht, ist für mich werthlos. Die Einrichtung beanspruche ich gar nicht. Sie sehen, Sie haben es mit einem coulanten Mann zu thun.“

Sein früher so ehrerbietiges Wesen hatte sich in ein völlig geschäftsmäßiges verwandelt.

Christian verursachte die trockene Erklärung über das künftige Schicksal Schönaus einen heftigen Schmerz, obwohl er kein anderes dafür hatte erwarten können. Der alte, ehrwürdige Park, das Schloß, die gut gepflegten Felder, die Musterstallungen – die heiligste Stätte seines Lebens – alles werthloses Zeug, zum Abbruch reif, eine Fläche von so und so viel Quadratmetern Bauplatz! Die Thränen traten ihm in die Augen, es war ihm, als müsse er alles widerrufen, das ganze Todesurtheil, das er über sein Schönau gefällt hatte. Er blickte auf Theodor, und dieser, sein Stammhalter, gab ihm wieder Muth. Den andern Tag sollte der Notar kommen.

Theodor küßte seinen Vater innig, er las alles in seinen feuchten Augen; er war ein guter Junge und vergoß selbst ein paar Thränen in seiner weichen erregten Stimmung, nahm aber trotzdem die Einladung Stefanellys, mit ihm in die Stadt zurückzufahren, an. Dieser denkwürdige Abend in seinem Leben durfte nicht in dem langweiligen Schönau vertrauert, der mußte der neuen glänzenden Zukunft entsprechend würdig begangen werden!

Als das stolze Gefährt in der Allee verschwunden war, trat der Rückschlag bei Christian ein: die Kniee wankten ihm, unsagbares Weh packte ihn; er schleppte sich mühsam in die Stallungen, las mit schmerzlichem Kopfnicken die alten halbverwischten Pferdenamen über den jetzt leerstehenden Ständen, „Achill“, „Esperance“, „Warwick“, „Esther“, kraute den Rindern, die, gewohnt, von ihm Obst, Rüben und dergleichen Leckerbissen zu bekommen, ihm von weitem entgegenschnupperten, die lockigen Stirnen. Von da ging er in den Park, zu den von Gesträuch überwucherten, ruinenhaften Götterstatuen, die er so liebte; zu seinen Lieblingsplätzen, wo er mit der Seligen gesessen hatte. Es dunkelte schon, der Mond zerriß den Nebel, durch eine Lücke der alten Akazien erblickte er das weiße Schlößchen mit den hohen, von reicher Stuccatur umgebenen Fenstern, seinen Thürmchen und verfallenen Terrassen; wie ein Traum aus alter Zeit, mondlichtumwebt, erschien es ihm, er bedeckte sein Antlitz mit dem großen blauen Schnupftuch und weinte und schluchzte wie ein Kind.

Der schrille Pfiff einer Lokomotive brachte ihn zu sich; fest auf seinen Stock gestützt, Trotz im Antlitz, ging er dem Schlosse zu.




3.

Die Heiligegeistkirche ist das älteste Gotteshaus der Stadt M ..., in jener urwüchsigen plumpen Gothik aufgebaut, welche wohl hauptsächlich durch den Mangel an einem gefügigen Baumaterial verschuldet war. Aus gebrannten Backsteinen werden keine „Strahlen der Andacht“, die in feiner Gliederung emporzucken zum Himmelsgewölbe, es ist vielmehr ernstes, kräftiges Werktagsgebet, welches darin zum Ausdruck kommt, und das war es auch, was Jahrhunderte hindurch von frommen Lippen dort gemurmelt wurde. Kurz, die Heiligegeistkirche ist eine streng bürgerliche Kirche, ihrem Bau, ihrem Aussehen, ihrer Umgebung und ihrer Gemeinde nach.

Sie liegt mitten in der Altstadt; die Giebeldächer drängen sich in mittelalterlicher Hilfsbedürftigkeit um den schützenden Koloß, einige wenige dunkle Gäßchen um ihn herum bildend, und nur die Portalseite liegt frei. Vor ihr breitet sich der Obst-, Gemüse-, Fleisch- und Fischmarkt. Das Himmlische und das Irdische kommt hier in vertrauliche Berührung; der Lärm der Käufer und Verkäufer mischt sich mit Orgeltönen und Choralgesang, man geht hinein, um für die Seele – heraus, um für den Leib zu sorgen. Das Gebetbuch kommt auf das appetitliche Sonntagsganserl zu liegen, der Rosenkranz verwickelt sich in das Grünzeug, Himmel und Erde vertragen sich vortrefflich und predigen hier laut ihre innige Zusammengehörigkeit.

Es war ein bitterlich kalter Dezembertag, die Sonne stand machtlos über der Heiligengeistkirche im frostklaren Himmelsblau. Auf dem Markte herrschte trotzdem reges Leben, nur ging der Verkauf heute schneller und ruhiger vor sich als gewöhnlich. Die weibliche Redseligkeit war offenbar eingefroren; man kämpfte nicht, wie gewohnt, eine halbe Stunde um ein oder zwei Pfennig, die stehenden Fragen, Lock- und Schmeichelworte wurden bedeutend verkürzt oder ganz weggelassen. Und doch herrschte eine auffallende Unruhe unter den Standbesitzern. Man rief sich zu, flüsterte sich in die Ohren, schlug die Hände zusammen, lachte spöttisch, blickte ärgerlich von allen Seiten auf das Zifferblatt oben am Thurm der Heiligengeistkirche – man erwartete etwas!

Da schlug die große Glocke an, ein tiefer Brummbaß; dazwischen hinein ein voller Tenor. Die Weiber schnellten förmlich empor aus ihren strohgefütterten Holzkästen, alles rannte, unbekümmert um die Kunden, vor die Standthüren und blickte gegen das Portal der Kirche, um welches eine Menge Volk sich gesammelt hatte.

„Na, die Großthuerei! Mit der großen Glock’n läut’n wegen so einer!“

„Je weniger nutz, desto mehr Glück!“

„Wie wir uns nur so herstell’n mögen, als käm a Prinzeß!“

Unzählige derartige Redensarten schwirrten durcheinander. Dann drängte sich alles der Kirche zu. Kälte, Kunden, Waren, alles wurde vergessen. Die „Damen der Halle“ schoben sich in die erste Reihe mit der Miene voller Berechtigung. Man sprach gar nicht mehr, die Erwartung war zu groß.

Der Schnee knirschte und tönte von nahenden Wagen; der erste rollte um die Ecke, noch einer, ein dritter, und noch immer kein Ende – jetzt wurden die Leute unruhig.

„Die Protzerei! A Schand’ is! A Schwind’l!“

Aus dem sechsten Wagen beugte sich ein Mädchen in vollem Brautschmuck, mit dem sichtlichen Bemühen, gesehen zu werden.

„Die Loni soll leben, hoch!“ rief jetzt ein junger Metzgerbursche aus der Menge heraus.

Der Ruf wurde von dem jungen Volk trotz heftigen Widerspruchs der Weiber begeistert aufgenommen, und das Mädchen im Wagen verbeugte sich hoch erröthend mit fürstlichem Anstand.

Es war die Trauung Hans Margolds mit Loni Weinmann. Der alte Margold hatte dem Drängen seiner Kinder nachgegeben und verkauft.

Wer nur irgend konnte, drängte sich in die Kirche, man kannte ja die ganze Sippe der Margolds und Weinmanns und war begierig, sie in ihrem vielbeneideten Glück zu sehen. Eine feierliche Hochzeit mit sechs Wagen, am Hochaltar der Heiligengeistkirche zwei Gärtnerskinder, die zwischen ihren Ständen aufgewachsen waren, das machte die Leute ganz verwirrt.

Endlich trat der Zug aus der Sakristei. Die Braut in weißem Atlas, kostbarem Schleier, geführt von zwei eleganten Herren im Frack – die Loni! das ungezogene Mädel, mit dem sie ihre Kinder gar nicht umgehen ließen. Wie sie stolz daher ging, das weiße Bouquet für mindestens zwanzig Mark in der Hand! Wo sie wohl die zwei Brautführer hergenommen hatte? Natürlich nicht aus der Familie, feine Herren waren’s – vielleicht gar gute Freunde, ehemalige Kunden von Weinmanns! Hinter ihr der Hans, auch mit Frack und Cylinder, und neben ihm – wer ist denn die? Ein sauberes Mädel! Einfach und nett gekleidet und den Kopf sittsam gesenkt. wie sich’s gehört in der Kirche - ja, das ist ja die Bertl! die Bertl Margold! Die mit dem Baron! O, die wird die nächste sein in der Heiligengeistkirche, [83] dann werden’s mit Equipagen und Bedienten kommen – nein, was das Pack für ein unverschämtes Glück hat! – Ah, da kommt der alte Weinmann! Wie der sich bläht vor Hochmuth! Wie ein Bankier schaut er aus – und daneben, richtig, der Margold! O je, den hat das Glück ja ganz zusammengedrückt! Der versteht’s noch nicht, den Privatier zu spielen. Und sie erst recht nicht! Schaut’s doch! Die Margoldin! Den Hut, wo sie den aufgabelt haben mag, und das seidene – na das kennen wir bereits. Wie sie daher kommt, als wenn sie einen Sack Kartoffel tragen müßt! Und wer ist denn der Glatzköpfige da hinten? ’S ist keiner von uns! ’n Orden hat er an seinem Frack – ja, wer kann denn nur das – –

„Der Stefanelly, der Bauunternehmer!“ ging’s plötzlich andächtig flüsternd von Mund zu Mund. „Der Millionär, der ihnen abkauft hat! Der Millionär!“ flüsterte es weiter – dann war’s feierlich still.

Die hohe Halle mit den unzähligen Heiligen, Engeln, Marien, Himmelfahrten und Kreuzigungen, die heilige Ceremonie, die sich am Hochaltar vollzog, alles war vergessen; alle Blicke, alle Gedanken hefteten sich auf den Mann mit dem kahlen Haupt und dem Orden vor der Brust, der zwei von ihnen losgekauft hatte aus der Knechtschaft der Arbeit – auf den Millionär Stefanelly!

Wie ein Messias erschien er ihnen, und wäre er jetzt vorgetreten mit der Verkündigung seines kostbaren Geheimnisses, das heißersehnte Gold mit zauberhafter Kraft an sich zu ziehen, sie hätten ihm andächtiger, brünstiger gelauscht, als wenn ein Engel herabgeschwebt wäre von dem sternbesäeten Gewölbe und zu ihnen geredet hätte. –

Sonst waren nur wenige Hochzeitsgäste da, und die wenigen, wohl die nächsten Verwandten, trugen in ihrer altmodischen, ärmlichen Kleidung, ihrer eckigen schüchternen Haltung zum Glanz des Festes nicht bei.

[92] Als die kurze Trauungsfeierlichkeit vorüber war, stieg Stefanelly in einen Wagen mit dem alten Weinmann, der sich in lärmender auffallender Weise mit dem Baumeister wie mit einem guten Freunde unterhielt und die knochige Hand mit dem großen blitzenden Diamant wie ein Aushängeschild plump und schwer zum Wagenschlage heraushängen ließ. Loni, die junge Frau, kokettirte lebhaft mit dem Brautführer, dem jungen Mareschal, ohne es dabei zu versäumen, mit den Augen ihre früheren Verehrer vom Markte zu begrüßen. Trotzdem war sie den neugierigen Leuten immer noch sympathischer als die Bertl Margold, die ihre Umgebung nicht einmal mehr eines Blickes würdigte und sich in die Ecke ihres Wagens drückte – die künftige „gnädige Frau“! –

Die Wagen waren verschwunden, man kehrte zu seinen Geschäften zurück und feilschte wieder um jedes Pfennigstück, der lüsterne Traum vom goldenen Glück war verflogen. – –

Das Hochzeitsmahl fand bei Arnold statt, das ließ sich der alte Weinmann nicht nehmen. Er war jetzt Hausbesitzer und gehörte zu der großen Spekulantengesellschaft, an deren Spitze Stefanelly stand. Da mußte man doch repräsentiren!

Ein besonders üppig ausgestattetes Zimmer des Arnoldschen Anwesens war heute für die Hochzeitsgäste in Bereitschaft gesetzt. Loni war ausgelassen fröhlich; die Atmosphäre dieses Raumes behagte ihr, sie warf sich kichernd auf die sammetnen Kanapees, betrachtete sich in den hohen Spiegeln, knapperte vor Beginn der Mahlzeit schon an dem Konfekte herum, erklärte ihrem Mann, solch ein Speisezimmer müsse sie auch haben, und schien es noch immer nicht vergessen zu haben, daß Ingenieur Mareschal, ihr heutiger Brautführer, ihr einst gefährlich nahe gestanden hatte.

Weinmann erfüllte die Luft mit einem ständigen erschütternden Lachen und machte sich über Margold lustig, der still und schweigsam dasaß und sich offenbar hier ebenso wenig behaglich fühlte wie die übrigen beiderseitigen Verwandten. Mit neugieriger Verlegenheit blickten die Leute auf die reichbesetzte Tafel und umher in dem üppigen Raum, der ihnen wenig Hoffnung gab auf die in ihren Kreisen bei solchen Festen übliche Gemüthlichkeit.

In einem sonderbar erregten Zustande befand sich Bertl; jeder Unbetheiligte hätte sie mit dem hochgerötheten Antlitz, den leuchtenden Augen für die Braut gehalten. Es war aber auch ein harter Tag für sie. Der süße Traum, den ihr Vater erbarmungslos gestört hatte, indem er ihr seine Unterredung mit dem alten Brennberg über ihr Verhältniß zu dessen Sohn mittheilte, umgaukelte sie heute wieder mit seinem ganzen verführerischen Zauber. Sie dachte sich auf den Platz Lonis, und wie mit einem Zauberschlag versank ihre ganze Umgebung, der lärmende Weinmann, die unbeholfenen Verwandten, der verhaßte Stefanelly, ja selbst der Vater, die Mutter und an ihre Stelle trat eine vornehme Gesellschaft, Damen in strahlendem Schmuck, Herren in glänzender Uniform! – O, wie sie jetzt alles um sie her anwiderte! Was nützte es ihr, daß der Vater verkauft hatte, daß ihr Wunsch erfüllt war, in M ... zu sein, wenn sie immer unter diesen Leuten leben mußte! Woher sie nur einen solchen Abscheu gegen dieselben gewonnen hatte? Sie gehörte ja zu ihnen, war mitten unter ihnen aufgewachsen. – Er allein, dem all ihr Denken galt, er war schuld daran, er machte sie unzufrieden durch die trügerischen Hoffnungen, die er in ihr wachrief. – Aber am Ende waren sie doch nicht so trügerisch, diese Hoffnungen? Wie der alte Brennberg sprechen würde, das hatte sie ja von vornherein wissen müssen, ebenso, daß Theodor nicht offen seine Neigung bekennen durfte, ohne alles zu verderben.

Sie fühlte eine heißere Sehnsucht nach ihm als je, nicht nur eine wirkliche Leidenschaft, sondern das angstvolle drängende Gefühl, daß er allein sie retten könne aus diesen ihr jetzt verhaßten Lebenskreisen. Sie erröthete über das spöttische Lächeln der bedienenden Kellner, die sich über die Unbeholfenheit und Ungeschicklichkeit dieser Gäste im stillen lustig machten; ihr selbst fiel heute die häßliche Gier, die unsaubere Art ihres Essens auf, das geräuschvolle Lachen, die harte unbeholfene Sprache. Selbst ihr Bruder Hans, trotzdem er aussah wie ein Kavalier, und sogar der reiche Stefanelly mit seinem Orden auf der Brust, seinem gewandten weltmännischen Benehmen kamen ihr entsetzlich gewöhnlich vor. Der Gedanke packte sie, ob sie nicht am Ende auch so aussehe, auch sich so benehme, ohne daß sie es selbst wußte, und ob nicht der junge Brennberg, nachdem er zuerst oberflächlich Gefallen an ihr gefunden hatte, das plötzlich entdeckt haben könnte. Sie musterte und prüfte sich streng im Spiegel gegenüber, forschte nach jeder Bewegung, jedem Zug ihres Antlitzes, der ihr mißfallen könnte; und obwohl sie nichts fand, was sie sich hätte vorwerfen können, so vermochte sie doch nicht, ihrer Beklemmung Herr zu werden.

Stefanelly beschäftigte sich angelegentlich mit dem alten Margold, der neben ihn zu sitzen kam, trank ihm zu, legte ihm die besten Bissen vor, drückte ihm seine Freude aus, daß es ihm, einem tüchtigen, fleißigen Arbeiter, durch die glücklichen Zeitumstände vergönnt sei, seine alten Tage in Ruhe und Behagen zu genießen im Kreise seiner Kinder, und fragte teilnehmend, wie er sein Kapital wohl anlegen werde. Heutzutage könne man nicht vorsichtig genug sein, es gebe immer Leute, die Unerfahrene auszubeuten suchten.

Margold entwickelte darauf mit unruhigem Eifer seinen Plan. Er wolle die Gärtnerei durchaus nicht aufgeben, denn ohne Arbeit [93] könne er nun einmal nicht leben; er habe zu diesem Behufe ein schönes Stück Land außerhalb Hachings, dort, wohin die Stadt doch nie dringen werde, um billiges Geld gekauft, da wolle er einen neuen Garten anlegen, in der Stadt selbst aber vorderhand einen Laden für kunstgärtnerische Erzeugnisse miethen; sein Hans und seine Bertl seien gar geschickt in diesem Fach, er brauche keinen Wettbewerb zu scheuen, und die jungen Leute fänden auch ihre Rechnung dabei, denn sie brauchten sich bei so einem noblen Geschäfte ja nicht einmal mehr die Hände schmutzig zu machen.

Hans und Loni hatten gespannt auf die Reden Margolds gehorcht und warfen jetzt Stefanelly einen bittenden Blick zu.

Dieser runzelte die Stirn; er erklärte sich durchaus nicht einverstanden mit dem Plan, es ginge ihn zwar nichts an, aber da er einmal davon wisse, könne er seine abweichende Meinung nicht zurückhalten. Es sei geradezu ein Verbrechen, mit einem Kapital, wie Margold es jetzt in Händen habe, in dieser wirthschaftlich blühenden Zeit anderen Leuten den Diener zu machen, das könne er seinen Kindern doch nicht mehr zumuthen. Das Geld liege ja für ihn auf der Straße; er brauche sich nur zu bücken, um es aufzuheben, doppelt, dreifach so viel, als mit Strauß- und Kränzebinden und dergleichen Kleinkram zu verdienen sei.

Der sonst so kühle, verständige Mann, der auf den alten Margold bisher immer durch sein ruhiges entschiedenes Auftreten Eindruck gemacht hatte, bekam einen rothen Kopf vor Erregung; die Sache schien ihm wirklich zu Herzen zu gehen.

Margold begriff ihn nicht; Stefanelly war doch selbst ein Arbeiter, war durch die Arbeit emporgekommen, wie konnte nun er gerade dem Nichtsthun so das Wort reden! Margold wußte sehr wohl, was Stefanelly mit dem „auf der Straße liegen“ meinte – Häuser- und Börsenspekulation, die Arbeit des Kapitals anstatt derjenigen der Hände. Aber Margold haßte, verachtete diese Art von Erwerb, er konnte sich nicht helfen, Geld verdienen ohne jegliche Arbeit, nur durch Spekulation auf Kosten anderer, dünkte ihm wie Diebstahl. Und er sprach diese Ansicht auch dem Stefanelly gegenüber offen aus.

Hans und Loni lachten hell auf über seine Verschrobenheit; Stefanelly aber stutzte und ging dann scheinbar auf die Gedanken seines Nachbars ein.

[94] „Unter Umständen kann ja ein solcher Erwerb allerdings Diebstahl sein, rechtlich betrieben aber ist er eine absolute Nothwendigkeit für das allgemeine Wohl, ein Segen für die Menschheit und gerade für die arbeitende Menschheit. Je mehr Kapital, desto mehr, desto besser bezahlte Arbeit. Wer leistet mehr und Segensreicheres für unsern Stand“ – er betonte das Wort „unsern“ scharf – „der, welcher mit seiner Hände Arbeit sein tägliches Brot verdient, das heißt, sich und seine Familie ernährt, oder der, welcher mit seiner Kopfarbeit sein Kapital vermehrt und, dieses in den Dienst der Arbeit stellend, Tausende ernährt?“

Das war ein Treffer. Margold blickte mit unverhohlener Bewunderung auf den Unternehmer, der klug die Bresche benutzte, welche er sich in diese harte Brust gebrochen hatte.

„Ich,“ fuhr er mit vollem Bewußtsein seiner Bedeutung fort, „ernähre wirklich Tausende, ohne einen Stein anzurühren oder eine Kelle in die Hand zu nehmen. Ich rufe eine neue Stadt ins Leben, begründe unzählige Existenzen – glauben Sie, ich könnte das für mich, aus eigenen Mitteln? – Leider nein! Das Kapital, das vielgelästerte, das nicht meine beiden Hände, mit denen ich früher arbeitete, sondern mein Kopf, mit dem ich jetzt arbeite, mir dienstbar macht, verleiht mir die Riesenkraft, das alles ins Werk zu setzen, und am Ende hat der Kapitalist, welcher ruhig seinen Zins genießt, dasselbe Verdienst für das große Ganze wie ich, der ich ihm denselben zukommen lasse, wie der Arbeiter, durch dessen Fleiß das alles wird, was den Zins trägt. Wechselwirkung, Austausch der Kräfte – darin liegt das ganze Geheimniß der Maschinentechnik, und die ganze Welt ist eine Maschine. O, es sträuben sich viele gegen diese Anschauung! Der alte Herr von Brennberg zum Beispiel – Sie kennen ihn ja“ – der Unternehmer beobachtete scharf den Alten – „der gehörte auch dazu, so lange er nichts hatte als sein altes Nest Schönau – jetzt ist er Kapitalist und läßt sich bekehren.“

„Der Herr von Brennberg – bekehren?“

Margold brachte das Glas, aus dem er eben hatte trinken wollen, nicht zum Munde vor Erstaunen.

„Und zwar gründlicher, als ich hoffte! Er ist seit einigen Wochen auf meinen Rath und meine Vermittlung hin Hauptaktionär einer Baugrund-Erwerbungsgesellschaft, er wird in einigen Jahren sein Vermögen verdoppeln, ohne einen Schritt dafür machen zu müssen, und er wird dann über seine Schönauer Thätigkeit lachen.“

„Das wird er nimmer, der Herr von Brennberg, auch wenn er ein dreifacher Millionär wird,“ fuhr jetzt Margold empört auf. „Lachen über etwas, was ihm sein ganzes Leben heilig war, das thut der alte Herr von Brennberg niemals.“

„Uebrigens,“ unterbrach ihn. ohne auf seine Erregung zu achten, der Unternehmer, „hätte ich noch einige Aktien zu vergeben – ich bin nämlich der Gründer jener Gesellschaft – und wenn Sie zugreifen wollen, es ist lediglich eine Gefälligkeit von mir; doch da wir einmal schon in geschäftlicher Verbindung gestanden –“

Er zog ein Notizbuch heraus.

„Wollen Sie?“ fragte er, seinen kalten Blick auf Margold ruhen lassend. „Bis morgen ist’s zu spät, die Dinger gehen ab wie warme Semmeln.“

Die ganze Tischgesellschaft war allmählich auf das Gespräch der beiden aufmerksam geworden, andächtig lauschte sie auf die Worte Stefanellys und blickte jetzt neidisch auf den Alten, den es nur ein Wort kostete, einzutreten in das Goldland, das den meisten von ihnen für immer verschlossen war.

Hans und Loni drängten den Vater und Schwiegervater mit funkelnden Augen und vorwurfsvollen Worten; selbst Bertl, auf die der Alte einen hilfesuchenden Blick warf, nickte ihm zu, er solle nur zugreifen. Der Vater war ja dann der Compagnon Brennbergs, und der Ausgleich zwischen dem Gärtner und dem Rittergutsbesitzer, von dem Theodor einst gesprochen hatte, that einen weiteren Schritt vorwärts!

Margold war ganz verlassen, allein mit seinem Mißtrauen, mit seiner instinktiven Furcht, die ihm der Antrag einflößte.

„Nun, Herr Margold –“ ermunterte der Unternehmer, den Bleistift zwischen den Lippen netzend.

„Nun, so nehme ich eine Aktie!“ rang es sich endlich schwer aus der Brust. „Wenn der Herr von Brennberg es riskirt –“ Der Gärtner wischte sich den Schweiß von der Stirn.

„Eine? Das ist ja nicht der Mühe werth, unter fünf thue ich es nicht! Lassen Sie sich doch nicht zu Ihrem Glücke drängen!“ meinte Stefanelly.

„So schreiben Sie nur fünf für den Vater!“ sagte Hans. „Ich nähme alle, soviel Sie mir gäben! – Ums Himmels willen, ist der Mann schwerfällig!“

„Darf ich, Herr Margold?“

„So schreiben Sie fünf,“ klang es gepreßt.

Der Unternehmer that es rasch und schob das Notizbuch ein, indem er einen Augenblick seine stechenden Augen schloß, als wolle er nicht die Freude sehen lassen, die in ihnen aufleuchtete.

Man trank jubelnd auf Margolds Wohl.

„O, er wird schon noch recht werden, wenn er auf den Geschmack kommt!“ meinte Hans. „Wie sollen wir Ihnen nur danken, Herr Stefanelly, für alles, was Sie für uns thun!“

„Bitte, bitte, es liegt ja in meinem Interesse, verständige Leute, welche die Zeit begreifen, für das großartige Unternehmen zu gewinnen. Ich stelle mich Ihnen jederzeit zur Verfügung, Herr Margold. Selbstverständlich werden die Herren Aktionäre bei allenfallsigen Häusererwerbungen von mir besonders bevorzugt und von Gelegenheiten zu vortheilhaften Geschäften zu rechter Zeit in Kenntniß gesetzt. Ich kann das machen, nicht wahr, Herr Weinmann, Sie können sich nicht beklagen über Ihr neues Haus!“

„Das meine ich auch, um das Doppelte gebe ich’s nicht her!“ bestätigte Weinmann.

„Sehen Sie! Machen Sie es auch so, Herr Margold,“ drängte Stefanelly, „ich hätte eben eines an der Hand, vorzüglich für Sie geeignet, auch wenn Sie Ihren Plan mit der Kunstgärtnerei durchführen wollen, von dem ich übrigens abrathe; es ist schade um das Geld, das Sie hineinstecken. Wenn Sie sich das Haus kaufen, so bekommen Sie mehr für die Miethe, als Sie je mit Ihrer Gärtnerei verdienen können, und über Jahr und Tag schlagen Sie es mit einem Gewinn von Tausenden los; wir stehen ja erst am Anfang der Entwicklung von M ... Wollen Sie nicht gleich morgen –“

Frau Margold stieß den Gatten kräftig mit dem Ellbogen an und flüsterte: „Greif zu!“

Der Alte war bös in der Klemme.

„Haben Sie etwas Geduld mit mir, Herr Stefanelly,“ flehte er; „ich bin alt und kann mich nicht so rasch entschließen. Das kommt alles so plötzlich über mich, dazu der starke Wein hier, ich bin das nicht gewöhnt – morgen vielleicht –“

Hans schlug ärgerlich auf den Tisch und leerte auf einen Zug ein Glas Champagner.

Loni und ihr Vater lachten spöttisch, nur Bertl hatte jetzt Mitleid mit dem Vater und unterstützte ihn; heute sei keine Zeit zu Geschäften, morgen könne man ja davon reden. Vorsichtig gab Stefanelly selbst ihr recht und brach das Gespräch ab.

Der Champagner erhitzte die Köpfe. Die Geladenen verloren ihre Schüchternheit, vergaßen den vornehmen Raum, der sie anfangs so eingeschüchtert hatte, und lärmten nun auf ihre gewohnte Art, in ihrer gewohnten Sprache. Als Hans in einer wirren Rede Stefanelly als den Wohlthäter der Arbeiter, den Stolz der Stadt feierte, da erreichte die ausgelassene Stimmung ihren Höhepunkt, und selbst Margold wurde durch die Erregung und den Wein mit fortgerissen. Er lauschte mit unsicherem Blick auf die Erzählungen Stefanellys, wie er das geworden, was er jetzt sei, durch das Vertrauen, das er sich erworben habe; er bewunderte zuletzt selbst den Mann und kam sich recht albern und unwissend neben ihm vor. Was konnte er erzählen? Von Graben und Schaufeln sein Lebtag lang. Er unterhielt sich jetzt trefflich und sah die Welt plötzlich so lustig vor sich liegen wie damals vor vierzig Jahren, da er sie als Gärtnerbursche mit dem Ränzel auf dem Rücken durchwanderte. Auch Bertl konnte sich der allgemeinen Stimmung nicht entziehen, der Champagner löste in ihr alles in weiches, wonniges Sehnen auf; war ihr Vater nur erst ein reicher Mann – und er war ja auf dem besten Wege dazu – so kam das übrige dann schon von selbst nach.

Der Abend war schon angebrochen und noch immer war kein Ende. Gluthhitze erfüllte den Raum und ein schwerer Dunst von Speisen und Wein. Aus dem Zimmer nebenan ertönten klirrende Säbel, Männerstimmen, Gläserklang, – dann trat wieder in bestimmten Zwischenräumen lautlose Stille ein, die nur von einem eigenthümlichen leisen Rascheln unterbrochen wurde.

[95] Bertl saß dicht an der verschlossenen Verbindungsthür; seit sie das erste Klirren gehört hatte, horchte sie mit höchster Anstrengung – er war bei der Gesellschaft – eine innere Stimme sagte es ihr, Arnold war ja sein Stammlokal. Die peinliche Stille, die nun wieder herrschte, hatte für sie etwas Unheimliches, war ihr unerklärlich. Endlich wagte sie es, den Kellner um Bescheid zu fragen. „Es sind Offiziere, die ihr Spielchen machen bei einer Ananasbowle,“ war der Bescheid.

Sie mußte lachen, daß sie das so beunruhigt hatte: aber nach Lieutenant Brennberg zu fragen, wagte sie nicht; sie war bei der ersten Frage schon so frech angelacht worden. Den übrigen am Tische fiel der Vorgang im Nebenzimmer nicht auf.

Plötzlich entstand drüben verworrener Lärm, allgemeines Durcheinander, laute Ausrufe: „Gieb nach!“ „Laß ab!“ „Es ist umsonst!“ „Verdammtes Pech!“ tönten herüber. Ein Stuhl wurde gerückt, eine Thür zugeschlagen, gleich darauf überreichte ein Kellner Stefanelly eine Karte. Bertl hörte deutlich, wie er dem Baumeister ins Ohr flüsterte: „Der Herr Baron möchte Sie sprechen!“

Gewiß, das war er, Brennberg, und was konnte er anders wollen als nach ihr fragen! Am Ende wollte er gar sich von Stefanelly hier einführen lassen, um sie zu sehen! Ueber der Freude bei diesem Gedanken vergaß sie ganz, in welcher unpassenden Verfassung für solchen Besuch sich die Gesellschaft schon befand.

Stefanelly verließ das Zimmer mit einem unwillkürlichen Griff in die Tasche. Draußen auf dem Gang stand Lieutenant Brennberg mit dunkelrothem glühenden Antlitz.

„Eben gehört, daß Sie hier sind, Herr Stefanelly. Bin in verdammter Verlegenheit, eben den letzten Einsatz verloren, und jetzt will und darf ich nicht gehen! Kamerad aus dem Norden hier, von Berlin, da wär’s eine Schande. Der Mensch hat unerhörtes Glück, kann aber nichts, ich kriege ihn doch noch unter, wenn Sie mir aushelfen. Sie haben immer die großen Bohnen bei sich, und wir stehen ja in Geschäftsverbindung, die sich noch erweitern wird, verlassen Sie sich darauf! Fünfhundert Mark? können Sie?“

Stefanelly hatte schweigend seine Brieftasche herausgezogen und einige Worte auf eine Karte geschrieben.

„Hier, unterschreiben Sie!“ Er reichte dem jungen Mann Karte und Bleistift.

Mit zitternder Hand schrieb dieser seinen Namen darunter, während der Unternehmer fünf Banknoten herauszählte.

„Hier, Herr Lieuteuaut! Es ist zwar nicht recht, daß ich Ihre Leidenschaft unterstütze, aber ich sehe Sie doch lieber in meinen Händen als in denen eines anderen.“

Theodor griff hastig nach dem Gelde, aber Stefanelly hielt es fest; ein Gedanke war ihm gekommen.

„Folgen Sie mir erst zu der Hochzeitsgesellschaft, bei der ich mich befinde, Geschäfte halber natürlich. Sie werden sich amüsiren mit dem komischen Volk. Ein paar hübsche Mädels sind dabei – na, Sie kennen sie ja, die Loni Weinmann, die Braut, und die junge Margold. Kommen Sie, es liegt mir daran, Sie erweisen mir einen Gefallen –“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich komme, aber zuerst muß ich an den Spieltisch.“ Theodor zerrte an den Banknoten, indem er wiederholte: „Ich komme, ich schwöre es Ihnen, nur jetzt –“

Die Finger Stefanellys gaben nach, Theodor blieben die Banknoten. Im Nu war er damit im Nebenzimmer verschwunden.

Zu Bertls bitterster Enttäuschung kehrte Stefanelly allein in das Zimmer zurück, und Theodor hatte doch sicher erfahren, daß sie da war!

Da erklärte der Unternehmer in selbstbewußtem Tone, daß noch ein Gast sich einfinden werde, ein guter Freund von ihm, den er selbst einzuladen sich erlaubt habe, Herr Lieutenant von Brennberg.

Ein Offizier als Gast bei der Hochzeit! Das setzte dem Ganzen noch die Krone auf, die späte Stunde, in der dieser Gast kam, wurde nicht in Anrechnung gebracht. Aber wohl oder übel mußte man sich nun doch etwas zusammen nehmen.

Frau Margold lachte mit dem ganzen Gesicht und warf selige Blicke auf Bertl hinüber, der die hellen Thränen in den Augen standen

Der alte Margold schlief und hörte von der ganzen Sache nichts.

Im Nebenzimmer herrschte wieder lautlose Stille; nur hier und da ein leises Rauschen von Geld und Karten.

Bertl war mit ganzer Seele drüben, was mußte das für ein Spiel sein, bei welchem so andächtige Stille herrschte? Jetzt verworrene Stimmen, lautes Gelächter, Stühle werden gerückt, Gläser klingen; gleich darauf geht die Thür auf und Lieutenant Brennberg tritt ein, geradeswegs auf Stefanelly zu, dem er herzlich die Hand drückt.

„Berlin ist besiegt, ich danke Ihnen,“ sagte er lachend. Dann wandte er sich, nach einigen mehr als flüchtigen Höflichkeitsworten an den alten Weinmann und an das junge Paar, Bertl zu, die am unteren Ende des Tisches saß, bleich, die großen Augen starr auf ihn gerichtet.

Sie war entzückend als Brautjungfer mit den Blumen im Haar und er sah sie zum ersten Male im festlichen Gewande – kein Zweifel, Bertha ward von Tag zu Tag schöner. Der Anblick fesselte ihn, seine Nerven zitterten noch vom Spiele.

„Warum allein und so ernst, Fräulein Bertha?“ fragte er, sich über sie herabbeugend.

„Warum allein? – Weil ich allein bin!“ flüsterte sie erregt und eine Blutwelle schoß in ihr Antlitz.

Theodor setzte sich, der Kellner füllte das Kelchglas.

„Oder glauben Sie vielleicht, ich fühle mich heimisch hier, glücklich?“

„Bei Ihren Leuten?“ fragte der Offizier spitz.

„Sie waren es, bis ich andere kennenlernte und mir diese anderen weismachten, diese hier seien zu schlecht für mich. Uebrigens sehen Sie mich heute zum letzten Male dabei. Wir sind nicht mehr in Haching, wir haben gut verkauft wie Ihr Herr Vater. Ja, unsere Väter sind ja seit heute Compagnons.“

„Wie so, mein Fräulein?“

„Der Vater hat eben Aktien erworben von Herrn Stefanelly, ich weiß nicht, wie die Dinger heißen, aber Ihr Papa hat dieselben –“

„Ah, in dieser Beziehung meinen Sie’s, das nennen Sie Compagnons? – Reizend, Fräulein Bertha! Uebrigens freue ich mich, daß Sie meinen Rath so rasch befolgt haben.“

„Freuen Sie sich wirklich? Nun, Sie sind auch schuld daran, ich ließ dem armen Vater keine Ruhe mehr; jetzt freilich merke ich, daß damit eigentlich wenig gethan ist, wir nehmen eben Haching mit herein, wie Sie sehen.“

„Das sehe ich gar nicht,“ erwiderte Theodor, der mit seinen Augen die blühende Gestalt des schönen Mädchens verschlang. „Sie können heute jede Fürstin beschämen, jedem Salon zur Zierde gereichen. Sie sind wirklich schön, Bertha, entzückend schön.“

Theodor sprach diese Worte so verlangend, so lang gedehnt, und sie drangen ihr so tief in die Seele, daß alles flimmerte um sie her. Sie saßen dicht nebeneinander, ganz allein. Die übrige Gesellschaft hatte wieder mit sich zu thun und bei neuen Flaschen den neuen Gast rasch vergessen. Der Ingenieur Mareschal flüsterte, unbekümmert um den Bräutigam, der auf die Lehren Stefanellys horchte, mit Loni; nur Frau Margold verlor keinen Blick von dem Paare unten am Tische.

Da erwachte der alte Margold aus seinem Schlafe, blickte verlegen über seine Schwäche umher, und plötzlich blieb sein Blick starr an dem Paare unten haften, an Bertl und Theodor. Er griff sich in das spärliche Haar, er wollte fragen, aber die Sprache versagte ihm. Wo war er denn? Auf der Hochzeit seines Kindes, mit – mit –? Dort saß sie ja an seiner Seite und er neigte sein Gesicht zu ihr – war das die Wahrheit, oder hatte er, der alte Margold selber, den Verstand verloren? Seine Gedanken wälzten sich wirr durcheinander.

„Was gaffst Du denn so auf den Baron?“ schalt seine Frau. „Gehe hin und bedanke Dich für die hohe Ehre, daß er gekommen ist zur Hochzeit von Hans.“

„Zur Hochzeit von Hans – ja so – ist er gekommen! Das ist freilich eine hohe Ehre“ – er lachte bitter auf – „der Sohn von meinem guten Herrn! Aber ich kann ihm nicht mehr danken, ich bin ganz wirr im Kopf, es taugt nichts, das Zeug da, für einen alten einfachen Mann wie ich bin. Komm, Mutter, wir gehen heim, Bertha soll auch mit, es ist schon spät!“

Frau Margold war empört.

[96] „Jetzt gehen? Nun, die Bertl wird sich bedanken! Merkst Du denn gar nichts mehr?“ flüsterte sie ihm zu; „er ist ja ganz vernarrt in sie! Schau’ doch nur, wie er in sie hineinredet! Es vergeht kein Jahr, da sitzen wir wieder da, aber in anderer Gesellschaft!“

„Wir gehen, Mutter!“ Die Worte klangen jetzt bestimmt und klar wie ein Befehl.

Frau Margold wußte aus Erfahrung, daß dagegen nichts zu machen war, wenn sie nicht einen unangenehmen Auftritt heraufbeschwören wollte, und ein solcher mußte jetzt gerade um jeden Preis vermieden werden. Mit einem schweren Seufzer erhob sie sich, ebenso Margold, sicher, fest; er schien wieder völlig nüchtern geworden zu sein.

Alles Zureden der Gesellschaft, selbst Stefanellys war vergeblich. Das Pärchen unten am Tische wurde durch den plötzlichen Aufbruch jäh aufgeschreckt.

Bertl warf einen flehenden Blick auf den Vater, auch Theodor bat um Aufschub. Margold dankte ihm für seinen Besuch, blieb aber dabei, daß es höchste Zeit sei, er fühle sich unwohl von dem ungewohnten Leben, und auch für Bertl sei es nur schädlich. Es war noch kein Wagen da, aber Margold erklärte, lieber zu Fuß gehen zu wollen, die frische Luft, würde ihnen allen gut thun.

Nachdem alle Versuche, ihn zurückzuhalten sich als vergeblich erwiesen hatten, bot Theodor seine Begleitung an. Margold wohnte erst seit kurzem in dem Hause Weinmanns in dem neuen Stadtviertel, und Theodor stellte ihm vor, er könnte leicht irre gehen, er möge ihm darum erlauben, den Führer zu machen. Das konnte der alte Mann mit dem besten Willen nicht abschlagen.

Loni flüsterte beim Abschiede Bertl ins Ohr: „Ich gratulire!“ und empfing dafür einen innigen, ernstgemeinten Kuß; auch Hans gab der Schwester seine Ermahnung mit auf den Weg, die Gelegenheit zu nutzen. Theodor versprach, um sein Anerbieten weniger verdächtig erscheinen zu lassen, wiederzukommen, dann bot er Bertl den Arm.

Die Mutter wußte es, trotz aller Gegenanstrengung Margolds, der doch nicht mehr ganz fest auf den Beinen war, so einzurichten, daß die jungen Leute einen Vorsprung gewannen, den sie sich nicht mehr rauben ließen. Das war ein wonniger Gang für Bertl, eng geschmiegt an den geliebten Mann, durch die nächtlichen Straßen der Stadt. Die frische Luft weckte erst recht die Champagnergeister in ihrem Köpfchen, sie sah alles im rosigsten Lichte, alle Bedenken und Zweifel schwanden. Auch Theodor war erregt vom Spiel und Wein, von dem Anblick des schönen Mädchens, das er bisher stets nur im Werktagskleide, ohne den bestechenden Reiz zu sehen gewohnt war, der jetzt so mächtig auf seine Seele wirkte.

Eine verzehrende Gluth ging von ihr aus und strömte auf ihn über, ihr Arm zuckte in dem seinigen. Sie war für ihn begehrenswerth in diesem Augenblick, und zum Entsagen war er jetzt als der Sohn des reichen Vaters noch viel weniger aufgelegt denn vor wenigen Monaten als armer Lieutenant.

Er nannte das Gefühl, das er jetzt empfand, Liebe und ließ sich ganz davon beherrschen, ohne sich über die Zukunft Gedanken zu machen.

Anders Bertl. Der Sinnentaumel in den sie verfallen war, gipfelte bei ihr in der verlockenden Aussicht auf die Zukunft. Sie gehörte nicht mehr zu den Eltern, die hinter ihnen schweren [97] Trittes und zankend daherzogen, zu der häßlichen Gesellschaft bei Arnold.

Das Gespräch stockte, sie fürchteten sich beide vor Worten, und dieses lautlose Dahinwallen, die stummen heißen Blicke, der leise Druck des Armes – das alles war ja viel süßer als Worte!

Viel zu früh kamen sie in die Neustadt. Baugerüste, denen sie ausweichen mußten, scharfer Mörtelgeruch erinnerten sie daran, ja, sie waren schon achtlos an dem Hause Weinmanns vorbeigeeilt, den Eltern weit voraus.

Der alte Margold schrie in wahrer Todesangst: „Bertl! Bertl!“

Das war ein fürchterliches Erwachen! Die Qual der plötzlichen Empfindung preßte ihr die Worte heraus: „Verlassen Sie mich nicht, Theodor, ich verzweifle sonst!“ Hastig hatte sie ihm das ins Ohr geflüstert, er aber wandte sich rasch, drückte einen Kuß auf ihre Lippen und sagte leise. „Ich verlasse Dich nicht! – Nur Geduld, Bertha! Ich liebe Dich!“

Sie wankte in seinem Arm, das Flüsterwort gellte betäubend tausendfältig in ihr Ohr – da standen auch schon der scheltende Vater, die Mutter vor ihr.

„Ich sag’s ja, Herr Baron, das Mädel ist den starken Wein nicht gewohnt, Sie müssen es nicht so genau nehmen mit dem, was sie jetzt alles daher schwatzt!“ brachte Margold mühsam stotternd hervor.

Theodor aber löste fast gewaltsam den Arm Bertls, der den seinen ängstlich umklammerte, und empfahl sich mit einigen scherzenden Worten, einem herzlichen Händedruck, mit der Gewandtheit eines in jeder Lage gefaßten Weltmannes.

Als hinter Bertha die schwere Hausthür in das Schloß fiel, dröhnte der dumpfe Schlag schmerzlich durch ihr Hirn; sie ächzte laut auf.

„Bring’ das Mädel zu Bett, es ist ihr ja todtenübel,“ sagte Margold, während er sich um das Schließen der Thür bemühte.

Die Mutter befolgte seinen Rath und führte ihr halb ohnmächtiges Kind die Treppe hinauf; sie konnte es ohnehin nicht erwarten, bis sie mit Bertl allein war.

Der Alte stolperte lärmend durch das finstere Stiegenhaus, das der Neubauten eigene dunstig feuchte Geruch erfüllte, und brummte von Schwindel und Schande.

Oben in der Stube fiel Bertl schluchzend der Mutter um den Hals.

„Macht er Ernst, sprich, Kind?“ fragte sie neugierig.

„Er liebt mich, er hat es mir gestanden!“ jubelte das Mädchen auf unter Thränen, ihr Gesicht im Sturm der Gefühle an das der Mutter pressend.

„Sonst nichts? – das kann jeder!“ entgegnete diese in kaltem ärgerlichen Tone.

Bertl riß sich los. Hier fand sie kein Verständniß – nur einen Augenblick hatte sie, in dem Drang, sich mitzutheilen, vergessen, daß sie allein stand – jetzt war sie sich dessen wieder voll bewußt. Sie wich den Vorwürfen, mit denen sie von der Mutter jetzt überhäuft wurde, weil sie mit dem Baron nicht deutlich gesprochen habe, aus und ging auf ihr Zimmer. Dort genoß sie auf ihrem Lager mit geschlossenen Augen tausendfältig den glückseligen Heimgang an seinem Arme: – der Säbel klirrte, die Blicke bohrten sich ineinander, es zuckte hinüber und herüber von Arm zu Arm, und das Zauberwort: „Ich liebe Dich!“ zitterte ihr im Ohre. Da störten der die Treppe herauffluchende Weinmann, das gemeine Lachen Lonis die Bilder ihrer Seele – der Tag graute schon hinter dem Vorhang.

[112]
4.

Das war eine schwere Trennung von dem lieben Schönau! Der alte Herr fühlte erst jetzt die unzähligen Saugwurzen seines Herzens, die in diesen Boden sich senkten.

Ein Möbelwagen faßte alles, was von dem heiligen Besitz ihm blieb.

Die Einrichtung des Rokokozimmers, des Jagdsaals, das spärliche, schadhafte Mobiliar der übrigen Räume, die Bilder, die Waffen, das Spinett, alles verschluckte das grüne Ungethüm, und noch immer hatte es den weiten Rachen offen; ganz Schönau schien ihm nicht zu groß. Man stopfte es zu guterletzt mit den alten zerbrochenen Statuen aus dem Park voll, mit all dem vielgestaltigen Gerümpel, das Christian aus seiner hundertjährigen Staubdecke auf dem Dachboden erlöste und in seinem Seelenschmerz des Mitnehmens für werth hielt – Rahmen ohne Bilder, Bildern ohne Rahmen, unbestimmbarem, ineinander verworrenem Eisenzeug, alten Vogelbälgen u. s. w. u. s. w.

Als endlich der Rachen zuklappte, war ganz Schönau sauber ausgeweidet, nichts mehr übrig als nackte Wände, zerrissene Tapeten, blinde Fensterscheiben. Auf dem grünen Wagen aber, der langsam der Stadt zurollte, drang bei jedem Stoße ein geisterhaft klingender Ton heraus, das Klagelied des alten gebrechlichen Spinetts.

Theodor hatte bereits für eine passende Wohnung gesorgt. Papa sollte sich sofort heimisch fühlen, er selbst wandte ja nicht den Kopf mehr zurück nach Schönau. Aber das Mobiliar nahm sich gespensterhaft unheimlich aus in der neuen Wohnung, und Christian erschrak jetzt selbst über die Armseligkeit; gerade so mußte sich ja auch sein langer kaffeebrauner Rock, mußte sich der ganze Christian ausnehmen in dieser Umgebung.

Es entging ihm nicht die spöttische Miene des Mannes, welchen ihm Theodor als „Hausherr“ vorstellte, und bei dem Worte „Hausherr“ zuckte ihm das Herz. Er, geboren auf seinem altererbten Besitz, grau geworden darauf als Fürst seines Bodens, hatte jetzt einen „Hausherrn“. Die Diele, auf die er trat, der Ofen, der ihm Wärme spendete, die Decke über seinem Haupt war nicht sein, geliehen, kündbar – Christian fühlte sich bettelhaft gegen früher, trotz der halben Million.

Ueber jeden Gegenstand, den die Packer heraufbrachten, mußte er sonderbarerweise lachen. Die verschnörkelten Schränke und Kasten sahen so komisch aus, die zersprungenen, verblaßten aber nachgedunkelten Ahnenbilder in den großen Perücken und blitzenden Halskragen blickten so dumm erstaunt aus ihren zerstoßenen Rahmen, das Spinett jammerte so drollig die Treppe herauf. Er wußte, daß, wenn er über diese Dinge lachte, er damit über seine ganze Vergangenheit, über sein ganzes Leben lachte, und doch konnte er nicht anders, obgleich es so weh that. Theodor hatte ganz recht, eine neue, der Zeit und ihren jetzigen Verhältnissen entsprechende Einrichtung mußte gekauft werden.

Jetzt, da Christian einmal in der Residenz war, sah er auch ein, daß er seine Kreise wenigstens formell aufsuchen, sich vorstellen und Gegenbesuche empfangen müsse, das war er seinem Namen schuldig und vor allem seinem Sohn, dessen Vorwärtskommen jetzt sein einziges Lebensziel sein mußte. Christian zitterte davor, denn er fühlte sich längst nicht mehr salonfähig, war es eigentlich nie gewesen, immer ein rauher Landjunker geblieben. Er wußte, sie würden ebenso über ihn lachen wie er selbst über sein Mobiliar, aber das Pflichtbewußtsein mußte über all das weghelfen. Nur einige Wochen Zeit bat er sich bei seinem Sohne aus, bis er sich einigermaßen von dem eben erlebten Umschwung der Verhältnisse erholt habe.

Stefanelly verlor den Alten nicht aus dem Auge. Das Geschäft mit Schönau war trotz des hohen Preises vortrefflich. Er hatte damals schon die Gründung einer Aktiengesellschaft im Sinne und wußte, daß er beruhigt den Grundkomplex um hunderttausend Mark höher, als er ihn gekauft, der Gesellschaft anrechnen könne.

Außerdem war der alte Brennberg, nun einmal losgerissen von seinem Grund und Boden, ein knetbarer Stoff, das wußte Stefanelly aus Erfahrung.

Den Jungen hatte er nicht zu fürchten, wenn dieser nur immer Mittel hatte, seinem Vergnügen nachzugehen, und dafür wollte er schon sorgen.

Die halbe Million durfte nicht aus dem Gesichte verloren werden.

Der Alte, welcher sich in der Miethwohnung unglücklich fühlte und sich auch nie daran gewöhnen würde, der eigensinnige, verknöcherte Edelmann, war für Stefanelly bereits zu einem neuen Geschäfte reif; was er verloren. wollte Stefanelly ihm schon wieder verschaffen, er sollte wieder Herr werden in seinem Hause.

Stefanelly hatte Häuser auf Lager für jeden Geschmack, für alle Verhältnisse, er kannte alle die Schwächen und Eitelkeiten seines Publikums. Häuser mit überladenen aufgeputzten Fronten, Karyatiden, reichen Gesimsen, im Innern billige Massenarbeit; schmucklose Miethkasernen, nach Schachtelsystem gebaut; niedliche kleine Häuschen, idyllisch, gemüthlich, mit Gärtchen daran; einfach vornehme, aristokratische, mit einer Säulenhalle aus Sandstein; alterthümlich ritterliche mit Erkern und Thürmchen, Wappen und Fähnlein; das letzte Muster war für den alten Brennberg recht, das mußte ihm in die Augen stechen. Das wirklich aristokratische mit den Säulenhallen verstand er nicht, ihm mußte er schon mit gröberer Zeichnung kommen. Er hatte eben ein solches burgartiges Ding fertig, ziemlich weit draußen vor der Stadt in seinem neuen Viertel, gegen Haching zu, aber das machte nichts, der Alte liebte ja die Landluft.

Für Christian hatte das Anerbieten, das Stefanelly ihm machte, wirklich etwas Verlockendes, und mit einer Kühnheit, die ihn fast selbst wunderte, ging er darauf ein.

Als ihm Stefanelly das schöne Gebäude zeigte. war er gerührt.

Das war ja ein Herrensitz, gegen den Schönau nicht aufkommen konnte, das war kein Haus wie die andern alle umher! Ueber dem gothischen Thor das Brennbergsche Wappen, auf dem Thurm die Flagge, die Jahrhunderte auf Schönau geweht – herrlich!

Da paßten auch die alten lieben Möbel hinein, die alten Herren in den Allongeperücken; und dabei lag es doch fernab von dem nervösen Gewühl der Großstadt, Ackerluft umgab es, und frei schweifte der Blick hinaus, sogar bis hinüber nach dem Schönauer Park, aus dem nach das Dach des alten Schlosses hervorleuchtete.

Christian verlor vor Freude alle nöthige Vorsicht des Käufers, und der Preis, den Stefanelly forderte, schien ihm wirklich nicht zu hoch. Der kühne Bauunternehmer hatte offenbar eine besondere Vorliebe für ihn, den alten Herrn von Brennberg – ja, ein guter alter Name that doch trotz aller Aufklärung und allen Fortschritts noch immer seine Wirkung!

Der Kauf war rasch abgeschlossen und damit ein Bruchtheil der halben Million schon wieder zurückgekehrt zu ihrem früheren Besitzer.

[114] Brennberg wartete den Ablauf seines Miethsvertrages nicht ab und zog sofort um: ungeduldig sehnte er die Stunde herbei, wo er wieder sein eigener Hausherr sein würde. Sein ganzes Selbstbewußtsein, sein ganzes Standesgefühl waren ihm wiedergekehrt, als er endlich die „Brennburg“, wie er das neue Haus taufte, bezogen hatte; er stand jetzt wieder auf eigenem Boden, zwischen seinen eigenen vier Wänden, wenn letztere auch recht dünn waren.

Die Straße, in welcher die „Brennburg“ lag, war zwar sonst nichts weniger als vornehm: lauter Neubauten standen darin, von dem zusammengewürfelten frischen Zuzug vom Lande oder von kleinen Leuten bewohnt, welche die Theuerung aus der inneren Stadt verdrängt hatte. Doch das paßte Christian gerade; er war hier wieder der gnädige Herr Baron wie in Schönau, ja, was dort schon lange nicht mehr Sitte gewesen war: man grüßte den reichen Herrn Baron, der in dem schloßartigen Hause wohnte, von allen Seiten.

Er hätte sich hier ausgezeichnet wohl gefühlt, ja selbst der Blick auf die alte Heimath hätte ihm nicht mehr weh gethan; es machte sich eher eine Art von Schadenfreude bei ihm geltend, daß er dem kargen Boden, dem er ein ganzes Leben geopfert, der ihm viel Sorge und wenig Ertrag gebracht, der Jahrhundertelang sein Geschlecht gefesselt hatte, endlich noch in seinen alten Tagen entronnen sei. Nur eines ging ihm nicht aus dem Kopf: seine gesellschaftlichen Verpflichtungen, denen er jetzt nachkommen mußte.

Der neue Anzug lag bereit, der Schneider machte dem Herrn Baron beim Anprobiren Komplimente über seine aristokratische Erscheinung: da sei es ein wahres Vergnügen, zu arbeiten. Eine solche Schmeichelei hatte Christian schon lange nicht gehört; er ging in dem tadellosen Anzug vor dem Spiegel auf und ab und lachte über den Unsinn, daß er, ein alter Herr, noch mit solchen Geckereien sich abgebe, über seine Taille, die auf einmal so schlank erschien.

Wie doch so ein langer altmodischer Rock alt machte! Ja, man war weit gekommen, seit er jung gewesen war, auch im Schneiderhandwerk, das mußte er zugeben.

Endlich ließen sich die feierlichen Antrittsbesuche nicht mehr verschieben, und eigentlich mußte Christian sich gestehen, daß, je länger er wartete, desto mehr die Menschenscheu einer gewissen Neugierde wich, nach so langen Jahren wieder einmal die vornehme Welt zu sehen, wenn es auch nur wäre, um über ihre Albernheiten ordentlich zu lachen.

Theodor hatte bereits eine Besuchsliste zusammengestellt, welche die Spitzen der Gesellschaft enthielt. Man sei allgemein sehr erfreut, den alten Herrn, dessen vortheilhafter Verkauf das Tagesgespräch bilde, persönlich kennenzulernen, versicherte er, ja er regte bereits die Frage an, ob es nicht am Platze wäre, bei Hofe um eine Audienz nachzusuchen, und der Papa verwarf diesen Plan durchaus nicht; er wolle nur zuerst probiren, meinte er, wie man den alten Landjunker überhaupt in der Gesellschaft aufnehmen werde.

Der große Tag kam, an dem der zweiundsechzigjährige Christian von Brennberg seinen Eintritt in die Salons der Residenz halten sollte.

Die Aufregung verlieh dem alten scharfen Kopf jugendliche Röthe, der weiße Schnurrbart, das sorgfältig gescheitelte Haar gaben ihm einen vornehmen Ausdruck. Einen schweren Kampf kostete Christian nur der landwirthschaftliche Orden, den er einst vor zwanzig Jahren von dem damaligen Regenten bei Gelegenheit einer Ausstellung bekommen hatte, eine plumpe Medaille an rothem Bande. Er fühlte sich schwer gekränkt, als Theodor ihm dieselbe abnahm, sie hatte ja doch vortrefflich ausgesehen auf dem schwarzen Rock und war eine wohlverdiente Auszeichnung.

Nach langem Hin- und Herreden gab er so weit nach, daß er sich mit dem rothen Bändchen im Knopfloch zufrieden gab.

Ein eleganter Zweispänner war bestellt, ein Lohndiener auf dem Bock, und obwohl Christian immerfort über den „ausgemachten Schwindel“ schalt und wie ihm das alles lächerlich vorkomme, hatte er doch eine kindische Freude daran. Wenn nur alles glatt abging – Theodor war’s am peinlichsten dabei zu Muthe.

Graf Hartenau, ein entfernter Verwandter von Christians seliger Frau, ein tonangebender Kavalier, war die erste Adresse. Der Wagen hielt vor dem mächtigen Portale eines altersgrauen Palastes, ein alter Diener öffnete den Schlag, der Herr Graf war auch zu Hause.

Christian fühlte sich hier sofort heimisch, das war dieselbe moderige ehrwürdige Luft wie in Schönau, welche die breite teppichbelegte Freitreppe herabwehte, hier hatte er nichts zu fürchten, der Name Brennberg-Schönau genügte hier, um ihn vor Lächerlichkeiten zu bewahren.

Und er täuschte sich auch nicht; ein liebenswürdiger Kavalier, ungefähr in Christians Alter, empfing Vater und Sohn herzlich und half rasch über die erste Verlegenheit hinweg. Der Graf war eifriger Landwirth, und so gab sich das Gespräch von selbst; er entschuldigte sich, nicht zuerst in Schönau Besuch gemacht zu haben, aber er habe es aus Rücksicht unterlassen, denn er kenne das, man wolle auf dem Lande nicht von Besuchen belästigt sein. Jetzt freue er sich, daß Christian endlich sein Einsiedlerleben aufgegeben habe und in die Kreise eintrete, die ihn schon lang vermißt, man müsse der Zeit auch ihre Zugeständnisse machen, und dergleichen mehr.

Alles ging vortrefflich, bis die Hausfrau mit ihrer achtzehnjährigen Tochter den Salon betrat.

Frauenzimmer waren unbekannt in Schönau seit undenklicher Zeit. Aber Christian hielt sich trotzdem wacker – so etwas liegt im Blute – und Theodor selbst hatte nichts auszusetzen an der Begrüßung der Damen von seiten des Vaters. Aber das Gespräch nahm nun rasch eine ganz andere gefährliche Richtung: mit dem Kartoffeln- und Rübenbau, der Stallfütterung und dem Kunstdünger war es aus.

Litteratur, Theater, Kunst, alle die dem Landjunker fremdartigen Dinge, welche das Gesprächsthema eines großstädtischen Salons ausmachen, kamen an die Reihe.

Theodor half zwar vortrefflich, soweit das ging, aber hie und da hätte doch der Vater die Unterhaltung auch selbständiger führen sollen! Das mißlang jedoch fast stets kläglich und Christian selbst entging nicht das gefürchtete spöttische Lächeln um die Lippen der Komtesse, die nun mit der bekannten Liebenswürdigkeit der Gesellschaft erst recht ihm auf den Zahn fühlte und ihre sämmtliche backfischhafte Bildung auskramte.

Ehrlichkeit allein hätte allen diesen kleinen Bosheiten die Spitze abgebrochen.

„Ich stand diesen Dingen infolge meines zurückgezogenen Lebens stets fern und in meinen Tagen lernt man nicht mehr,“ das wären die richtigen Worte gewesen. Christian hatte sie auch auf den Lippen, wagte aber nicht, sie auszusprechen. Die wenigen Wochen, seit er Schönau verlassen, hatten bereits ihre verderbliche Wirkung auf ihn ausgeübt.

Er sah nicht mehr mit männlicher Festigkeit auf sich und seine Ueberzeugung, sondern auf die anderer, er glaubte bereits, sich den neuen Verhältnissen anpassen zu müssen, anstatt umgekehrt sich mit seiner ausgeprägten Individualität in diese neuen Verhältnisse hineinzustellen und es ihnen zu überlassen, sich mit ihm abzufinden.

Da ihm aber die weltmännische Gewandtheit fehlte, welche im Bewußtsein der Hohlheit all dieser schöngeistigen Phrasen sich niemals verblüffen läßt, so scheiterte er und machte sich lächerlich. Er war feinfühlig genug, das zu empfinden, zu alt, um sich darüber wegsetzen zu können, und so verließ er unzufrieden mit sich selber den Palast des Grafen.

Die Unterweisung des Sohnes während der Fahrt zur nächsten Station erhöhte noch sein peinliches Gefühl; am liebsten wäre er wieder nach Hause gefahren in seine Straße, wo ihn alles grüßte, dort hätte er unbedingt eine Gesellschaft getroffen, die ihm besser zusagte.

Er athmete jedesmal erleichtert auf, wenn der Diener mit dem ersehnten „die Herrschaften sind nicht zu Hause“ zurückkam. Und er hatte Glück: drei gefährliche Häuser wurden auf diese Weise erledigt. Doch Baron Anspacher, Inhaber des großen Bankhauses Anspacher und Sohn, die erste Finanzgröße der Stadt, war wirklich zu Hause und geruhte auch, die beiden Herren zu empfangen.

„Ein hochmüthiger Mensch, der auf seinen Geldsack pocht! Kehre doppelt den alten Aristokraten heraus, das ärgert ihn wenigstens; er spielt nun einmal eine große Rolle, selbst bei [115] Hofe, deshalb müssen wir ihn besuchen,“ bereitete Theodor den Vater vor.

Eine warme, von Patschuli und anderen Wohlgerüchen durchtränkte Luft ersetzte hier die eigenthümlich moderige, dem alten Holze und Mauerwerke des Hartenauschen Stiegenhauses entströmende Atmosphäre. Alles glänzend, üppig, neu, bis auf die glatten Gesichter der Lakaien. Das Alter, die Tradition hatte hier keine Stätte, nur die brutale Macht des Goldes machte sich in allen Ecken geltend.

Baron Anspacher ließ lange auf sich warten und empfing dann die Herren mit einer herablassenden Gutmüthigkeit, die für Christian verstimmender war als der zurückhaltende Stolz eines Geldfürsten, auf den er sich vorbereitet hatte. Der Bankier lenkte das Grspräch auf den Verkauf von Schönau, der ihm bis in seine Einzelheiten genau bekannt schien, und drückte mit nicht zu verkennendem Hohne seine Verwunderung darüber aus, daß der Freiherr sich von dem altehrwürdigen Besitz, an den sich die ältesten Ueberlieferungen seiner Familie knüpften, in seinen Jahren noch habe trennen können.

Der Bankier empfand eine lebhafte Genugthuung, die Nichtigkeit aristokratischer Grundsätze, mit denen er trotz seines Reichthums doch zu kämpfen hatte, der Macht des Goldes gegenüber von neuem bewiesen zu sehen.

Christian fühlte den Stachel. Er rechtfertigte sich mit der zwingenden Nothwendigkeit: die vorrückende Stadt hätte ihn ja doch vertrieben, und einen besseren Käufer als Stefanelly hätte er sich nicht wünschen können. Dann erging er sich, ohne auf das Augenwinken Theodors zu achten, in Lobeserhebungen auf Stefanelly, der vom gemeinen Arbeiter sich zu einer Finanzgröße aufzuschwingen im Begriffe sei.

Bei dem Worte „Finanzgröße“ gab es dem Banker einen Ruck, er lachte hell auf.

„‚Finanzgröße‘ nennen Sie das? Nun ja, Sie sind ja nicht bewandert in unseren großstädtischen Verhältnissen, um derlei Erscheinungen beurtheilen zu können. Wir haben darin natürlich andere Ansichten, uns täuscht der augenblickliche Erfolg nicht, wir sehen hinter die Coulissen. Uebrigens will ich Ihnen Ihre gute Meinung von dem Herrn durchaus nicht nehmen, Herr von Brennberg, Sie haben ja allen Grund dazu, es ist ein hoher Preis, den er bezahlt hat, aber zu hoch, um reell zu sein nach unseren Grundsätzen. Doch das kümmert Sie ja nicht –“ er lachte wieder verletzend. „Sie werden in der Gesellschaft erscheinen, Herr von Brennberg, bei Hofe wohl? sich entschädigen für die einsamen Jahre in Schönau? O, ich begreife das und beneide Sie um die Frische Ihrer Empfindung, Ihrer Lebenslust in Ihren Jahren! Bei mir ist das alles vorüber, ich bin übersättigt – – Spielen Sie auch?“

Christian war unangenehm überrascht von dieser unerwarteten Frage.

„Wie kommen Sie darauf?“ fragte er.

„Nun, es ist das doch nichts Ungewöhnliches bei Edelleuten vom Lande, außerdem –“ er betrachtete die wohlgepflegten Nägel seiner fleischigen Hand – „las ich Sie als Theilnehmer an dem neuen Stefanellyschen Aktienunternehmen; das zeigt mir, daß Sie wenigstens den Reiz der Spekulation lieben, der gewagten Spekulation – nun, und das Spiel ist ja auch im Grunde nichts anderes.“

„Davon haben Sie gelesen?“ entgegnete ganz verwirrt Brennberg. „Aber das sind ja doch Privatangelegenheiten, wie ist denn das möglich?“

Der Bankier lachte mitleidig.

„Nun, sehen Sie, das sind so Stückchen Ihrer neuen Finanzgröße. Der Mann macht Reklame mit Ihrem Namen.“

„Mit meinem Namen? Das wird ihm wenig nützen, er spielt am Geldmarkt keine Rolle,“ meinte Christian; die argwöhnische bösartige Beurtheilung Stefanellys, dem er sich zu Dank verpflichtet fühlte, behagte ihm nicht.

„Gerade weil Ihr Name am Geldmarkt keine Rolle spielt, weil es der Name eines der Börse völlig fernstehenden, einfachen Landedelmannes ist, von dem man gewohnt ist, daß er nur Nummer Sicher zieht, gerade deshalb sind Sie ein ausgezeichnetes Reklamemittel; das sind so Kunstgriffe dieser Leute, die im Kleinen wühlen und arbeiten.“

„Kunstgriffe, die Sie natürlich nicht mehr nöthig haben!“ entgegnete gereizt, seiner Zurückhaltung vergessend, Christian.

Der Bankier setzte seinen goldenen Klemmer auf und zwang sich zu einem Lachen.

„Ah, sehen Sie einmal, auch schon Antibörsianer und kaum ein paar Monate in der Stadt! ‚Die Pestbeule der Gesellschaft, staatlich autorisirter Raub!‘ sind diese Schlagwörter auch schon zu Ihnen gedrungen? Beruhigen Sie sich, es ist nicht so schlimm. Die Börse ist ja nur das Miniaturbild der ganzen menschlichen Gesellschaft, der Geist der ganzen Gesellschaft ist ihr Geist, und die sie lästern, sie verdammen, Brandreden gegen sie halten, die sind von demselben Geiste erfüllt, dem Geist der rücksichtslosen Selbstsucht, des persönlichen Vortheiles; reformiren Sie die Gesellschaft und Sie reformiren die Börse. Uebrigens ist es ja zu lächerlich! Als ob es ohne Börse keine Uebervortheilung der Massen gäbe! Als ob sich die Massen nicht mit und ohne Börse gewaltsam herzudrängten, um übervortheilt zu werden! Doch irgend etwas, ein Name, ein Begriff muß ja da sein, auf den man ordentlich loslästern kann, anstatt daß man sich selbst bei der Nase nimmt. – Entschuldigen Sie meine Erregung, aber gerade bei Ihnen befremden mich solche Vorurtheile, bei einem Manne, der doch schon durch seinen Namen berufen ist, nicht mit der Masse zu gehen. Dem Geburts- und dem Geldadel ist heutzutage offen der Krieg erklärt, dem ersteren, zu dem Sie gehören, aus Gründen der Vernunft, dem letzteren, dem ich angehöre, aus rein praktischen Gründen. Darum sollten wir zusammenhalten aus Selbsterhaltungstrieb. Man sieht das auch an gehöriger Stelle sehr wohl ein, und ich rate Ihnen, wenn Sie in unsern Kreisen verkehren, halten Sie sich daran!“

Christian saß wie auf Kohlen; er hatte eine Taktlosigkeit begangen mit der unüberlegten Anspielung auf die Kunstgriffe, die Baron Anspacher seiner festen Ueberzeugung nach nur in größerem Maßstabe anwendete als Stefanelly; er hatte sich am Ende den Bankier, der selbst bei Hofe hoch angesehen war, zum Feinde gemacht, er wurde am Ende dort als Demagog, als Feind des Kapitals, als – er entsetzte sich, das Wort nur zu denken – als „Sozialist“ verschrieen.

Er stammelte ungeschickt übertriebene Entschuldigungen, welche die Sache nur noch verschlimmerten.

Theodor, der während der ganzen Auseinandersetzung seinem Vater verzweifelte Blicke zugeworfen hatte, brach das peinliche Gespräch ab, indem er dienstliche Pflichten vorschützte, die ihn zum Aufbruch zwängen.

Baron Anspacher entließ Christian mit einem gnädigen Lächeln wie einen zurechtgewiesenen Schüler, von dem man für die Zukunft das Beste hofft.

Brennberg war trostlos. Er fühlte, daß er niemals auf diesem Boden heimisch werden könne, und bat seinen Sohn, von den weiteren Besuchen vor der Hand abzustehen, er sei zu abgespannt.

Dieser rieth ihm selbst dazu in der Furcht, sein Vater könnte sich wirklich noch weitere Blößen geben; er ließ ihn allein nach Hause fahren.

Peinliche Gedanken quälten Christian. Zu was sollte er sich in seinen alten Tagen noch dieser neuen ihm so fremden Welt anpassen, gleichsam von neuem gehen und reden lernen? Was gab man ihm dafür? Warum sollte er sich nicht in seine Burg verschließen können, ein stilles, beschauliches Leben führen nach seinem Sinn wie einst in Schönau? Was hatte ihn denn eigentlich nur gepackt? War die Stadtluft daran schuld oder die halbe Million?

Er dachte unwillkürlich an den alten Margold, dessen Verhältnisse sich in ähnlicher Weise geändert hatten wie die seinen. Der würde deshalb gewiß nicht aus dem Geleise kommen, sondern seine alten Tage in Ruhe verbringen. Er sehnte sich jetzt nach dem ehrlichen Alten, dem er sich näher fühlte als all den Leuten, die er heute kennengelernt hatte. Wenn er es nicht doch unter seiner Würde gehalten hätte, er wäre geradenwegs zu ihm gefahren.

Endlich hielt der Wagen wieder vor der Brennburg, und Christian verließ ihn mit ganz anderem Gefühl, als er ihn bestiegen hatte.

[128] Als der alte Baron und Theodor nach Hause kamen, fanden sie im Empfangszimmer Stefanelly, der ihrer hier wartete. Christian fiel sofort das abfällige Urtheil Baron Anspachers ein und was er bei ihm erfahren hatte; die Zornesröthe stieg ihm ins Gesicht.

„Wie kommen Sie dazu, mich in öffentlichen Blättern als Theilnehmer an Ihrem Aktienunternehmen zu nennen? Ich hätte doch wenigstens erwartet, daß Sie zuerst meine Einwilligung dazu einholen?“

„Schon gelesen also?“ fragte Stefanelly, ohne seine Ruhe zu verlieren, mit geschmeidigem Lächeln.

„Nicht gelesen, aber gehört, und zwar von Baron Anspacher, von dem ich eben komme, der sich höchlichst darüber aufgehalten hat! – Sie gefährden damit meine ganze Stellung!“

„Das glaube ich, daß sich Baron Anspacher darüber aufgehalten hat. Der ärgert sich grün und blau, daß ich das Geschäft ohne ihn gemacht habe. Ihre Stellung gefährden? Was für eine Stellung, wenn ich fragen darf?“

„Als Mitglied der hiesigen Aristokratie, der ersten Gesellschaft!“

Stefanelly legte die Hand auf die Schulter Brennbergs. „Unsinn!“ sagte er fest, die Stirn runzelnd. „Ich komme eben, um Ihnen eine Stellung in dieser Gesellschaft zu verschaffen, die Sie noch nicht haben.“

Christian schüttelte entrüstet die Hand ab.

„Herr Stefanelly, Sie gehen weit!“

„Sehr weit! Ich biete Ihnen die Stellung eitles Aufsichtsrathes in der Bodenerwerbungsgenossenschaft. Nun, was sagen Sie jetzt?“

Christian war überrascht. Der Titel klang verführerisch, die besten Namen führten ihn; die Warnung des Bankers konnte ja auch wirklich dem Geschäftsneid entspringen. Anspacher ärgerte sich wohl, daß der unerfahrene alte Landjunker, kaum in der Stadt, ihm schon ins Handwerk pfuschte. Aber doch war Christians Vorsicht geweckt.

„Ich bin kein Geschäftsmann, verstehe nichts davon. Wie kommen Sie gerade auf mich?“ entgegnete er verwirrt.

„Sehr einfach, Sie führen einen guten Namen.“

Christian stutzte; hatte Anspacher doch recht?

„Sie können repräsentiren, und das ist die Hauptsache in dieser Stellung, das andere mache ich.“

„Das heißt, ich soll mit meinem Namen für die Sache Reklame machen!“ entgegnete Christian als gelehriger Schüler des Bankiers, mit geheimer Freude, daß er Stefanelly zeigen könne, wie er ihn durchschaue.

„Wenn Sie es so nehmen wollen, ja! Das Publikum muß immer durch Kniffe zu seinem Vortheil gezwungen werden, nur der Uebervortheilung schenkt es freiwillig Gehör. Ich weiß alles; Anspacher hat Sie gegen mich aufgehetzt, hat behauptet, ich mißbrauche Ihren Namen, das sei so die Art der kleinen Leute, die rasch zu etwas kommen wollen wie der Stefanelly – nicht wahr, so sagte er?“ Und der Unternehmer las aus Christians unverhohlenem Erstaunen, daß er fast den Wortlaut getroffen hatte; er kannte seine Leute.

„Nun, wenn Sie dem Anspacher mehr Vertrauen schenken als mir,“ fuhr Stefanelly im Tone des gekränkten Biedermanns fort, „mir auch recht, ich finde Dutzende Ihres Standes, die mit beiden Händen zugreifen. Das Unternehmen ist ein Bedürfniß, die ganze Stadt interessirt sich dafür, es wird nicht, es ist bereits ein großer Erfolg. Die Aktien werden, sobald sie an der Börse eingeführt sind, unter Hundertundvierzig nicht zu haben sein, Sie haben sie noch vor wenigen Wochen zum Nennwert gekauft. Wenn Sie die Stellung eines Aufsichtsraths annehmen, kann ich Ihnen noch hundert Stück verschaffen, die letzten. In einem Monat stehen sie schon auf Zweihundert. Allerdings, den Herrn Baron Anspacher werden Sie dadurch nicht zum Freunde gewinnen. Wenn Ihnen daran viel liegt – ich kenne Ihr Verhältniß zu ihm nicht – dann werden Sie wohl verzichten müssen, denn Anspacher, das sage ich Ihnen – wird sich zu Tode ärgern. Ich kann Ihnen die Beweise bringen, daß er selbst um jeden Preis diese Stellung anstrebte.“

„Der Baron Anspacher?“ Christian war fassungslos.

„Ja, Baron Anspacher! Hier, lesen Sie!“ Der Unternehmer überreichte ihm einen Brief.

Er enthielt wirklich ein Anerbieten des Bankiers, sich mit einer großen Summe bei dem Unternehmen zu betheiligen, unter der Bedingung, daß er in den Aufsichtsrath gewählt werde.

Christian empfand einen Augenblick ein lebhaftes Gefühl der Genugthuung: jetzt konnte er sich rächen an dem hochmüthigen verhaßten Bankier! Es war ihm nur unklar, wie Stefanelly dazu komme, ihm den Vorzug vor dem mächtigen Börsenmann einzuräumen. Er fragte danach.

„Das Unternehmen wäre verloren, wenn Anspacher hervorragend dabei betheiligt wäre,“ gab Stefanelly Auskunft. „Man mißtraut diesen Börsenfürsten, man haßt sie geradezu als die Ausbeuter des Volkes. Sie dagegen, ein Herr von Brennberg, können unmöglich in diesem Verdacht stehen. Gerade Ihre Unschuld in geschäftlicher Beziehung ist in diesem Falle Ihre Stärke.“

Christian war überzeugt, und seine Gereiztheit gegen Anspacher gab den Ausschlag. An die Stelle zu kommen, die dieser erstrebt hatte, das schien ihm ein Triumph. Er fühlte plötzlich Jugendkräfte in sich aufsteigen, die Schönauer Vergangenheit lag in grauer Ferne hinter ihm, er fühlte sich ganz im Banne dieser neuen Welt, die ihm, dem Greis, noch so verlockend winkte.

Er schlug ein.

Auf den Abend war eine Versammlung der Aktionäre anberaumt, da sollte Herr von Brennberg erscheinen, um seiner Wahl entgegenzusehen; alles sei wohl vorbereitet.

Christian drückte beim Abschiede Stefanelly die Hand – der Mann meinte es doch wirklich gut mit ihm!

„Aufsichtsrath!“

In seinem Lehnstnhl sitzend, sprach er das Wort wiederholt vor sich hin. Es klang so einschmeichelnd. Kaum zwei Monate in der Stadt, und schon glaubte er klar einzusehen, was er sein langes Leben über in diesem Schönau versäumt hatte. Allein noch war es Zeit, noch hatte er ein gutes Stück zu leben, er wollte es der hochmüthigen Gesellschaft, die jetzt wohl sich lustig machte über den ungebildeten Landjunker, schon zeigen! Aufsichtsrath! Dabei blieb man nicht stehen – man mußte aufmerksam werden auf ihn, – sein guter Name dazu – ein Finanzgenie – Finanzminister von Brennberg! „Gott, wenn ich jetzt zwanzig Jahre meines in Schönau nutzlos verträumten Lebens zurückrufen könnte!“

*      *      *

Die Versammlung der Aktionäre im „Hotel zum Kaiser“ war stark besucht, der Saal drückend voll. Entscheidende Berichterstattung, große Pläne standen auf der Tagesordnung, vor allem galt es, den Aufsichtsrath zu wählen.

Die Männer, die hier versammelt waren, trugen alle, mit wenig Ausnahmen, ein eigenthümliches Gepräge. Auf den ersten Blick erkannte man, daß sie nicht gerade dem altangesessenen Bürgerthum der Stadt angehörten, noch weniger den Finanzkreisen; es waren größtentheils Gestalten, denen man eine arbeitsvolle Vergangenheit ansah, Männer, die in ihrem ganzen Aeußern verriethen, daß sie erst im Begriffe waren, Städter zu werden, Emporkömmlinge, die eben Anstalt machten, sich zu den Kapitalisteu zu schlagen; Leute, welche das unnatürliche, hastige Aufblühen der Stadt rasch wohlhabend gemacht hatte. Sie mußten ja eigentlich einem Unternehmen Vertrauen schenken, das nur eine logische Folge ihrer neuen verbesserten Lage war.

Weinmann saß neben Margold, welchen er wider seinen Willen mitgeschleppt hatte. Ein junger Mann in auffallend moderner Kleidung ging von Tisch zu Tisch und machte, seinen erregten Armbewegungen nach, Stimmung – es war Hans Margold.

Hans hatte sich in der kurzen Zeit zu einem vortrefflichen Agenten Stefanellys ausgebildet, und dieser hatte mit dem brauchbaren jungen Manne große Pläne.

Es herrschte eine freudig erregte Stimmung. Alle waren darin einig, Stefanelly, der Gründer, müsse der Leiter der Gesellschaft werden. Er war ihr Mann, ihm, dem glücklichen Schicksalsgenossen, dem ehemaligen Arbeiter, der sich durch seinen geweckten Geist emporgeschwungen hatte, vertrauten sie unbedingt. Sie empfanden alle die stolze Genugthuung, sich „emporgearbeitet“ zu haben – daß bei den meisten das Glück, der Zufall die größte Rolle gespielt hatte, wurde nicht beachtet. Eine förmliche Gier erfüllte sie, unter der Leitung dieses Mannes aus ihrer Mitte dem Kapital, dem sie Jahrzehnte lang dienstbar gewesen waren, auf seinem eigenen Boden, dem Boden der Spekulation, Schach zu bieten. Daß sie damit demselben System huldigten, gegen das sie einst gemurrt hatten, daß sie auf Kosten ihrer früheren, weniger glücklichen Genossen sich bereichern wollten, daran dachten sie nicht. [130] Der sündhafte Reiz des thatenlosen Verdienstes hatte sie erfaßt und trieb sie rastlos weiter auf dieser Bahn.

Stefanelly ließ lange auf sich warten. Endlich erschien er, lärmend begrüßt, an seiner Seite ein hagerer Mann mit mächtigem weißen Schnurrbart. Keiner der Ihrigen! Er hielt sich in fast ängstlicher Weise an der Seite des Gründers und blickte befangen in den rauchigen menschengefüllten Raum.

Stefanelly stellte der Versammlung Herrn Baron von Brennberg-Schönau als Hauptakionär ber Gesellschaft vor.

Ein unwillig klingendes Gemurmel verbreitete sich: dieser Mann erschien als fremder Eindringling, man brauchte keinen Baron dabei.

Christian verbeugte sich: ein ängstliches Gefühl packte ihn, und er fühlte einen Augenblick, daß er nicht hierher gehöre. daß er ein fremdes Element in diesem Saale sei. Stefanelly bot ihm neben sich einen Platz an und eröffnete die Versammlung.

Es handle sich vor allem um die Wahl des Aufsichtsrathes. Als Gründer des vielversprechenden Unternehmens bitte er, seine Person bei derselben ganz aus der Debatte wegzulassen; seine Feinde – und er habe deren genug – würden sofort daraus Kapital schlagen ttttd ihn einen ehrgeizigen Streber nennen.

Wilder Lärm erhob sich von allen Seiten. „Stefanelly und kein anderer!“ „Sie müssen, wir zwingen Sie dazu!“ „Ohne Debatte Stefanelly!“ erscholl es durcheinander.

Dieser ließ die Leute austoben und fuhr dann unbeirrt fort:

„Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sich in den Vordergrund drängen, aber zu denjenigen, die, wenn sie einmal eine Idee erfaßt, als gesund und lebensfähig erkannt haben, mit der Zähigkeit eines Arbeiters daran fest halten.“

„Bravo! Bravo!“ brauste es durch den Saal.

„Zu denen, welche es als die heiligste Pflicht des Kapitals ansehen, die Arbeit im Lande zu heben, zu stärken, zu mehren, nicht sie einseitig aus- und abzunutzen. Das sind die Ziele, welche mich bei dieser Gründung leiteten, keine persönlichen ehrgeizigen Pläne.“

„Bravo! So ist es! Es lebe die Arbeit! Stefanelly! Ohne Debatte. Stefanelly soll Vorsitzender werden!“

Eine förmliche Wuth ergriff die Leute; so oft Stefanelly, sich nach allen Richtungen verbeugend, auch ansetzte, er kam nicht mehr zu Worte. Man umdrängte ihn, schüttelte ihm die Hand, allen voran drängte sich Hans Margold.

Stefanelly flehte um Ruhe, Besonnenheit, weigerte sich, zuckte die Achseln, bedauerte. Das alles erhöhte nur den Sturm. Da griff er endlich schwer aufathmend nach der Glocke – alles still!

„Nun, wenn es denn sein muß, wenn Sie durchaus mich zwingen, zwingen, sage ich – ich fühle mich ja durch Ihr Vertrauen hoch geehrt, aber –“

„Kein ‚Aber‘ – Annehmen! Annehmen!“ tönte es wieder.

„So nehme ich an!“ schloß er rasch und plötzlich; seine geschlossenen Lippen bewegten sich nervös wie die eines Raubthieres, welches den erhaschten leckeren Bissen langsam genießen will.

Christian verschwand ganz in der ihn umtobenden Menge, der Schweiß stand ihm auf der Stirn, eine wilde Aufregung erfaßte auch ihn unter diesen erhitzten Männern; es war ein prickelndes, nie gekanntes Gefühl.

Endlich legten sich die Wogen. – Das nächste war die Wahl der weiteren Mitglieder des Aufsichtsrathes. Daß sie nach diesem Auftritt ganz in den Händen Stefanellys liegen mußte, war klar.

Sein erster Vorschlag galt Herrn von Brennberg-Schönau.

Peinliche Ruhe trat ein bei Nennung dieses vornehmen Namens.

„Herr von Brennberg-Schönau ist nicht nur der Träger eines hochgeachteten, tadellosen Namens, der allgemeines Vertrauen genießen wird, sondern ganz besonders wie wir alle ein Mann der Arbeit! Jawohl, meine Herren, ein Mann der Arbeit, der von Jugend auf seine Scholle baute, selbst mitarbeitete, wenn es noth that. Wir müssen auch einen Vertreter der höheren Stände haben, wir wollen sie nicht ausschließen. Das Unternehmen muß möglichst große Ausdehnung finden, darauf ist es berechnet. Jene Kreise sollen uns einfachen Leuten, die sie verächtlich ‚Parvenus‘ nennen, die großen wirthschaftlichen Vortheile zu danken haben, die aus dem Unternehmen entspringen. Wollen Sie nun lieber einen Börsianer, einen Baron Anspacher zum Beispiel, der mich um die Stellung eines Aufsichtsrathes förmlich bittet, oder wollen Sie einen Mann, dessen Herz warm für Sie schlägt, der Ihr Freund ist, der, offen gesagt, in den Augen seiner Standesgenossen auch eine Art Parvenu ist wie wir alle –?“

Beifälliges Gemurmel. Der alte Margold, der den Herrn kennt, wird umdrängt; er weiß nur Vortreffliches von ihm zu sagen. Die Thränen stehen ihm in den Augen vor Rührung und Freude. Es war ihm bange zu Muthe gewesen, als er eintrat mit Weinmann, und jetzt sah er seinen geliebten alten Herrn selbst da, und dieser sollte sogar zum Aufsichtsrath gewählt werden! – Da hatte er mit seinem Hierherkommen ja doch das Rechte getroffen, er war ein dummer, mißtrauischer Mensch, weiter nichts. –

„Bitte abzustimmen über Herrn von Brennberg,“ rief Stefanelly. „Wer für ihn ist, erhebe sich!“

Kein Stuhl blieb besetzt. Um Christian drehte sich der ganze Saal, alle die Menschen. Er empfand zum ersten Male die Wollust der Volksgunst. eine heftige Liebe zu den Menschen allen, die ihm eben noch so feindselig erschienen waren. Er hätte jedem die Hand drücken mögen und ihm danken für das geschenkte Vertrauen, das zu rechtfertigen er im stillen mit der Begeisterung eines Ritters schwur, der sich zu einem Kreuzzug rüstet.

„So begrüße ich Sie, Herr von Brennberg, als Mitglied des Aufsichtsrathes der Gesellschaft,“ begann in feierlichem Tone Stefanelly, dem in seinem Innersten erschütterten Christian die Hand schüttelnd. „Es ist eine ehrenvolle, aber auch verantwortliche Stellung, die Entwicklungsgeschichte M...s wird einst Ihren Namen nennen.“

„Hoch! Hoch! Hoch!“ schallte es durch den Saal. In Stefanellys Auge schimmerte sogar eine Thräne. während sie über Christians Wangen unaufhaltsam strömten.

Mit zitternden Lippen, mit seiner Rührung ringend, stammelte Christian einige Worte des Dankes; kaum hatte er geendet, als aus der vor seinen feuchten Augen verschwimmenden Menge ein alter gebeugter Mann auf ihn zukam und ihm schon von weitem beide Hände entgegenstreckte.

„Gnädiger Herr, unser Herrgott gebe seinen Segen! Daß ich das noch erlebt habe! Die hohe Ehr’! Ich gratulir’ halt viel tausendmal!“

Es war der alte Margold. Er wollte in seiner Bewegung Christian die Hand küssen, doch der umarmte ihn und drückte ihn an die Brust wie einen alten längst vermißten Freund. Allgemeines Halloh begleitete diese herzliche Begrüßung des einfachen Gärtnermeisters durch den Edelmann – Christian hatte mit einem Male alle Herzen gewonnen.

Die weiteren Wahlen und Verhandlungen verliefen alle rasch und glatt, es gab keinen Widerspruch, kein Bedenken gegen einen Vorschlag, den Stefanelly machte. Eine nur leise Andeutung desselben, daß eine weitere Ausgabe von Aktien nothwendig sein werde, rief schon einen Beifallssturm hervor, man zeichnete sinnlos im voraus, ganze Vermögen wurden dem Unternehmer zu Füßen gelegt. Der zögerte zwar noch, sie aufzuheben, aber in seinem Buche standen sie alle pünktlich verzeichnet.

An die Sitzung knüpfte sich eine gesellige Unterhaltung. Das stärkste Band schlang sich um die Gesellschaft: der gemeinsame Vortheil; die kühnsten Hoffnungen wurden rege, man lachte über die Kurzsichtigkeit der M...er Bürger, die von den mißachteten Emporkömmlingen sich die reiche Frucht vorweg nehmen ließen, man lachte im geheimen über die dummen Leute, die sich um nothdürftigen Erwerb den ganzen Tag in ihren Werkstätten und Geschäften herumquälten, sah mit grimmigem Behagen auf die arbeitsvolle, mühselige, glücklich überstandene Vergangenheit zurück und verglich damit die glänzende Zukunft in der Großstadt, deren Genüsse von allen Seiten zum Zugreifen einluden.

Christian fühlte sich bald heimisch unter diesen Leuten, die trotz aller Gemüthlichkeit den angeborenen Respekt gegen ihn nicht außer acht ließen. Die Rolle, welche er hier spielte, war zu verschieden von der, welche ihm heute vormittag aufgedrungen war, und es kränkte ihn nur, daß ihn sein Sohn jetzt nicht sehen konnte.

Es war schon spät, als er den Heimweg antrat, wobei es der alte Margold sich nicht nehmen ließ, ihn zu begleiten. – Der einstige Gärtner von Schönau fühlte sich jetzt seinem frühern Herrn bedeutend näher gerückt, trotz des neuen Titels „Aufsichtsrath“; saßen sie doch jetzt in einer Gesellschaft, hatten gleiche Interessen, waren Bürger eines Gemeinwesens. Die endlose Häuserzeile, die sie Seite an Seite hinaufschritten, bewohnten Adlige und Bürgerliche, Arme und Reiche, da war kein Herrenhaus, kein Schönau, dessen Anblick ihm, dem alten Arbeiter, schon Ehrfurcht einflößte, und auch sein ehemaliger Herr sprach jetzt mit ihm wie mit seinesgleichen.

[143] Als Margold mit seinem ehemaligen Herrn durch die stille Nacht dahinwandelte, dachte er unwillkürlich an Bertl, an die Unterredung am letzten Abend im alten Anwesen an der Landstraße, an das Erscheinen des Herrn Theodor auf der Hochzeit des Hans bei Arnold, das doch offenbar nur Bertl galt. Gewiß dachte der alte Brennberg jetzt nach solchen Veränderungen auch ganz anders über das Verhältniß der Kinder.

Lachend erzählte er dem Freiherrn den Vorgang bei Arnold, wie der junge Herr sich so vartrefflich mit Bertl unterhalten, daß das Mädel heute noch den Kopf davon voll habe. Es sei aber auch ein Mädel zum Verlieben, er begreife selbst nicht, wie er zu einem solchen Kinde komme, er habe ihr oft Unrecht gethan, jetzt sehe er selbst ein, daß sie zu Besserem geboren sei, als auf der Landstraße ihr Leben zu verarbeiten; ihr zuliebe schon wolle er noch in seinen alten Tagen mit der Zeit gehen und sein Vermögen vermehren, sie sei dann ein reiches Bürgermädchen wie jedes andere, Fräulein Berta Margold, dessen sich kein Mann zu schämen habe.

Der Baron hörte schweigend zu. Ein seltsamer Gedanke kam ihm: wie, wenn er sich rächen würde an seinen hochmüthigen Standesgenossen? Sie mußten sich jetzt schon rechtschaffen ärgern

über seinen „Aufsichtsrath“, über seine glänzenden Aussichten. Wenn er nun auch noch seinen Sohn, den schönen, reichen, in kurzer Zeit vielleicht einmal sehr reichen Offizier, nach welchem diese hochnäsigen klugen Dämchen schon längst ihre Angeln auswarfen, plötzlich einem einfachen Bürgermädchen, einer Bertha Margold zum Manne gäbe – das wäre eine Rache, ein Hohn! O, der alte Brennberg ist nicht so auf den Kopf gefallen, der alte simple Landjunker! Er sieht ganz wohl euer heimliches Augenblinzeln und Zuwinken, euer höhnisches Lächeln, er ist ein ganz pfiffiger Kopf, auch ohne Theater und Musik und Litteratur und wie das Zeug alles heißt, auf das ihr euch soviel einbildet! Name – Tradition – Standesehre – pah! – er wurde ausgelacht, wenn er in diesen Kreisen nur davon redete. Geld und wieder Geld war die Losung. Der reiche neugebackene Baron Anspacher spielte die erste Violine in der Gesellschaft wie bei Hofe, und diese Gesellschaft selbst fand es ganz natürlich, daß er von seiner goldenen Höhe herabsah auf sie sammt ihren alten vornehmen Wappenschildern, ihren gepanzerten und gepuderten Ahnen. Das Gefühl, sein ganzes Leben lang genarrt worden zu sein, an Dinge geglaubt, für Dinge geschwärmt zu haben, die schon längst vermodert, begraben waren, stieg heiß in Brennberg auf, während Margold sprach; mit Mühe hielt er sich zurück, dem Alten seinen Sohn geradezu anzubieten.

„Nur abwarten, Margold, und nichts übereilen,“ begann er in herzlichem Tone; „daß Deine Tochter ein reiches Mädchen wird, dafür werden ich und der Stefanelly jetzt sorgen, und dann steht ihr jedes Haus offen. O, wir leben in einer großen Zeit – wir hätten sie bald übersehen, eine Zeit, in der nichts mehr unmöglich ist. Ich fühle ihren Geist mich durchdringen, wie ich es nimmer für möglich gehalten hätte. Nur abwarten, Margold, abwarten!“

Der alte Gärtner wußte genug. Es schwindelte ihm zwar bei dem Gedanken – aber es war so, der Herr von Brennberg-Schönau machte sich mit dem Gedanken vertraut, daß die Bertl seine Schwiegertochter werden könnte.

Sie waren mittlerweile vor dem Hause Margolds angelangt, Christian sagte ihm wie einem guten Freunde gute Nacht und lud ihn ein, ihn bald zu besuchen.

Margold starrte lange noch der hageren Gestalt nach, die balb im Dunkel verschwand, bald grell beschienen im Lichtkreis einer Laterne auftauchte, immer kleiner und kleiner, bis sie endlich [144] ganz unerkennbar ward. – „Eine große, große Zeit“ – klang es in sein Ohr. – Ja, da unten zwischen den flammenden Lichtern der endlosen Straße verschwand die gute alte Zeit, – der kaffeebraune Rock, die Stiefel mit gelben Stulpen, der gnädige Herr, das alte Schönau mit dem wohlgepflegten Park, all die unvergeßlichen Stunden voll Arbeit, Treue und Liebe. – –




5.

Bertl lebte seit jenem Heimgang am Arme Theodors nur noch der Zukunft. Sie war praktisch veranlagt, gewohnt, alles am rechten Ende anzufassen. Die frische Arbeit ihrer Jugend im väterlichen Garten hatte nicht nur ihre körperliche, sondern auch ihre seelische Muskulatur gefestigt; schwärmerischem Sinnen konnte sie nicht lange nachhängen.

Sofort erkannte sie, was ihr vor allem noth thue, welchen Weg sie einschlagen müsse, um zum Ziele zu gelangen. Sie mußte dafür sorgen, daß die schnell aufgeloderte Leidenschaft in Theodors Herzen feste Wurzeln schlage, daß er mit dem Bekenntniß derselben offen, ohne Opfer vor alle Welt treten könne, und das war nur dadurch zu erreichen, daß sie sich auf die Bildungsstufe seines Lebenskreises schwang. Mit raschem Blick hatte sie während ihres kurzen Aufenthaltes in der Stadt erkannt, daß dies gar nicht so schwer sei, wie sie einst gefürchtet hatte, daß diese Bildung eine ganz auffallende Aehnlichkeit mit den kostbaren Häuserfronten des neuen Stadttheiles hatte, deren Pracht und Ueppigkeit sie noch vor kurzem mit kindischer Bewunderung angestarrt hatte. Wenn sie aus dem Hause trat, so sah sie eben gegenüber eine solche Front entstehen und ergötzte sich herzlich an dem Zusammenleimen der mächtigen Riesen unter dem Thoreingang, die ihr einst eine solche Achtung eingeflößt hatten, an dem Aufkleben der kühnen Gesimse – die reinste Konditorarbeit! Und wenn alles fertig war, stand das Volk davor und reckte die Hälse nach all’ der Pracht und Herrlichkeit, obwohl es sich hundertmal von der Hohlheit derselben überzeugt haben mußte.

Vor allem galt es das Studium der modernen, äußeren Erscheinung. Bertl hatte Geschmack, Sinn für Form und Farbe, die Blume war ihre Lehrmeisterin; was diese ihr früher gewesen, das war jetzt ihre Toilette. Ihr widmete sie sich mit derselben Hingabe, nur mit dem kleinen, vorderhand noch unmerklichen Unterschiede, daß Blumen in einem geheimnißvollen duftigen Seelenrapport stehen mit der liebevollen Pflegerin, die Gemüthsthätigkeit steigern, Kleider und Stoffe dagegen, todte Hüllen, auf Kosten des Gemüths alle Sinne für sich in Anspruch nehmen, magnetisch nach außen ziehen, ab von dem verlassenen leeren Herzen.

Doch das geht nicht so rasch bei einem Mädchen von so gesunden Anlagen, wie Bertl sie besaß, besonders wenn der Beweggrund ein rein seelischer – die Liebe ist!

Aber Bertl blieb dabei nicht stehen; sie schämte sich nicht, einen Kursus in einer Töchterschule mitzumachen, und sie ertrug geduldig die Spöttereien der um ein bedeutendes jüngeren Mitschülerinnen. Der Klaviersturm, welcher die vornehmen Viertel der Stadt förmlich durchbrauste, ließ ihr auch Unterricht auf diesem Instrumente nöthig erscheinen.

Sie kannte den Treibhausbetrieb, seine wenn auch unnatürlichen und immer etwas krankhaften, so doch raschen Erfolge, und nur um letztere war es ihr zu thun. Sie lachte selbst dazu, erkannte wohl die Werthlosigkeit all dieser Bestrebungeu, erblickte aber eine zwingende Nothwendigkeit darin; hatte sie ihr Ziel erreicht, dann fort mit dem unnützen Ballast, zurück in die frische freie Ursprünglichkeit ihrer Jugend, auf das Land unter die lieben Blumen, in den duftigen Wald, die wogenden Felder – o, sie hatte jetzt schon Heimweh danach und malte sich das alles so schön aus an seiner Seite, wie sie ihn bekehren, wie sie mit ihm die Stadt fliehen wollte.

Der Vater schüttelte den Kopf zu diesen gewaltsamen Veränderungen, doch war in ihm selbst so viel vor sich gegangen, so viel anders geworden, daß er auch Bertl keinen Vorwurf machen konnte. Am allerunheimlichsten aber fühlte sich jetzt die Mutter; Bertl wurde ihr von Tag zu Tag fremder, ihr Mann zog auch seine besonderen Wege, die neue ungewohnte Lebensweise, das ewige Grübeln, welches bei ihr an die Stelle der Arbeit getreten war, machte sie mürrisch, streitsüchtig, Hans bekam sie überhaupt nicht mehr zu sehen. Dieser verkehrte nur noch mit „noblen“ Leuten, hatte einen flotten Einspänner und war den ganzen Tag in Geschäften als Agent und, wie man sagte, stiller Theilhaber Stefanellys unterwegs. Seine schöne Frau Loni machte Toilette wie eine Gräfin und wollte von der alten derben Frau Schwiegermutter nichts wissen, sie rechnete dieselbe nicht mehr zu ihrer Gesellschaft. So war Frau Margold verlassen in der neuen fremden Welt; sie sehnte sich von allen wohl am meisten zurück nach dem Häuschen an der Landstraße, wo sie glückliche zufriedene Jahre verlebt hatte – aber sie hütete sich wohl, davan etwas merken zu lassen.

Margold war dem Beispiele Weinmanns gefolgt und hatte das eben vollendete Nachbarhaus erworben. Er sprach noch immer von dem Gartengeschäft, das er errichten wollte, wohl um sich selber zu beruhigen, traf aber keine Anstalten dazu.

Die Wände des neuen Besitzthums waren noch feucht, die Handwerker noch im Hause, und schon war alles um guten Zins vermietet an „schöne“ Leute.

Im Vorderhaus wohnte ein Regierungsbeamter mit Familie, ein berühmter Maler mit einer fürstlichen Einrichtung, eine Offiziersfamilie, ein junger Arzt, zu ebener Erde hatten sich zwei Geschäfte eingerichtet, im Hinterhaus war eine Schlosserwerkstätte, darüber ein photographisches Atelier und Margolds eigene Wohnung, von welcher er noch zwei kleine Zimmer an eine alte Frau, eine Registratorswitwe, mit zwei Töchtern abtrat, die mit Blumenmachen, Kleidernähen und anderen weiblichen Arbeiten ihr Brot verdienten.

Alles war ausgenützt, alles Zureden Bertls, doch im Vorderhaus Wohnung zu nehmen, war vergeblich geblieben; Margold fühlte sich heimischer in dem einstöckigen Anbau, der ihn an das alte Häuschen an der Landstraße erinnerte, und der Arbeitslärm in der Schlosserwerkstätte that ihm ganz wohl, das war seine Atmosphäre. Das Vorderhaus betrachtete er als sein Kapital; es selbst zu beziehen wäre ihm gleichsam wie ein Angreifen desselben erschienen, vor dem er eine ängstliche Scheu hatte; er hatte ja auch in seinem Garten früher die feinsten theuersten Gemüse, die kostbarsten Pflanzen gepflegt. aber auf seinen Tisch kam nur Sauerkraut und Kohl, vor seinem Fenster, in seinem Privatgärtchen wuchsen nur Reseda und ungefüllte Pelargonien. Seit er verkauft hatte, wurde er das bange Gefühl nicht los, das ganze Geld könnte ihm unter den Händen zerrinnen, ein Gefühl, welches ihm auch der Kauf des Hauses nicht benahm. Die Sicherheit des bebauten fruchtbaren Bodens, an die er ein ganzes Leben gewohnt war, fehlte ihm und mit ihr der ruhige Schlaf nach arbeitsvollem Tag.

Auch Frau Margold war in Bezug auf die Wohnung ganz auf seiner Seite gewesen. Da wurde ihr doch wieder die unentbehrliche angenehme Stunde am Brunnen. Die Mägde kamen und brachten Neuigkeiten, die Schlossersfrau wurde bald ihre Vertraute, und abends kam man zusammen mit dem Strickstrumpf; auch die Frau Köhler, die Registratorswitwe, verschmähte es dann nicht, nach Feierabend herabzukommen mit ihren zwei Töchtern, der Therese und der etwas verwachsenen Lili. Frau Margold hatte zwar ein lebhaftes Vorurtheil gegen das „hochmüthige Beamtenvolk“, das selbst in der hellen Not noch seinen Stolz bewahrte wie eben diese zimperliche Frau Köhler und ihre Töchter; aber sie liebte einmal solch eine altgewohnte Hausplauderei und am Ende spielte sie als die Hausbesitzerin doch die erste Rolle.

Bertl mit ihren Hoffnungen und Kämpfen, mit ihrer blühenden, von Tag zu Tag sich edler entwickelnden Schönheit war jetzt eine fremdartige Erscheinung in dieser Umgebung, von welcher sie absichtlich sich möglichst fern hielt, um nicht wieder in ihren Bann gezogen zu werden.

Theodor schmeichelten die opferfreudigen Bestrebungen Bertls, die nur ihm galten und von der Heftigkeit und Wahrheit ihrer Leidenschaft zeugten, und es war mehr als ein flüchtiges Verlangen nach dieser herrlichen Mädchenblüthe, was ihn immer wieder zu ihr trieb. Schon erregte die neue strahlende Erscheinung Bertls Aufsehen, da und dort wurde sie mit Theodor gesehen, er wurde bestürmt mit Fragen. Und indem dieser den Bescheid gab, sie sei ein wohlhabendes Bürgermädchen, die Tochter eines Hausbesitzers in der Vorstadt, ein hochanständiges, vortreffliches Mädchen, verschaffte er ihr ein für allemal eine Stellung, die ihm gestattete, unbehindert mit ihr zu verkehren.

Nur die Besuche im Hinterhaus waren für ihn peinlich. Vorn wohnte ein höherer Offizier seines Regimentes, dessen Gattin, Mutter zweier heirathsfähiger Töchter, jeden derselben in ihrem schwarzen Buche verzeichnete. Der alte Margold machte trotz seiner stillen Zukunftspläne immer ein argwöhnisches bitteres [146] Gesicht, wenn Theodor kam, die Schlossergesellen stießen sich an und lachten, und auch die Mutter störte mit ihrem aufdringlichen Wesen, so herzlich gut sie es auch meinte. Da mußte Aenderung geschaffen werden um jeden Preis. –

Es war um die Karnevalszeit. Bertl fühlte sich reif, in die Welt zu treten, sich sehen zu lassen, sie brannte darauf, Theodor auf offenem Kampffelde entgegenzutreten, ihm zu zeigen, daß sie es mit jeder Nebenbuhlerin aufnehmen könne. Die Liebe erweckte in ihr den Ehrgeiz, zu glänzen. Auch der Geliebte hegte den gleichen Wunsch, obwohl er sich selbst nicht bewußt war, warum. War es der knabenhafte Stolz, mit dem schönen Mädchen sich seinen Kameraden gegenüber brüsten zu können? Trieb ihn die Neugierde, sie in der neuen Umgebung zu sehen und prüfend zu vergleichen, oder gingen seine Gedanken weiter? Wollte er sie allmählich immer mehr zu sich heraufziehen, bis sie, ohne Aufsehen zu erregen, neben ihm stehen könnte als seine Gattin?

Er dachte an all das und lachte zuletzt darüber. Vor allem wollte er sie nicht entbehren bei seinen Karnevalsfreuden, die ihm alle schal dünkten ohne sie. Die Mutter wurde zu Rathe gezogen; sie begriff selbst, ohne daß sie dabei besonderes Weh empfand, daß sie nicht geeignet sei, mit ihrer Tochter auf einem öffentlichen Balle zu erscheinen, und nach langem Nachsinnen kam ihr ein vortrefflicher Gedanke: Frau Räthin Stürmling, welche im ersten Stockwerk des Vorderhauses wohnte.

Bertl lachte sie aus: das wäre gerade die rechte, die stolze Frau, die daher komme, wie eine Fürstin gekleidet, und ihre eingebildete Tochter, das Fräulein Irma, das die Nase rümpfe, wenn es an einem der Hinterhausbewohner vorüber müsse – wie die Mutter nur auf den Gedanken komme!

Doch diese ließ sich nicht davon abbringen.

„Ich weiß, was ich weiß,“ sagte sie pfiffig. „Alles Schwindel in der Stadt, mein Alter hat eigentlich ganz recht. Da wohnen viele Leute, wunderschon eingerichtet, kommen daher im ewigen Sonntagsstaat und schauen herab auf unsereinen in der Schürze, und wenn man hineinschaut, ist’s nichts als ein glänzendes Elend! Ich sage Dir, Bertl, Du gehst mit der Frau Räthin, laß mich nur machen, und brauchst Dich nicht zu sorgen, daß die nicht hinkommt, wo die feinen Leute sind – die versteht’s! Mein Gott, der arme Herr Rath, er thut mir leid, so oft ich ihn sehe. Ein freundlicher, lieber Herr, aber man sieht ihm die Sorge an um den theuren Haushalt. Freilich, was will er denn machen? ‚Standesrücksichten‘ nennen’s die Quälerei ’s ganze Leben durch, und auf das hin wird dann drauf los gewirthschaftet von solch einer Frau!“

Frau Margold liebte nicht umsonst die Stunde am Brunnen im Hofe. Da erfuhr sie die Geschichten aller ihrer Miethsparteien; das ganze Haus war für sie wie aus Glas, sie sah in die innersten Gemächer, in jede Schüssel, es gab keine Geheimnisse für sie.

Frau Räthin Stürmling war noch eine schöne stattliche Frau, trotz ihrer fünfundvierzig Jahre; ihr einziger Fehler war nur, daß sie nicht einen Baron Anspacher, sondern einen Rath Stürmling mit fünftausend Mark Gehalt und geringem Vermögen geheirathet hatte, sie wäre sonst eine Zierde der großen Welt geworden. Doch das Zeug dazu steckte einmal in ihr, das wurde ihr nur zu oft von Schmeichlern gesagt, und so mußte sie doch einigermaßen ihrer natürlichen Bestimmung nachkommen. Ihr Gatte war ein guter Ehemann, der in den ersten Jahren nach seiner Verheirathung dem schönen, abgöttisch verehrten Weibe nichts versagen konnte, später nichts mehr versagen durfte, obwohl die wachsenden Wünsche der Gattin in keinem Verhältnisse standen zu der Steigerung seines Gehalts. Ständige pekuniäre Wirren, ein verzweifeltes aufreibendes Ringen, die Ehre des Standes aufrecht zu erhalten, sich keine Blöße zu geben, die von oben herunter übel vermerkt werden könnte, den äußeren Schein zu wahren – das war die unausbleibliche Folge davon.

In den Augen der Welt lebte das Ehepaar Stürmling in himmlischem Frieden. Der früh ergraute Scheitel des Rathes, seine gebeugte Gestalt fielen nicht auf, man schob es auf den anstrengenden Beruf, auf das rastlose Leben der Großstadt. Unter dem Vorwande, sein schwächliches Töchterchen Irma könne die Luft und den Lärm der Stadt nicht ertragen, war er in dies neue Viertel gezogen, wo die Miethen noch verhältnißmäßig niedrig waren.

Fräulein Irma sollte nun heuer zum ersten Male die Bälle besuchen in Begleitung der Frau Mama, welche sich schon lange nach diesem Zeitpunkt gesehnt hatte, um die Stätte ihrer früheren Erfolge wieder aufsuchen zu können. Der Beginn des Karnevals und der Termin des Miethzinses fielen aber diesmal bedenklich zusammen. Die umfassenden Vorbereitungen der Frau Räthin hatten bereits die Kasse des Hausherrn erschöpft und Rath Stürmling war verzweifelt, als der gefürchtete Tag kam, ohne daß er sich trotz aller Anstrengung die nöthigen Mittel verschaffen konnte – und doch war’s der erste Termin in diesem Hause. Das Gefühl der Schande drückte ihn zu Boden, und zum ersten Male seit langer Zeit trat er vor die Gattin mit ernstlichem Vorwurfe. Frau Stürmling lächelte über die Engherzigkeit ihres Gemahls. Das käme ja in den besten Familien vor; außerdem sei sie ja ganz schuldlos, die Zukunft ihres Kindes müsse ihr wichtiger sein als eine augenblickliche kleine Verlegenheit. Heutzutage müsse man vor allem den Schein wahren, dürfe man sich nicht in die Karten sehen lassen, besonders wenn man eine heirathsfähige Tochter habe, sonst sei alles verloren. Er solle die Regelung der Angelegenheit nur ihr überlassen, Frau Margold sei eine ganz verständige Frau, die werde das alles wohl begreifen.

So kam es, daß Frau Margold eines Tages von der Frau Räthin im Stiegenhaus auf die liebenswürdigste Weise angesprochen wurde und daß sich die Frau Räthin lebhaft nach der Frau Margold schöner Tochter Bertha erkundigte, die ja geradezu Aufsehen mache in der Stadt.

„Ja, ja, die Kinder! Was thut man nicht alles für sie, Frau Margold! Meine Irma wird heuer zum ersten Male die Bälle besuchen – Gott, man hat ja auch seine Jugend genossen! Aber was das heutzutage für Geld kostet! O, wie glücklich preise ich Sie, daß Sie davon nichts wissen – aber was will man machen, man wird gezwungen dazu in unserer Stellung – – was ich sagen wollte, Frau Margold –“ die Frau Räthin strich sich dabei mit den kleinen Händen über den kostbaren Pelzbesatz – „es wird Ihnen wohl nichts daran liegen, wenn mein Mann Ihnen die Miethe erst in einem Monat übersendet, nicht wahr? Es ist ja nur eine Kleinigkeit – aber was die Irma uns heuer kostet! horrend! Na ja, nicht wahr, Frau Margold?“

Mit einem liebenswürdigen Lächeln beendete sie das Gespräch, ohne die Antwort abzuwarten, vor welcher der gewissenhafte Rath Nächte hindurch gezittert hatte.

Frau Margold glaubte nun, diesen Umstand benutzen zu können: wenn die Räthin Bertl unter ihren Schutz nähme, dann sollte es mit der Miethzahlung gute Weile haben. Und danach verfuhr sie.

Die Räthin war zwar unangenehm überrascht, als Frau Margold in einem gewissen drohenden Tone, der im Verweigerungsfalle das Schlimmste erwarten ließ, die Anfrage an sie stellte. Wie das Verhältniß an und für sich stand, war ja das Verlangen eigentlich nicht zu erfüllen. Die Tochter eines früheren Gärtners, die Tochter einer Margold in ihrer Gesellschaft an der Seite ihrer Irma! das schien ihr auf den ersten Anblick unmöglich. Doch die Frau Räthin kannte Bertl, bewunderte täglich ihr Geschick, sich zu kleiden, sich zu benehmen, sie wußte, Bertl würde ihr, was Aeußeres und Anstand betraf, keine Schande machen, und darauf kam es um Ende ja nur an. Die Eltern kannte man nicht, Bertl war einfach ein wohlhabendes bürgerliches Mädchen, wie viele heutzutage in der Gesellschaft auftraten, und – – Frau Margold durfte um keinen Preis gereizt werden.

So ging sie auf die Bitte ein, Frau Margold überbrachte triumphirend Bertl die Nachricht, und diese suchte, Thränen der Rührung im Auge, sofort die Räthin auf und küßte ihr in übersprudelndem Dankgefühl die Hand.

„Ich will Ihrer Mutter gern den Gefallen thun, obwohl man mir vielleicht einen Vorwurf daraus machen wird in meiner Stellung. Nur mache ich Sie darauf aufmerksam, daß der Eintritt in die Gesellschaft an der Seite meiner Irma für Sie seine Bedenklichkeiten hat; es ist ja nicht Ihre Schuld, daß Sie die Erziehung nicht genossen haben, wie sie sonst in unsern Kreisen üblich ist, ich möchte nur nicht verantwortlich gemacht werden für eine allenfallsig Enttäuschung Ihrerseits. Sie haben Muth, Fräulein Bertha. sehr viel Muth; es ist ein glatter Boden, den Sie betreten wollen! Was die Toilette betrifft, bitte ich Sie, vorher mit mir darüber zu Rath zu gehen, ich fürchte das Zuviel – man macht sich leicht lächerlich damit.“

[147] Die spitzen Worte kühlten mit einem Male in Berthas Brust die Begeisterung für die Räthin, und an die Stelle der flammenden Dankbarkeit trat der heiße Wunsch diese Frau sammt ihrer Tochter zu beschämen.

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In dem Zimmer der Frau Köhler herrschte fieberhafte Thätigkeit. Sie war mit ihren zwei Töchtern ganz in den Dienst Berthas gestellt.

Der Registrator Köhler, ein hoffnungsvoller Beamter, war nach zehnjähriger glücklicher Ehe das Opfer einer Epidemie geworden und hatte seine Frau mit zwei Töchtern in den dürftigsten Verhältnissen hinterlassen. Ein schwerer Lebenskampf begann. Das eine der beiden Mädchen, Lili, litt noch dazu an einer Verkrümmung des Rückgrates und war nur mit der sorgsamsten Pflege über die Kinderjahre hinwegzubringen gewesen. Trotzalledem verlor die entschlossene Frau weder Muth noch Stolz und rang sich mit ihrer Hände Arbeit durch, bis die zwei Mädchen mit erwerben konnten. Jetzt hatte sie, Dank den eifrigen sechs Händen, mit Nahrungssorgen nicht mehr zu kämpfen, aber ein bitteres Weh saß ihr in der Brust, denn die freudlose düstere Jugend ihrer Mädchen ging ihr schwer zu Herzen.

Lili machte ihr in dieser Beziehung weniger Kummer, ihr körperliches Leiden hätte sie von vornherein von den Freuden der Welt mehr oder minder ausgeschlossen, und sie zeigte auch keinerlei Sehnsucht danach. Mit immer heiterem Sinn trug sie ihr hartes Los unermüdlich, unbeirrt, mit inniger Liebe an der Mutter hängend. Aber die ältere, Therese! Sie war ein bildhübsches, stattliches Mädchen, und sie konnte dem Mutterauge die gewaltsam unterdrückte, stetig wachsende Sehnsucht nach Glück und Freude, die in jeder jungen Brust keimt, nicht immer verbergen.

Frau Köhler versuchte ja alles, um diesem natürlichen Gefühl ihrer Tochter gerecht zu werden, aber was konnte sie thun bei rastloser Arbeit, ohne den Schutz eines Mannes? Die sommerlichen Sonntagsausflüge, der vereinzelte Besuch eines Theaters trugen eher dazu bei, den Drang nach Freiheit und berechtigtem Lebensgenuß in Theresens Innerem zu verstärken, als daß sie ihn gestillt hätten.

Es war der letzte Abend vor dem Beamtenballe, auf welchem Bertl an der Frau Räthin Stürmling und ihrer Tochter Irma Seite ihren Eintritt in die große Welt feiern sollte. Bertl war in der Stadt, die letzten Einkäufe zu besorgen, nach ihrer Rückkehr sollte Generalprobe sein, und noch war nicht alles fertig. Die drei Frauen arbeiteten unermüdlich, kein Wort wurde gesprochen. Die Nähmaschine klapperte, die Stoffe rauschten unter den fleißigen Händen.

Lili summte leise ein Lied, während sie Mohnrosen formte. Frau Köhler blickte während der Arbeit forschend auf Therese, die oft schwer aufseufzend die dunkelbraunen Haare aus der Stirn strich. Die Arbeit brannte unter ihren Fingern – wenn sie das alles für ihre Therese machen dürfte! Sie fühlte es, daß das junge Mädchen auf demselben Gedankengange sich befand. Bertha, die Tochter dieser ungebildeten Frau Margold, ging morgen auf den Beamtenball, wurde dort gefeiert, und Therese, die Tochter eines Beamten, ebenso schön, ebenso freudebedürftig, mußte unterdessen am Nähtische sitzen! Es war nicht Neid, was sich in ihr regte, sie hatte Bertha, das offenherzige schöne Kind, wirklich gern, und auch die derbe Ehrenhaftigkeit der Frau Margold wußte sie zu schätzen, aber sie litt unter ihrer Lage wie unter einem ihr widerfahrenen Unrecht, sie empfand einen Haß gegen das Schicksal, das sie so vernachlässigte, einen Widerwillen gegen diese Räthin Stürmling, die ihr, der armen Standesgenossin, unbedingt abgeschlagen hätte, was sie Frau Margold aus unlauteren Gründen, wie sie richtig ahnte, genehmigte. Für sich verlangte sie ja nichts mehr von diesem Leben. Das stolze Bewußtsein, sich ehrenhaft durchgerungen zu haben, genügte ihr vollkommen. Sie hatte die Arbeit lieb gewonnen, fand für sich eine Freude darin und sehnte sich durchaus nicht danach, in die alten Kreise zurückzukehren, die sie im Unglück nicht mehr gekannt hatten; ihre Tochter Therese dereinst von einem tüchtigen Handwerksmann, welchem Fache er auch angehöre, heimgeführt zu sehen, war ihr innigster Wunsch. Darum billigte sie auch nicht das Streben Bertls, aus ihrem Stand herauszukommen, sie verwarf entschieden deren Verhältniß zu Theodor von Brennberg und machte daraus weder Bertl selbst noch ihrer Mutter gegenüber ein Hehl.

Der Sohn des Schlossermeisters Bergmann im Hinterhause, ein hübscher tüchtiger Mann, hatte, wie Frau Köhler nicht entging, ein Auge auf Therese geworfen, und auch diese schien ihm nicht abhold. Aber es machte den Eindruck, als sei sie stark von Bertl beeinflußt, als schäme sie sich vor ihr der aufkeimenden Neigung zu dem jungen Schlosser, seit sie wußte, daß ein Offizier, ein Herr von Brennberg, gewissermaßen Bertls Verlobter war.

„Das gute Fräulein Bertha wird sich auch täuschen,“ begann plötzlich die Registratorswitwe, ihre Arbeit unterbrechend, „trotz aller Toilette wird man doch dahinter kommen, wer sie ist; gerade weil sie schön ist, wird man nicht ruhen mit Fragen und Forschen – und dann nutzt es ihr alles nichts, das Gärtnerkind werden sie nicht dulden.“

„Das sag’ doch nicht, Mutter,“ entgegnete Therese, ihr brünettes, fein geschnittenes Gesicht mit den rehbraunen Augen erhebend. „Du sprichst noch von Deiner Zeit; heutzutage fragt kein Mensch danach. Wenn ein Mädchen schön ist und wohlhabend wie Bertl, dann ist alles ganz recht. Das gefällt mir von unserer Zeit, daß sie keine so schroffen Unterschiede mehr kennt; das Kind eines Gärtners zu sein ist doch keine Schande!“

In Frau Köhlers Auge blitzte es freudig auf.

„Gewiß ist es keine Schande, aber eben deshalb soll man es auch nicht zu verbergen suchen, daß man ein Gärtnerskind ist, und sich nicht in einen andern Stand unter dem Mantel einer Frau Stürmling eindrängen, in einen Stand, wo man noch immer dieselben Vorurtheile hegt wie früher, nur mit dem Unterschiede, daß man einem schönen Gesicht und einer guten Mitgift zuliebe seine Grundsätze leichter verleugnet. Ein tüchtiger Handwerksmann, der die Hände zu rühren weiß, der sein Geschäft versteht, der lacht sie doch alle aus, die Herrschaften mit ihren unzähligen Bedürfnissen, die in keinem Einklang stehen zu ihren Einnahmen, mit ihrem kummervollen Scheinleben, zu dem sie verdammt sind. So eine Meisterin wie die Bergmann zum Beispiel, glaubst Du, die würde mit der Frau Räthin tauschen? Die wäre schön auf den Kopf gefallen! O, das Glück sieht oft recht rußig und garstig aus und das Unglück recht schön und glänzend, merke Dir das, Therese!“

Das Mädchen erröthete tief und beugte sich wieder über die Arbeit.

„Ei, da bin ich ja am Ende ein Glückskind!“ sagte lachend Lili.

„Du bist es auch,“ entgegnete die Mutter, „weil Du zufrieden bist mit Deinem Los und unter Dich, nicht über Dich blickst. Darin liegt das ganze Geheimniß.“

In diesem Augenblick trat Bertl ein mit der Frau Stürmling, welche Musterung halten wollte, ob ihr Schützling morgen auch ihrer würdig gekleidet sein würde. Die Räthin grüßte Frau Köhler und die Mädchen mit einem mitleidigen „Guten Abend“ und bat dann Therese, das Kleid Bertls anzuziehen, damit sie und Bertl den Gesammteindruck kennenlernten.

Verdrossen zögerte Therese; sie war keine Probirmamsell. Aber die zärtliche Bitte Bertls bestimmte sie, nachzugeben.

Therese sah reizend aus in dem duftigen meergrünen Gewande, das ihren Nacken, ihren feingeformten Arm frei ließ; trotz des peinlichen Gefühles, das sie empfand, betrachtete sie sich selbst mit Wohlgefallen in dem Spiegel. Frau Köhler aber trat das Wasser in die Augen beim Anblick ihres schönen Kindes, das sie noch nie in solchem Schmuck gesehen hatte.

Bertl schlug das Herz mächtig; wie mußte sie sich erst darin ausnehmen in der vollen Beleuchtung eines Ballsaales! Der Sieg konnte ihr nicht fehlen.

Die Räthin war sichtlich verdutzt. Solchen Geschmack hatte sie Bertha, dem Gärtnerskind, doch nicht zugetraut, und trotz aller Ausstellungen, die sie machte, mußte sie ihre Zufriedenheit doch bekennen. Der Gedanke kam ihr, daß sie eine große Unvorsichtigkeit begangen habe. Bertha würde noch schöner aussehen als dieses Mädchen und ihre bleichsüchtige magere Irma gänzlich in den Schatten stellen – nein, nicht nur Irma, auch am Ende sie selbst, die sieggewohnte Frau Räthin! Das war denn doch zu viel verlangt für den Aufschub der Miethe um einen Monat.

Indessen es gab keinen Ausweg mehr und Frau Räthin mußte sich wieder mit dem Gedanken trösten, daß es doch schließlich auf das Auftreten ankomme. Aber die Prüfung von Bertls Ballstaat noch lange auszudehnen, daran hatte sie kein Interesse mehr. Sie entschuldigte sich: das Hämmern und Kreischen aus der Schlosserwerkstätte greife ihre Nerven an, und drückte ihre Bewunderung [148] aus, wie man das aushalten könne. „Glückliche Nerven, die Sie haben, Frau Köhler, ich bewundere Sie darum! Wenn Sie Ihre Freundin morgen von der Galerie aus beobachten wollen, Fräulein Therese, so verschaffe ich Ihnen gern eine Karte, Sie können vortreffliche Toilettenstudien machen; der Beamtenball ist berühmt dafür. Man will sich vom Adel und der hohen Finanz nicht ausstechen lassen, das ist der Zeitgeist, lieber bringt man die größten Opfer!“ Sie athmete schwer auf. „O dieser abscheuliche Lärm! Daß man solche Gewerbe in einem Hause duldet, wo die besten Leute wohnen.“

„Sie zahlen gut für den Lärm, den sie machen, das ist der Grund, Frau Räthin,“ konnte sich Frau Köhler, in der es gährte, nicht enthalten, zu sagen.

Die Räthin wurde feuerroth und empfahl sich schleunigst. – –

[160] Endlich war der lang ersehnte Ballabend angebrochen. Bertl war den Tag über in nervöser Unruhe gewesen; aber das bange Gefühl, die Angst vor einem Mißlingen schwand immer mehr mit der vorrückenden Zeit, eine prickelnde, siegesbewußte Kampflust erfüllte sie, hob ihr ganzes Wesen und verlieh ihr doppelten Reiz.

Jetzt war alles bereit. Das ganze schimmernde Rüstzeug lag ausgebreitet in der engen Stube und bildete einen sonderbaren Gegensatz zu der bürgerlich einfachen, fast ärmlichen Einrichtung.

Frau Köhler und ihre beiden Töchter waren um Bertl beschäftigt, in der Ecke saß regungslos in stummer Bewunderung all der Herrlichkeiten Frau Margold, die große Hornbrille auf der Nase, die Augen feucht vor Rührung.

Lili ordnete die rothen Mohnblumen im schwarzen Haar Bertls, Therese steckte das duftige Kleid zurecht; keine Spur von Bitterkeit, von geheimem Neid spiegelte sich auf ihrem Antlitz, nur die reine Freude an der gelungenen Arbeit.

Bertl stand still, feierlich wie ein geschmücktes Opfer vor dem vom Photographen entlehnten hohen Standspiegel und zitterte vor ihrer eigenen Schönheit. Ein mächtiges Lebensgefühl durchströmte sie, machte ihre Pulse fliegen, gab ihrer weißen Haut eine herrliche blühende Farbe. Sie war überzeugt, daß die Frau Räthin bersten würde vor Neid bei ihrem Anblick. Aber was kümmerte sie die Frau Räthin – nur für Theodor wollte sie schön sein! Sie wollte ihn heute ganz und für immer in ihre Fesseln schlagen, und sie traute sich’s zu, sie war sich der ganzen Macht ihrer Weiblichkeit bewußt.

Kaum war das Kunstwerk vollendet, die letzte Nadel gesteckt, da riß Frau Margold das Fenster auf und ließ einen förmlichen Schlachtruf gegen die Werkstatt erschallen; das ganze Haus mußte ihre Bertl sehen, wie sie zum Balle ging. Die Schlossermeisterin war schon darauf vorbereitet, sie wartete nur auf den Ruf, der auch in den verschiedenen Küchenräumen vernommen wurde.

Alles drängte in die enge Stube, die Meisterin, der Meister, der alte Margold, dem es seit Wochen unheimlich war in seiner Wohnung, die Mägde aus den verschiedenen Stockwerken, die Freundinnen vom Brunnen.

Leises Flüstern, andächtiger Ausdruck der Bewunderung wurde hörbar. Die Augen auf ihre eigene Pracht gesenkt, die tadellosen Arme hochgehoben, die Wangen geröthet, so stand Bertl da und genoß den ersten Triumph des heutigen Abends. Selbst den alten Margold packte der Anblick, er war stolz auf sein schönes Kind und vergaß den Verdruß, den ihm die vielen Kosten und das seiner Ansicht nach schwindelhafte Eindrängen in die vornehme Gesellschaft bereitet hatten. Warum sollte das nicht eine Frau von Brennberg geben, eine gnädige Frau, was unterschied denn dies schöne Kind von den andern, Höhergestellten? Wo war da ein Merkmal niederer Geburt zu sehen? Es war am Ende doch wirklich ein altes Vorurtheil aus einer längst vergangenen Zeit, welches ihm diese Verbindung immer wieder, so oft er darüber nachdachte, unnatürlich erscheinen ließ.

Georg, der Sohn des Schlossermeisters Bergmann, ein kräftig gebauter Mann mit dem Anflug eines rothen Bartes um die frischen Lippen, war auch heraufgekommen, den Hammer noch in der Faust. Er stand unter der Thür, aber er schien sich wenig um die geschmückte, angestaunte Bertl zu kümmern, sein Auge ruhte sinnend auf Therese, deren bescheidenes, dunkles Kleidchen ganz umwallt war von der meergrünen Robe Bertls.

Die geschäftige Lili, die immer noch da und dort etwas zu bessern hatte, zupfte ihre Schwester lächelnd; Theresens Blick wandte sich nach der Thür, dunkle Röthe schoß den weißen Hals hinauf, die Schere entglitt ihren Händen.

„Respekt, Fräulein Therese, das ist eine feine Arbeit, das kann unsereiner auch beurteilen!“ unterbrach der junge Mann die feierliche Stille, indem er näher trat. „Aber man traut sich kaum, es anzuschauen, so dünn und fein ist das Zeug. Das wird eine Lustbarkeit werden, Fräulein Bertha! Warum geht denn die Frau Mutter nicht selber mit?“

„Das geht ja nicht, Herr Georg, in eine so feine Gesellschaft! Was glauben Sie denn! Da müßt’ ich mich gut ausnehmen!“ fiel Frau Margold ein.

Georg machte ein verdutztes Gesicht und sah auf den alten Margold, der den Blick zu Boden senkte und sich in den Haaren kraute.

„Ah so! Entschuldigen Sie, das verstehe ich nicht. Aber wissen Sie was, da mache ich einen Vorschlag: die Frau Köhler und ihre beiden Töchter kommen nachher zu uns hinunter. Die Mutter macht einen guten Punsch, der Bartl spielt uns eins auf der Zither und die Werkstatt ist der Tanzboden. Da werden der [162] Herr und die Frau Margold auch nicht nein sagen. Was meinen’s dazu, Fräulein Therese? Gar fein ist es freilich nicht da drunten, aber es wäre doch auch eine kleine Faschingsfreude, meinen Sie nicht, Fräulein Therese?“

„Von Herzen angenommen, wenn die Mutter nichts dagegen hat,“ erwiderte Therese unter allgemeiner Zustimmung.

Bertl fühlte eine Regung des Mitleides: Therese, die mehr Berechtigung hatte als sie, diesen Ball zu besuchen, mußte sich mit der Einladung zu einer Tanzbelustigung in der Werkstatt begnügen! Wie hart doch das Schicksal ist! Bertl warf Therese einen bedauernden Blick zu.

„Trösten Sie sich,“ sagte sie, „ich werde der Frau Räthin keine Ruhe lassen, das nächste Mal müssen Sie mit.“

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte diese. „Ich habe gar kein Bedürfniß danach, im Gegentheil, so zufällige gesellige Unterhaltungen im Haus sind mir viel lieber als glänzende Feste, wo ich doch als Fremde betrachtet werde. Sie würden der Frau Räthin nur lästig fallen damit.“

Georgs Antlitz leuchtete vor Vergnügen bei diesen Worten und er warf dem Mädchen einen dankbaren Blick zu.

Die Frau Räthin schickte herüber, es sei Zeit zur Abfahrt. Begleitet von der Schar der bewundernden Hausgenossen schritt Bertl über den Hof zur Räthin.

Diese konnte ihre unangenehme Empfindung nicht verbergen beim Anblick der in Schönheit strahlenden Bertha. Wie mager und kümmerlich nahm sich doch, mit Bertl verglichen, trotz der reichen Toilette ihre Irma aus. Der Rath verschwand neben seiner stattlichen Frau, deren schweres crêmefarbiges Stoffkleid ihre noch immer tadellose Figur vortheilhaft hob; nur das breite rothe Ordensband mit einem Kreuz in weißem Email und Gold, das er an seinem Halse trug, lenkte das Auge auf die schwarze unscheinbare Gestalt. Er hatte sofort das Unpassende in dem Antrag der Frau Margold erkannt, nachdem derselbe aber einmal angenommen war unter den obwaltenden Verhältnissen weiter nichts zu machen. Als er jetzt Bertha in der Fülle blühender Jugend erblickte, da schweifte sein Auge bekümmert hinüber zu Irma mit dem blutleeren Antlitz, dem krankhaft nervösen Zug um den kleinen zierlichen Mund und, was ihm am wehesten that, dem nüchternen kalten Blick gegenüber dem lebensvoll strahlenden, freudeerregten Berthas. Dort eine strotzende lachende Frucht, vollgereift am gesunden Stamm durch freie Sonnenkraft, hier eine früh kränkelnde, in erschlaffender Treibhauswärme aufgezogene Blüthe – und welche Opfer hatte er gebracht!

Endlich hatte die Frau Räthin die letzte Hand an ihre Toilette gelegt. Man stieg in den Wagen. Vom Hofe her tönten Accorde einer Zither, welche gestimmt wurde – das war Bartl, der Zitherspieler, der sich für den Abend rüstete. „Arme Therese!“ dachte Bertl wieder.

Der Rath sah nur noch mit dem Kopf aus den Wolken heraus, in welche seine drei Göttinnen ihn hüllten, selbst das rothe Band war begraben.

Frau Räthin gab unterwegs Verhaltungsmaßregeln, zupfte an Irma herum und besprach mit ihrem Manne, unter welchem Titel Bertha eingeführt werden sollte; man beschloß, sie als die Tochter eines wohlhabenden Gutsbesitzers auszugeben, der sein Anwesen mit einem Hause in der Stadt vertauscht habe und jetzt hier lebe. Die Mutter sei leidend, der Vater menschenscheu, ein zurückgezogenes Leben gewohnt.

Bertha empfand eine tiefe Scham bei diesen Auseinandersetzungen; das Bewußtsein eines häßlichen Betruges, der hier gespielt wurde, des Verrathes an ihren Eltern, an sich selbst, kam ihr und ein augenblicklicher Ekel erfaßte sie, Ekel an dieser verlogenen Welt, der sie entgegenfuhr. Ihre ehrliche Abkunft wurde wie ein Schandfleck durch eine Lüge verhüllt, dieser schon ergraute. gutmüthige Ehrenmann mit dem schönen Orden um den Hals fuhr mit seinem festlich gekleideten Weib zu einem Ballfeste und nahm das tief unter ihm stehende Gärtnerkind mit, um einen Aufschub seiner dem Vater schuldigen Miethe zu erreichen.

Lüge! Nichts als Lüge! Und im Dunkel des Wagens tauchte vor Bertl das kleine Häuschen an der Landstraße auf, der wohlgepflegte Garten, ihre Blumen, die einfache Mahlzeit an dem runden Tisch im Kreise der Ihren, die so vortrefflich schmeckte nach arbeitsvollen Stunden.

Da hielt der Wagen an einer elektrisch beleuchteten Halle. Ein reich galonnirter Diener öffnete den Schlag, mit einem raschen Sprung war Bertl draußen, die Vision verschwunden, vor ihr hob sich die breite teppichbelegte Treppe in strahlendem Licht wie die Jakobsleiter, von der sie gelernt hatte in der Schule zu Haching, und hinauf wallten plaudernd, lachend Damen in hellen Ueberwürfen, langen geheimnißvoll rauschenden Schleppen, Herren mit besternten Fräcken, in strahlenden Uniformen; schwere Wohlgerüche strömten herab, alles Licht, Duft, Glanz! Ein Zittern durchschauerte ihren Leib: dort oben hinter der riesigen Flügelthür, welche sich lautlos öffnete und schloß, wartete ihrer der Geliebte, um sie zu empfangen in seiner Welt, der sie einst auch gehören sollte.

Die Spiegelwände zu beiden Seiten strahlten ihr Bild zurück. War das wirklich sie, die Bertl Margold? Nein, sie war es nicht mehr, wie der bunte Falter die ärmliche Raupe nicht mehr ist, aus der er auferstanden.

Die Flügelthür schloß sich auch hinter ihr; ein Gewoge von Farben, Stoffen, Tönen und Düften nahm sie auf. Aber ihr Blick forschte nur nach ihm, nach Theodor. Warum empfing er sie nicht am Eingang des Paradieses?

Die Räthin und Irma waren sogleich von Bekannten umschwärmt, sie trafen von allen Seiten prüfende, fragende Blicke; sie sah die Paare, die Damen untereinander flüstern; eine beschämende Angst befiel sie: gewiß hatte man sie erkannt, „die Bertl vom Stande Nummer sieben“, und gleich wird eine an sie herantreten und sie hinausweisen aus diesen Räumen, in welche sie sich eindrängte.

Doch im Gegentheil: die Herren, welche ihr die Räthin zugleich mit Irma vorstellte, indem sie die unterwegs getroffene Abmachung Wort für Wort einhielt, waren überaus freundlich und galant gegen sie, ja, es entging ihr nicht, daß Irma um ihretwillen jetzt schon vernachlässigt wurde. Die Frau Räthin war bald von älteren Herren so in Anspruch genommen, daß sie die Jugend sich selbst überlassen mußte, der Herr Rath stand festgebannt in gekrümmter Linie vor einem Herrn, der einen großen glitzernden Ordensstern vorn an der Brust trug und mit Excellenz angeredet wurde. So befand sich Bertha auf einmal allein in dem eigenthümlich rauschenden, nur von gedämpften Lauten durchtönten Gewühle, aber sie fühlte sich durchaus nicht verlassen, sie dachte nicht mehr an die Vergangenheit wie im dunkeln Wagen; nur kam ihr jetzt plötzlich der komische Gedanke, alle diese geschmückten, geputzten Menschen hätten am Ende ihre Miethe nicht bezahlt wie die Räthin. Auch an Theodor dachte sie für den Augenblick nicht. Jede Befangenheit schwand, sie war sich bewußt, daß sie mit keiner Bewegung sich etwas vergab.

Unter den Herren herrschte große Aufregung. Einige hatten Bertha als die neue Schönheit erkannt, mit welcher Herr von Brennberg in Beziehung stand, zugleich erinnerte man sich aber auch der Auskunft, die er über sie gegeben hatte: ein reiches Bürgermädchen von tadellosem Rufe. Das klang sonderbar zurückhaltend; man fragte die Frau Räthin, mit welcher die Dame gekommen war, und auch ihre Erklärung machte den Eindruck des absichtlichen Verbergens. Warum kam das Mädchen nicht mit seinen Eltern? Die Ungewißheit schlug zu ihren Gunsten aus; ihrem Aeußeren, ihrem ganzen Wesen nach konnte man unmöglich auf die wahren Gründe ihres etwas geheimnißvollen Erscheinens kommen.

Der Name Margold klang zwar vielen bekannt, manche kannten das Mädchen selbst vom flüchtigen Sehen, doch in einer Großstadt wie M ... hatte dies nichts zu sagen. Man suchte schließlich in ihr etwas ganz Besonderes, eine reiche Erbin, die unerkannt bleiben wollte. Weiß Gott in welcher Ecke fielen die Worte: „aus Westindien, Amerika“ – wohl von einem Spaßvogel ausgesprochen – und im Nu machten sie die Runde; „etwas Ausländisches“ war den meisten „gleich an der Dame aufgefallen“.

Bertha hatte gewonnenes Spiel. Jede allenfallsige Unschicklichkeit, jedes ungehörige Wort, jede auffallende Gebärde, Dinge, die ja trotz ihres gesellschaftlichen Talentes nicht zu vermeiden waren, galten jetzt als pikant, echt westindisch oder amerikanisch.

Die Frau Räthin war empört über die unerwartete Wendung der Dinge. und in ihrem Aerger darüber war sie nahe daran, [163] alles zu verrathen; aber davor hütete sie sich doch, es stand für sie dabei zu viel auf dem Spiele.

Man wartete jetzt nur noch auf Herrn Lieutenant von Brennberg, welcher allein imstande war, nähere Auskunft zu geben. Daß er kam, war ja außer allem Zweifel, er wäre ja ein Thor gewesen, hätte er sich einen solchen Ausbund von Schönheit und Reichthum wegkapern lassen.

Und er kam, ahnungslos, seine Bertha als schüchterne Balldebütantin an der Seite der Frau Räthin vermuthend, absichtlich etwas später, um keinerlei Abmachung ahnen zu lassen. Wie erstaunte er aber, als er das entzückende Geschöpf erblickte, voll Anmuth, mit jener Sicherheit, die Schönheit und Geist verleiht, umschwirrt von Herren, die sich in Schmeicheleien erschöpften.

„Haben Sie die Westindierin schon gesehen – die Amerikanerin? Großartig! Ein Millionenweib!“ riefen ihm die einen zu; „jetzt müssen Sie heraus mit der Sprache, wir haben auch ein Recht darauf! Wer ist sie? Woher? O, Sie wissen alles, Sie täuschen uns nicht länger!“ drängten die andern.

Einerseits war es ihm peinlich, so wider seinen Willen in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerissen zu sein; er hatte sich das Zusammensein mit Bertl heute abend ganz anders gedacht. Anderseits genoß er aber den Triumph Berthas mit, seinem Stolz war geschmeichelt und er war selbst hingerissen, bezaubert von der überraschenden Erscheinung.

Bertha war trotz aller Gewandtheit doch noch zu sehr Neuling auf diesem Boden, um, wie es sich gehört hätte, das mächtige Aufwallen ihres Herzens bei Theodors Anblick zu verbergen; sie las ihren Erfolg, ihren stürmischen Sieg in seinen Augen, und so traten sich beide mit verrätherischen Blicken, unter einer mächtigen Bewegung ihres Innern entgegen, welche die ganze Umgebung mitfühlte wie sich entladende Elektricität. Und das erregte Aufsehen, fast Anstoß.

Im Ballsaal ist jede Wahrheit, jedes echte Gefühl verboten. Und wenn es sich schon der feinen Sitte zum Trotz regt in einer Brust, so verlangt man doch wenigstens, daß keine Blutwelle es verräth. Man rümpfte die Nase. „Echt amerikanisch! Er wenigstens hätte sich mehr beherrschen sollen.“ Man fühlte sich überflüssig neben diesen beiden und zog sich zurück.

Bertha achtete nicht darauf, und sie lief Gefahr, im Sturm ihrer Leidenschaft sich ganz zu verrathen.

Der Tanz begann und nahm sie mit ihm auf seine Wogen – seliges Schweben, trunkenes Vergessen!

Ihr Auge leuchtete, ihr ganzer Leib athmete Lust; ja sie gab sich so sehr dem Vergnügen hin, daß es unangenehm auffiel, es fehlte ihr die gemessene Ruhe, die wohleingeschulte mädchenhafte Zurückhaltung ihrer Genossinnen, welche die im Innern angefachten Gluthen mit kühler Beherrschung bedeckt.

Jetzt zweifelte man erst recht nicht mehr an ihrem Ausländerthum, wie man schon den sonderbaren Empfang Herrn von Brennbergs auf diese Rechnung geschriebeu hatte; sie meinte es gewiß nicht so ernst, die Südländerinnen sind einmal so; man gewann wieder Hoffnung und war begierig, diese leidenschaftliche Tänzerin auch einmal im Arme zu haben, so eine Gelegenheit gab sich auf dem Beamtenballe lange nicht mehr.

Und Bertha war nicht spröde in ihrem Wonnegefühl, sie fand gar keine Zeit mehr, zu ihrer Beschützerin, der Frau Räthin, zurückzukehren, welche ihren Freunden und Verehrern gegenüber nicht verhehlte, wie sehr sie es bereue, in ihrer Gutmüthigkeit dieses Fräulein in die Gesellschaft eingeführt zu haben. Die Eltern seien brave anständige Leute, aber Parvenüs, die nicht hereinpaßten.

„Parvenüs!“ Da hatte man es ja: irgend ein steinreicher Pflanzer, ein Minenbesitzer, der einst als armer Teufel ausgewandert und jetzt goldbeladen zurückgekehrt war und seine alten Tage in Ruhe verleben wollte; es gelang der Räthin auch auf diesem Wege nicht, den Nimbus, der sich um Bertha gebildet hatte, zu zerstören. Die Tochter eines fraglichen Abenteurers, der an irgend einem Weltende durch irgend welche zweifelhafte Mittel sich Reichthum erworben hatte, erregte kein Bedenken, die „Gärtnerstochter aus Haching“ aber hätte einen Schrei des Entsetzens hervorgerufen, und diese drei Worte durfte die Frau Räthin um ihrer selbst willen nicht sprechen, so sehr sie ihr auf der Zunge brannten.

Als sich die Familie des Raths während der Tanzpause zum Essen begab, mußte nach Bertha erst lange gesucht werden; endlich kam sie, von Lieutenant Brennberg begleitet, welcher wohlweislich zuvor einige Touren mit Irma getanzt und so den Unmut über seine hinterlistige Verabredung mit Bertha, deren Werkzeug die Räthin gewesen war, beschwichtigt hatte; der Ansicht der letzteren nach beabsichtigte der junge Baron ja nichts anderes als eine oberflächliche „Liaison“ mit dem Bürgermädchen, nach Art aller Lebemänner, von ernstlicher Absicht konnte keine Rede sein. Ihr moralisches Gefühl war darüber nicht verletzt, und sie hätte ihm das alles gern verziehen, auch für die nächste Zeit ein Auge zugedrückt. wenn er zum Dank dafür ihre Irma zur Frau von Brennberg gemacht hätte.

Die Champagnerpfropfen knallten, die strenge Etikette lüftete etwas den grauen Mantel, und da und dort blitzte es darunter gar schelmisch auf.

Selbst der Herr Rath vergaß seine Sorgen und hörte auf, die Flaschen mit den rothen Köpfen, welche sich vor ihm schrecklich mehrten, zu zählen, selbst für ihn saßen frohe süße Hoffnungsgeister in den aus der Tiefe der Kelchgläser aufsteigenden Perlen und umschwirrten, aus ihrer Haft befreit, sein graues Haupt.

An seinem Tische herrschte das regste Leben. Er fühlte sich jetzt seit langer Zeit zum ersten Mal wieder frei auf der Brust, seine schöne Frau entzückte ihn wieder, er freute sich, sie so gefeiert, umschwärmt zu sehen, und für ein leises Zulächeln, einen Blick, ein Anstoßen vergaß er allen Kummer, den sie ihm bereitet hatte. Auch seine Besorgniß, daß die Mitnahme Berthas ihm Unannehmlichkeiten bereiten könnte, war geschwunden. Unzählige Herren mußte er ihr vorstellen, und die ewig wiederholte Lüge von der Gutsbesitzerstochter kam ihn gar nicht mehr schwer an.

Da tippte ihn plötzlich jemand auf die Schulter – er blickte um und fuhr jäh in die Höhe, sein glückliches Lächeln verschwand, das kümmerliche Amtsgefühl legte sich wieder in die Falten seines Gesichts.

Die Excellenz mit dem Stern, sein Minister, Graf Derwitz, sein höchster Vorgesetzter, stand vor ihm, ein stattlicher Herr mit schneeweißem, stramm gewichstem Schnurrbart; sein dunkles durchdringendes Auge blitzte in heiterer Weinlaune.

„Herr Rath, haben Sie die Güte und stellen Sie mich einmal Ihren Damen vor!“ sagte er, mit einem Blicke auf Bertha, der diese erbeben machte.

Schöpfte er Verdacht, wußte er am Ende alles? Ihn belügen, war gefährlich, ihm die Wahrheit sagen, noch gefährlicher, denn der Minister hielt alles auf die Wahrung des Standesbewußtseins unter seinen Beamten und war durchaus nicht demokratisch gesinnt.

Der Rath warf einen fragenden, verzweifelten Blick auf seine Gattin, als suchte er dort Hilfe. Aber sie achtete nicht auf ihn.

„Excellenz sind zu gnädig! Meine Frau – meine Tochter Irma –“ er machte eine Pause, vielleicht genügte das der Excellenz.

Vergebliche Hoffnung! Der Minister blickte immer noch auf Bertha, er mußte sie vorstellen.

„Fräulein Bertha Margold, eine Freundin meiner Tochter,“ stotterte er.

Die Excellenz ging geradenwegs auf das Mädchen zu, sie interessirte sich offenbar für die Erscheinung.

Bertha hatte keine Ahnung von der Bedeutung dieses Mannes und benahm sich infolgedessen ganz unbefangen. Das schien den Minister nur zu reizen; er nahm mit einer leichten Verbeugung neben ihr Platz, richtete der Form halber einige Worte an die Räthin und zog dann sofort Bertha ins Gespräch.

Der Rath saß wie auf Kohlen; der Orden brannte ihn auf der Brust, er sah ihn schon herabgerissen von diesem Manne mit dem weißen Schnurrbart, sich selbst pensionirt.

Jetzt erkannte auch die Räthin die Gefahr und suchte die Excellenz abzulenken – alles vergeblich.

Der vornehme Herr kehrte immer wieder zu Bertha zurück, drückte ihr seine Verwunderung aus, sie heute zum ersten Male in der Gesellschaft zu sehen, sie sei wohl erst seit kurzem in der Stadt; der Name klinge ihm bekannt.

[176] Der Minister schaute Bertl scharf und prüfend einen Augenblick an. „Sind Ihre Eltern etwa krank, daß sie nicht mitgekommen sind?“ fragte er dann.

Dem Rath stockte der Athem. Nun war sie da, die verhängnißvolle Frage. Aber Theodor, welcher den Minister persönlich kannte, parirte vortrefflich: die Eltern der Dame hätten sich völlig von der Welt zurückgezogen, nachdem ihr kleines Gütchen der sich nach dieser Richtung hin ausdehnenden Stadt zum Opfer gefallen sei.

„Das wäre also in der Richtung nach Haching zu gelegen?“ fragte der Minister, gegen den Rath gewendet.

„Ganz richtig, Excellenz, gegen Haching,“ stammelte dieser mit einer Verbeugung.

„Und der Herr Papa findet sich wohl schwer in das Stadtleben, Fräulein Margold?“ fuhr Graf Derwitz fort. „O, das begreife ich, es ist ein Uebelstand, den ich schon längst bemerkt habe, dem aber schwer abzuhelfen ist. Die Zeit verlangt ihr Recht. Wenn ich nicht irre, Herr von Brennberg, sind Sie ein Schicksalsgenosse des Fräuleins“ – ein Lächeln kräuselte dabei die Lippen des Ministers – „Ihrem Vater ging es ja ebenso mit Schönau, nicht wahr? Doch scheint er sich eher in die neue Zeit hineinzufinden wie Herr Margold, er ist ja bereits Aufsichtsrath in der neuen Aktiengesellschaft, an deren Spitze dieser Stefanelly steht –“ die Stirn des Ministers zog sich, während er dies sagte, in Falten. „Ihr Herr Vater ist darin sehr kühn – da hat der Ihre, Fräulein Margold, das bessere Theil erwählt. Fern von allen Aufregungen genießt er seine alten Tage in Ruhe und Frieden und läßt sein schönes Töchterchen unter dem Schutze der Frau Räthin dahinflattern. Wo wohnt denn Ihr Herr Papa, wenn ich fragen darf?“

„In demselben Hause mit dem Herrn Rath,“ entgegnete Bertha, in welcher von neuem die Scham über die Verleugnung ihrer Eltern und ihres Standes mit der Angst kämpfte, ihre glänzende Stellung für den heutigen Abend zu verlieren. „Es ist das Eigenthum meines Vaters.“

Der Minister stutzte und blickte auf den Rath, der förmlich in sich zusammensank.

„Sie wohnen doch seit einigen Monaten in der äußern Mariannenstraße?“ fragte er.

Der Rath nickte stumm, in sein Schicksal ergeben.

Der Minister strich sich die hohe Stirn.

„Wie doch mein Gedächtniß nachläßt! Margold! Den Namen las ich erst in einem Schriftstück, die Anlage der neuen Straße betreffend –“

Der Rath Stürmling fühlte die Nacht um seine Augen sich legen; er kannte nur zu gut das vortreffliche Gedächtniß seines Chefs, und dieser war auf der rechten Fährte, er ließ sie nicht mehr los.

Bertha sah ängstlich flehend auf den Minister.

„Ja, jetzt erinnere ich mich,“ fuhr dieser fort, den Blick des Mädchens ganz verstehend und mit wohlwollendem Lächeln erwidernd. Dann faßte er den Rath scharf ins Auge. „Ich kenne ihn selbst, den Herrn Margold, ein wackerer Mann, von dem es mich herzlich freut, zu hören, daß es ihm gut geht. Solche neue Bürger können uns nur erwünscht sein.“

Die Worte klangen scharf, verweisend, und dennoch waren sie eine Himmelsbotschaft für den Rath, der das Haupt wieder hob wie eine Blume, die nach langen Regenschauern sich gegen die Sonne emporrichtet. In seinem Innern freilich mußte er lachen über die demokratische Regung, die ein Blick aus den Augen Berthas in der Brust des Ministers wachgerufen hatte. Bertha stiegen die Thränen in die Augen; sie hätte diesem Mann die Hand küssen mögen, der ihren guten Vater so lobte, der, trotzdem er jetzt wußte, wer sie war, sein liebenswürdiges Benehmen nicht änderte. Es war also alles nicht wahr, was der Vater immer sagte, was der Rath und selbst Theodor glaubten, daß es eine Schande sei, das Kind eines einfachen schlichten Gärtners zu sein. Wenn dieser hohe Herr mit dem Stern, der Höchste hier im Saale, vor dem sich alles beugte, es nicht dafür hielt, dann durfte es niemand dafür halten.

„Uebrigens, das ist ja zu komisch, Fräulein Margold,“ fuhr der Minister, jetzt wieder zu Bertha gewendet, fort, „daß man Sie heute abend durchaus zur Westindierin machen wollte. Ich lasse jedermann in dem Glauben, Ihnen wird es ja nichts schaden, das Ausländische hat nun einmal eine besondere Anziehungskraft in M ... Jeder Russe ist ein Fürst, jeder Amerikaner ist unermeßlich reich, jeder Franzose geistreich, pikant, jeder Südländer ein heißblütiger Othello, und wir selbst sind nichts als ausgemachte Spießbürger.“

Die ganze Umgebung beobachtete die vertrauliche Unterhaltung der Excellenz mit Bertha, man beneidete den Rath um das Glück, sie am Tische zu haben, man nannte ihn einen Streber, der das alles zum voraus berechnet habe, die Schwäche des Ministers für schöne Damen kenne. Auf Bertha fiel jetzt das strahlende Licht des diamantenbesetzten Ordens auf der Ministerbrust, sie war gefeit, für jeden jungen Beamten war es jetzt Pflicht und Ehre, mit ihr zu tanzen.

Der Minister empfahl sich endlich mit einem herzlichen „Auf Wiedersehen“ von Bertha, welche in ihrem überströmenden Dankesgefühl ihm gegenüber fast ihre Stellung als Dame vergaß und seine Hand leidenschaftlich drückte, – mit einer kühlen abgemessenen Verbeugung von dem Rath und der übrigen Gesellschaft.

Der Rath athmete auf und trank in langsamen Zügen ein frisch eingeschenktes Glas Champagner aus. Die Sache war ja über alles Erwarten günstig für ihn abgelaufen und er hatte Excellenz nie so gnädig gesehen; Bertha war eine Perle, sie mußte jetzt auf jeden Ball mit, sie, die Tochter eines wackeren Mannes, eines guten neuen Bürgers, warum denn nicht? Wie er nur hatte zweifeln können, ob das ginge oder nicht!

Die Frau Räthin faßte die Sache anders auf; sie raunte Bemerkungen über den „alten verliebten Narren“, wie sie zum Entsetzen des Rathes den Minister nannte, ihrem Gemahl zu, so daß dieser achselzuckend den Tisch verließ.

Ohnehin begann die Musik wieder, der Tisch leerte sich; auch Theodor empfahl sich und forderte Bertha zum Tanze auf, mit einem sarkastischen „Bitte, Herr Lieutenant“ von seiten Irmas und ihrer Mutter entlassen. Alles verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor Bertha, die gar nicht begriff, warum sie denn jetzt eine andere sei als vor dem Essen. Theodor mußte ihr alles erklären: auch wenn man jetzt erfahre, daß sie die Tochter des Gärtners Margold sei, werde niemand mehr wagen, ihre Anwesenheit hier oder irgend wo in der guten Gesellschaft unpassend zu finden, nachdem der Minister sie so ausgezeichnet habe.

Wohl mußte Bertl herzlich über diese Auskunft lachen, aber sie fand doch, daß dieser Minister ein recht gescheiter, herzensguter Mann sein müsse, ohne alles Vorurtheil, ein Mann, der die Menschen immer nach ihrem inneren Werth schätze; und als ihr Theodor erklärte, daß der Graf von Derwitz diese Eigenschaften mit Ausnahme der erstgenannten durchaus nicht besitze, daß er als Feind im höchsten Grade gefährlich, gegen seine Untergebenen von maßlosem Stolze erfüllt, im ganzen nichts weniger als ein Volksmann sei, da sagte sie, ganz verwirrt von diesem Widerspruche:

„Und für mich war er ein Engel heute abend. Wie kommt das nur? Was bin ich für ihn?“

„Ein schönes Weib!“ flüsterte Theodor ihr ins Ohr, „und das ist hier alles, die höchste Macht.“

Bertha zitterte in seinem Arme bei diesen Worten. Den ganzen Abend schon hatte sie diese Macht gefühlt, jetzt aber war es klar ausgesprochen von dem, den allein sie derselben unterliegen sehen wollte, und der Ton, in dem er diese verführerischen Worte sprach, ließ sie nicht mehr daran zweifeln, daß er wirklich schon unterlegen war. Es galt nur eine entscheidende Frage, aber noch that sie diese nicht, denn es war ihr, als schwände damit der geheime Zauber, der über dem Unausgesprochenen lag. Es gelüstete sie plötzlich, ihre Macht erst voll und ganz zu genießen, sie auch andere fühlen zu lassen, ehe sie dieselbe auf den Geliebten allein beschränkte. Sie dachte dabei an keine Untreue, nur ein Spiel sollte es sein, Rache vielleicht an dieser lügnerischen, sie im Innern doch geringschätzenden Gesellschaft.

Sie genoß jetzt erst all die Blicke, all die schönen Worte, die ihr gesagt wurden; besonders von dem Minister fühlte sie sich eigenthümlich angezogen, trotz seiner weißen Haare; absichtlich trat sie ihm in den Weg, und sie empfand ein wonniges Schauern unter seinen Blicken, eine sonderbare Sympathie, die sie sich selbst nicht erklären konnte.

[178] Theodor entging ihre Verwandlung nicht. Er bereute jetzt seine Worte, es war ihm, als habe er damit den Blütenstaub weggewischt, der über ihrem Wesen lag; ein wildes leidenschaftliches Verlangen erfaßte ihn, gepaart mit der Angst eines möglichen Verlustes, den er nicht mehr ertragen zu können glaubte. Zum ersten Male liebte er wirklich, zum ersten Male fühlte er die Sehnsucht, sie völlig zu besitzen. Er gab sich alle Mühe, Bertha in einen der kleinen an den Ballsaal grenzenden Nebenräume zu bringen, um ihr ein rückhaltloses Geständniß, einen unverblümten Antrag zu machen. Aber geschickt, seine Absicht ahnend, wußte sie es zu vermeiden; mit einem Male war sie vertraut mit all den weiblichen Künsten der Liebe, verstand sie es, sich klug zurückzuhalten, bald anzuziehen, bald abzustoßen, abwechselnd Hoffnung und Eifersucht zu wecken. Theodor selbst hatte den verhängnißvollen Zauberspruch gethan, der die Bande ihrer ahnungslosen Jungfräulichkeit sprengte. Mit innerlichem Frohlocken sah sie ihn an der Säule lehnen, das Auge unverwandt auf sie gerichtet, während sie mit andern sprach, scherzte, sich köstlich zu unterhalten schien; sie sah ihn auf einen Wink ihrer Brauen selig herbeieilen, um ihm dann mit ihrer scheinbaren Kälte die bitterste Enttäuschung zu bereiten.

Es ward Morgen über dem grausamen koketten Spiel, in dem sie so rasch Meisterin geworden war. Der Rath, welcher in seiner rosigen Laune über die Gnade seines Chefs unten im Bierstübel des Guten etwas zu viel gethan hatte, rief zum Aufbruch und schleppte mit glühendem Antlitz und komischer Galanterie die Garderobe Berthas daher.

Irma glich einem welken Blatte, die Lust und Anstrengung der Nacht schienen ihre Kräfte verzehrt zu haben, matt hing sie am Arme des Vaters. Die Frau Räthin ging etwas verstimmt nebenher. In einiger Entfernung folgten Bertha und Theodor.

„Fräulein Bertha, erinnern Sie sich noch unseres nächtlichen Heimganges von der Hochzeit Ihres Bruders?“ flüsterte Theodor hastig; die Zeit war kurz bemessen – unten stieg bereits die Räthin in den Wagen.

„Gewiß!“ entgegnete sie mit schelmischem Lächeln, an ihrem Mantel etwas zurechtzupfend.

„Ich miederhale, was ich damals gesagt habe. Ich liebe Sie, Sie müssen mein Weib werden.“ Er drückte fest ihren Arm.

Aber sie zog ihn zurück, es schwindelte ihr; trotz aller Erwartung kam ihr der Autrag zu plötzlich. Gestern wäre sie Theodor mit Thränen der Rührung um den Hals gefallen; heute war es anders.

„Hat Ihnen der Minister Muth gemacht?“ fragte sie schnippisch, mit einem erzwungenen Lächeln.

Theodor war tief verletzt von diesem kalten Scherze in diesem Augenblicke und er erschrak über den verheerenden Einfluß, den wenige Stunden auf diese Mädchenseele gehabt hatten. Aber auch Bertha entsetzte sich vor ihren eigenen Worten. Sie waren ihr ja nicht ernst gewesen, sie hatte sich nur in dieser Verstellung gefallen.

„Ich scherze nur, Theodor,“ flüsterte sie rasch, „ich bin ja Dein seit lange –“

Die Räthin rief in gereiztem Tone aus dem Wagen nach Bertha.

„Aber kommen Sie doch, Fräulein!“

Theodor half ihr hinein.

„Hüten Sie sich vor dem Minister, er ist ein gefährlicher Nebenbuhler,“ warnte die Räthin den Lieutenant, und der Rath lachte vergnügt dazu.

Bertha aber drückte eine Rose in Theodors Hand, die sie von der Brust genommen – dann rasselte der Wagen von dannen.

Wie anders waren die Bilder, die jetzt das Mädchen umgaukelten! In der Straße erwachte bereits das Leben der Großstadt, lange Reihen von Wagen mit Lebensmitteln aller Art, die dem Markte zufuhren, begegneten ihnen; Bertha sah sich selbst auf einem derselben sitzen neben Hans; wie hart, rauh und kalt ihr das alles jetzt vorkam im düstern Dämmerlichte des Wintermorgens. Sie schauderte bei dem Gedanken an das Einst und wickelte sich in ihren Pelz. Welch ein Glückskind sie doch war! Ein inniges Dankgebet schwebte auf ihren Lippen.

Endlich war man zu Hause. Irma war schlaftrunken, der Rath machte wieder sein ernstes sorgenvolles Gesicht. Im Hinterhaus brannte Licht, Frau Köhler war schon wieder auf bei der Arbeit mit ihren beiden Töchtern, und in der Werkstatt wurden bereits die Feuer geschürt.

Jetzt war Bertl wieder die alte. Sie sprang die Treppen hinauf, Frau Köhler und Therese sollten vor allen ihr Glück erfahren, die Mutter schlief ja noch.

Sie blieb an der Thür stehen, das Herz schlug ihr bis in den Hals, drinnen klapperte die Nähmaschine.

„Die arme Therese!“ dachte wieder Bertl, „sie wird am Ende die Armuth erst recht fühlen, wenn sie mein Glück erfährt, meine zügellose Freude wird sie verletzen –“ und Bertl zögerte, einzutreten.

Da verstummte die Maschine.

„Er wird Dich auf den Händen tragen, der gute Mann,“ klang drinnen die Stimme der Frau Köhler. „Ich kann’s selbst noch nicht glauben. Und da kränkte es mich, daß Du nicht mit der Bertl auf den Beamtenball gehen konntest und in der Werkstatt Dein Tanzvergnügen suchen mußtest, wo Du jetzt Dein Glück gefunden hast – Frau Schlossermeister Bergmann!“

„Kunstschlossermeister, Mama,“ verbesserte Therese, „das ist ein großer Unterschied heutzutage.“

„Das ist mir gleich, der Name macht’s nicht, sondern der Mann,“ meinte Frau Köhler. „Handwerk oder Kunst, wenn’s nur was Tüchtiges ist und man sich gern hat, und daran fehlt’s ja bei Euch nicht!“

„Mutter, ich bin so glücklich!“ Ein Kuß war hörbar, dann lärmte die Nähmaschine wieder.

Erstaunt horchte Bertl. Das also nannten die armen Leute Glück – eine Verlobung mit dem Sohne des Schlossermeisters, die vergangene Nacht, während sie von dem Minister so gefeiert wurde, während Theodor von Brennberg sie umwarb, abgeschlossen wurde.

Ein Gefühl unedlen Stolzes ergriff sie. Sie trat mit erhitzten Wangen in den Arbeitsraum; aber beim Anblick Thereses, die über ihre Arbeit sich beugte, überkam sie eine plötzliche Rührung, sie eilte auf sie zu und umarmte sie unter Thränen.

„Ich bin die Braut des Herrn van Brennberg,“ flüsterte sie selig.

Frau Köhler blickte forschend auf Therese.

„Und ich die Braut des Gearg Bergmann!“ sagte diese fest, selbstbewußt.

Frau Köhler nickte zufrieden lächelnd, nur einen Augenblick hatte sie für ihr Kind gefürchtet. Lili athmete schwer auf und beugte sich tiefer über die Blumen, die in ihrer Hand zitterten.

Die beiden Mädchen erzählten nun wechselseitig die Geschichte ihrer Liebe, die Ereignisse dieser Nacht. Bertl von all der Pracht des Balles, von ihren Triumphen, vom Minister, von Theodors stürmischem Antrag – Therese von der Lustbarkeit in der Werkstatt, von ihrer längst heimlich gehegten Neigung, von Georgs schüchternem Werben, dem sie so gern Gehör geschenkt, und beide vergaßen die Kluft, die zwischen ihnen liegen sollte, sahen sich in die leuchtenden Augen und schwärmten von der glücklichen Zukunft.




6.

Die Aktien der Grunderwerbungs-Genossenschaft stiegen immer fort, sie fanden rasch Eingang in alle Kreise der Residenz und selbst die Vorsichtigen wurden zur Erwerbung gereizt. Stefanelly war ein gefeierter Mann, man bewunderte sein Finanzgenie; das Mißtrauen gegen ihn schwand immer mehr.

Der alte Brennberg war trunken von dem plötzlichen Erfolge. Sein Titel Aufsichtsrath war jetzt kein leerer Schall mehr; die sich anfangs über ihn lustig gemacht hatten, suchten ihn jetzt selbst auf, fragten ihn um Rath, hofften, durch seine Verwendung noch einige Aktien zu erhaschen, die schon fast vergriffen waren. Selbstverständlich zögerte er selbst jetzt keinen Augenblick mehr, sein ganzes bewegliches Kapital darin anzulegen.

Stefanelly hatte ihm vorgeredet, daß er in seinen Kreisen für das Unternehmen wirken müsse, und Christian, der sich dem Mann mehr wie je zu Dank verpflichtet fühlte, schlug das Verlangen nicht ab. Theodor mußte ihn in den Klub einführen, wo die ersten Vertreter des Adels verkehrten, und er begegnete dort wider sein Erwarten lebhaftem Interesse. Man hielt ihn für einen erfahrenen Finanzmann, der, in scheinbarer Zurückgezogenheit auf Schönau lebend, schon lange im geheimen auf der Börse sein Spiel getrieben hatte und jetzt erst mit seinem Namen hervortrat; er war nicht mehr der belächelte Landjunker, [179] sondern ein Hauptpfiffikus, der sie alle bisher getäuscht hatte. Das Gerücht vergrößerte seinen Reichthum ins Ungeheure, man sprach von Millionen, die der Alte besitze, und dieser ließ die Herren in der Täuschung.

Zum ersten Male in seinem Leben hatte Brennberg Gelegenheit, an den grünen Tisch zu treten; es wurde viel und hoch gespielt in dem Klub. Wenn er dann so dabei stand und zuschaute – weiter kam es vorerst nicht – dann konnte er den Blick nicht wenden von den fallenden Karten, dem hinüber und herüber rollenden Gelde, und dabei stand immer der Ahne in der Allongeperücke mit den gespreizten langen Fingern vor ihm. Aber Christian freute sich, daß er nichts von ihm geerbt habe, daß er alle Aufforderungen, sich zu betheiligen, so tapfer abwies. Das Zusehen war ja kein Verbrechen und die Erregung, die er dabei empfand, nur eine Folge des Ungewohnten; er redete sich immer ein, seine Pflicht als Aufsichtsrath führe ihn hierher, in Wirklichkeit aber war es nur der Anblick des grünen Tisches, der ihm bereits unentbehrlich war.

In dem aristokratischen Klub hörte er auch von der Aufsehen erregenden neuen Schönheit Bertha Margold sprechen, welche plötzlich in der Gesellschaft aufgetreten sei; selbst die Bevorzugung, welche sie von seiten des Ministers auf dem Beamtenball erfahren hatte, war bereits allgemein bekannt. Man lachte über den alten Sünder, über seine plötzliche Bekehrung zu demokratischen Ansichten der Gärtnerstochter zuliebe – ihre Herkunft war längst erforscht –, brachte auch den Namen Theodors in Verbindung mit dem des Mädchens, ja, man gab sich den Anschein, als wäre man neidisch auf ihn, der die neue Schönheit allen vorweg geschnappt habe; aber an ein ernstes Verhältniß dachte niemand.

Der alte Herr war lebhaft dadurch beunruhigt; seine augenblickliche Aufwallung von damals, als er mit Margold aus der Sitzung heimging, war längst geschwunden, er hatte keinen Grund mehr, Rache zu nehmen an der Gesellschaft, die ihn jetzt so liebenswürdig und ehrenvoll aufgenommen hatte; aber er wußte, daß Theodor die Sache ernster nahm, als man hier ahnte.

Der Aufwand des Lieutenants, welcher anfangs mit den veränderten Verhältnissen seines Vaters gestiegen, ja selbst für diese beängstigend hoch gewesen war, hatte in der letzten Zeit auffallend abgenommen; daran konnte allein seine wahre tiefe Leidenschaft schuld sein, die ihn ganz und wohlthätig beherrschte, und Christian spürte darin mit einer wehmüthigen Erinnerung den gesunden und kräftigenden Einfluß Margoldschen Wesens. Er gestand sich ganz im stillen, daß eine Ehe mit dem braven Mädchen, in dessen Adern treues, redliches Margoldsches Blut floß, für seinen lebesüchtigen leichtblütigen Sohn durchaus kein Unglück wäre und noch weniger eine Schande; denn auch auf seinem Schönauer Standpunkte, von welchem aus ihm eine solche Verbindung als widersinnig und unmöglich erschienen war, stand er nicht mehr. Lediglich der peinliche Gedanke, den gesellschaftlichen Boden, den er gewonnen hatte, wieder zu verlieren, die Herren des Klubs, in dem er jetzt so gern verkehrte, die Nase rümpfen zu sehen, stimmte ihn dagegen.

Noch hatte Theodor kein Wort darüber gesprochen, und sein Vater hütete sich, die Angelegenheit zu berühren, über deren Stand ihm Bertls Bruder Hans stets Bericht erstattete. Dieser war jetzt der Vertraute Stefanellys, der Anführer der unzähligen Unterhändler, welche dieser gewandte Stratege nach allen Seiten hin über die Stadt M ... und Umgebung zerstreute. Eine solche Art von Arbeit sagte Hans vortrefflich zu; da scheute er keine Mühe, keine beim Champagner durchwachte Nacht, wenn es galt, für seinen Chef ein vortheilhaftes Geschäft abzuschließen, neue Rekruten zu werben für die riesige Armee von Zahlern, die blindgläubig, willenlos ihrem Führer folgten. Da wurde niemand verachtet, vom einfachen Arbeiter an, der seine Ersparnisse in den Unternehmungen anlegte, bis zum Millionär, der von seinem Ueberfluß hineinsteckte.

Stefanelly war eben daran, ein eigenes Bankgeschäft zu gründen, um den riesigen Umsatz, der jetzt anderen Bankhäusern zu gute kam, in seine Tasche fließen zu lassen, und hatte Hans die Aussicht eröffnet, ihn als Theilhaber aufzunehmen, wenn er sich bewähre. Hans wohnte jetzt sogar in dem „Palais“ des Stefanelly, welcher als Junggeselle einer weiblichen Repräsentation für seinen verschwenderischen Haushalt bedurfte. Dazu eignete sich die schöne Loni vortrefflich. Der üppige aufdringliche Reichthum, den sie da mitgenoß, behagte ihr, ebenso die Gesellschaft, für welche sie die Dame des Hauses vorstellen durfte. Es waren lauter Gesinnungsgenossen, alle diese unnennbaren fragwürdigen Existenzen, die in einer Großstadt auftauchen, die nie arbeiten und immer genießen, Leute, an welche der Unternehmer durch irgend welche frühere Verbindung zweifelhafter Art gegen seinen Willen gefesselt war, Gimpel, welche er zur späteren Verwerthung in sein Netz ziehen wollte, Schmarotzer, die der Goldklang anzog, die mit tönendem Lob auf den Bierbänken zahlten.

Stefanelly hatte durchaus nicht im Sinne, bei dieser Gesellschaft zu bleiben, er wartete nur den geeigneten Augenblick ab, um das lästige Volk abschütteln zu können, das ihm wie einer Krankheit aus früherer Zeit anhaftete. Die ersten Kreise sollten in seinem Haus verkehren, der Anspacher selbst, der so verächtlich von ihm sprach, sollte erscheinen, und Loni würde auch für diese Leute zu wirthschaften wissen, davor war ihm gar nicht bange.

Hans hatte demnach das größte Interesse daran, daß seine Schwester den jungen Brennberg heirathete. Das junge Paar und den Alten dazu in das Haus zu bringen, war dann nicht mehr schwer, und machte einer den Anfang, so kamen die andern bald nach. Er hetzte Bertl, die offene Erklärung von Theodor zu fordern, er verstand es, dem alten Baron, mit welchem er täglich geschäftlich zu thun hatte, das Glück, die Bequemlichkeit einer neuen Häuslichkeit unter Führung einer ihn verehrenden Frau wie Bertha so verführerisch darzustellen, daß derselbe oft gern bei dem Gedanken daran verweilte.

Gegen Ostern stiegen die Aktien infolge verschiedener Gerüchte über eine bedeutende Vermehrung der hauptstädtischen Garnison, über Miethsteigerungen und Wohnungsmangel, über eine beabsichtigte große Ausstellung im kommenden Jahre zu einer noch nie dagewesenen Höhe.

Der „Herr Aufsichtsrath“ betrat, von Stolz geschwellt, abends den Klub, von allen Seiten ehrfurchtsvoll begrüßt, mit Schmeicheleien und Glückwünschen überhäuft. Der alte Vollblutadel der Stadt war nicht reich. Die meisten seiner Mitglieder lebten in verhältnißmäßig bescheidenen, sehr viele in geradezu beschränkten Verhältnissen. Diese spielten deshalb neben der jungen Geldaristokratie eine gedrückte Rolle, ein Umstand, der sich nirgends mehr fühlbar machte, als gerade hier im Klub, wo beide sich im Innern feindlichen Elemente zusammentrafen. Man machte sich auf der einen Seite ein grausames Vergnügen daraus, seinen Reichthum zu zeigen, durch üppiges Leben, rücksichtslose Verschwendung den Neid der weniger Glücklichen zu erregen, auf der andern Seite ließ man sich durch nichts imponiren, strengte seine Kräfte bis zum äußersten, oft bis zur Selbstvernichtung an, um nicht zurückzubleiben. Es war ein unedler, roher Wettkampf, der da am heftigsten wüthete, wo er mit den ungleichsten Waffen geführt wurde – am Spieltisch. Unter dem Schein einer falschen, ihren idealen Ursprung völlig verkennenden Ritterlichkeit wurde hier. den Warnungen vernünftiger Männer zum Trotz, mit einer Kaltblütigkeit, mit einer Größe im Ertragen schmerzvoller, ja tödlicher Wunden gekämpft, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre.

In Herrn von Brennberg sah die Geburtsaristokratie einen leistungsfähigen Zuwachs ihrer Partei, der es mit den Gegnern in jeder Beziehung würde aufnehmen können. Leider erwies er sich aber in ihren Augen als ein Knicker, der nichts aus sich zu machen verstand und zum Spiele durchaus nicht zu bewegen war, als ein „Kibitz“, der die von ihnen theuer bezahlte Nervenaufregung als Zuschauer sich stahl.

Auch heute setzte sich Christian wieder an seinen gewohnten Platz am grünen Tisch und verfolgte mit gerötheten Wangen und leuchtenden Augen das außergewöhnlich hohe Spiel. Die Herren kamen eben von einem Festmahl zu Ehren des Landesfürsten und befanden sich in weinseliger Stimmung, auch war Baron Anspacher ausnahmsweise zugegen und hatte eine Aufforderung zum Spiele angenommen, – da durfte es nicht um Kleingeld gehen. Der Bankier gewann und verlor mit einem blasirten überlegenen Lächeln, man sah ihm an, daß er sich groß machte mit seiner Gleichgültigkeit. Das reizte immer mehr, und man griff schließlich zu einem gewöhnlichen Hazardspiel; Whist und l’Hombre gingen zu langsam, und es handelte sich doch für diese Herren nur um das blanke Gold, nicht mehr um die Kunst des Spieles. Anspacher war kein leidenschaftlicher Spieler und ließ sich erst nach langem Hin und Wider überreden. Dann aber gewann er immerfort mit unwandelbarem Glück, so sehr er sich auch absichtlich in Gefahr zu begeben schien. Dem alten Baron wurde es heiß [180] und kalt, die Augen brannten ihm wie im Fieber; er empörte sich über den Verlust seiner Freunde, über diesen verhaßten Baron Anspacher; wie, wenn er selbst ihm die Spitze böte? Er dachte an sein Glück, das würde ihn gewiß auch hier nicht im Stiche lassen; es wäre ja nur eine Rache an diesem ewig lächelnden Geldmenschen. Zweimal griff er schon in die Tasche nach seiner Börse; sie war schlecht gefüllt, nur einige Goldstücke fand er darin. Er nahm sie heraus und drückte sie in der Tasche zwischen den Fingern. Zweimal machte er Miene, zu setzen, aber er wagte es noch nicht.

Nun forderte ihn aber Anspacher selbst auf, an dem Spiel theilzunehmen, und von allen Seiten sprach man ihm zu. Er entschuldigte sich, nicht mit Geld versehen zu sein, aber man lachte dazu; ein Bon von Herrn von Brennberg sei bares Geld und würde jederzeit mit Vergnügen angenommen.

[192] Von einem plötzlichen Entschlusse getrieben, setzte der alte Baron mit einer hastigen Bewegung ein Zwanzigmarkstück auf die verdeckte Karte, mit stieren Augen blickte er darauf hin, er sah nichts mehr als das blitzende Goldstück.

Plötzlich war es verschwunden, an seiner Stelle sah er den Großvater mit der wallenden Perücke, den langen gespreizten Fingern. Er sprang auf und griff zitternd danach – alles lächelte über seine Aufregung – es war der Karokönig – er hatte verloren. Wie geistesabwesend betrachtete er lange die Karte, dann warf er sie zornig unter die übrigen.

Wie man nur so träumen konnte! Nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem Bilde zu Hause! – Oder war es eine Warnung? Wegen eines Goldstückes? Er durfte sich nicht lächerlich machen und setzte das zweite – auch verloren!

Anspacher schob ihm lächelnd seine Brieftasche zu. „Bedienen Sie sich, Herr Baron!“

Brennberg griff mechanisch hinein und spielte weiter. War es sein eigenes Geld gewesen, dessen Blinken ihn so erregt hatte? Er war jetzt viel ruhiger, als er die Banknoten auf die Karte setzte, und mit der Ruhe kam das Glück. Immer verwegener [193] setzte er, höher als man es selbst hier gewohnt war, viele zogen sich zurück; zuletzt spielten Christian und Baron Anspacher allein. Auch dieser schien erregt, der Inhalt der Brieftasche gehörte bereits seinem Gegner, dessen eiserne Ruhe man allgemein bewunderte als eine Seltenheit bei einem Neuling im Spiele.

Anspacher selbst erklärte endlich mit erzwungenem Lachen seine Zahlungsunfähigkeit; ihn ärgerten weniger die Verluste als die schadenfrohen Mienen rings umher.

Wie aus einem Traume erwachend, zählte Brennberg mit zitternden Fingern seinen Gewinn, der mehrere tausend Mark betrug; er weigerte sich, das Geld zu behalten, schob es Anspacher wieder zu, bis ihm begreiflich gemacht wurde, daß dies eine Beleidigung, eine Unmöglichkeit sei; dann steckte er es unter gestammelten Entschuldigungen ein. – –

Als er seine Wohnung betrat, erwachte er wie aus einem Traume. Er mußte wohl noch viel getrunken haben, denn der Kopf schmerzte ihn. Er saß in seinem Zimmer und vor ihm lag ein Haufen Banknoten. Ueber dem Schreibtisch hing der Großvater, der Spieler, in der dunklen Ecke des Bildes flammte es wie ein rothes Karo, darauf starrte sein Blick.

Da ging die Thür hinter ihm. Er fuhr zusammen und bedeckte die Banknoten mit beiden Händen, als wären sie gestohlenes Gut. Theodor, sein Sohn, stand hinter ihm, die Spuren einer durchschwärmten Nacht im bleichen Antlitz.

„Was willst Du noch um diese Stunde?“ fragte Christian, die Banknoten mit seinem Leibe vor den Blicken des Sohnes zu decken suchend.

„Ich habe mit Dir zu reden, Papa. Ich dachte es morgen zu thun, da sah ich aber noch Licht bei Dir, so mag es heute noch sein! Es hat Eile!“ Er lachte sonderbar.

„Uebrigens brauchst Du mir keinen Vorwurf zu machen,“ fuhr er fort, indem er einen schwankenden Schritt auf den Vater zu that und auf das Geld wies, „Du scheinst Dich auch amüsirt zu haben –“

„Du bist unverschämt, Theodor, mach’ ein Ende – ich bin krank – mein Kopf – die vielen Geschäfte –“

Er versuchte dabei, die zerknitterten Banknoten in seiner Tasche zu verstecken, doch Theodor bemerkte es und mußte hellauf lachen.

„Geschäfte? Ja, allerdings, und wie es scheint, bessere Geschäfte, als ich heute abend gemacht habe! – Nun, da brauche ich mich ja nicht mehr zu geniren – für das Pech kann man ja nicht – ich habe schwer verloren im Kasino.“

Christian knickte zusammen und seine Hände umkrampften die Armlehnen des Sessels. – Vater und Sohn – und über ihnen der Ahne – alle drei Spieler – die Erbschaft war angetreten! –

„Ich sehe selbst ein, die Geschichte muß ein Ende haben,“ begann Theodor nach einer Weile. „Ich warne Dich, Papa, es geht Dir nicht immer so gut wie heute abend! – Ich aber muß heirathen, das soll helfen, sagt man. Es ist wenigstens für die Zukunft. – Was sagst Du zu meiner Braut – Bertha Margold?“

Christian regte sich nicht. Das Antlitz in beide Hände vergraben, saß er auf seinem Stuhle; auf dem Boden lagen zerstreut die Banknoten Anspachers. – „Margold!“ seufzte er dumpf auf.

Theodor ahnte nicht, was in dem Vater vorging.

„Und warum nicht Margold? Wer kümmert sich heutzutage um einen Namen! Bertha ist schön, wohlhabend, alles ist entzückt von ihr. Sie wird so gut wie eine andere, ja besser vielleicht die Frau von Brennberg spielen, und ich denke, es kommt damit eine gesündere Luft in unser Haus. Ich weiß nicht, es gefällt mir hier nicht mehr, ich habe trübe Ahnungen –“

Der alte Herr erhob sich plötzlich.

„Wie kannst Du Dich erfrechen, mitten in der Nacht in mein Zimmer zu dringen?“ rief er zornig. „Ich bin kein Spieler wie Du, ein besonderer Zufall – ich weiß selbst nicht – aber ich konnte nicht anders, ich war gezwungen – beim Teufel! Ich bin Dir doch keine Rechenschaft schuldig!“

„Aber Papa, ich verlange ja auch keine,“ erwiderte, vor Erstaunen nüchtern werdend, Theodor – „ich kam ja nur –“

„Um mich zu belauschen, zu beobachten, um meinen Fehltritt, wenn es einer war, zu benutzen und mir jeden gerechten Vorwurf über Dein leichtsinniges Leben unmöglich zu machen!“

„Nein, Vater, Du irrst. Nur um Dir meinen Entschluß [194] betreffs Bertha Margolds mitzutheilen, um Deine Einwilligung in die Heirath mit ihr zu holen, kam ich hier herein,“ entgegnete jetzt in aller Ruhe Theodor. „Daß ich Dich vor diesen Dingern da“ – er deutete auf den Boden – „überrascht habe, dafür kann ich ja nichts; wenn ich so glücklich gewesen wäre wie Du, hätte ich Dich heute nicht mehr belästigt. Du kannst daraus sehen, wie ernst es mir ist, mich noch zu retten, wie sehr ich die Gefahr erkenne.“

Christians Zorn war schon vorüber. Es war nur ein krampfartiger Ausbruch des Ingrimms über sich selbst gewesen, der ihn durchbebt hatte.

„Du hast recht, Theodor,“ sagte er gebrochen, „verzeih’ meine Erregung! Es ist nur die bittere Scham, die ich vor Dir empfinde – heirathe Bertha Margold so rasch als möglich, ich beschwöre Dich jetzt selbst darum! Sie ist ein braves Kind, liebt Dich abgöttisch, sie wird Dich halten mit ihrem gesunden Margoldschen Herzen und mich auch! Nur sage ihr und dem Alten nichts davon, daß ich ein Spieler bin. Ich bin ja auch keiner, gewiß nicht – gewiß nicht!“

Thränen rollten die faltigen Wangen herab in den weißen Schnurrbart Christians. Der Anblick weckte alle guten Regungen in Theodors weicher Seele, er beugte sich nieder, ergriff und küßte die Hand des Vaters.

„Ich danke Dir, Bertha wird Dir eine treue Tochter sein, ein guter Geist unseres Hauses. Jetzt gehe zur Ruhe, Vater, Du bedarfst ihrer.“

Christian schlang den Arm um des Sohnes Nacken und verließ, von ihm gestützt, den Raum. An der Thür warf er noch einen Blick zurück auf das Bild: das rothe Karo war verschwunden. Es war das Brennbergsche Wappen in der Ecke mit den flammenden Bergen, das ihm so erschienen war.

*               *
*

Einen Monat darauf – der Frühling regte sich schon aller Orten – fand in einer Seitenkapelle der Franciskanerkirche, zu deren Gemeinde die Margolds jetzt gehörten, die Trauung Berthas mit Theodor von Brennberg statt, in völliger Stille und Abgeschlossenheit. Obwohl Bertha die Gründe, welche Theodor bewogen, jede Oeffentlichkeit zu vermeiden, billigen mußte, so fühlte sie doch einen bitteren Schmerz, ja sogar eine lebhafte Enttäuschung über diese scheinbar nothwendige Beschränkung bei der heiligsten Handlung ihres Lebens. Sie wußte ja wohl, daß die guten Eltern, daß ihre wenigen Verwandten, die in Frage kamen, einfache Leute waren, welche in ihrem äußeren Auftreten ihre Vergangenheit als Arbeiter nicht zu verleugnen vermochten; aber trotzdem sträubte sich ihr ganzes Inneres dagegen, daß man ihre Angehörigen gleichsam versteckte vor der Welt, daß es ihren Eltern nicht wie allen ehrenwerthen Eltern erlaubt sein sollte, offen vor aller Augen hinzutreten an den Traualtar ihres Kindes. Sie that wieder einen Blick in diese ganze Scheinwelt, der sie entgegen ging; alle die Gestalten und Umstände zogen an ihr vorüber: die Rathsfamilie mit ihrer lügenhaften Existenz, der Minister mit seinen Schmeicheleien, der erste Ball, das Haus Stefanellys mit seinem falschen Glanz, ihr eigener Bruder Hans und sein Weib; und dagegen hielt sie ihre Jugend im kleinen Häuschen an der Landstraße, unter ihren Blumen und Obstbäumen, einfach, ärmlich sogar, aber wahr und voll unscheinbarer Freuden, die sie seitdem nie mehr so rein genossen hatte.

Vorher schon hatte sich diese Empfindung in Bertha geregt, wenn sie bei ihrer Freundin Therese saß, welche die Herstellung ihrer Gesellschaftskleider und ihres Brautstaates übernommen hatte. Da kam denn auch ab und zu Theresens Bräutigam, der junge Schlosser Georg Bergmann, herauf. Man plauderte von der nahen Hochzeit, welche an demselben Tag wie die Berthas gefeiert werden sollte; die beiden Mädchen, die seit dem gemeinsamen Abend ihres Glückes innige Freundschaft geschlossen, hatten es so bestimmt. Da wurde aller beiderseitigen Verwandten und Freunde gedacht und die Eltern Georgs kamen und besprachen mit nassen Augen die Zukunft ihrer Kinder. Daneben standen dann die Eltern Margolds schweigend, und Bertha las auf ihren Gesichtern den stillen Kummer, daß sie nicht auch so sprechen konnten über ihr Kind, das sie nichts mehr angehen sollte, das ihren Rath nicht einholte, das weit weg zog von ihnen in eine fremde, ihnen verschlossene Welt. –

Jetzt aber, in dem Augenblick ihres höchsten Glückes, als sie an der Seite Theodors aus der kleinen Sakristei in die Kapelle trat, schwanden alle diese bitteren Empfindungen; es war ein Opfer, das sie dem Geliebten brachte, diese demüthigende Heimlichkeit. Er brachte ja auch eines, das sie tief empfand, indem er sich hinwegsetzte über alles Nasenrümpfen und Achselzucken der Gesellschaft. Aber der Entschluß stand fest in ihr: war sie erst seine Gattin, dann wollte sie es auch ganz sein, ohne Heimlichkeit, ohne Erröthen über ihre Herkunft, ohne alle die Lügen, zu denen sie im Kampfe um den Geliebten ihre Zuflucht genommen hatte. Sie wollte in der Ehe erst recht die alte Bertha Margold sein; mit weiblichem Scharfsinn ahnte sie, daß gerade dieses frische, gesunde Wesen, an dem gleichsam der Geruch der Erde haftete, den mitten im üppigen Genußleben der Großstadt stehenden, verwöhnten Mann so mächtig anzog und daß gerade darin auch für die Zukunft allein die Bürgschaft ihres Gluckes liege.

Als die Trauung vorüber war, umarmte der Baron Bertha als seine Tochter.

„Sei eingedenk, mein Kind, daß Du von heute an eine Brennberg bist, der neu angefügte Zweig eines edlen uralten Stammes!“ sagte er in einem von Herzen kommenden feierlichen Tone.

Der alte Margold stand daneben, gebeugt, zerknirscht, von einem Gefühl ber Ehrfurcht für sein Kind durchschauert, das jetzt in die stolze Reihe von Frauen eintrat, deren Bilder er seinerzeit auf dem Schloßgang zu Schönau andächtig bewundert hatte. Er wagte nicht, sie anzureden und seinem Herzen Luft zu machen, er wartete. – Da warf sich Bertha schluchzend an seine Brust und seine Arme schlossen sich wie eiserne Klammern um das in kostbare Stoffe gekleidete Kind.

„Vergiß in all’ Deinem Glück Deine Eltern nicht – wir werden Dich nicht stören, ich weiß, wir passen nicht mehr zu Dir – aber nicht vergessen, Bertha, nicht vergessen!“

Die krummen Finger zerknüllten krampfhaft den zarten Schleier auf dem Rücken der Braut.

Hans und Loni, die einzigen Hochzeitsgäste, fanden diesen Gefühlsausbruch des Vaters sehr unpassend; sie gaben sich alle Mühe, durch ihr „nobles Auftreten“ – Loni hatte in dieser Beziehung nichts versäumt – den Standesunterschied zwischen den beiden Familien wenigstens äußerlich zu verwischen und dem alten Baron die peinliche Stunde zu erleichtern. Und nun verdarb der Vater alles mit seinem „rührseligen Gethu“, das bei einer feinen Hochzeit doch gar nicht Sitte war. Sie entschuldigten sich förmlich bei Theodor und seinem Vater und meinten, es sei ein wahres Glück, daß niemand dieses sonderbare Benehmen gesehen hatte, das ihnen ja auch den Umgang mit den Eltern schon längst verleidet habe. Die Herren sollten nun der Sache ein- für allemal ein Ende machen, das sei das einzig Richtige. Die beiden Brennberg waren jedoch zur Ueberraschung des lieblosen Paares ganz anderer Ansicht. Theodor fürchtete von jeher die Annäherung von Hans und seiner Frau viel mehr als die der Eltern Berthas, die in ihrer Bescheidenheit gewiß nie lästig werden würden. Er ließ das auch in einer schroffen Erwiderung durchklingen.

Als Bertha mit Theodor wieder in den Wagen stieg, der an einer Seitenpforte der Franciskanerkapelle hielt, da sah sie unter dem geöffneten Hauptportal eine andere Hochzeitsgesellschaft harren. Sie erkannte die verwachsene Lili, die vor Seligkeit in ihrem weißen Brautjungfernkleide lächelte, als wäre sie selbst die Braut. Sie sah auch die Eltern Georgs, die Frau Köhler und alle die Verwandten und Freunde, die sie unzählige Male hatte aufzählen hören in der kleinen Stube des Hinterhauses. Und gerade jetzt fuhr auch der Wagen mit dem jungen Paare vor – Bertha konnte eben Therese und Georg noch zunicken, dann entzog ihr eine Wendung des eigenen Wagens das freundliche, von der Frühjahrssonne lustig beschienene Bild.

Die Thränen traten ihr in die Augen, sie erflehte innig den Segen des Himmels für das Paar. Wie hatte sie sich doch ihre eigene Hochzeit anders gedacht damals in der Heiligengeistkirche, als Hans getraut wurde und sie wie in einer Vision alles deutlich vor Augen sah – das glänzende Gefolge von Herren und Damen, die Equipagen, die geschmückte Kirche, die brausende Orgel! Und jetzt mußte sie Therese, die arme Nähterin, beneiden um ihren Ehrentag!

Aber der schmerzliche Eindruck verschwand bald. Neben ihr saß Theodor und flüsterte von einem glücklichen Erwachen unter italienischer Sonne, von Rom, dem sie noch heute abend zueilen wollten – ein Wonnemeer umgaukelte sie.

[195] Man war vor der Brennburg angelangt und Christian ließ es sich nicht nehmen, Bertha eigenhändig einzuführen in ihr neues Heim. Die Tage ihrer Kindheit tauchten in ihrer Seele auf, als sie alle die Gegenstände wieder erblickte, deren sie sich noch von ihrer frühesten Jugend in Schönau her erinnerte. Damals stand sie in ihren großen Bundschuhen, klammerte sich an den Vater und blickte scheu wie in einer Kirche umher in den ihr ja kostbar dünkenden Gemächern. Gerade so empfand sie jetzt wieder; aber nur einen Augenblick! Dann fühlte sie sich stolz als Herrin dieser Räume, senkte den Blick nicht mehr vor den stolzen Frauen und Männern an den Wänden. Aus den alten Möbelstücken schien ihr ein Duft entgegen zu wehen, wie er zu Hause im Herbst zu den offenen Fenstern ihres Stübchens vom Garten hereindrang, wo die Trauben reiften, das prächtige Obst lag und die frisch umgewühlte Erde rauchte. – Loni meinte, jetzt, wa wieder eine Frau im Hause schalte, sei es höchste Zeit, aufzuräumen mit dem alten Gerümpel und das Haus modern zu möbliren. Aber Bertha nahm sich des „alten Gerümpels“ so warm an, daß Christian sich schämte, selbst schon mit dem Gedanken umgegangen zu sein, den Loni ausgesprochen hatte. Kein Stück solle wegkommen, so lange sie lebe, erklärte Bertha, und wenn die Einrichtung wirklich ergänzt werden sollte, so möge man wenigstens ihr Zimmer ausschließlich mit den alten Sachen ausstatten.

Der alte Margold betastete jedes Stück, wußte von jedem eine Geschichte zu erzählen. Er klopfte auf die gelben Tasten des Spinetts, die nur einzeln Antwort gaben, und summte ein Lied, das die selige Frau Baronin mit Vorliebe gespielt hatte, erklärte die Herkunft eines jeden der vielgestaltigen Dinge im Glaskasten. Die Kerze mit den rothen Blumen in der weißen Atlasschleife war die Taufkerze Theodors, er, der alte Margold, hatte sie selbst in seiner Faust halten dürfen an dem freudigen Tag, wo der letzte Erbe von Schönau getauft wurde; dieses Silberservice hatte die selige Baronin als Hochzeitsgeschenk erhalten, aus dieser geblümten Tasse trank sie ihren Morgenkaffee. Die Geweihe im Gang kannte Margold alle einzeln, er wußte jeden Ort, wo sie erbeutet waren. Die Pfeifen des Hausherrn hingen bestaubt, ungepflegt an den Haltern aus Hirschhorn; wie hatten sie geblitzt, als sie noch unter seiner Pflege waren! Die mit dem silbernen Deckel war für den Sonntag. Dann die Reitpeitsche mit dem silbernen Huf als Griff, die alte rostige Flinte – mit allem stand ein besonderes Ereigniß in Verbindung. Die ganze Schönauer Vergangenheit trat wieder hervor, alle die stillen aufregungslosen gesunden Tage in Wald und Flur, Park und Schloß. Wie kräftige Waldluft umwehte es bei den Erzählungen seines einstigen Dieners den alten Herrn von Schönau, in dessen Seele ernste erquickende Erinnerungen einzogen. Und dann mußte er daneben jenes Abends gedenken, wo ihn sein Sohn bei den gewonnenen Banknoten überrascht hatte, seines jetzigen aufgeregten, ruhelosen Lebens als Aufsichtsrath und Börsenmann; wehmüthige Sehnsucht erfüllte ihn wie nach einem verscherzten Glück. Wäre es nicht wieder zu gewinnen? Noch blickte das Dach von Schönau unversehrt aus den Bäumen des Parks herüber. Das Vorrücken der Stadt nach dieser Seite hin ging nicht so rasch, als man erwartet hatte.

Auch Theodor wurde unwillkürlich hineingezogen in die Gedanken an seine Jugendzeit, und ihre reinigende, festigende Wirkung blieb auch bei ihm nicht aus; auch ihn packte eine Ahnung, als ob in ihr ein Gluck ruhe, nach dem er bis jetzt vergebens gejagt hatte im Getriebe der Welt.

Der heilsame Einfluß, den Vater und Sohn von der Verbindung mit Bertha erhofft, hatte bereits begonnen.

Als das junge Paar nach einem kurzen Mahle das Haus verließ, um mit dem Schnellzuge seine Hochzeitsreise nach Italien anzutreten, und auch Hans und Loni, welche froh waren, aus dem langweiligen Haus fortzukommen, sich empfohlen hatten, bat Christian noch den alten Margold auf sein Zimmer.

Es war schon spät in der Nacht, als dieser es wieder verließ und den Heimweg antrat. Herzenskummer lag in den alten Zügen. „Es hat ihn, es hat ihn, den armen Herrn!“ murmelte er, die Straße entlang schreitend, vor sich hin – „jetzt Obacht, Margold, Obacht!“




7.

Stefanelly war der staunenerregende Wundermann, unter dessen Händen wie einst unter denen des sagenhaften Königs Midas alles zu Gold wurde. Das Glück zog strahlend wie ein Stern der Verheißung vor ihm her, und wie eine Schar von Mücken und Faltern stürzte sich alles, hoch und nieder, verständig und unverständig, taumelnd, geblendet in seinen Lichtkreis. Ein Schwall von Papieren aller Art ergoß sich aus dem Bankhaus Stefanellys über das Land, er war unerschöpflich in Gründung neuer Unternehmungen, Häuser-, Straßen- und Bahnbauten, Bergwerke, Flußregulirungen, Pferdebahnen, Gasanstalten, Kanalisirungen u. s. w. Man kümmerte sich nicht mehr weiter um die Art des Unternehmens, um die unzähligen neu erfundenen, oft völlig unklaren Namen, es genügte, daß die Aktien in Stefanellys Bankhaus ausgegeben wurden, daß er an der Spitze stand. Tausend Hände streckten sich täglich aus nach den bunten Papieren, die dem Besitzer mühelosen, reichen Gewinn versprachen.

Viele, welche der Mühe des Wartens im Comptoir enthoben sein wollten oder fürchteten, bei besonders günstigen Emissionen zu spät zu kommen, trugen ihr ganzes Hab und Gut, jeden Sparpfennig in barem Gelde als Depot in die Bank, wogegen sich dieselbe verpflichtete, diesen Getreuen beim Erscheinen neuer gewinnversprechender Anlagepapiere die Vorhand zu lassen. Man schätzte es als eine Gnade, wenn Stefanelly das Geld nahm, besonders der Mittelstand drängte sich in lichten Haufen herbei. Der Sinn für geregelten Erwerb ging immer mehr verloren, die Arbeit mit ihrem vielen Schweiß und ihrem geringen Lohn wurde immer mehr verachtet, gehaßt. Anderseits erzeugte das wilde zügellose Verlangen nach barem Gelde, das in diesem Augenblicke so riesige Vortheile bot, einen gefährlichen Haß und Neid gegen alle Besitzenden, welche hinwiederum keine Gelegenheit vorübergehen ließen, den Unbemittelten durch glänzenden Aufwand ihre bevorzugte Lage recht anschaulich zu machen. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem jetzt in dem tollen Genußtaumel doppelt schwer zu ertragenden eigenen Los griff platz, die das Schlimmste befürchten ließ.

Die Presse feierte in Stefanelly eine Finanzgröße ersten Ranges, welche für die wirthschaftliche Entwickelung des Vaterlands geradezu bahnbrechend wirke, jede Unternehmung wurde von vornherein ins beste Licht gestellt. Einzelne warnende Stimmen wurden einfach verlacht, todtgeschwiegen, mit dem Vorwurf des Neides belastet.

Es war auch nicht zu leugnen, Handel und Industrie blühten zusehends bei dem gewaltig gesteigerten Unternehmungsgeist, bei dem unerschöpflich zuströmenden Kapital. M... schwamm im Wohlstand; der Luxus, der Verbrauch hatte seine höchste Höhe erreicht. Aber dem scharfsichtigen, nüchternen Beobachter entgingen nicht die Keime des Verderbens unter diesem plötzlichen unnatürlichen Blüthenschwall, den ein einziger ungewohnter Sturm wie dürre Spreu verwehen mußte, einen kahlen, entsafteten Stamm zurücklassend.

Christian von Brennberg konnte den vielgestaltigen großartigen Plänen des Bankiers schon lange nicht mehr folgen. Trotzdem er sich das offen gestand, wurde er von Stefanelly doch immer weiter hineingezogen; willenlos, urtheilslos folgte er ihm, magnetisch angezogen von diesem alle Hindernisse überspringenden, rücksichtslosen Mann.

Brennberg fürchtete ihn, ja, er glaubte zu gewissen Zeiten, ihn zu hassen, einen bösen Dämon in ihm zu erblicken; dann aber genügte wieder ein Blick, ein Wort des Unternehmers, den alten Herrn unwiderstehlich mitzureißen, und die Frage, ob das, was von ihm verlangt wurde, recht sei oder unrecht, verstummte auf seinen Lippen.

Bei allen neuen Unternehmungen mußte er sich betheiligen, sich in den Aufsichtsrath wählen lassen. Oft schienen ihm dieselben geradezu unmöglich, unbegreiflich, im höchsten Grade gewagt, er sträubte sich dagegen, sie öffentlich anzupreisen, er ahnte die Falschheit der angegebenen Bedingungen, er empörte sich über die Höhe des Kapitals im Vergleich zu dem Werthe des Gegenstandes, um den es sich handelte. Doch seine schüchternen Einwendungen, Bedenken, Befürchtungen wurden jedesmal glänzend abgeschlagen. Beharrte Christian auf seinem Widerstand, dann nahm Stefanelly ein so drohendes Wesen an, wußte dem Alten seine völlige Abhängigkeit so klar zu machen, daß dieser schwieg und that, was ihm geheißen wurde. Und jedesmal ging es wieder zum Guten aus, behielt Stefanelly recht, wandte sich alles zu Gunsten des Unternehmens, und die scheinbaren Fälschungen und Lügen erschienen nachträglich als großartige, durchdachte Feldzugspläne, denen er, der unerfahrene Landjunker, nicht gewachsen war.

[196] Sein ganzes Hab und Gut war in die Stefanellyschen Gründungen verwickelt: er hatte offene Kasse bei dem Bankier, den wahren Bestand seines Vermögens kannte er längst selbst nicht mehr, seiner Berechnung nach mußte es sich mindestens verdoppelt haben.

Einzelne Unternehmungen gingen augenscheinlich schlecht, so z. B. die erste, die Grunderwerbung.

Das Wachsthum der Stadt stockte sichtlich, obwohl man es sich nicht zu gestehen wagte. Bereits standen ganze Viertel unbewohnt, der Schönauer Grund war noch immer nicht bebaut, das Schlößchen blickte noch immer herüber über den Park. Doch das hatte unbegreiflicherweise gar keinen merklichen Einfluß auf den Stand der Aktien, und es wurde immer flott weiter gekauft und verkauft. – –

Bertha hatte ihr Ziel erreicht. Der Traum, den sie einst geträumt an dem herbstlichen Morgen auf dem Gefährte mit Kohlköpfen, als sie die geheimnißvoll geschlossenen seidenen Gardinen an den Fenstern der Reichen betrachtete, er war nun Wirklichkeit geworden. Sie lag in dem spitzenbesetzten Bette, hinter blau-seidenen Vorhängen, sie schmiegte sich wohlig in die weichen Kissen und träumte von den seligen Wochen im sonnigen Italien an der Seite ihres Gatten.

Seit bald einem Jahre waren sie schon zurück von der Reise. Theodor hatte sie damals überrascht mit dieser üppigen Einrichtung, die sie gar nicht gewünscht hatte; sie war fest entschlossen gewesen, dem ganzen Hause einen einfachen bürgerlichen Geist einzuhauchen, Theodor allmählich an eine stille bescheidene Häuslichkeit zu gewöhnen; er sollte jetzt nicht mehr der Welt, er sollte ihr angehören. Aus diesem Zimmer aber wehte eine üppige Weltluft, die ihr selbst den Kopf verwirrte, die ihr die Kraft benahm, ihren Vorsatz auszuführen. Sie freute sich über den schön geschmückten Raum, denn die Liebe hatte ihn ja geschaffen, aber in ihrer Stube mit den alten Möbeln aus Schönau, die sie sich ausbedungen hatte, war es ihr doch heimlicher, da kehrten auch all die guten Vorsätze wieder zurück.

Leider hatte sie selten Zeit, darin zu verweilen. Theodor stürzte sich absichtlich mit ihr mitten in den Strudel der Gesellschaft, denn er wollte zeigen, daß er sich ihrer Abkunft nicht schäme, daß er trotz allen Naserümpfens eine beneidenswerthe Wahl getroffen habe. Ihr Weg ging seit Monaten mitten durch alle Salons der Hauptstadt.

Man bewunderte die Kühnheit des Mannes, der sich mit dieser Frau von niederer Herkunft so hervorwagte, und das Geschick der Frau, die sich nicht das Geringste vergab. Man spielte wohl oder übel den Freigeist, den Aufgeklärten; der Name Brennberg, welcher auf unzähligen Werthpapieren stand, hatte einen zu verführerischen metallenen Klang, die Sonne Stefanelly beschien ihn zu warm und blendend mit ihren Strahlen, als daß man lange Bedenken geltend gemacht hätte, ob die Frau auch wirklich salonfähig sei.

Bertha hatte ihrem Gatten zwar das Versprechen abgenommen, sobald einmal sein Zweck, sie überall einzuführen, erfüllt sei, zu einem einfachen, stillen Leben zurückzukehren, aber die Erfüllung dieses Versprechens schob sich von Monat zu Monat hinaus und beide dachten noch nicht an eine Einschränkung ihres Verkehres, besonders konnten sie sich der ausgedehnten Geselligkeit im Hause Stefanellys nicht entziehen.

Anfangs war Bertha das ganze Wesen dort verhaßt gewesen; sie hatte ein bedrücktes Gefühl empfunden in den überladenen, aufdringlichen Räumen mit dem sonderbar gemischten Publikum, das sich darin bewegte. Allmählich jedoch gewöhnte sie sich daran, das alles mit milderem Auge anzusehen, weniger streng darüber zu urtheilen. Man lebte einmal so in der Welt; sie allein konnte nicht dagegen aufkommen und mußte zufrieden sein, wenn nur sie sich rein erhielt von dem lockeren Wesen, das dort herrschte.

Von Stefanelly fühlte sich Bertha mit besonderer Auszeichnung behandelt, ihr Mißtrauen, ihr innerer Widerwillen schwand immer mehr, er war trotz aller seiner Fehler, die er haben mochte, ein einnehmender, liebenswürdiger Mann. Seine rastlose Thatkraft imponirte ihr, der beispiellose Erfolg blendete sie. Stefanelly ging sogar so weit, über seine Pläne mit ihr zu sprechen, deren Kühnheit und Großartigkeit sie mit Bewunderung erfüllte. Das war ein großer Mann, an welchen man nicht den gewöhnlichen Maßstab legen durfte; es schmeichelte ihrer Eigenliebe, indem er bei diesem und jenem ihre Ansicht verlangte, ihren Rath einholte, indem er den geringsten Wunsch, den sie aussprach, immer sofort erfüllte. So bekam der Schlossermeister Georg Bergmann, der Mann ihrer Freundin Therese, auf ihre Empfehlung sämmtliche Schlosserarbeiten für die Stefanellyschen Bauten übertragen.

Nur Loni blieb ihr stets gleich verhaßt. Ihr ganzes Wesen erschien ihr unweiblich, ein unreiner Hauch ging von ihr aus, der Bertha ein Greuel war, und diese koketten Blicke auf die Männer, mit welchen sie jeden an sich zu fesseln suchte, mit welchen sie auch Theodor nicht verschonte, waren ihr unerträglich. Sie empfand keine Eifersucht, weil sie an eine Gefahr von dieser Seite nicht glauben konnte, nur Ekel.

Hans war nicht mehr wieder zu erkennen. Bertha hatte Mitleid mit dem Bruder. Was war aus dem gesunden kräftigen Jungen geworden! Ein schwächlicher, kränkelnder Mann mit abgelebten Gesichtszügen, fieberhaft brennenden, tiefliegenden Augen. Das machte das viele Arbeiten für Stefanelly, in dessen Dienst er sich aufrieb, das Durchwachen der Nächte bei wilden Gelagen, diese Körper und Geist zerstörende Kaffeehaus- und Kneipenluft, der qualvolle Gelddurst, der mit dem täglichen Anblick des gleißenden Goldes in den eisernen Kassen des Chefs ins unendliche wuchs. – „Geld! nur Geld! Dann nimm alles, Gesundheit, Ehre, alles!“ tobte es in ihm Tag und Nacht.

Der alte Margold war unerbittlich; er gab keinen Pfennig heraus von seinem Gelde, trotz der Bitten und Vorstellungen seines Sohnes. Im Gegentheil, am Tag nach der Hochzeit Bertls kam er und verkaufte seine sämmtlichen Aktien der Grunderwerbungs-Genossenschaft, die eben im besten Zuge waren. Er gab keine Auskunft über die Gründe, die ihn dazu veranlaßten, und Hans tobte darüber, daß „der alte Narr“ das schöne bare Geld daheim im Kasten liegen lasse, anstatt es ihm anzuvertrauen. So war Hans in seinen eigenen Spekulationen nur auf seinen Schwiegervater Weinmann angewiesen, der zum Glück „vernünstiger“ war und ihm ganz freie Hand ließ, wofür er dann Loni durch die Finger sah. – –

Bertha ließ diese Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart an ihrem inneren Auge vorüber ziehen, während sie halb unbewußt auf den geschäftigen Lärm der Straße horchte; aber das stetige Gleichmaß dieser Töne wirke zuletzt einschläfernd, sie sank wieder in Schlummer.

Plötzlich ward sie von neuem wach; Theodor kam herein und trat vor ihr Bett, der junge schöne Mann, ganz wie sie es damals im Geiste geschaut hatte auf dem Wagen mit den Kohlköpfen; nur gab er ihr keinen Kuß, sondern er blickte ernst und sorgenvoll. Ueberhaupt hatte sie ihn schon oft in solch gedrückter Stimmung überrascht, ihn und seinen Vater, der in der letzten Zeit ein so scheues, unruhiges Wesen gegen sie angenommen hatte. Sie hatte sich oft ihre Gedanken darüber gemacht, doch waren sie in dem ruhelosen bewegten Leben immer wieder rasch verflogen.

„Was hast Du, Theodor? Warum so ernst? Oder bist Du nicht wohl? O, dieses lange Aufbleiben und Nachtschwärmen! Auch ich kann es nicht ertragen; machen wir doch ein Ende damit und verkriechen wir uns in unser stilles schönes Heim! Wer uns sehen will, kann uns ja hier aufsuchen. Du hast Dich gestern abend bei Stefanelly über etwas geärgert, nicht wahr? Ich merkte es schon beim Nachhausefahren.“

„Ja!“ erwiderte Theodor kurz, sich setzend und an seinem Schnurrbart kauend.

„Du bist doch nicht etwa eifersüchtig auf Stefanelly, weil ich mich mit ihm so angelegentlich unterhalten habe? Er erklärte mir das neue Bergwerksunternehmen, an dem auch Dein Vater betheiligt ist, das interessirte mich. Er sprach von den böswilligen Verdächtigungen und Angriffen, denen er ausgesetzt sei, und wie man sich alle Mühe gebe, seine Pläne zu durchkreuzen. Ich wunderte mich, daß ein so bedeutender Mensch wie er sich darum kümmern könne, es sei das doch einmal das Los alles Großen, Hervorragenden. Das freute ihn und er drückte mir herzlich die Hand. War es das, Theodor? O, dann muß ich bitten. dann hätte ich mehr Grund, wenn ich Loni und Dich betrachte – doch nein, pfui! Ich habe keinen Grund, ich müßte mich schämen, wenn ich auf dieses Wesen eifersüchtig sein wollte.“

„Laß diese Scherze, Bertha!“ entgegnete Theodor. „Auch ich ärgere mich über diese versteckten Angriffe auf Stefanelly, von denen er mit Dir sprach, und ärgere mich doppelt, seitdem ich weiß, woher sie, wenigstens theilweise, stammen – von Deinem Vater!“

[210] „Wie lächerlich!" fuhr Bertha nach einem Augenblick sprachlosen Staunens auf. „Mein guter Vater soll den Stefanelly angreifen! Wozu sollte ihm das nützen? Wer würde auch auf ihn hören, auf den alten Margold? Das klingt ja wie Hohn!“

„Du irrst Dich,“ entgegnete Theodor, „es ist so, und ich begreife ganz wohl, daß dem Stefanelly das Gerede sehr unangenehm ist. Er sagte es mir selbst und bat mich, vermittelnd einzutreten. Ein kleiner Stein kann eine vernichtende Lawine ins Rollen bringen. Irgendwo taucht ein bedenkliches Gerücht auf – einer flüstert es dem andern ins Ohr, wie ein Lauffeuer läuft es, ins ungeheure wachsend, ganze Straßen hinunter – eine Panik entsteht oft aus der unscheinbarsten Ursache, und wenn sie in diesem Falle entsteht, ist Stefanelly verloren.“

„Aber da müßte doch vor allem etwas Wahres an den Gerüchten sein, wenn sie eine so vernichtende Wirkung haben sollen.“

„Es ist immer etwas Wahres an solchen Gerüchten, in diesem Falle aber ist vielleicht alles wahr, wahrer, als Dein Vater denkt. Um so unbegreiflicher ist es von ihm, da er doch weiß, daß wir mit Stefanelly stehen und fallen. Papa hat sein ganzes Vermögen in Stefanellys Unternehmungen stecken, er ist mit seinem Namen, mit seiner Ehre an allem betheiligt; es war nicht mein Wille, daß er sich so weit eingelassen hat, aber es ist nun einmal so. – Ich muß Dich aufklären, Bertha. Wir stehen auf einem Vulkan, der jeden Augenblick zum Ausbruch kommen kann. Stefanelly ist ein verwegener Spieler, der die Schwäche seiner Zeit, die allgemeine Sucht, rasch und mühelos reich zu werden, vortrefflich auszunutzen versteht. Es ist unmöglich, daß alles bei ihm mit rechten Dingen zugeht, daß seine Erfolge alle wahre Erfolge sind, es kann plötzlich einmal fürchterlich tagen und Tausende können zu Grunde gerichtet, zu Bettlern geworden sein. Stefanelly wird dann keine Rücksicht kennen, wenn es sich für ihn darum handelt, sich selbst aus der Schlinge zu ziehen, ich halte ihn zu allem fähig – zu einem Verbrechen, wenn es sein muß, und mir bangt für meinen Vater, der viel zu ungewandt ist, um zur rechten Zeit zur Seite zu springen, wenn der Einsturz droht.“

Bertha war entsetzt von dieser ganz unerwarteten Aufklärung.

„Dann hat aber ja der Vater ganz recht, wenn er den Stefanelly angreift, vor ihm warnt!“ rief sie.

„Das hat er nicht,“ entgegnete Theodor, „deshalb nicht, weil wir nicht zu den Tausenden gehören dürfen, die ruinirt sein können, weil wir Zeit brauchen, uns allmählich zurückzuziehen. Der Vater ist seit gestern auch mißtrauisch geworden, nur einen Monat soll es halten, und wir sind außer Gefahr.“

„Und während dieses Monats gehen die andern Tausende ahnungslos zu Grunde!“ warf Bertha entrüstet ein. „Das sagst Du, ein Kavalier, der für das Wörtchen ‚Ehre‘ sein Blut vergießt, das sagt Dein Vater, der ehrwürdige Mann, in dem ich von Jugend auf den Inbegriff des Guten und Edlen verehrte, der all den Tausenden als Vertrauensmann gilt? – Nein, das glaube ich nicht. Du siehst zu schwarz, Theodor, Du klagst ihn eines Verbrechens an, dessen er nicht fähig ist.“

Theodor ging erregt im Zimmer umher.

„Verbrechen! Mäßige Dich, Bertha! Er hat ja anfangs alles im guten Glauben gethan, und jetzt nützt auch ein offenes Bekennen der Lage nichts mehr; ein Rückzug aller ist eben der Ruin aller, abgesehen davon, daß seit gestern überhaupt keine Rede mehr von einer offenen Erklärung sein kann. Bisher hat der Vater nur in seiner Unwissenheit gehandelt, geblendet von diesem Stefanelly, der Euch alle blendet, auch Dich, nur mich nicht, den leichtsinnigen, unbedachten Theodor, als der ich immer galt. Aber gestern hat der Vater zum ersten Male wissentlich eine Handlung begangen, die wirklich ein Verbrechen ist, wenn sie an das Licht kommt. Was hilft’s, daß auch hier nur seine Gutmüthigkeit, seine Vertrauensseligkeit, der verderbliche Einfluß dieses Schuftes Stefanelly daran schuldig ist! Das alles wird ihm kein Mensch glauben! ‚Der Brennberg ist ein Spieler‘, so wird es heißen, ‚er hatte große Verluste, da theilte er sich mit dem Stefanelly in die vierhunderttausend Mark‘ – –“

Bertha war fassungslos. Ihr Gatte sprach wie im Wahnsinn, wirre, grauenhafte Dinge, die sie nur errieth, nicht verstand. Der alte Brennberg, der verehrte Greis, ein Spieler! vierhunderttausend Mark, die irgendwo genommen wurden – von ihm – der Stefanelly ein Schuft – ein Betrüger! – Und sie lebte sorglos inmitten all dieses Truges. Ihr dunkles unruhiges Gefühl, das sie einst das alles ahnen ließ, hatte sie nicht getäuscht! Sie hatte es unterdrückt, gewaltsam unterdrückt, um nicht aufgescheucht zu werden aus dem üppigen Leben, das ihr so gut gefiel. Wo waren alle ihre guten Vorsätze geblieben? Hatte sie die Ermahnungen und Bitten ihres Vaters, das als Frau zu bleiben, was sie war, eine einfache, schlichte Bürgerstochter, und dadurch das Haus Brennberg zu retten, hatte sie diese Mahnungen, die sie jetzt erst ganz verstand, befolgt? – Sie trug die Schuld mit, wenn es so weit kam, wie Theodor befürchtete, und jetzt war es wohl zu spät zum Helfen. Was war nur gestern Furchtbares geschehen bei Stefanelly? Sie erinnerte sich, daß Stefanelly den Schwiegervater auf sein Zimmer nahm, daß derselbe auffallend bleich und verstört zurückkam – sie mußte jetzt alles wissen, um handeln zu können.

Und Theodor verschwieg ihr nichts, er schien die Last des Geheimnisses nicht allein tragen zu können.

Durch die umherschleichenden Gerüchte über Stefanelly, vielleicht auch durch das plötzliche Fallen der Aktien einiger der von ihm gegründeten Unternehmungen mußte, so behauptete wenigstens Stefanelly, in gewissen Kreisen eine kleine Panik entstanden sein. Man forderte in den letzten Tagen auffallend viele, mitunter bedeutende Depots aus seiner Bank zurück, es stand zu befürchten, daß diese Zurückziehungen weitere Ausdehnung annehmen würden. Stefanelly hatte sich aber nach allen Seiten in weitgehende Spekulationen eingelassen, die anvertrauten Gelder waren in der allgemeinen Geschäftskrisis, welche auch den glücklichen Stefanelly nicht unberührt ließ, nicht sofort flüssig zu machen, sie staken zerstreut in seinen Unternehmungen, in augenblicklich nur mit großem Verlust verkäuflichen Aktien – das geringste Zeichen von Schwäche, die geringste Stockung in der Auszahlung der Guthaben, und alles war verloren. Es war zu erwarten, daß die Gläubiger in Scharen kommen würden, ihr Geld zu holen, und damit war der Bankerott fertig. Nur um einige Tage handelte es sich, bis das Vertrauen wieder hergestellt war, dann konnte alles wieder gut werden. Wie aber über diese Tage hinwegkommen?

Nun lagen in dem Gewölbe des Bankhauses Stefanelly in einer machtigen eisernen Kasse unter doppeltem Verschluß der Reservefonds und die laufenden Werthe der Grunderwerbungs-Genossenschaft im Betrage von vierhunderttausend Mark. Stefanelly und Brennberg hatten die Schlüssel zu dieser Kasse, keiner konnte dieselbe ohne den andern öffnen. Stefanelly verlangte nun von Brennberg, er solle ihm die vierhunderttausend Mark stillschweigend auf vier Wochen anvertrauen, bis dahin könnten sie leicht zurückgezahlt werden, niemand wisse etwas davon, noch bringe es irgend wem Schaden.

Nach langer Weigerung und qualvollem Kampfe willigte Herr von Brennberg ein, denn mit Stefanelly war ja auch er verloren, nicht nur sein ganzes Vermögen, auch seine Ehre – sein Name! Sie gingen noch des Abends zusammen in das Gewölbe, öffneten die Kasse und nahmen die Summe heraus.

„Hält Stefanelly sein Wort, oder vielmehr, kann er es halten,“ so schloß Theodor erregt seinen Bericht, „dann ist die ganze Sache nichts als eine harmlose Gefälligkeit des Kollegen gegen den Kollegen; kann er es nicht halten, kommt die Bilanz oder werden die Aktionäre auch in das Mißtrauen hereingezogen und verlangen Revision, ehe die Summe ersetzt ist – dann ist es ein Betrug – ein Diebstahl!“

Theodor sank erschöpft auf einen Stuhl neben dem Bett.

„Dem Vater preßte die Besorgniß das Geständniß mir gegenüber heraus,“ fuhr er nach einer Weile fort, „leider zu spät, um die That verhindern zu können. Lasse ihn nicht merken, Bertha, daß Du alles weißt! Ich sollte es Dir ja nicht sagen, aber auch ich kann es nicht allein tragen, es ist mir, als wenn Du einen Rath wüßtest. Jedenfalls kannst Du Deinen Vater davon abhalten, weiter gegen Stefanelly zu wirken; es ist ja auch mir nicht denkbar, daß er allein an allem schuld sein soll, am [211] Ende gebrauchte Stefanelly nur den Vorwand, um sich aus irgend einer augenblicklichen Verlegenheit zu retten. – Gott, er wird ja zahlen, meine Angst wird grundlos sein, aber wenn ich bedenke, was sich ereignen könnte, die Schande – ehrlos – ruinirt – dem Mangel preisgegeben, die ganze Zukunft vernichtet für mich, für Dich – Bertha, ich ertrüge es nicht!“

Er war außer sich, Thränen standen ihm in den Augen und er vergrub sein Gesicht in den Kissen des Bettes.

Bertha faßte sich rasch. So gewaltig und unvorhergesehen sie auch aus ihren Träumen aufgeschreckt worden war, die ihr angeborene Thatkraft, das Bewußtsein ihrer Pflicht erwachte. Mit einem Male sah sie klar, was sie zu thun hatte, und ihr Entschluß stand fest. Trotz der schlimmen Botschaft empfand sie eine stürmische Freude in diesem Augenblick, als Theodor verzweifelnd ihr sein Herz erschloß: er liebte sie wirklich und wahr, er bedurfte ihrer im Unglück, er sah in ihr seine einzige Stütze – und er sollte sie nicht vergeblich in ihr suchen.

„Du bist ein großes Kind,“ begann sie unbefangen, indem sie ihn an sich zog und einen Kuß auf seine Stirn drückte, „Du hast mir wahrhaftig selbst angst gemacht. Gewiß ist es nicht halb so schlimm, als Du denkst, der Stefanelly wird alles in Ordnung bringen, das Mißtrauen wird sich rasch verziehen, er selbst wird vorsichtiger werden. Dein Vater zieht sich allmählich von den Geschäften zurück, läßt aber von dem häßlichen Jagen nach Reichthum, das er gar nicht mehr nöthig hat und das ihm und uns nur angstvolle unruhige Stunden bereitet. Dann kaufen wir ein kleines Gütchen, ziehen uns von aller Welt zurück und leben glücklich und zufrieden auf unserm Grund und Boden. Deine Bertha zieht wieder Blumen, bepflanzt den Garten wie früher, Du gehst auf die Jagd, reitest, besorgst die Wirthschaft, und wir sind die glücklichsten, zufriedensten Menschen. O, ich hatte das schon lange im Kopf; aber der ewige Gesellschaftstrubel ließ mich ja nicht mehr zur Besinnung kommen. Nicht wahr, so machen wir es, Theodor?“

Ihr Auge leuchtete vor inniger Liebe, sie sah das alles schon im Geiste, wovon sie jetzt sprach, die lieben Blumen, den Garten, die selige Ruhe auf dem Lande –“

„Ja, wenn es nur nicht zu spät ist, das wäre freilich schön!“ entgegnete Theodor, dem in seiner augenblicklichen Herzensunruhe das Gemälde, welches Bertha eben entwarf, wie ein Paradies erschien.

„Es ist nicht zu spät. Ich gehe sofort zum Vater und rede mit ihm über die Angelegenheit. Er wird mich auslachen, wenn ich ihm sage: ‚Der Stefanelly hat Angst vor dem altetl Margold!‘ Jetzt geh’ nur! O, ich Faulpelz, bei hellem Sonnenschein noch im Bette zu liegen. Das muß alles anders werden: auf mit der Sonne und um neun Uhr zu Bett! Ja, das geht nicht anders bei der Landwirthschaft, laß mich nur wieder in mein Fahrwasser kommen, nur wieder eigene Erde unter meinen Füßen haben, da sollst Du Wunder erleben, was ich leisten kann und wie dann das Essen schmeckt und der Schlaf. – Gott, in dem tollen Leben, das wir jetzt führen, verliert man sich ja ganz. Ich sehe mich oft im Spiegel an und frage: ‚Bist Du es denn noch? die Bertha Margold?‘ Aber ich bin es noch, ich bin es noch, Du sollst es sehen.“

In einer nervösen Hast, die ihre innere Unruhe verrieth, kleidete sie sich an. Dann eilte sie ins Nebenzimmer und zog den schweren Fenstervorhang auf, daß das helle Tageslicht voll hereinfluthete, und ihres Mannes Hand ergreifend, wies sie hinaus.

„Siehst Du dort, wie Schönau blitzt in der Sonne? Siehst Du das Thürmchen mit der leeren Fahnenstange? Wer weiß? Noch steht es aufrecht!“

Theodor legte seinen Arm um den Nacken seines Weibes und blickte traumverloren hinüber auf den glitzernden Punkt, lange, lange.

Endlich riß Bertha sich los.

„Jetzt zum Vater, dann wird sich alles aufklären.“

Theodor wollte anspannen lassen, aber Bertha nahm es nicht an; sie wäre erstickt in dem Wagen bei dem Gedanken, welche Opfer er wohl ihren Schwiegervater gekostet hatte.

Kaum war sie aus dem Hause, da war es vorbei mit ihrer vor Theodor geheuchelten Fassung. Tödliche Angst ergriff sie, und von neuem machte sie sich bittere Vorwürfe, daß sie gedankenlos, berauscht von ihrem jungen Glück, unbewußt mitgearbeitet habe an dem Verfall des Hauses, zu dessen Rettung sie sich von der Vorsehung auserkoren geglaubt hatte. Wenn es schon zu spät wäre, wenn der kurze selige Traum ihres Lebens ein entsetzliches Ende nähme, nach einem Jahr schon – der liebe Vater Christian ein Verbrecher, ein Dieb, verurtheilt, Theodor verarmt, mit entehrt! O, sie wollte ja für ihn mit Freuden wieder arbeiten, für das Brot war ihr nicht bange, noch waren ihre Arme kräftig; keine Thräne wollte sie all den falschen Freuden dieser eitlen Welt nachweinen. Aber ob er es ertragen würde? Ein Schauer überlief sie, ein entsetzliches blutiges Bild stieg vor ihr auf, wie sie es oft in Zeitungsberichten geschildert gelesen hatte.

Sie beschleunigte ihre Schritte. Der Vater mußte gewarnt werden und durfte kein Wort mehr reden gegen den Stefanelly, es wäre wirklich unverantwortlich von ihm. Sie dachte jetzt nicht mehr an die Tausende, die in ihr Verderben rannten, sie verstand davon nichts, wollte nichts davon verstehen – es galt das Leben ihres Gatten.

Der Vater war nicht zu Hause, die Mutter wie gewöhnlich bei der alten Frau Bergmann, der Schlossermeisterin. Bertha betrat die Werkstatt. Lili trug, ein Liedchen trällernd, das einen Monat alte Söhnchen Thereses umher und begrüßte den Besuch mit einem selig lächelnden Blick auf das strampelnde Kind.

„Sehen Sie nur, gnädige Frau, den herzigen Jungen! Wie er gedeiht! Gerade hier in der Werkstatt will er immer sein, der Lärm macht ihm Spaß und die leuchtenden Feuer; ich komme an gar keine Arbeit mehr mit dem kleinen Bösewicht.“ Und sie überhäufte das Kind mit Küssen.

„Sie lieben das Kleine wohl sehr?“ fragte Bertha.

„Ueber alles! Ein ganz neues Leben hat für mich begonnen, ich hätte es nimmer geglaubt, daß sie einem Menschen so alles ersetzen könnte, die Liebe zu so einem kleinen Wesen! Ich habe keinen Wunsch mehr. Warten Sie nur, gnädige Frau, Sie werden es auch bald erfahren.“

„Wo ist denn Therese?“ fragte Bertha ausweichend unter tiefem Erröthen.

„Mein Gott, sie rechnet wieder da nebenan. Das ist ja eine reine Krankheit seit einigen Monaten. Georg brachte sie eigentlich ins Haus, und wenn Ihr guter Vater, der Herr Margold, nicht wäre, der ihm keine Ruhe läßt, ich glaube, es wäre kein Geselle mehr im Hause.“

„Was für eine Krankheit denn, Lili?“ fragte Bertha ganz erstaunt.

„Spekuliren! Nichts als spekuliren, gnädige Frau! Therese kennt alle Papiere, alle neuen Unternehmungen, jeder verdiente Pfennig wird auf die Bank getragen. Ich verstehe nichts davon – es soll mehr Geld tragen als alles Arbeiten, sie will halt auch einmal reich werden wie Sie, gnädige Frau, und ich wünsche es ihr von Herzen, für meinen lieben, kleinen Maxi da wünsch’ ich es, meinen Maxi –“

Lili scherzte und schäkerte mit dem lallenden Kinde auf ihrem Arm und vergaß darüber die Spekulation und die schöne vornehme Frau neben ihr, die schwer aufathmend, den Kopf schüttelnd, auf das Zimmer der Schwester zuging.

Therese sah erstaunt von einem großen Kassabuch auf, in welches sie eben vertieft war, als Bertha eintrat.

„Ah, Bertha, findest Du es auch einmal wieder der Mühe werth, uns kleine Leute aufzusuchen? Nun, ich kann es Dir nicht verdenken, es ist gerade kein angenehmer Anblick, so eine Werkstatt, so eine ärmliche Stube, wenn man von Dir zu Hause kommt. Ich thät’ es bei Gott auch nicht!“

Bertha hatte ihre Freundin in der letzten Zeit wirklich vernachlässigt; aber dieser harte, gereizte Ton, aus dem eine nicht zu verkennende Unzufriedenheit sprach, überraschte sie sehr an der früher so herzlichen glücklichen Therese.

Dieses veränderte Wesen mußte mit der Spekulation zusammenhängen, von der die Schwester sprach; kein Zweifel, auch in diese Stätte des Friedens und der Arbeit war in der That das verhaßte Fieber gedrungen.

„Setze Dich, setze Dich, Bertha, und sei mir nicht böse über meine schlimme Laune! Das kommt so, wenn man einmal verheirathet ist. Du weißt freilich nichts davon, aber unsereines – nichts als Arbeit, Sorge und karger Verdienst! Wenn man nicht ein Sparkassenbuch bei Stefanelly hätte, man könnte sich nicht die kleinste Freude gönnen. Da wirft aber doch jedes bißchen Ersparniß seine ordentlichen Zinsen ab. Sieh, Bertha, das ist mir eine Freude – Dir wird sie freilich lächerlich vorkommen – so insgeheim in der Wirthschaft recht viel zu ersparen und damit zu Stefanelly zu gehen. Ganze Nächte denke ich darüber nach, wie [214] das am besten zu machen ist. Wenn ich dann dem Georg die Zinsen bringe, das freut ihn, da schmunzelt er. Er hat es nachgerade auch satt, zu sehen, wie andere so leicht, ohne sich zu rühren, reich werden, während er sich abmüht um das tägliche Brot von morgens bis abends.“

Bertha stieg das Blut ins Gesicht bei diesen Worten Theresens. Also auch der arbeitsame brave Georg Bergmann sollte zu den Tausenden gehören, die der Untreue Stefanellys, der Vertrauensseligkeit, vielleicht der Gewissenlosigkeit ihres Schwiegervaters zum Opfer fielen, und sie sollte dem Vater verbieten, die Leute zu warnen, nur damit sie selber Zeit gewänne zur Rettung ihrer Familie, ihres Namens! Die ganze furchtbare Verantwortung, welche Christian auf sich geladen hatte, stand vor ihren Augen, die ganze Verwerflichkeit dieses Geldspieles.

„Hast Du denn gar keine Angst, diese Spekulation könnte einmal schlimm enden? Du verstehst doch nichts davon. Wie schrecklich, wenn der saure Verdienst Deines Gatten verloren ginge!“ konnte Bertha nicht umhin zu sagen.

„Wer wird denn da Angst haben,“ meinte Therese, „wenn die reichsten, klügsten Leute mitthun und ihren Namen dazu hergeben! Das wäre noch schöner, wenn es da nicht mit rechten Dingen zuginge! O, Dein Vater warnt uns auch immer, ich weiß nicht, was er gegen den Stefanelly hat; er hat schon längst alle seine Papiere verkauft. Dein Bruder Hans ist wüthend darüber, und der versteht es doch! Wir sind dem Hans wirklich zu Dank verpflichtet, er benachrichtigt uns immer, wenn ein bißchen was zu verdienen ist. Das ist übrigens gut! Du, Bertha von Brennberg, die Schwiegertochter des Aufsichtsrathes, sprichst von Angst. Wenn ich Dich nicht so genau kennen würde, müßte ich annehmen, Du gönntest mir den Gewinn nicht – doch das wäre ja rein lächerlich! Nur einen Augenblick, Bertha, ich muß nur noch rasch die Posten zusammenzählen; morgen ist Zahltag, was uns übrig bleibt, wandert zu Stefanelly. Er muß uns zu einem schönen Haus verhelfen, der Vater Georgs will nicht heraus mit dem Gelde.“

Bertha schwieg betroffen und blickte auf die rechnende Freundin. Welche Veränderung war hier vorgegangen! Wie glücklich und zufrieden war Therese oben in dem kleinen Stübchen als Nätherin an der Seite ihrer Mutter und Lilis, wie selig in ihrer Liebe zu Georg gewesen, und jetzt diese Unzufriedenheit mit ihrem Los, dieser Gelddurst, dieser geheime Neid gegen die reiche Frau von Brennberg, während die verwachsene Lili draußen fröhlich umherging, den Knaben der Schwester im Arm, Lieder singend!

Ueber den Hof nahten jetzt Georg, der junge Schlossermeister, und der alte Margold in heftigem Gespräche. Therese schlug ihr Buch zu und schloß es in den Kasten.

[234] Georg ging achtlos an dem Kinde vorbei, das Lili ihm entgegenhielt, warf einen Pack Handwerkszeug auf einen Arbeitstisch und ließ sich in sichtlicher Erregung auf einen Ambos nieder.

Therese kam heraus mit Bertha. Georg grüßte kurz, mürrisch.

„Was führt denn Dich her, Bertl? Du bist ja ein seltener Gast geworden in diesem Hause,“ fragte der alte Margold.

Bertha zögerte.

„Nur heraus! Habe keine Geheimnisse vor meinen Freunden!“

„Nun, warum soll ich denn hinter dem Berge halten,“ erwiderte Bertha, „Therese sprach ja eben davon –“

Die Mutter trat ein, begrüßte Bertha mit einem fast ehrfurchtsvollen Knix und strich bewundernd an ihrem reichen Gewande herum. Bertha aber fuhr fort: „Du äußerst zu offen Deine Ansichten über Stefanelly und seine Unternehmungen, Vater. Das ist aber sehr peinlich für Herrn von Brennberg und auch für mich, die ihm so nahe steht. Stefanelly hat sich auch schon darüber beklagt.“

Die Mutter stieß einen Ruf der Entrüstung aus und auch Georg fuhr auf: „Ja, das ist nicht recht, Herr Margold, gar nicht recht! Ich wollt’, ich hätte mehr, was ich zu Stefanelly hintragen könnte. Ich habe es Ihnen soeben gesagt: Sie begehen ein Verbrechen, daß Sie meinen Vater abhalten, mit seinem bißchen Vermögen den Vortheil der Zeit zu genießen, ein Verbrechen an uns, an dem kleinen Kerl da“ – er deutete unwirrsch auf den Kleinen in Lilis Armen – „der auch einmal über die Werkstatt hinauskommen möchte wie anderer Leute Kinder!“

Margold ließ den erregten Mann ruhig aussprechen, nur hie und da schüttelte er abwehrend das Haupt.

„Ich komme ja eben her aus dem Bankhaus,“ fuhr Georg fort, „aus dem Geldkeller, ich mußte eine Kasse repariren. Gold und Silber, ganze Säcke und Rollen, liegen da beieinander, sage ich Ihnen, eine Million wenigstens. – Der Herr Papa war auch da,“ wandte er sich an Bertha; „allein kann der Stefanelly gar nicht zu dem Gelde, der Herr Baron muß immer dabei sein, wenn die Kasse geöffnet wird. Jeder hat seinen eigenen Schlüssel, also, wenn der Stefanelly auch wollte, könnte er nichts machen. Ich sage Euch, da freut einen die Arbeit nimmer, wenn man das so mit ansieht, eine ordentliche Wuth packt einen, da hineingreifen zu können und mit einem Griff all der Plackerei ein Ende zu machen – eine wahre Wuth!“

Georg blickte mit glänzenden Augen starr auf den Boden, als suchte er dort den blinkenden, verführerischen Schatz.

Bertha erzitterte in ihrem Innern bei dieser Erzählung, bei diesen Beweisen eines felsenfesten Vertrauens auf ihren Schwiegervater, welches dieser gestern so schmachvoll mißbraucht hatte, beim Anblick dieses heißen Verlangens nach den goldenen Schätzen, dieser gierigen Blicke, in denen es aufleuchtete wie ein verbrecherischer Gedanke. „Was macht doch dieses häßliche, dämonische Geld aus uns!“ dachte sie.

Der Vater Margold aber hielt sich jetzt nicht mehr zurück.

Ein Narr bist Du, ein verblendeter Narr, trotz all des Silbers und Goldes, was Du gesehen hast, Georg, wie ich einer war, bis mir die Augen aufgegangen sind, bis ich wieder zurückgekehrt bin zu meinem alten guten Glauben. Es giebt keine Ernte ohne Saat, es giebt keinen Lohn ohne Arbeit, es kann keinen geben, es kann nur eine Täuschung sein, ein geschickter Betrug, der über kurz oder lang in sich zusammenbrechen muß. Ich habe meine zwei offenen klaren Augen noch immer und ich habe damit Umschau gehalten. Neue Häuser stehen leer, die Miethen gehen herunter, und trotzdem kauft der Stefanelly weiter um riesige Preise. Ist das möglich? Ist das nicht ein Unsinn? Und dann der wahnsinnige sündhafte Aufwand in seinem Haus. Wovon wird der bestritten? Aus dem Erlös der Arbeit etwa? Keine Idee! Aus dem mühelosen Agiogewinn wird er bezahlt, dem zuliebe Aktien auf Akten ausgegeben werden, nach deren wahrem Werth in dem allgemeinen Taumel gar nicht gefragt wird. Hat irgend eine Baugesellschaft, weiß Gott wo, um einen fabelhaften Preis Grund erworben und sieht, daß es schief geht, patsch, wird eine neue von Stefanelly gegründet und den Aktionären der Grund um das Doppelte, um den dreifachen Preis aufgehalst, der Gewinn bleibt in stillen Händen, bis einmal die große Abrechnung kommt und der ganze Schwindel zusammenbricht!"

Margold keuchte vor Erregung.

„Und Ihr Herr von Brennberg, den Sie so hoch verehren als Ihren früheren Herrn, von dem Sie nicht schön genug reden können, steht nicht sein Name unter all dem ‚Schwindel‘ wie Sie es nennen?“ fragte Georg.

„Das ist ja der Jammer, daß er drunter steht, der ehrliche alte Name, aber er ist eben der Betrogenste von allen Betrogenen, der arme Herr. Er denkt gewiß an nichts Schlimmes dabei, sein Leben thäte er lassen, ehe er sich zu einem Unrecht hergäbe, darauf lege ich meine Hand ins Feuer. Sein blindes Vertrauen reißt ihn ins Verderben wie Dich, Georg, Deine plötzlich erwachte Habsucht, welche Dir die ehrliche Arbeit verleidet, welche Dir Gedanken eingiebt, vor denen Du Dich früher entsetzt hättest. Und da soll man nicht dagegen ankämpfen und soll seine besten Freunde blindlings ins Verderben rennen lassen? Ja, wenn es nur was nützen würde, dieses Ankämpfen! Wenn es nur die Wirkung hätte, die der Stefanelly vorgiebt, das wäre ja ein Segen! Vor allem für den Herrn von Brennberg, dem vielleicht dann noch zu rechter Zeit die Augen aufgingen, ehe jede Rettung unmöglich ist. Aber wer hört denn auf den alten Margold? Weiß Gott, was da dahinter steckt, daß dieser schlaue Fuchs mir eine solche Bedeutung zuschreibt! Das fällt mir jetzt erst auf! – Der Stefanelly bekümmert sich um das Gerede eines Mannes, wie ich bin! Sonderbar! Sehr sonderbar! – Also deshalb bist Du hier, Bertha? Beruhige Dich, das ist alles Geflunker, ich kann ihm nicht schaden, dem Stefanelly, mit meinem Gerede.“

„Und doch behauptet er, daß es so ist,“ entgegnete, erschüttert von den Worten des Vaters, Bertha; „gerade die kleinen Leute werden plötzlich unruhig und fordern in Masse ihre Einlagen zurück. Das könne nur durch einen aus ihrer eigenen Mitte veranlaßt sein.“

„Das habe ich selbst gesehen,“ bemerkte Georg; „die Bank war heute vormittag gedrängt voll Menschen, aber alle gingen mit ihrem prompt ausbezahlten Gelde heim und schimpften über die leeren Gerüchte, die sie veranlaßt hatten, es zu holen. Der Stefanelly wird sich hüten, es ihnen zum zmeiten Male abzunehmen. Noch tausend solche Narren mögen kommen, und der Keller wird noch lang nicht leer.“

„Der Keller hat Dich ja ganz toll gemacht, Georg, mit seinem Goldgeflimmer,“ sagte Margold. „Steh auf, nimm Deinen Hammer und arbeite Dich tüchtig aus, das hilft am besten gegen solchen geheimen Durst.“

Und er verließ mit Bertha die Werkstatt.

Lili hatte von dem allem nichts gehört; sie saß in der Ecke und herzte ihren Maxi.

„Sprich wenigstens jetzt, die nächste Zelt nicht solche Dinge über Stefanelly,“ bat Bertha, als sie mit dem Vater allein war. „Brennberg verliert jetzt mehr als sein ganzes Vermögen, wenn die Katastrophe hereinbricht, die Du befürchtest, er verliert seine Ehre!“

Margold erschrak.

„Seine Ehre? Du meinst, man wird ihm Vorwürfe machen? Das wird man, freilich, das bleibt nicht aus; aber jeder wird auch sehen, daß er selbst im guten Glauben gehandelt hat und selbst das Opfer dieses Stefanelly war. So traurig es ist, darin liegt für mich noch ein Trost, wenn es wirklich so weit kommt.“

„In vier Wochen wird es so sein, wie Du sagst,“ entgegnete Bertha, „aber jetzt nicht – jetzt – ich beschwöre Dich, Vater, habe Mitleid mit ihm, Du liebst ihn ja – jetzt – ist er ein Verbrecher!“ stieß Bertha mühsam hervor.

Margold knickte zusammen bei diesen Worten. Jetzt wußte [235] er alles und damit auch, daß er sich über die Lage Stefanellys nicht getäuscht hatte.

„Ein Verbrecher! Der alte Herr von Brennberg! Wie ist denn das möglich? Hat ihn denn der Stefanelly so weit –“

„Ich darf Dir das Nähere gar nicht sagen,“ jammerte Bertha, „ja, ich habe Dir in meiner Todesangst schon zu viel gesagt. Er wird sterben an der Schmach, und Theodor – und ich – und mein Kind – –“

Sie brach in lautes Schluchzen aus.

Margold stand regungslos, wie erstarrt. „Meine Ahnung, meine Ahnung!“ rief er endlich. „Kannst Du Dich noch erinnern, Bertl, als Du damals spät in der Nacht zurückkamst aus dem Café Arnold mit Hans, vor dem ich mich fürchte, wenn ich ihn ansehe – kannst Du Dich noch erinnern, was ich damals gesagt habe: ‚Ein Spiel ist es, das den Unterschied bald verwischt zwischen Recht und Unrecht, das ins Zuchthaus führt‘?“

Bertha schrie auf bei den Worten des Vaters.

„Ich dachte damals an den Hans, nicht an den Herrn von Brennberg, den ehrenhaften alten Herrn von Brennberg,“ schloß er mit dumpfer Stimme.

„Aber es ist doch auch nicht an ihn zu denken,“ rief Bertha in qualvoller Erregung, „nur Du hast mich so ängstlich gemacht. Es handelt sich ja nur um einige Wochen. – Oder weißt Du einen Rath? Aber ich darf ja nicht sprechen – Gott, das ist hart!“

„Du brauchst nicht zu sprechen,“ entgegnete Margold ruhig, „ich weiß alles, und ich habe nur einen Rath – ein offenes Bekenntniß – man wird ihn dann milder beurtheilen. Aber den Rath wird er freilich nicht annehmen, er ist ein Spieler geworden, er wird auf einen glücklichen Zufall rechnen und alles verlieren. Nur um eines beschwöre ich Dich, Bertl; wenn der glückliche Zufall eintritt, um den ich jetzt Gott anflehe, wenn es auch vielleicht ein Unrecht ist an tausend andern, die noch länger getäuscht werden, dann tritt Du ein und reiß’ ihn zurück vom Abgrund und werde das, was man von Dir gehofft hat, seine Retterin! Sein Vermögen ist so wie so verloren, wie ich annehmen muß. Laßt es verloren sein, für die Noth bin ich da, dem unser Herrgott noch zu rechter Zeit die Augen geöffnet hat. Aber die Ehre seines Namens kann dann wenigstens noch gerettet werden.“

„Das will ich, das schwöre ich Dir!“ rief Bertl begeistert. „Den ganzen Glanz will ich von mir werfen und wieder arbeiten wie eine Magd, wenn nur diese furchtbaren Wochen vorüber sind. – Leb’ wohl, Vater, Du siehst mich nicht mehr, bis ich mit guter Botschaft kommen kann, und dann sollst Du erkennen, daß ich noch Deine alte Bertl bin.“

Voll qualvoller Unruhe eilte sie hinaus aus dem Hofe auf die Straße; es trieb sie förmlich zu dem Bankhaus Stefanellys.

Wirklich glaubte sie eine besondere Erregung in den Gesichtern der desselben Weges Gehenden zu bemerken, ein auffallendes Hasten und Drängen nach dieser Richtung. Jetzt kam sie auf den Platz, wo das Gebäude lag. Ueberall standen erregte Gruppen, vor dem Bankhause drängte sich eine dichte Menge. Es ging also doch etwas Besonderes hier vor, aber die weitgeöffneten Flügelthüren, durch welche das Volk ein- und ausströmte, machten auf sie einen beruhigenden Eindruck; etwas Freimüthiges, offenes lag für sie darin, eine großherzige Einladung: „Kommt alle, ihr Mißtrauischen.“

Sie näherte sich den Gruppen, um da und dort ein Wort zu erhaschen, der neugierigen Blicke nicht achtend, die man der schönen vornehmen Dame mit dem sonderbaren Benehmen zuwarf. Es gelang ihr nicht, und so trat sie vor das hohe Auslagefenster, drängte sich mitten unter das Volk, dessen Blicke gierig die Scheiben durchdrangen, an dem blitzenden, gemünzten und ungemünzten, zu kleinen Hügeln aufgehäuften Gold, an den verheißungsvollen bunten Papieren hafteten, aus denen der Name „Brennberg“ wie mit feurigen Buchstaben geschrieben Bertha entgegenleuchtete.

Eben trat ein Bauer, seinen schweren Ledergurt festschnallend, aus dem Haus unter die Menge, welche lachte, spottete, fragte.

„Na. wenn ich den erwisch’, der mir den Bären auf’bunden hat, daß es schief geht da drinnen!“

Er hob drohend den Ziegenhainer unter dem schallenden Gelächter der Umstehenden.

„Grad überlaufen thun alle Kästen vor Gold und Silber – Na, wenn ich den – –“

Er verschwand unter dem Haufen, welchen das beim Oeffnen der Thüren hörbare metallene Rauschen zu bannen schien.

Da drängte sich in wilder Hast ein ärmlich gekleidetes Weib nach dem Eingang, tödliche Besorgniß im Antlitz; sie achtete weder auf die Scherzreden noch auf die ermuthigenden Zurufe der Menge. Es dauerte eine Weile, dann aber trat sie selig lachend, mit feuchtem Auge heraus.

„Na, war’s nicht so, Frauchen, hat’s noch gelangt?“ fragte man sie.

Sie brach in helle Thränen aus.

„O, das ist schändlich, den braven Mann so zu verleumden! Gelangt? Noch nie habe ich so was gesehen von vielem Gold; und er hat es wieder behalten, auf meine Bitte, ‚weil ich eine arme Witwe bin‘, sagte er.“

Ein beifälliges und zugleich drohendes Gemurmel verbreitete sich. Wer war der Verleumder?

Irgend ein Konkurrent, ein Bankier, der gekaufte Schreier herumschickte! – Der Name Anspacher wurde auch genannt.

Bertha schlug das Herz mächtig vor Freude. Als die arme Frau erzählte, konnte sie es sich nicht versagen, mit einstimmen in das Lob Stefanellys, so daß die Leute umher, die größtentheils dem Arbeiter- und Handwerkerstande angehörten, überrascht auf die vornehme Dame blickten.

Waren es wirklich die vierhunderttausend Mark, welche diese massenhaften Auszahlungen ermöglichten, so hatte der Schwiegervater ja ein vortreffliches, edles Werk gethan, als er einwilligte, sie zur Beruhigung der augenblicklichen Aufregung zu verwenden; die Freudenthränen der armen Witwe allein wuschen in ihren Augen allen Makel von seiner Handlungsweise. Ehe der Tag verging, würde die Krisis vorüber sein, der Name Stefanelly höher stehen als je, das Doppelte, was jetzt herausgetragen wurde, trug man sicher morgen wieder hinein. Stefanelly würde die Summe zurückerstatten und Brennberg zu ewigem Danke verpflichtet sein. Bereits reute Bertha der Schwur, den sie ihrem Vater eben abgelegt hatte: Brennberg zu retten von dem Abgrunde, wenn die Krisis glücklich vorüber sei. Aber der Abgrund war ja dann nicht da, das mußte auch der Vater einsehen, und damit fiel ihr Versprechen in sich zusammen.

Sie wäre jetzt am liebsten selbst hineingegangen und hätte Stefanelly, dem kühnen, verleumdeten Mann, die Hand gedrückt, um das Unrecht ihres Vaters einigermaßen wieder gut zu machen. Doch er hatte jetzt gewiß keine Zeit für sie, und es zog sie auch nach Hause, wo Theodor in trostloser Unruhe wartete. Rasch eilte sie heim, sie konnte ihrem Gatten ja gute Nachrichten bringen.




8.

Zwei Tage dauerte trotz der fortgesetzten ungesäumten Auszahlungen der Sturm auf die Bank Stefanellys. Wie ein Feldherr stand er von früh bis spät unter der Schar seiner Beamten, sein Antlitz verrieth nicht die geringste Erregung. Unerschöpflich floß der Goldstrom aus dem Gitterfensterchen der Hauptkasse; viele bereuten bei diesem Anblick ihr Mißtrauen und wollten das Geld nicht in Empfang nehmen; aber Stefanelly drängte es ihnen auf, weigerte sich, es zu behalten, spielte den Beleidigten, der sich zu rächen weiß. Die Beträge, die eilig zurückgefordert wurden, waren größtentheils keine; die vierhunderttausend Mark des Reservefonds hielten, das wußte der Bankier, schon noch eine Woche Stand, während die Menschenmasse, die den Tag über sich hereindrängte, das unbetheiligte Publikum auf Unsummen schließen ließ, welche hier anstandslos ausbezahlt wurden. Man sprach von einer, von mehreren Millionen, und dagegen vermochten die Stimmen der besorgten Warner nicht aufzukommen. Glänzender konnte sich Stefanelly nicht rechtfertigen. Er war jetzt der unschuldig Verleumdete, seine Anhänger hoben stolz das Haupt und lachten über das blöde Volk, das sich von jedem blinden Lärm schrecken ließ. Die Aengstlichen schämten sich und fürchteten, von Stefanelly von nun an zurückgewiesen zu werden.

Am dritten Tage herrschte Todtenstille in der Bank, niemand kam mehr, um Einlagen zurückzufordern, nur die guten Freunde [236] fanden sich ein, die Stefanelly glückwünschend die Hand drückten, ihn baten, Mitleid zu haben mit dem bethörten Volk und seine Hand nicht von ihm zurückzuziehen. Und Stefanelly war großmüthigl In den Zeitungen erschienen Ankündigungen, die Bank habe beschlossen, auch fernerhin von den durch falsche Vorspiegelungen Irregeleiteten Einlagen zu dem alten Zinsfuße wieder anzunehmen. Und wieder strömte dieselbe Masse auf den Platz und balgte sich um den Vortritt, der Goldstrom kehrte wieder in sein Bett zurück. Das allgemeine Vertrauen zu Stefanelly war wieder da.

Der alte Brennberg wagte es jetzt nicht mehr, den Bankier an seine Verpflichtung zu erinnern.

Auch Theodor vergaß alle Besorgnisse, alle guten Vorsätze und stürzte sich mit seinem schönen blühenden Weib von neuem in die jetzt noch höher gehenden Wogen der von der Angst eines bevorstehenden Krachs befreiten Gesellschaft.

Und doch pochte es von Zeit zu Zeit da und dort unheimlich wie vor einem Erdbeben, und eine schwüle Gespanntheit lag in der Atmosphäre, die dem Börsen- und Geldmann nicht entging und unbewußt auch auf die Masse wirkte. Die Schwankungen der Papierwerthe wurden immer größer, die Börse glich einem aufgeregten Meere, ohne daß man eigentlich wußte. woher der Sturm kam, der sie aufgewühlt hatte, und mit der kritiklosen Nervosität, die eine unbekannte rings drohende Gefahr erzeugt, überließ man sich von neuem dem Kultus der Phantasiewerthe.

Stefanelly täuschte sich keinen Augenblick über die Lage und kannte die Hohlseite jedes Steins an dem Schwindelbau, den er aufgefuhrt. Er hatte zu hoch gebaut, das Machwerk mußte zusammenstürzen, es galt nur noch, zu rechter Zeit sich aus den stürzenden Trümmern zu retten. Die vierhunderttausend Mark konnten den Zusammenbruch nur verzögern, nicht verhindern. Es handelte sich jetzt nur noch um einen Hauptstreich, der seine Tasche zum Ueberquellen füllen sollte. dann ein gewandter kühner Sprung zur Seite – und hohnlachend zugesehen aus weiter Ferne, wie es zusammenprasselte über der thörichten verachteten Menge! Auch nicht der leiseste Gedanke an Mitleid mit den Tausenden vernichteter Existenzen, auch nicht die leiseste Regung des Gewissens machte sich in ihm geltend; nur der eiserne Vorsatz, sein Gaunerstück durchzuführen bis zum Ende, um jeden Preis; ein bestienhafter Zorn bei dem Gedanken an die Möglichkeit des Mißlingens beherrschte ihn.

Die neue Bergwerksakiengesellschaft, die er gegründet hatte, sollte das Mittel zum Zweck sein.

Der bei Erwerbung der Zechen gezahlte Preis war ein ungeheurer und stand in keinem Einklang zu dem Ertrag; Stefanelly mußte seine äußerste Kraft anstrengen, um die Aktin erst einmal in Fluß zu bringen. Aber der neugegründete Glaube des Publikums an sein Glück half ihm wieder vorwärts; bald konnte er der Nachfrage nach Aktien kaum mehr genügen, sie stiegen immerfort, riesige Summen Agio flossen in seine Kasse, und trotzdem war das Unternehmen unhaltbar.

Da kam ihm ein vortrefflicher Gedanke. Es gelang ihm, wesentlich durch die Vermittelung des Raths Stürmling, welchen er klugerweise ganz für seine Pläne zu gewinnen verstanden hatte, den Handelsminister Graf Derwitz zur Anlage eines großen Theiles seines Vermögens in diesen Aktien zu bestimmen. Wenige Wochen darauf machte Stefanelly, indem er den volkswirthschaftlichen Werth dieser Erwerbung klarzulegen suchte, dem Minister den Vorschlag, daß der Staat das Bergwerk ankaufen solle. Der Minister ist völlig gegentheiliger Ansicht, schlägt den Unsinn rundweg ab – da erklärt ihm der Bankier mit frecher Stirn die ganze Sachlage, die ganze Gefährdung des Unternehmens. Der Minister ist empört, nennt Stefanelly einen Schurken; die Hälfte seines Vermögens ist verloren, mit ihm seine Stellung; Stefanelly zuckt die Achseln, auch er verliert, das ist das Börsenspiel.

Kurze Zeit darauf wird er von der Regierung aufgefordert, genauen Bericht zu erstatten betreffs der allenfallsigen Bedingungen einer Erwerbung des Werkes von Staatswegen. Die List ist gelungen! Jetzt gilt es nur noch, auf einige Wochen das Unternehmen gewaltsam in die Höhe zu treiben, die Aktien künstlich hinaufzuschrauben – und eine Million ist verdient!

Alle Mittel mußten benutzt werden, eigene und fremde, der Kredit, alles.

Der Tag nahte, an welchem die 400 000 Mark in den Reservefonds zurückbezahlt werden mußten, jeden Augenblick konnte die genaue Kassenrevision kommen. Stefanelly war fest entschlossen, nicht zu zahlen, ehe das Geschäft mit dem Bergwerk erledigt war; Brennberg mußte dazu helfen um jeden Preis.

*               *
*

Der Palast Stefanelly erstrahlte in hellem Lichterglanz. Der Karneval des Jahres 187.. sollte dort seine glänzende Eröffnung feiern. Seit Wochen gingen in der Stadt Gerüchte von Vorbereitungen, die alles bisher an derartigen Festlichkeiten Dagewesene in Schatten stellen sollten. Stefanelly, der Parvenu, der ehemalige Arbeiter, warf der ganzen luxustollen, genußdurstigen Gesellschaft der Großstadt, der hohen Finanzwelt, dem stolzen Aristokratenthum, selbst dem Hof gleichsam den Fehdehandschuh hin, als wollte er sagen: „Wer thut es mir gleich? Wer wagt es, an mir zu zweifeln?“ Und man hob den Handschuh auf. Man kam, die einen lachend, nur mit der Absicht, dieses glänzende üppige Fest mitzugenießen, die andern voll ergrimmten Neides, mit dem festen Willen, wenigstens ihrer Würde gemäß auf dem Kampfplatz zu erscheinen, und wäre es mit den größten Opfern. Die unheimlichen Schauer, welche den Börsenkörper durchzitterten, thaten der allgemeinen Erwartung keinen Abbruch – man wollte sich nicht stören lassen.

Ein glänzendes Gewoge erfüllte die neueingerichteten Räume, was die Hauptstadt aufbieten konnte an Schönheit, Vornehmheit, Reichthum, Rang und Titel, war vereinigt.

Das lebhafte Interesse, welches der Staatsminister Graf Derwitz in den Verhandlungen betreffs Verstaatlichung des Bergwerks für Stefanelly gezeigt, hatte genügt, die ganze hohe Beamtenschaft dort zu vereinigen, und zum allgemeinen Staunen sah man den Festgeber Arm in Arm mit Baron Anspacher in vertraulichem Gespräche. Also auch dieses Gerücht von der Feindschaft beider Männer, von den Umtrieben des letzteren gegen den ersteren, war falsch gewesen!

Die ganze ordensgeschmückte, seiderauschende, diamantenblitzende Gesellschaft, die sich da in einem Meer von Licht und Blumen, Duft und Goldgeflunker bewegte, war eine feierliche Anerkennung des ganzen gewissenlosen Treibens Stefanellys – ein entarteter Tanz um das goldene Kalb!

Baron Christian von Brennberg war wohl der einzige, der mit schwerem Herzen das Palais betrat. Es erfaßte ihn ein kalter Schauder, als er die Volksmasse erblickte, die sich wie eine finstere drohende Wolke um das Portal drängte, mit gierigem Blick all den herein- und herausströmenden Glanz bestaunend. Er fühlte die hohe Spannung in dieser drohenden Wolke – dachte an die furchtbare Entladung, die plötzlich eintreten konnte.

In der nächsten Zeit mußte dem Aufsichtsrathe der Grunderwerbungs-Genossenschaft die Bilanz vorgelegt und die Kassenrevision vorgenommen werden; Stefanelly hatte dem Baron für heute abend Bescheid versprochen, wie die 400000 Mark ersetzt werden könnten.

Beim Anblick all der Pracht und Verschwendung stieg dem alten Herrn die Schamröthe ins Antlitz, es kam ihm das volle Bewußtsein des schwindelhaften Treibens, in welches er mit verwickelt war.

Dieser Stefanelly gab ein Fest, das ein Vermögen verschlang, und dazu waren es veruntreute – mit seiner Hilfe veruntreute Gelder. Loni Margold, die Tochter des Weinmann von der Landstraße, die Frau des Agenten, geschmückt wie eine Fürstin, in Diamanten strahlend, spielte die Dame des Hauses und empfing die ganze hoch- und hochwohlgeborene Gesellschaft. Sie konnte es ja nicht wissen, daß unter ihren Füßen eine leere Kasse stand, aber daß das ganze Wesen um sie her eine Lüge war, mußte sie wissen, wußte sie auch, aber sie wollte es nicht wissen, die Genußjagd hatte sie erschlafft, betäubt – und unten zuckte es drohend aus der Wolke, dumpfes Grollen drang herauf.

Der Baron beobachtete Stefanelly scharf und studierte jede Miene seines Gesichts. Der Bankier war heiter, lachte laut mit Anspacher, sprach eifrig mit dem Minister und anderen Würdenträgern, aber seinem Aufsichtsrathe schien er absichtlich auszuweichen. Dieser jedoch war fest entschlossen, das Haus nicht ohne bestimmte Erklärung zu verlassen.

[250] An gemeinsamer Tafel zu Abend zu essen, galt nicht mehr für fein. Stefanelly hatte alle Räume des ersten Stockes ohne Ausnahme den Gästen überlassen, und während im großen Saale getanzt wurde, standen in allen andern Zimmern reich mit allen Leckerbissen des In- und Auslandes gefüllte Buffets, Batterien von Flaschen, stets bereite Diener. Zeit und Ort sollten keine lästigen Schranken bieten, die verschiedenartigsten Elemente der Gesellschaft sollten sich nach freier Wahl ungebunden zusammen finden. Und so war überall ein ununterbrochenes Rauschen und Flüstern, ein lautloses Auf- und Abwallen über die teppichbelegten Gänge, ein Hin- und Wider durch die lichterfüllten großen und kleinen Gemächer an all den vielgestaltigen unnennbaren Kostbarkeiten vorüber, die mit der sorglosen Ueppigkeit des Reichthumes umhergestreut standen und lagen.

Das monumentale Stiegenhaus, welches ein architektonisch reich gegliederter Kuppelbau krönte, war in einen duftigen Garten von Palmen, Lorbeerbäumen und anderen Ziergewächsen verwandelt und in diesem eine Tafel für die bevorzugten Gäste des Hauses gedeckt. Die Familie Brennberg, Excellenz Graf Derwitz mit seiner Gattin, Rath Stürmling mit seinen Damen trafen sich dort, Loni selbst machte hier die Honneurs.

Christian hatte vergebens gewartet, von Stefanelly angesprochen zu werden, und auch jetzt schien der Banker die fragenden Blicke des alten Freiherrn noch immer nicht zu bemerken. Bertha und Theodor hatten ihre Besorgnisse ganz vergessen; erstere war wieder ganz in Beschlag genommen von ihrem alten Gönner, dem Grafen Derwitz, der die junge Frau mit Liebenswürdigkeiten überhäufte und über ihr sogar den nicht von seiner Seite weichenden Stefanelly vernachlässigte. Aber Bertha vermochte heute keine Freude an diesem neuen Triumph ihrer Schönheit zu empfinden; es störte sie das geradezu jede gute Sitte verletzende kokette Spiel, welches Loni mit Theodor trieb, und das schmerzlichste für sie war dabei, daß Theodor offenbar nicht ganz unberührt davon blieb, denn er ging heute zum ersten Male auf diesen Ton ein und vernachlässigte seine Frau auffallend.

Eben war Baron Anspacher an den Tisch getreten. Stefanelly trank ihm zu, indem er lachend rief:

„Auf gute Kameradschaft! Und daß Sie mir nicht noch einmal solch einen Streich spielen!“

Allgemeine Heiterkeit entstand. Man machte schlechte Witze über die Angst der kleinen Leute, über die drollige Idee, daß sich, wie der Minister scherzend bemerkte, „zwei Krähen die Augen aushackten“.

Endlich kam die Sprache auch auf das Bergwerk. Anspacher erkundigte sich angelegentlich bei dem Minister nach dem augenblicklichen Stande der Angelegenheit. Jetzt verließ Stefanelly seine bisherige heitere Ruhe, seine Züge spannten sich, er lauschte auf jedes Wort. Der Minister hielt sich sehr zurück und gab nur oberflächliche Andeutungen; die Sache sei noch nicht reif, im besten Falle würden darüber noch einige Wochen, vielleicht Monate verstreichen.

Bei diesen Worten wechselte Stefanelly sichtlich die Farbe und warf einen langen Blick auf Brennberg, der diesen nichts Gutes ahnen ließ.

Im Saale begann wieder die Musik, die Damen verließen am Arme ihrer Herren den Tisch, sie begannen sich ohnehin bei dieser geschäftlichen Unterhaltung zu langweilen.

Stefanelly benützte den Augenblick.

„Folgen Sie mir, Herr von Brennberg, ich habe mit Ihnen zu reden,“ flüsterte er.

Die Stunde der Entscheidung nahte. Mit kopfendem Herzen folgte der Freiherr. Stefanelly sprach kein Wort; erst als die Thür seines Arbeitszimmers sich hinter ihnen schloß, frug er kurz:

„Sie haben gehört, Herr von Brennberg, was eben der Minister sagte?“

Seine Stimme klang trocken, sein schwarzes stechendes Auge ruhte drohend auf dem Baron.

„Daß das Geschäft mit dem Staat gemacht wird,“ entgegnete dieser hoffnungsvoll.

„In Monaten,“ klang es kurz, scharf. „Also müssen Sie noch Monate warten –“

„Mit den – mit den 400000 Mark noch Monate warten?“ Brennbergs Unterlippe zuckte krampfhaft – „das ist unmöglich!“

Der Banker stampfte auf den Boden, ein haßerfüllter Blick traf den Aufsichtsrath.

„Es muß möglich sein, verstehen Sie mich!“

Einen Augenblick schien Brennberg dem dämonischen Willen des Unternehmers zu unterliegen – nur einen Augenblick, dann bäumte sich in ihm eine ihm selbst bisher unbekannte Kraft empor, ein wilder Zorn gegen diesen Mann, der ihn zum Betrüger gemacht hatte, ein plötzlicher Drang, die verhaßte Kette abzuschütteln, die ihn an Stefanelly band. Dieser innere Vorgang drückte [251] sich auch in seiner ganzen Haltung, in seinem aufleuchtenden Antlitz aus.

„Es ist aber unmöglich, eine Prüfung der Kasse innerhalb der nächsten zwei Wochen zu verhindern, und wenn sie zu verhindern wäre, so würde ich nicht die Hand dazu bieten, da es doch nichts nützen und mein Verbrechen nur verdoppeln würde. Sie werden auch in ein paar Monaten die Summe nicht aufbringen können.“

„Aber, lieber Herr von Brennberg,“ begann jetzt Stefanelly plötzlich in zuthunlichem Tone, „seien Sie doch vernünftig! Kauft der Staat das Bergwerk, so verfüge ich über Millionen. Bedenken Sie doch, was auf dem Spiele steht! Ich leugne es nicht – alles! Alles für mich und für Sie! Und da wollen Sie im letzten Augenblicke, nachdem Sie mit mir durch Dick und Dünn gegangen sind, plötzlich den Aengstlichen spielen? O pfui! Das wäre kläglich. Sie werden die Sache irgendwie hinausziehen können – nicht wahr? Sie stellen sich nur im ersten Schrecken die Schwierigkeiten zu groß vor. Sie sind ja ein Pfiffikus ersten Ranges.“

Er versuchte zu lächeln und klopfte Brennberg auf die Schulter.

Aber Brennberg veränderte seine schroffe Haltung nicht.

„Es ist unmöglich; ich weiß kein Mittel, welches nicht das Mißtrauen noch mehr rege machen würde!“ sagte er mit unverminderter Entschiedenheit.

Der Bankier sah einen Augenblick starr auf den Boden, dann auf Brennberg. Schließlich zuckte er mit den Achseln und schlug die Hände zusammen.

„Nun, wenn es wirklich unmöglich ist, wenn ich wirklich im letzten Augenblick noch scheitern muß – auch gut! Wir scheitern zusammen, lieber Brennberg. Es thut mir leid um Sie, Sie werden es härter fühlen als ich, ich habe wenigstens keinen ehrwürdigen Namen, den ich beflecke –“

Ein schmerzlicher Zug erschien um seinen Mund – oder war es ein höhnischer?

Jetzt kam Brennbergs Zorn aber zum Ausbruch.

„Und das wußten Sie alles und überredeten mich doch zu dem Betrug? Sie feiern heute ein Fest, das Tausende verschlingt, und sagen mir jetzt frech ins Gesicht, daß Sie Ihr Wort brechen, daß Sie nicht bezahlen? Sie sind ein Schurke, Herr Stefanelly! Hören Sie, ein Schurke!“

Der Bankier schwieg, indem er lächelnd auf die Marmorplatte des Tisches klopfte.

Das Schweigen reizte den Zorn des alten Freiherrn noch mehr. „Morgen berufe ich den Aufsichtsrath und erkläre öffentlich in seiner Gegenwart, daß Sie ein Schurke sind. Alles erkläre ich, den ganzen scheinheiligen Handel, ich selbst führe die Herren vor die geleerte Kasse – ja, das thue ich – das thue ich –“

Er hatte alle Fassung verloren, die Thränen rollten über seine bleichen Wangen, er ballte die Fäuste gegen den Bankier, der sich nicht bewegte und seinen Gegner nur mit verzehrenden Blicken betrachtete.

„Das thun Sie alles nicht,“ sagte er schließlich ruhig, „sondern Sie werden auf ein Mittel sinnen, wie man die 400000 Mark nicht zahlt vor frühestens in zwei Monaten, die Kasse revidirt und doch nicht sich verräth, das werden Sie und ich zustande bringen, weil wir keine Narren sind und uns nicht mit der Pistole aus der Verlegenheit und aus der Welt bringen wollen.“

Brennberg war überrascht. Der Gedanke, daß doch am Ende eine Rettung möglich wäre vor dem unabsehbaren Verderben, übermannte ihn. Er starrte sprachlos auf Stefanelly, als wollte er die Gedanken lesen, die sich hinter dieser breiten Stirn bargen.

„Sie halten einen Ausweg augenblicklich für unmöglich,“ fuhr Stefanelly in demselben kühlen Tone fort, „das finde ich begreiflich. Heute nacht werden Sie ihn aber finden, vielleicht in einer Stunde, die Noth macht erfinderisch. Vielleicht finde ich ihn – habe ihn vielleicht schon gefunden in diesem Augenblick –“

Brennberg griff in qualvoller Angst nach der Hand des Unternehmers.

„Sprechen Sie, ich beschwöre Sie, sprechen Sie! Lassen Sie mich diese Nacht nicht durchleben –“

„So rasch geht das nicht!“ erwiderte dieser. „Ich habe nur eine unklare Vorstellung. Nur eines möchte ich wissen: wenn mein Plan reift, vielleicht plötzlich, in einer Viertelstunde reift, werden Sie mich ihn ausführen lassen, ohne daß ich Ihnen denselben nennte, ohne daß Sie sich irgendwie einmengen?“

Christian von Brennberg zögerte. Er glaubte, in diesem Antlitz ein neues Verbrechen zu lesen, in das er mit verwickelt werden sollte.

„Denken Sie an Ihren Sohn, Ihren Namen!“ drängte Stefanelly. „Ich verlange eine völlige Passivität Ihrerseits, das schließt auch jede Verantwortung für Sie aus.“

Der Aufsichtsrath machte vergebliche Anstrengung, Stefanellys Vorhaben zu errathen; in seinem Gehirn tobte es, seine Gedanken verwirrten sich immer mehr. Warum nannte der Mann ihm nicht den Ausweg, wenn dieser nicht noch schlimmer war als das Vergehen, dessen Folgen er abwenden wollte?

Da traten zwei Bilder vor Christans fieberndes Auge, Theodor mit seinem blühenden Weib und das alte Schönau.

„Handeln Sie in Gottes Namen!“ flüsterte er mühsam; „Sie werden mich nicht noch unglücklicher machen wollen, als ich’s so schon bin –“

Stefanelly athmete sichtlich erleichtert auf.

„Beruhigen Sie sich, die Sache ist lange nicht so schlimm, als sie vielleicht aussieht – und wenn alles glücklich vorüber ist, werden Sie selbst lachen über meine Finte, die niemand Schaden bringen soll.“

Christian schloß aus diesen Worten, daß Stefanelly schon mit seinem Plane fertig war. Das schreckte ihn von neuem.

„Ja, Sie sagten aber doch eben, Ihre Vorstellung von dem Auswege sei noch unklar!“

„Jetzt ist sie mir eben vollständig klar. Das geht bei mir rasch!“ entgegnete der Bankier.

„Und niemand soll Schaden leiden?“

„Niemand!“

„Und welche Rolle soll ich –“

„Die Rolle des völlig Unbetheiligten, Unwissenden. Aber merken Sie wohl auf, die Rolle ist nicht so leicht, jede Miene, jede Bewegung muß beherrscht werden.“

Brennberg zitterte vor dem Unbekannten und wagte doch nicht ein entschlossenes „Nein“.

„Und wann?“ fragte er erschöpft.

„Das überlassen Sie mir! Seien Sie nur jeden Augenblick darauf gefaßt.“ Unter diesen Worten drängte Stefanelly zur Thür. „Kommen Sie, unser Wegbleiben darf nicht auffallen.“

„Am Ende in dieser Nacht noch? Während des Festes?“ fragte Christian.

„Vielleicht! Denken Sie so, und Sie werden nicht überrascht werden. Jetzt kommen Sie!“

Sie verließen das Zimmer und kehrten zu den Gästen zurück.

Loni hatte sich unterdessen vollständig Theodors bemächtigt, mit welchem sie Arm in Arm durch die Gemächer schritt. Ihr leichtfertiges Gespräch, ihre verführerischen Blicke weckten in dem jungen Manne die alten leichtlebigen Erinnerungen, und er vergaß darüber nicht nur die Entfernung seines Vaters mit Stefanelly, deren Grund und Zweck er wohl ahnte – sondern auch Bertha!

Eben machte Loni einen gewagten Scherz und strich leise mit dem Fächer über Theodors Hand, da traten die beiden Männer in das Zimmer.

Einen Augenblick erwachte Theodor aus dem Sinnentaumel, dem er verfallen war, und warf einen fragenden Blick auf den Vater; der nickte stumm mit aufeinander gebissenen Lippen; die Gebärde bedeutete zweifellos „in Ordnung“, aber das bleiche abgespannte Antlitz paßte nicht zu der Botschaft.

Stefanelly trat zu Theodor.

„Amüsiren Sie sich gut, Herr von Brennberg? Nun, in so liebenswürdiger Gesellschaft steht das außer Frage! Uebrigens erwartet man Sie,“ wandte er sich an seine Begleiterin, „schon seit einer halben Stunde in der Küche. Weiß Gott, wo es wieder fehlt! Entschuldigen Sie, Herr von Brennberg, aber ich armer verlassener Mann wäre ja verloren ohne Frau Margold – alles ihr Werk, die ganze Anordnung!“

Er zog die Uhr heraus. „Wie die Zeit vergeht, schon zwölf Uhr! Aha, es wird sich um die Bowle handeln; ich sage Ihnen, Herr Baron, darin ist sie eine unübertroffene Meisterin. Bitte, bitte, Frau Margold, säumen Sie nicht!“

„Ich säume nicht,“ entgegnete Loni, und Stefanelly empfahl sich mit einem Lächeln, das zu dem steifen verlorenen Blick nicht paßte.

[252] Theodor achtete nicht weiter darauf; bei der Antwort Lonis: „Ich säume nicht,“ mußte er aber lachen, es klang so komisch ernst und es lag ein so sonderbarer Nachdruck darin, als handelte es sich um eine große That. Sie sah ihn erstaunt an.

„Säumen Sie nicht!“ sagte scherzend Theodor, den eigenthümlichen Ton nachäffend. „Es gilt eine Bowle!“

Jetzt lachte Loni mit. „Wollen Sie mitgehen und meine Kunst bewundern, von welcher Stefanelly so viel Aufhebens – doch nein, ich lasse mir mein Geheimniß nicht abgucken, aber begleiten dürfen Sie mich bis vor die Pforte des Heiligthums!“

Theodor folgte der Einladung. Sie gingen die große Freitreppe hinab, dann durch einen engen Gang. Niemand begegnete ihnen dort.

„Wie unvorsichtig von Stefanelly, das Haus, in welchem solche Schätze liegen, so unbewacht zu lassen,“ sagte Theodor, dem es allmählich an der Seite dieses Weibes unbehaglich wurde, „wie leicht könnte sich das jemand zu Nutzen machen!“

Der weiße Arm Lonis zuckte in dem seinen.

„Dafür wird schon gesorgt sein, beruhigen Sie sich!“

Endlich waren sie an der Küche.

Theodor athmete auf und empfahl sich rasch. Er sah Loni noch die Küche betreten und stieg dann eine schmale Treppe hinauf, die wohl nach oben führen mußte.

Bertha hatte ihren Gatten nicht mehr aus den Augen gelassen. Sie glaubte, die kecken Worte zu hören, die Loni ihm ins Ohr flüsterte, sie beobachtete das katzenartige Streicheln mit dem Fächer, die Gluth in seinen Wangen, und sie dachte in ihrer Herzensangst schon, dazwischen zu treten, als sie zum Glück von einigen Damen in die Unterhaltung gezogen wurde, über welcher sie das Paar aus den Augen verlor.

Als sie dasselbe nach wenigen Minuten wieder suchte, war es nirgends mehr zu finden. Sie durcheilte alle Nehenräume, der Schmerz jäher Eifersucht ergriff sie und trieb sie rastlos umher.

Nach den beiden zu fragen, schämte sie sich. Im ersten Stock waren sie nicht, so ging sie unbemerkt die Treppe hinab und durch denselben engen Gang, welchen Theodor mit Loni durchwandert hatte und welcher in den alten Theil des Stefanellyschen Hauses führte. Verschobenes Winkelwerk, kleine Treppen, ein Gewirr von sich kreuzenden Seitengängen nahm sie auf. Sie befand sich plötzlich völlig im Dunkeln und lauschte ins Leere. Was wollte sie hier? Sie wußte es selbst nicht mehr und tappte nur vorwärts, um wieder ins Freie, zu Menschen zu kommen. Da drang ein dumpfer Ton an ihr Ohr, er schien von unten zu kommen, ein metallisches Hämmern, ein Kratzen und Rascheln – der Athem stockte ihr. Sie folgte dem unerklärlichen Lärm – er wiederholte sich in kurzen Zwischenräumen und wies ihr den Weg in einen Seitengang, eine Treppe hinab. Ein kalter Luftzug wehte herauf – rechts aus einem dunklen Gang quoll leiser Lichtschimmer hervor. – Auf den Fußspitzen schlich sie ihm nach – jetzt klang es wie das Bersten irgend eines spröden Gegenstandes – dann fiel klirrend irgend etwas zu Boden –: „Diebe im Kassengewölbe!“ durchzuckte es sie. Sie wollte schreien, aber die Angst hielt sie ab. Zurück, lautlos, wie sie gekommen, und Alarm gemacht, das war das Beste! Schon war sie die Treppe hinaufgeeilt; unten war es schon wieder still, die Verbrecher ruhten offenbar in der Arbeit. Da plötzlich nahm der Lichtschimmer zu, es näherte sich etwas. Lähmender Schreck erfaßte sie, die Füße versagten ihr den Dienst. Wenn die Diebe sie hier entdeckten, so war sie verloren. Immer näher flammte der Lichtschein, deutliche Tritte ertönten, ein unerklärliches Rauschen – es war zu spät zum Entkommen, halb bewußtlos vor Angst flüchtete sich Bertha in eine dunkle Nische. Der Lichtbogen an der Decke über ihr vergrößerte sich, schon hörte sie hastiges Athmen – zu einem Knäuel sich zusammendrückend, starrte sie auf die Treppe – da mußte sie die Hand vor den Mund pressen, um nicht aufzuschreien: ein Licht erschien, ein bloßer Arm lehnte sich an die gegenüberliegende Mauer, er war von schmutzigen Flecken bedeckt, eine hohe Frisur, rothe Blumen darin, hob sich und blieb einen Augenblick regungslos – Bertha kannte diese Blumen – ein schwerer Seufzer wie nach einer großen Anstrengung drang herauf, dann bewegten sich die Blumen und der Arm. Lonis erhitztes Antlitz erschien über der Brüstung, ihr schweres Seidenkleid, über welchem eine große Küchenschürze hing, rauschte über die Stufen herauf.

Bertha zuckte ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. Sie hatte keine Angst mehr, entdeckt zu werden, sie sah nicht mehr auf die sich entfernende Gestalt, sie lauschte nur, ob ihr nicht jemand folge – Theodor! Schon herrschte wieder völlige Dunkelheit und sie lauschte noch immer; das Entsetzliche war wenigstens nicht wahr, was sie eben gedacht hatte! Sie hatte Theodor völlig Unrecht gethan, und die Freude darüber, daß sie sich getäuscht hatte, war so groß, daß sie im ersten Augenblick das unerklärliche Erscheinen Lonis an diesem Platz, das Geräusch, das sie aus dem Gewölbe gehört hatte, ganz vergaß. Erst als sie sich mit Mühe aus dem Labyrinth herausgefunden und das hellerleuchtete Stiegenhaus betreten hatte, fiel es ihr wieder ein. Die Erinnerung an die Angst vor den Dieben, den Einbrechern kam ihr wieder, noch zog ein Frösteln durch ihren Körper. Es waren ja aber keine Einbrecher gewesen, sondern Loni, und das Gerausch – dieses Knirschen und Kratzen, wo hatte sie das doch schon gehört? Sie mußte unwillkürlich an die Schlosserwerkstätte zu Hause bei Bergmanns denken; gerade so hatte sie es dort vernommen, als der junge Schlosser Georg mit dem fiebernden Blick von der goldstrotzenden Kasse erzählte – wenn er? – Aber wie kam dann Loni da herauf! Warum diese Hast in ihrer ganzen Erscheinung, woher der Arm mit den dunkeln schmutzigen Flecken – –?

Als Bertha wieder unter die Gesellschaft trat, war sie fest entschlossen, kein Wort von dem eben Erlebten zu sprechen, sondern nur zu beobachten; Loni mußte ja wieder erscheinen. Und richtig trat sie kurz darauf herein; Bertha glaubte zu bemerken, daß sie mit Stefanelly einen langen Blick wechselte. Auf ihrem Arm sah man noch deutlich einige dunkle Stellen, trotzdem er offenbar abgewaschen worden war. Sollte Loni selbst der Einbrecher gewesen sein? Aber wozu denn? Stefanellys Reichthum stand ihr ja zur Verfügung! Das hätte sie noch eher ihrem eigenen Bruder, dem verdorbenen Hans, zugetraut, der, in sein Kartenspiel vertieft, im Nebenzimmer saß. Am Ende war an der ganzen Sache nichts! Weiß Gott, was Loni geholt haben mochte, sie war ja die Hausfrau. Vielleicht war der Weinkeller da unten.

Jetzt trat Theodor zu Loni und Bertha gesellte sich wie zufällig zu ihnen.

„Nun, ist das Kunstwerk vollendet?“ fragte Theodor.

„Welches Kunstwerk, wenn man fragen darf?“ wandte sich Bertha an Loni.

„Eine Bowle, Bertha,“ entgegnete Theodor, „in welcher Deine Frau Schwägerin Meisterin sein soll.“

„Und die ich eben in der Küche selbst gebraut habe,“ vollendete Loni; „man kann so etwas nicht den Leuten überlassen.“

„In der Küche?“ fragte unwillkürlich Bertha.

„Wo denn sonst?“ entgegnete Loni.

„Ich dachte nur, es könnte ja auch wo anders, etwa im Keller gewesen sein.“ Und Bertha beobachtete bei diesen Worten Loni scharf, der eine Blutwelle ins Gesicht stieg.

Im Saale ordneten sich die Paare zur Quadrille, die Damen wurden geholt und daher das Gespräch abgebrochen. Bald darauf boten die Diener wirklich eine köstlich duftende Ananasbowle an.

Die Herren gruppirten sich um die frische Quelle selbst, eine riesige Bronzeschüssel auf einem Kredenztische, und Stefanelly brachte die Gesundheit der Damen aus. Man pries die Verfasserin dieses „köstlichen Gedichtes aus Champagner, edlem Wein und Ananas“, wie die Excellenz den Trank nannte, alles war in heiterster Laune. Auch Bertha dachte nicht länger mehr an das Erlebte, denn ohne Zweifel hatte Loni irgend welchen Bedarf zu dem Gebräu aus irgend einer Vorrathskammer geholt; vielleicht hatte dabei ein Schloß widerstanden, so daß sie es gewaltsam hatte aufbrechen müssen – daher wohl das verdächtige Geräusch. Wie kindisch von ihr, gleich an Diebe und Einbrecher zu denken.

Nur ihr Schwiegervater machte ihr Sorge. Stefanelly hatte offenbar den Alp noch immer nicht von seiner Brust genommen, und dem alten Mann gelang es nicht, seine Angst zu verbergen, sie schien eher gewachsen zu sein. Unstät irrte sein Blick ümher, eine unbestimmte qualvolle Erwartung lag in dem abgespannten bleichen Antlitze, dem auch das feurige Getränk keine Farbe verlieh.

Da trat plötzlich Hans zu der Gruppe in einer Erregung, an der Bertha sofort etwas ganz Eigenthümliches auffiel, etwas Gemachtes, Gewaltsames.

Er bat Stefanelly auf die Seite, flüsterte ihm etwas ins Ohr, der fuhr entsetzt zurück. das Glas entfiel seiner Hand und zerbrach klirrend am Boden; alles wendete sich nach ihm um.

[254] Bertha fühlte sofort: da war etwas Besonderes, Schreckliches geschehen, was in Zusammenhang stand mit dem, was sie erblickt hatte.

Stefanelly ließ sich auf einen Stuhl nieder, wischte mit dem Taschentuch über sein Antlitz, das den Ausdruck eines tödlichen Schreckens zeigte.

„Das ist entsetzlich! Gerade jetzt!“ stammelte er.

Alles drängte sich um ihn.

„Was ist geschehen? Ein Unglück? Um Gotteswillen!“

Wie ein Blitz durchzuckte den ganzen Saal die Empfindung einer Katastrophe, ohne daß jemand wußte, wie und wo. Das schlechte Gewissen regte sich unbestimmt in jeder Brust.

Stefanelly schien sich jetzt wieder gefaßt zu haben.

„Senden Sie sofort auf die Polizei, Herr Margold; es kann ja erst heute abend geschehen sein! Gehen Sie –“

„Was ist geschehen?“ rief es aus aller Munde immer dringender.

Stefanelly erhob sich mit leichtem Schwung, ein Lächeln kräuselte wieder seine Lippen.

„O, beruhigen Sie sich, nur im ersten Augenblick hat mich die Sache etwas gepackt. Es ist ja auch zu frech! Eine Kasse ist erbrochen und rein ausgeleert worden – eine halbe Million einfach futsch, wenn der Bursche nicht erwischt wird – das ist alles, meine Herrschaften. Wie gesagt, beruhigen Sie sich! – Ah, da sind Sie ja, Herr von Brennberg!“

Der Aufsichtsrath war vor ihn getreten, fahl, mit weit aufgerissenen Augen.

„Eine nette Ueberraschung für Sie! Die gestohlene Summe gehört dem Reservefonds der Grunderwerbungs-Genossenschaft an. Nun, erschrecken Sie nur nicht gleich so – die ganze Geschichte geht ja auf mein Konto, ich bin bestohlen, nicht die Gesellschaft. Sie müssen mir aber einen Kredit auf einige Monate verschaffen,“ sagte er in einem erzwungen scherzhaften Tone, „ein halbes Milliönchen ist auch bei mir nicht so rasch zusammengezählt. Mich ärgert nur die Frechheit dieser Diebsbande, und es ist mir ganz unerklärlich, wie sie an die Kasse kam! Na – wir werden ja sehen – lassen Sie sich nicht stören, meine Herrschaften – ich komme gleich wieder. – Musik!“ rief er laut.

Ein Straußscher Walzer begann.

Stefanelly wollte den Schauplatz der That selbst besichtigen und bat zu diesem Zwecke den erschrockenen Minister, den Rath Stürmling und Herrn von Brennberg um ihre Begleitung; am liebsten wäre die ganze Gesellschaft mitgezogen, um ihre Neugierde zu befriedigen, aber das ging denn doch nicht. Nur Theodor schloß sich auf das Drängen Berthas unaufgefordert an.

„Ist die Angelegenheit mit den viermalhunderttausend Mark in Ordnung?“ fragte Theodor flüsternd seinen Vater, mit ihm etwas zurückbleibend.

„Noch nicht – das heißt – dieser Zwischenfall – in ein paar Monaten, sagte er,“ stammelte unsicher Christian.

„Sie sind also noch nicht bezahlt?“ fragte Theodor.

Christian schüttelte den Kopf.

„Dann wurde ja eine leere Kasse erbrochen,“ flüsterte Theodor, die Hand des Vaters in wildem Zorne packend.

„Schweig! Ich beschwöre Dich. Später sollst Du alles erfahren – – ich bin ja unschuldig – ich wußte ja nicht – Gott. Gott!“ jammerte der gequälte Mann.

„Kommen Sie, Herr von Brennberg!“ rief Stefanelly vorn. „Sie müssen als Aufsichtsrath der erste sein, der den Raum betritt, um sich von dem Thatbestande zu überzeugen.“

Christian wankte vorwärts mit einem Blick auf Theodor, welcher noch einmal um Schweigen bat.

Bertha sah die Herren in dem engen Gang, der auf das Stiegenhaus mundete, verschwinden. Kein Zweifel, es war derselbe Weg, den Loni gegangen war. Sie stiegen die Treppe hinab, an der Nische vorbei, in welcher sie in Todesangst gekauert, und gelangten endlich in den gewölbten Gang, aus dem das verdächtige Geräusch herausgedrungen war. Eine eiserne Thür stand offen und ließ in einen kellerartigen Raum mit großen dunklen Schränken blicken; ein schwerer eichener Tisch stand in der Mitte, in welchen eine große Schiefertafel eingefügt war; kleine Holzschüsselchen standen darauf umher – man war in dem Gelddepot des Bankiers Stefanelly. Die Thür des einen Schrankes war weit aufgerissen, Papiere lagen am Boden umher, quollen aus den einzelnen Fächern, und als Stefanelly die Leuchte hob, glänzten einzelne Goldstücke am Boden, eine aufgebrochene Rolle fand sich in einem Fache.

Der Dieb hatte offenbar Eile gehabt und eben noch rechtzeitig die Flucht ergriffen, ehe er von Hans Margold überrascht wurde. Auffallend war nur, daß die zwei schweren Sicherheitsschlösser, welche die Thür des Geldschranks schlossen, kaum verletzt waren; nur außen war der Lack verkratzt, und auch an der Eisenthür, die in das Gewölbe führte, bemerkte man nur eine leichte Verbiegung der Riegel, welche den Verschluß herstellten.

Der Dieb konnte nur ein fachkundiger Mann gewesen sein, der es verstanden hatte, sich in den Besitz der Schlüsselabdrücke zu setzen und die sehr komplizierten Schlösser der Kasse förmlich zu studieren. Die sichtbaren Verletzungen konnten nur oberflächlich zur Nachhilfe gedient haben. Ja, der Minister, welchen diese Angelegenheit aufs lebhafteste beschäftigte, war überzeugt, daß dieselben überhaupt nur zum Scheine angebracht worden seien, um die Art des Einbruches zu verdecken und so die Verfolgung auf falsche Fährte zu lenken; wahrscheinlich hätte der Dieb die Zerstörung noch weiter fortgeführt, wenn er Zeit gehabt hätte, um die Täuschung vollständiger zu machen.

Diese Ansicht überraschte alle Anwesenden. Man sah sich erstaunt an und es herrschte eine augenblickliche Stille in dem niedrigen Raum. Das spärliche Lampenlicht auf dem Tische spiegelte sich in dem polirten, mächtigen Schranke und übergoß die einzelnen Gesichter der Anwesenden mit trübrother Gluth.

Stefanelly verlor einen Augenblick seine Sicherheit, er wußte nicht, sollte er dieser Vermuthung des Ministers beipflichten oder ihr entgegentreten.

Brennberg starrte wie gebannt auf den weit geöffneten Schrank.

In diesem Augenblicke trat, von Hans geführt, ein Polizeikommissar in den Raum. Alles wich zurück, auch der Minister.

Stefanelly gab an, wie er Hans Margold hierhergeschickt habe, um etwas zu holen, und wie er durch diesen von dem Diebstahl erfahren habe; dann untersuchte der Beamte die Schlösser. Alles schwieg erwartungsvoll, Stefanelly wollte weiter sprechen, aber der Kommissar winke ihm ab mit einem einfachen „Bitte“.

„Der gewaltsame Einbruch ist nur fingirt. Der Dieb öffnete mit Nachschlüsseln, kein Zweifel,“ erklärte er endlich.

„Dieselbe Ansicht äußerte bereits Excellenz,“ bemerkte Stefanelly.

Der Kommissar lächelte verbindlich und machte seine Notizen.

„Im Besitz der Schlüssel zu dem Raum und zu der Kasse waren Sie, Herr Stefanelly, und wer noch?“ fragte der Kommissar, Bleistift und Notizbuch in der Hand, mit dem unheimlichen, forschenden, stets argwöhnischen Blick der Männer dieses Berufes.

„Herr Baron Christian von Brennberg-Schönau, Aufsichtsrath der Gesellschaft, deren Reservefonds die Kasse enthielt, – dieser Herr hier.“ Stefanelly deutete, während er dies sagte, auf Brennberg, der sich krampfhaft an seinem Sohn festhielt.

Der Kommissar wandte sich um; wieder der forschende Blick, der für Christian eine Ewigkeit währte. Noch einen Augenblick länger, und er hätte alles gestanden.

„Und wann, meine Herren, haben Sie zum letzten Male die gemeinsamen Schlüssel benützt?“ fragte der Kommissar, die Augen jetzt fast vollständig schließend.

„Vor einiger Zeit! Es handelte sich um eine Reparatur!“ gab Stefanelly zur Antwort.

Der Kommissar öffnete die Augen.

„Um eine Reparatur? Und wer machte die Reparatur? In Ihrer Gegenwart natürlich –“

„Natürlich, in unserer beider Gegenwart,“ bestätigte Stefanelly.

„Und die Reparatur machte –?“ frug zum zweiten Male der Kommissar.

Brennbergs und Stefanellys Blicke trafen sich einen Augenblick. „Jetzt gilt’s“ lag in dem des Bankiers, „alles verloren, ich kann nicht“, in dem des andern.

„Ein Schlosser,“ sagte Brennberg; die Stimme schlug ihm um.

„Das denke ich mir,“ meinte der Kommissar und lächelte. „Aber welcher Schlosser? Den Namen bitte ich.“

Wieder trat eine auffallende Pause ein, es war, als ob jeder der beiden Herren dem andern das Wort lassen wollte.

„Schlossermeister Georg Bergmann aus der Mariannenstraße,“ erklärte Stefanelly geschäftsmäßig.

[255] Der Kommissar nickte, indem er den Namen aufschrieb.

„Kennen Sie den Mann?“

„Gewiß, er arbeitet seit längerer Zeit für mich.“

„Halten Sie ihn für ehrlich?“

Der Kommissar blickte bei dieser Frage dem Bankier fest ins Gesicht.

Wieder die schwüle Pause! Die Musik von oben drang gedämpft herab, wie aus unendlicher Ferne.

Stefanelly zuckte die Achseln.

„Ich kenne ihn weiter nicht, auch nicht seine Lage. Der Anblick des vielen Geldes hat ihn vielleicht verführt, für unmöglich halte ich es nicht,“ sagte er in festem Tone.

Christian hätte aufschreien mögen; wie Bergeslast wälzte es sich auf seine Brust, es flimmerte vor seinen Augen, er sah nur noch, wie der Kommissar eine Aufzeichnung machte, dann sank er ohnmächtig in die Arme seines Sohnes.

„Eine schlechte Luft hier,“ bemerke der Kommissar, „ich will Sie nicht länger aufhalten, meine Herren, ich bin fertig.“

„Bringen Sie Ihren Vater nach Hause,“ flüsterte Stefanelly Theodor zu, „die Sache hat ihn doch angegriffen, und ich möchte jedes neue Aufsehen bei meinen Gästen vermeiden.“

„Das glaube ich Ihnen,“ erwiderte Theodor in einem Ton, der Stefanelly stutzig machte. Dann führte er seinen nur mechanisch sich bewegenden Vater, dessen kummervolles Antlitz an seines Sohnes Schulter lehnte, mit Hilfe des Raths langsam hinaus.

Im Saale tanzte man noch, aber es war niemand mehr Ernst damit: eine drückende Stimmung herrschte, eine gewitterschwüle Ahnung wie vor irgend einem gewaltsamen Naturereigniß. Da unter ihren Füßen bereitete sich irgend ein dunkles Zerstörungswerk vor, vielleicht brannte schon die todbringende Lunte.

Die Freude ließ sich nicht mehr gewaltsam festhalten, der festliche Schein erhöhte nur das bange Gefühl. Man wollte möglichst rasch den unsicheren Grund verlassen, so heiter und sorglos auch Stefanelly schien, so dringend die Hausfrau auch bat, doch die herrliche Bowle über der unliebsamen Geschichte nicht zu vernachlässigen.

Es war noch nicht zwei Uhr, und schon lag das Palais Stefanelly finster und schweigend da wie eine böse That. Zwei Polizisten gingen vor der Front auf und ab, ihre Schritte hallten laut durch die Nacht.

Die Brennbergs hatten den Saal nicht mehr betreten. Stefanelly selbst theilte der in peinlichster Spannung harrenden Bertha das Unwohlsein ihres Schwiegervaters mit und ließ sie durch Hans an den Wagen geleiten, vor welchem Theodor bereits ihrer harrte. Sie stiegen ein zu dem matt, mit geschlossenen Augen, in der Ecke lehnenden Vater; nur in wenigen leise geflüsterten Worten sprach Theodor über die Ereignisse im Keller. Endlich athmete Christian schwer auf, blickte durch die Fenster auf die Straße und machte eine Bewegung, als wollte er halten lassen.

„Nicht wahr, sie können ihn nicht verurtheilen lassen, diesen Schlosser?“ fragte er plötzlich. „Ohne allen Beweis, nur weil er dort gearbeitet hat – einen ehrlichen Mann – sage, Theodor, können sie es?“

„Das wohl nicht, Vater, aber verhaften werden sie ihn, vor Gericht ziehen, und wenn sie keinen andern Thäter finden – wer weiß, – jedenfalls ist sein ehrlicher Name befleckt, geschändet –“

Christian stöhnte auf.

„Aber sie werden den wahren Thäter finden, und zwar wirst Du selbst ihn nennen, ehe ein Unschuldiger leiden muß.“

Bertha sprach diese Worte im Tone der vollen Ueberzeugung.

Christian sank vom Polster herab auf die Kniee und vergrub sein Antlitz in Berthas Schoß.

„Ja, ja, das wirst Du – was es auch koste!“ stimmte Theodor bei.

Der Wagen hielt vor der Brennburg.

Christian stieg ohne Hilfe aus, ging ohne Hilfe, festen Trittes die Treppe hinauf, begleitet von seinen Kindern.

„Du kennst also den wahren Thäter?“ fragte er, im Wohnzimmer angelangt, mit fester Stimme seinen Sohn.

„Stefanelly selbst!“ erwiderte dieser.

„Das ist unmöglich! Ich ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen seit meiner Unterredung mit ihm, und erst dann konnte es geschehen sein; auch ich habe alle Grunde, daran zu glauben, aber die Möglichkeit ist doch nicht ausgeschlossen, daß ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen vorliegt, ein wirklicher Einbruch –“

Theodor war freudig betroffen. „Du bist also unschuldig an diesem Betrug, wußtest nichts davon?“

„So wahr mir Gott helfe, ich wußte nichts davon. Stefanelly versprach nur, ein Mittel zu finden, um Zeit zu gewinnen, bis er die Summe zahlen könne, ein Mittel, das niemand Schaden bringen solle, und er bat mich, ruhig zuzusehen.“

„Ja dann – dann ist ja noch Hoffnung!“ jubelte Theodor. „Der Dieb konnte ja nicht wissen, daß die Kasse leer war, und Stefanelly benutzte vielleicht nur die nutzlos gesprengte Kasse – das wäre am Ende verzeihlich. Hans hat auch sein Kartenspiel nicht verlassen, bis kurz vor dem Augenblick, wo er die Nachricht brachte. Wer soll es nun gethan haben, wem konnte Stefanelly sich anvertrauen? Gott, wenn es so wäre – wenn doch dieser Schlosser Bergmann der Thäter – dann wäre es nutzloser Wahnsinn, sich zu verrathen. Bergmann ist ja dann ein Dieb und verdient seine Strafe, ob die Kasse leer war oder gefüllt!“

Ein Strahl der Hoffnung zuckte über beider Männer Antlitz.

„Und Loni?“ fragte jetzt Bertha, die ruhig zugehört hatte.

„Unmöglich, Loni, ein Weib!“ erwiderte Theodor, ärgerlich, in seiner Hoffnung; die in ihm immer mehr zur Gewißheit wurde, gestört zu werden, „außerdem war Loni die ganze Zeit an meiner Seite –“

„Bis sie in die Küche ging, um die Bowle zu bereiten,“ erwiderte Bertha.

„Wohin ich sie begleitete.“

„Das ist möglich; sie blieb aber nicht in der Küche, sondern ging in das Gewölbe. Ich selbst hörte sie dort ihre Arbeit vollbringen, ich selbst sah sie noch beschmutzt davon heraufkommen: Ich suchte Dich – Theodor – und mein Argwohn gegen Dich ward zum Verräther an ihr.“

Dumpfe Stille trat ein. Bertha sah den letzten Hoffnungsstrahl erlöschen auf dem Antlitz des Vaters und des Sohnes und ein qualvoller Kampf begann in ihrem Innern. Er währte lange. –

Christian hatte ihn zuerst überstanden.

„Es muß sein!“ sagte er, sich erhebend. „Gut! Genug der Lüge! Der Name Brennberg soll nicht durch ein neues Verbrechen gerettet werden!“ Dann trat er auf Theodor zu und ergriff seine Hand. „Es muß sein! Verzeih Deinem unglücklichen Vater – und jetzt laßt mich allein! Ich muß Abrechnung halten mit mir und den alten Brennberg von Schönau zusammensuchen: nur der kann vollbringen, was vollbracht werden muß.“ –

Der Morgen rang sich herauf und noch immer brannte Licht in dem Zimmer Brennbergs, – die Abrechnung war noch immer nicht fertig.

Bertha drängte es zu ihrem Vater; sie fühlte, daß bei ihm die Zukunft lag, daß für ihn ein heiliges Amt begann, worauf er sich wohl schon lange vorbereitet hatte. Auch der Verdacht, der auf Thereses Gatten lag, beunruhigte sie.

Sie schlich sich von der Seite ihres von Kummer und Verzweiflung ermatteten Gatten und eilte fort.

Vor dem Hause des Vaters sah sie schon von weitem eine für die frühe Tageszeit auffallende Menschenmenge versammelt; eine böse Ahnung stieg in ihr auf, sie beschleunigte ihre Schritte, sie fragte. was denn da vorgefallen sei, und unwirsch gab man der vornehmen jungen Frau die Antwort: „Verhaftet ist einer worden, soeben haben sie ihn fortgeholt aus dem Bett.“

Wer war der Verhaftete? Bertha bedurfte des Namens nicht, sie wußte ihn und es wankten ihr die Kniee. So rasch schritt das Verhängniß?

Im Hofe standen die Leute Kopf an Kopf, ein wilder Lärm herrschte. Männer schimpften, Weiber kreischten. „Das ist eine Gemeinheit,“ konnte man hören, „der Bergmann ist ein Ehrenmann! Weiß Gott, was dahinter steckt! Natürlich, nur keine Umstände machen, hinein ins Loch mit unsereinem – und nachmittag wieder heraus – was schadet’s dem Kerl!“

Bertha drängte sich durch und die Männer staunten über die kräftigen Rippenstöße einer vornehmen Dame. Was wollte die zu dieser Stunde hier? Einige Weiber erkannten sie und riefen ihr Lästerworte nach.

[267] Bertha eilte durch die leerstehende Werkstatt, sie rief nach Therese – da öffnete sich die Thür und Vater Margold trat heraus.

„Wo ist Georg?“ rief Bertha, obwohl sie die Antwort zum voraus wußte.

„Verhaftet!“ erwiderte finster Margold.

Bertha verbarg ihr Antlitz in die Hände.

„Ja, so weit kann man kommen mit der verdammten Gier nach dem Geld, die den Menschen packt wie ein Geier und ihm jede ehrliche Arbeit verleidet! Er hat am Ende nur einen Räuber bestohlen, der die Sache im großen betrieb, er ist gewiß nicht schlechter als der, aber das macht die Sache nicht besser. Dieser ehrliche fleißige Georg!“ Margold schüttelte verzweifelt den Kopf.

„Aber wer sagt Dir denn, daß Georg wirklich der Dieb ist?“ brach Bertha plötzlich los.

„Wer mir das sagt? Glaubst Du denn, man verhaftet einen Bürgersmann heutzutage ohne triftigen Grund, so mir nichts dir nichts! Wer mir das sagt? Sein fieberndes gieriges Auge, seit er in diesem verfluchten Keller gewesen ist, sein Haß gegen alle Arbeit sagt es mir, von dem alles Schlechte kommt. O, ich habe schon lange für ihn gefürchtet, der verdammte Schwindelgeist hatte ihn ganz in seinen Klauen.“

„Und Therese? Wo ist Therese?“ fragte Bertha.

„Komm nur herein, da liegt sie, das arme Wesen, fast besinnungslos vor Entsetzen.“

Bertha trat ein; auf dem braunen alten Sofa lag Therese, totenbleich, das Haar hing wirr in die thränennassen Wangen, sie athmete schwer; jetzt schlug sie die Augen auf, aber beim Anblick Berthas brach eine neue Thränenflut sich Bahn.

„Therese, glaubst Du auch an die Schuld Deines Mannes?“ fragte Bertha, vor sie hintretend.

„Ich muß ja, ich muß ja!“ jammerte sie. „Er sprach ja von nichts mehr als dem Schatz bei Stefanelly, er hatte ganz den Kopf darüber verloren, und wie er heute nacht nach Hause kam – dieser scheue Blick! da ahnte ich schon, daß etwas Entsetzliches geschehen war. Bertha! Wer hätte das gedacht vor einem Jahre – wir waren so glücklich, er das Muster eines Mannes, und jetzt – – O, sieh mich nicht so verächtlich an, ich weiß es ja, ich bin mit schuld an dem Verbrechen, ich habe den Keim gelegt mit meinem selbstsüchtigen, unzufriedenen Wesen – o, ich ertrag’ es nicht – meine arme Mutter – Lili – mein Kind!“

Sie sank stöhnend zurück.

In Bertha stürmten Schmerz, Scham und Freude durcheinander.

„Wenn ich Dir aber sage, Dein Mann ist unschuldig!“ rief sie.

Ein Aufschrei Thereses antwortete ihr; wie eine Wahnsinnige blickte sie aus der dunkeln aufgelösten Haarfluth.

„Unschuldig? Georg? Er sagte es ja auch, er hat es beschworen, aber ich glaubte ihm nicht. – Bertha –“ sie fiel auf die Kniee und rutschte auf dem Boden zu ihr hin mit aufgehobenen Händen, – „Bertha! Woher – wie –“

Die Sprache versagte ihr, nur ein stummes gieriges Flehen lag auf ihrem Antlitz.

„Vollständig unschuldig, der Thäter ist bekannt und in einer Stunde ist Dein Mann frei!“

„Frei! Frei!“ kreischte Therese auf. „Aber das ist ja nicht möglich, und wie kannst Du das alles wissen? Sprich doch, Bertha, sprich ums Himmels willen!“

[268] „Das darf ich nicht. Laß Dir vorerst daran genügen, daß ich es weiß, das Uebrige wirst Du bald erfahren.“

Ihr Athem flog, sie machte sich aus der Umklammerung der erschütterten Freundin los, die vergebens um weitere Aufkärung in sie drang, und ging hinaus. Draußen nahm sie den Vater bei der Hand und sagte: „Jetzt komm Du mit mir nach Hause, Du bist dringend nothwendig dort. Es hat Eile, rasch!“

Sie ließ ihm nicht Zeit, andere Kleider anzuziehen. Auf der Straße erzählte sie stoßweise die Ereignisse der verwichenen Nacht und den Entschluß des alten Herrn von Brennberg, dem Gerichte den ganzen Thatbestand mitzutheilen; er, der Vater, solle ihm Muth zusprechen für den schweren Gang. Und trotz seines Entsetzens über diese Nachrichten, die ja auch seinen Sohn betrafen, sah Margold doch in der Entscheidung Brennbergs auch die Heilung von seinem Wahn.

Als sie in der Brennburg ankamen, ging Berti zuerst allein zu ihrem Schwiegervater, um mit ihm zu sprechen und ihn auf den Besuch des Vaters vorzubereiten. Sie erschrak vor seinem Anblick: die Nacht hatte eine fürchterliche Verheerung angerichtet in diesem Antlitz. Er sprach eben mit Theodor, der Muth schien beide verlassen zu haben vor der nahenden Entscheidung. Sie erklärten Bertha, mit der Anzeige noch warten zu wollen; am Ende würde dieser Bergmann gar nicht verhaftet bei dem Mangel sonstiger Beweise, dann wäre ja die Anzeige ein nutzloses, wahnsinniges Opfer.

Da erzählte Bertha, woher sie kam und was sie gesehen. Die Verhaftung des Schlossers war bereits vollzogen.

Diese Thatsache schmetterte Christian nieder. Jetzt war kein Ausweg mehr, der furchtbare Gang mußte gethan werden, das Schicksal wollte es so.

Da öffnete Bertha die Thür, Margold trat ein, tief gebeugt.

Der Baron schrie auf und wanke ihm entgegen.

Margold ergriff seine Hand und wollte sie nach alter Gewohnheit küssen. Das war zu viel für Christian. Der Geist längst vergangener glücklicher Zeiten umwehte ihn, er brach in Thränen aus und sank dem alten Freund und Diener laut schluchzend an die Brust.

„Muth, Herr von Brennberg, der alte Gott lebt noch, und was Sie jetzt thun, sühnt alles! Sehen Sie dort, über den Bäumen,“ – er deutete zum Fenster hinaus – „die Stadt hat es noch immer nicht aufgezehrt, das gute Schönau. Ich habe so einen Gedanken, es ist mir immer, als warte es auf uns zwei Alte!“

„Du bist grausam, Margold, ich bin ein Bettler.“

„Unsinn, Herr von Brennberg! Es ist ja das erste Mal in meinem Leben, daß mir das Geld eine Freude macht. Ja, jetzt macht es mir eine Riesenfreude, weil ich sagen kann: es langt für uns alle, wenn es auch kein Reichthum ist, und an dem, meine ich, haben wir uns alle, wie wir da stehen, satt gesehen. Also frisch herausgeschnitten die Pestbeule und dann wieder ein bißchen altmodisch! Es brancht dazu nicht den kaffeebraunen Rock und die gelben Stiefel, so lieb sie mir auch waren, aber das alte Herz, die alte Freude an der Arbeit, dann geht es schon! Nicht wahr, Herr Theodor? Habe ich nicht recht? Sind Sie nicht auch dabei? Bertl kann es Ihnen erzählen, es waren gewiß nicht ihre schlimmsten Tage draußen an der Landstraße.“

Theodor reichte dem schlichten Manne schweigend die Hand; er fühlte wohl den edlen Kern dieser Worte, aber er sah die Lösung nicht in so rosigem Licht.

Eine Viertelstunde darauf fuhr der Aufsichtsrath von Brennberg mit Bertha zum Staatsanwalt, um offene Beichte abzulegen.




9.

Das verhängnißvolle Ereigniß im Keller des Stefanellyschen Hauses, welches an jenem Festabend die Tanzenden so erschreckt hatte, war nur der Vorläufer der großen Katastrophe gewesen, deren Opfer eine Woche später die Straßen M...s theils klagend, theils drohend durchirrten. Der Zusammenbruch vollzog sich mit blitzartiger Schnelligkeit und riß alles mit nieder, was in seinem Bereich lag.

Schon die Nachricht von dem Diebstahl in dem Gewölbe Stefanellys während des vielbesprochenen Festes wurde mit sonderbarem Schweigen aufgenommen; man glaubte nicht recht daran und ahnte Schlimmeres. Die weitere Kunde von der Verhaftung des Diebes in der Person eines Schlossers aus der Vorstadt hob wieder die Gemüther.

Da, Mittag war es, zuckte der Strahl, der gefürchtete, und er schlug furchtbar ein. Stefanelly war verhaftet sammt seinem Agenten Margold und dessen Frau, der bekannten Loni. Die Bank war vom Gericht geschlossen und Gendarmen wehrten die tobende Menge von den verschlossenen Thüren ab. Rasch wurde bekannt, daß der in der Frühe verhaftete Schlossermeister als völlig unschuldig wieder entlassen worden war, und von diesem Augenblick an wußte man auch, warum der Stefanelly verhaftet worden war – er selbst war der Dieb!

Die Nacht brach an, was würde der nächste Tag bringen?

Was er bringen mußte: den Zusammensturz der Stefanellyschen Gründungen, eine wahnsinnige Panik auf der Börse mit all ihren schrecklichen Folgen, Jammer, Thränen, Haß, Erbitterung – bei den Vernünftigen aber reuevolle Einsicht, bittere heilsame Erkenntniß des Abgrundes, an dem alles gewandelt und von dem nun die derbe rücksichtslose Faust des Schicksals die Bethörten zurückgerissen hatte.

Das gerichtliche Verfahren gegen Stefanelly, welches von den Behörden möglichst beschleunigt wurde. begann mit der Anklage wegen des Kassendiebstahles, während die schwierigen und verwickelten Erhebungen über die schwindelhaften und betrügerischen Gründungen ihren Fortgang nahmen. Es mußten dabei unerhörte Dinge zu Tage kommen; jeder wußte, daß sich ein in den grassesten Farben gemaltes abschreckendes Bild der Zeit entrollen werde, daß in diesem Prozeß die ganze entartete Gesellschaft auf der Anklagebank saß.

Jeden Tag erhöhten neue Gerüchte die gespannte Erwartung. Der Rath Stürmling, der in der letzten Zeit offenkundig zum Agenten Stefanellys geworden war, verschwand spurlos – es hieß, er habe sich erschossen. Minister Graf Derwitz erhielt plötzlich seinen Abschied.

Der Name des Aufsichtsrathes Brennberg, gegen welchen ebenfalls Anklage erhoben wurde, war in aller Mund. Er sollte den Stein ins Rollen gebracht, den unschuldigen Schlossermeister durch seine offene Aussage befreit haben.

Endlich brach der Tag des Gerichtes an, des lang erwarteten, von vielen gefürchteten Gerichtes.

Alle Arbeit ruhte, stumm, wie in sich selbst verkrochen, lag M.... da, von Gewissensschauern geschüttelt. Nur um das Gerichtsgebäude wogte eine stürmisch bewegte Volksmasse.

„Räuber! Spitzbuben! Gebt den Raub heraus!“ tönte es wild durcheinander und geballte Fäuste hoben sich drohend gegen die Fenster des Gerichtssaales.

Diesen füllte eine dichtgedrängte Menge aus allen Ständen. Männer und Frauen, Betrogene mit verweinten Augen, begierig, jede Masche des Netzes zu sehen, in dem sie sich gefangen hatten, Neugierige, die nur die Sucht nach Aufregung und Nervenkitzel hergetrieben hatte.

Alles starrte auf die noch unbesetzten grünen Tische mit den bereit liegenden Akenbündeln, aus denen endlich der Sieg der Wahrheit und des Rechts über die Lüge und das Unrecht sich entwickeln sollte.

Eine schwüle lautlose Stille herrschte. Ein jeder fühlte an sich selbst das Messer des Arztes, das ihn befreien sollte von jahrelangen Gebresten.

Die Angeklagten betraten den Saal. Zuerst Stefanelly, ein höhnisches Lächeln um die bleichen Lippen, von dumpfem Brausen empfangen, das sich lawinenartig fortpflanzte bis auf die Straße. Dann eine gebeugte Gestalt, der Aufsichtsrath Brennberg; weiter ein junger Mann in auffallender Kleidung, mit scheuem Blick und kränklichem Aussehen, Hans Margold, der Agent. Zuletzt, kokett gekleidet, einen frechen Blick über den ganzen Saal werfend, die gefeierte Loni, die Königin all der üppigen Feste des Hauses Stefanelly, die verkörperte geschminkte Lüge, die ausgesprochene Vertreterin der morschen, zerfressenen Zeit.

Ein Gemurmel des Unwillens empfing sie.

Dann nahm das Richterkollegium Platz am erhöhten Tische, in der Mitte des Saales, zur Seite die Geschworenen; die Wichtigkeit des Augenblicks, das Gefühl, Gericht zu sitzen über ihre Zeit – und damit vielleicht auch über sich selbst – lastete sichtlich auf ihnen.

[269] Die Anklage des Staatsanwaltes hallte durch den schwülen Raum, vernichtende Worte von krankhaftem Taumel, der alles ergriffen, von verbrecherischer Genußsucht, vom Hohn auf jedes Recht, von gleißnerischen Ehrbegriffen. „Die Achtung vor dem Eigenthum ist erstickt, die Liebe zur Arbeit verschwunden aus den Herzen, die Litteratur, das Theater athmen Schwelgerei und Sittenlosigkeit, der Preis der Tugend findet keine Sänger mehr; die rohe Kunst, sich zu bereichern ohne Arbeit, ohne Fleiß, ohne Ausdauer, ohne Genie, ist die einzig gepflegte, sie ist die moderne Pest der Staaten. Die heute hier als Angeklagte stehen, sind nur die sichtbaren Vertreter der allgemeinen Fäulniß, nicht über sie allein halten wir heute Gericht, nicht sie allein klage ich an, sondern die ganze Gesellschaft, die nach denselben Grundsätzen, in denselben Trieben gehandelt und gelebt hat seit Jahren. Sie alle stehen heute vor dem Richterstuhl, und das Urtheil, das heute hier gesprochen wird, gilt für sie alle; möge es die Donnerstimme der Gerechtigkeit sein, die unsere Zeitgenossen in ihrem Innersten aufwühlt und sie zur Erkenntniß bringt, wohin dieser Weg führen wird, oder vielmehr schon geführt hat – zur völligen Verderbniß, zur Selbstvernichtung.“ –

[270] Wie Keulenschläge fielen diese Worte; die Köpfe der Menge beugten sich darunter, die Gewissen erwachten – der Abgrund gähnte, den ein verführerischer Nebel bisher verdeckt hatte.

Die Zeugenaussagen gegen Stefanelly waren erdrückend, ein häßlicher Knäuel von Lüge, Betrug, Fälschung, gewissenlosem Wagniß entwirrte sich. Wie Schuppen fiel es von den Augen aller der Geblendeten.

Dann erzählte der Aufsichtsrath Brennberg in schlichten Worten seinen Weg von dem einsamen Schönau bis in diesen Gerichtssaal, den er willenlos gegangen sei unter der zwingenden Macht Stefanellys; er schilderte, wie ihn nach einem arbeitsvollen einsamen Leben allmählich in seinen alten Tagen die entnervende Luft der Großstadt förmlich vergiftet und zu Grunde gerichtet habe, schilderte die qualvollen Nächte, in denen er mit sich gerungen habe und doch unterlegen sei, schilderte alles das in Worten, die mächtig zu seinen Hörern sprachen.

Ja, diese giftdurchtränkte Luft hatten sie alle eingeathmet, die Menge hier auf den Bänken und draußen auf der Straße, die Geschworenen, die Richter – alle – alle!

„Ich habe ernten wollen, ohne zu säen, ich, ein Mann, der dreißig Jahre die Scholle seiner Ahnen bebaut hatte, der aus dem Gleichniß der Natur erkennen mußte, daß dies nicht möglich sei, daß es mit rechten Dingen dabei nicht zugehen könne. Keine Strafe wird mir zu schwer sein, um zu sühnen, was ich gethan habe.“

So schloß der alte Baron seine Rede.

Ein jäher Sturm brach los im Zuhörerraum, Schluchzen, Weinen, beifällige Zurufe. Wie eine Erlösung aus unheimlichem Bann klangen die Worte, wie die Verheißung einer besseren Zukunft. Der Präsident selbst fühlte die Heiligkeit dieser Erregung und ließ sie austoben.

Berthas schwer belastende Aussage gegen Loni wurde vernommen, der vorgebliche Diebstahl unter den Füßen der sorglos tanzenden Gäste im Prunksaal Stefanellys: wieder ein furchtbar erschütterndes, bedeutungsvolles Bild.

Zwei Gärtnerstöchter von der Landstraße, zwei Nachbarskinder, standen sich da gegenüber, die auch der Zeitgeist hineingetrieben hatte in die Stadt aus ihren friedlichen Häuschen und ihrem friedlichen Thun. Die eine hatte sein Hauch längst durch und durch vergiftet, die andere hatte ihm siegreich widerstanden, war gesund geblieben an Geist und Leib. Alles blickte erquickt auf das blühende Weib, das unbeirrt, seines eigenen Vortheils nicht achtend, für die Wahrheit und die Unschuld eingetreten war und der Schlange des Trugs auf den Kopf trat. Es war, als ob ein freundliches, hoffnungsvolles Licht von ihr ausginge in dem düstern, schwülen Raum.

Die Vertheidigung hatte einen schweren Stand. Das Urtheil lag in der Luft, auf jeder Lippe, es war unabänderlich. Sie konnte sich nur auf einzelne Milderungsgründe beschränken, jeder Versuch, psychologische Spitzfindigkeiten anzubringen, wurde, trotz aller Mahnung des Präsidenten zur Ruhe, im Publikum mit Hohn aufgenommen.

Das Gewissen des Volkes war erwacht und saß selbst mit zu Gericht.

Stefanelly wurde als der Hauptschuldige unter gebührender Würdigung seines ganzen, auf Lug und Trug gerichteten Gebahrens, namentlich der nichtswürdigen Abwälzung des Verdachts auf einen völlig Schuldlosen, wegen gemeinen Diebstahls von Kassengeldern zu fünf Jahren Gefängniß verurtheilt und aller Ehren verlustig erklärt; Loni und Hans erhielten aber wegen Theilnahme an diesem verbrecherischen Treiben eine dreijährige Gefängnißstrafe; Brennberg wurde zwar eines in Gemeinschaft mit Stefanelly begangenen Kassendiebstahls für schuldig befunden, jedoch unter Berücksichtigung der mehrfachen ihm zur Seite stehenden Milderungsgründe, namentlich auf Grund der Annahme, daß er die veruntreuten Gelder aus seinem allerdings nun gleichfalls verlorenen Vermögen zu ersetzen beabsichtigte, nur mit sechsmonatigem Gefängniß bestraft.

Mit lauten Zurufen wurde dieser letzte Satz des Urtheiles begrüßt.

Dem Baron drangen diese Kundgebungen tief ins Herz und ein Thränenstrom brach ihm aus den Augen.

Er fühlte es, hier erhob der Geist seine Stimme, der sich immer wieder Bahn bricht, der Geist der Gerechtigkeit und der Wahrheitsliebe, der Sieger über die verhaßten Truggeister. – Erst als die schmale Thür, die zu den Haftlokalen führte, sich hinter den Verurtheilten geschlossen hatte, leerte sich der Saal lautlos, ohne Gedränge.

Auch die Menge vor dem Gebäude verzog sich wider Erwarten ruhig, das Urtheil lastete auf jeder Brust. Der Staatsanwalt hatte wahr gesprochen: sie alle hatten heute vor dem Richterstuhle gestanden.

*               *
*


Nach sechs Monaten hielt gegen Abend ein Wagen vor der Stadtvogtei, in welcher Christian seine Strafzeit verbüßt hatte. Ein Kommissar meldete eben dem Freiherrn den Ablauf derselben mit dem Hinzufügen, zwei Herren und eine Dame erwarteten ihn.

Es war für Christian eine harte Zeit gewesen voll bitterer Selbstvorwürfe, Angst für die Zukunft und Kummer für seine Kinder, aber auch eine Zeit ernster Einkehr in sich selbst, völliger innerer Heilung.

Eine erschütternde Nachricht war für ihn die Kunde von der Geburt eines Enkels, eines Stammhalters gewesen. Früher hatte er sich dieses süße Glück gar nicht zu träumen gewagt, jetzt ward es ihm zu Theil, während er im Gefängniß saß, und er durfte sich nicht einmal darüber freuen. Der Name Brennberg war ja durch ihn befleckt, entehrt, dem Elende preisgegeben, und was er einst ersehnt hatte, erschien ihm jetzt wie ein Fluch. Dann aber kamen wieder Stunden, wo er den Knaben wonnetrunken in seinen Armen sah, auf seinen Knieen schaukelte auf der Terrasse von Schönau, den künftigen Erbherrn – und furchtbar war dann das Erwachen, wenn die Kerkermauern, welche die erhitzte Phantasie gesprengt hatte, sich wieder schlossen vor dem beseligenden Bild.

Jetzt, wo sich dem Gefangenen die Thür zur Freiheit öffnete, traten wieder dunkle Schatten vor seine Seele. Welchem Leben ging er entgegen? Einem Leben der Schande, der Noth vielleicht. Warum hatte ihn der Tod nicht erlöst, ihn, der jetzt nur eine Last war für seinen durch ihn ruinirten Sohn? Der Herr von Brennberg auf Schönau trat aus der Stadtvogtei an das Licht des Tages und starb nicht vor Scham! Und doch kamen sie, ihn abzuholen, Theodor und Bertha! Sie haßten ihn also nicht, sie hatten ihm gewiß alles vergeben und er durfte sein Enkelkind in die Arme schließen! –

Aber der Kommissar hatte doch von zwei Herren gesprochen! Wer konnte nur dieser zweite sein? Freund oder Feind? Lauerte vielleicht ein neues Unglück auf der Schwelle.

Christian schwindelte es fast, als er die Treppe hinunter stieg. –

Da streckte ihm auf halbem Weg ein Mann beide Arme entgegen.

„Margold! Du!“ rief der Freiherr aufjauchzend. „Das ist ein gutes Zeichen, jetzt hoffe ich wieder!“

Und die beiden Männer umarmten sich schluchzend, dann gingen sie hinab, wo Theodor und Bertha ihrer harrten.

Schweigend stieg man in den Wagen. Die Bewegung war in allen zu groß für Worte. nur die Thränen sprachen, die zitternden sich pressenden Hände.

„Wohin denn?“ fragte der alte Herr von Brennberg, als der Wagen sich in Bewegung setzte. Er wußte, die Brennburg war längst verkauft.

„Nach Hause,“ sagte Margold.

„Nach Hause!“ wiederholte Christian herb.

Der Wagen fuhr durch die Stadt, über die bereits ein schwüler Augustabend sich herabsenkte. Das toste und brauste wie vor einem halben Jahre, als wäre nichts geschehen; über die Opfer der Katastrophe spann das rastlose Leben schon längst eine neue bunte Decke.

Jetzt ging’s durch eine Vorstadt: da grinsten vorwurfsvoll die leeren Fensterhöhlen unvollendeter Häuser. Die Spinne hatte ihre Fangarme zu weit ausgestreckt, der Lebenssaft fehlte ihr, sie mußten verdorren.

Der alte Baron empfand eine geheime Schadenfreude über das verstümmelte Ungeheuer und vergaß darüber ganz, zu fragen, wohin denn eigentlich die Fahrt gehe.

[271] Jetzt hörten die Häuser auf, wogende Felder breiteten sich in der einbrechenden Dunkelheit aus.

„Ja, wohin führt Ihr mich denn? Doch zu Dir, Margold, in Dein Haus.“

„Ich habe kein Haus mehr,“ erwiderte Margold lachend.

„Und Ihr wohnt nicht mehr in M ...?“

„Nein, aber in der Nähe, Vater,“ sagte Theodor.

„In der Nähe? Ihr verbergt mir etwas, ein neues Unglück! Wo ist Euer Kind, mein Enkelsohn?“

Eine jähe Angst vor etwas Ungewissem hatte den erregten Mann gepackt.

„In einigen Minuten bist Du bei ihm,“ war die Antwort.

Der Wagen fuhr jetzt eine Pappelallee entlang. Brennberg erblickte die langen Schatten im matten Mondlicht. Ein Zittern befiel ihn, er lehnte sich weit hinaus.

„Schönau!“ schrie er, „Schönau! Was wollt Ihr in Schönau?“

In diesem Augenblick hielt auch der Wagen. Der Freiherr riß den Schlag auf, sprang hinaus und erblickte die blendendweiße Front des Schlößchens vor sich, dessen Fenster alle hell erleuchtet waren.

Er stieß einen gurgelnden Schrei aus und fiel auf die Kniee nieder.

„Schönau! Heiliger Gott! Schönau!“

Margold und Theodor hoben ihn auf.

„Unser Schönau!“ flüsterte Theodor.

Christian breitete die Arme aus wie vor einer himmlischen Erscheinung und sah fragend auf Margold.

Ja, Herr, unser Schönau, das Heirathsgut der Bertl. Ich sagt’ es ja, es hat auf uns gewartet, fast geschenkt haben sie mir den ‚alten Kasten‘, wie ihn die Aktionäre nannten. Den alten, lieben Kasten – und da – da kommt auch der künftige Herr von Schönau, Sie zu begrüßen.

Bertl war es, die sich schnell in das Schloß gestohlen und jetzt mit ihrem Kinde auf dem Arm heraustrat vor den Großvater.

„Unser Sohn,“ stammelte die selige Mutter.

Christian schloß den Kleinen trunken von all dem unerwarteten Glück in die Arme.

Im Norden zog ein rother wallender Dunst empor über die Bäume des Parkes, Christian blickte feindselig darauf, dann aber nahm er den Kleinen fester in die Arme und betrat mit ihm das Haus seiner Väter.




Als Bergmann an jenem Nachmittage zurückkam aus dem Gefängniß und sein Weib ihn mit Thränen der Freude empfing, da wehrte er ihrer Zärtlichkeit und nahm sie mit sich in die Kammer.

„Du glaubtest an meine Schuld, nicht wahr, Therese?“ sagte er.

Scham und Schmerz ließen sie lange nicht antworten.

„Mußte ich nicht, da Du, der sonst so hitzige Mann, Dich widerspruchslos, ohne ein Wort der Rechtfertigung, mit fortnehmen ließest? Warum hast Du das gethan?“

„Weil ich wirklich mich schuldig fühlte, Therese, deshalb that ich’s. In jener furchtbaren Nacht faßte ich in meiner Gier nach dem Golde den festen Entschluß, bei Stefanelly einzubrechen; ich war eben mit dem Plane fertig, da kamen sie, mich zu holen. Das packte mich, ich glaubte die Stimme der rettenden Vorsehung zu vernehmen, das entsetzliche Fieber wich, der halbe Tag im Gefängniß hat mich ganz davon geheilt. Jetzt bringe mir das Kind, ich hatte keines bisher – und dann zur Arbeit, damit das Fieber nicht wiederkommt.“

Seit der Zeit sprühen wieder lustig die Feuer in der Werkstatt, der Meister selber steht vom Morgen bis zum Abend am Ambos. Die Sparkasseneinlagen Thereses wuchsen von da an zwar langsamer aber stetig, und heute ist Bergmann schon längst Eigenthümer des ehemaligen Margoldschen Hauses.

Theodor ist ein gelehriger Schüler des alten Margold geworden. Aus der Armee infolge der Verhaltnisse verabschiedet, von der Gesellschaft, deren Gunst ihm einst alles geschienen, mit scheelen Augen betrachtet, trieb ihn zuerst Trotz und bittere Verachtung aus dieser Welt des Scheines, da öffnete sich ihm der einst so verachtete, geringgeschätzte Schönauer Boden und zeigte seine verborgenen, nie geahnten Schätze. Theodor erkannte, worin die volle Heilung liege, der einzige Trost, die letzte Ehre in der Hebung dieses Schatzes, den er einem Phantom geopfert. – Und er hob ihn mit starker Faust, treulich unterstützt von seinem Weibe, von Bertha. Duftiger, üppiger Segen breitete sich unter ihren emsigen Händen. Die weithin berühmten Brennbergschen Gärten versehen halb M ... mit ihren reichen Erträgnissen.

Blicken jetzt des Abends der alte Baron und Margold im Kreise ihrer Lieben in den rothen wallenden Schein, der ihnen einst so drohend aufzusteigen schien über dem Wald wie der Athem eines alles verheerenden Dämons, so denken sie zurück an ihren einstigen Wahn und erklären dem horchenden Enkel, was es sei, der Athem rastloser Arbeit, ehrlichen Schaffens und Strebens, kühnen Vorwärtsschreitens, der Athem des wahren, ewigen Zeitgeistes, der sich immer wieder siegreich erhebt über die Geister des Truges und der Lüge.