Treitschke und die Kreuzschule

Aus dem Testamente Elisas von der Recke Treitschke und die Kreuzschule (1904) von Otto Richter
Erschienen in: Dresdner Geschichtsblätter Band 3 (1901 bis 1904)
Zur Geschichte des geistigen Lebens in Dresden vor 300 Jahren
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Treitschke und die Kreuzschule.

Vor kurzem ist der handschriftliche Nachlaß des 1875 verstorbenen Konrektors an der Kreuzschule Professor Dr. Gustav Helbig von seinem Sohne, dem hervorragenden Alterthumsforscher Professor Dr. Wolfgang Helbig in Rom, unsrer Stadtbibliothek geschenkt worden. Darin befinden sich hunderte von Briefen der namhaftesten Historiker und Philologen des 19. Jahrhunderts, unter ihnen auch zwei von Heinrich von Treitschke, die für die dauernde Anhänglichkeit des großen Patrioten und Geschichtschreibers an seine einstige Bildungsstätte beredtes Zeugniß ablegen.

Treitschke gehört neben Theodor Körner und Richard Wagner zu den berühmtesten Zöglingen, die unsre ehrwürdige Kreuzschule gehabt hat. Er besuchte sie in den Jahren 1846 bis 1851, und daß dies mit ausgezeichnetem Erfolge geschah, verdankte er neben seiner außergewöhnlichen Befähigung auch dem glücklichen Umstande, daß die Schule damals eine Reihe vorzüglicher Lehrkräfte besaß: an ihrer Spitze der Rektor Dr. Klee, eine ungemein kraftvolle Persönlichkeit, reichbegabt als Gelehrter wie als Erzieher, der auf Geist und Charakter seiner Schüler mächtig einzuwirken verstand; nächst ihm sein Freund Dr. Helbig, der die vaterländische Geschichte in einer freimüthigen, ausgeprägt deutsch-patriotischen Auffassung vortrug und dadurch einen nachhaltigen Einfluß auf die Gesinnung vieler Schüler ausgeübt hat.

Klee starb am 6. Dezember 1867. Am 17. Dezember hielt ihm der Kreuzschullehrer Dr. Hölbe im Literarischen Verein eine Gedenkrede und gab sie dann unter dem Titel „Julius Ludwig Klee. Sein Leben, Charakter und seine wissenschaftliche Bedeutung“ in Druck. Diese Schrift sandte Helbig an Treitschke; die Antwort darauf war folgender Brief:

Heidelberg 15.5.68.
Verehrter Herr Conrector,

wenn mich nicht ein schmerzhaftes Ohrenleiden während der letzten Wochen gezwungen hätte auf alle nicht ganz [248] unaufschieblichen Arbeiten zu verzichten, so würde ich Ihnen schon längst meinen herzlichen Dank für Ihre freundliche Zusendung ausgesprochen haben. Ich hole das jetzt nach und danke Ihnen aufrichtig für dies Zeichen der Erinnerung und für Ihre guten Worte über meinen lieben Lehrer Klee. Er war im Grunde der letzte Lehrer, den ich gehabt, und ich danke ihm mehr als ich sagen kann. Wenn Sie mir erlauben wollen ganz offen zu sprechen, so gestehe ich, daß die gutgemeinte aber wenig taktvolle Schrift von Dr. Hölbe mir nicht gefallen hat. Um so mehr war ich erfreut, Ihre warmen und herzlichen Worte zu lesen. Das Bild Klee’s, wie er in seinen kräftigen Tagen war, und die glückliche Schulzeit auf der Kreuzschule wird mir immer unvergessen bleiben; und obwohl heute mein Name in meiner sächsischen Heimath nicht gern genannt wird, so hoffe ich doch auf eine Zukunft, wo man mich nicht zu den unwürdigen Zöglingen der alten Schule rechnen wird. Ein guter Deutscher und Preuße zu sein wird auch in Dresden dereinst noch als eine Ehre gelten.

Von Wolfgang[1] habe ich neulich durch Curtius[2] und Sauppe[3], die aus Rom zurückkehrten, Vieles und Gutes gehört. Grüßen Sie Ihn von mir, wenn Sie ihm schreiben, und behalten Sie in gutem Andenken

Ihren        
dankbaren Schüler    
Treitschke.  

Helbig hat darauf Treitschken offenbar seine Verwunderung ausgedrückt, daß er so mild über Hölbes Schrift urtheile. In einem zweiten Briefe vom 24. August 1868, mit dem er einer an die alten Kreuzschüler ergangenen Aufforderung zufolge einen Beitrag für den zu gründenden Stipendienfonds der Schule einschickt, kommt Treitschke auf die Sache zurück und schreibt: „Meine Aeußerungen über Hölbe waren allerdings sehr sanftmüthig. Ich sprach so mild, weil ich Hölbe mehrmals mit Klee zusammen gesehen hatte, also der Meinung war, sein trauriges Machwerk sei nur eine gut gemeinte Taktlosigkeit. Nach Ihren Mittheilungen muß ich jetzt freilich härter urtheilen“.

Wer heute die Schrift unbefangen durchliest, wird kaum den Eindruck gewinnen, daß Hölbe nicht ernstlich bestrebt gewesen wäre, der eigenartigen Natur und der Bedeutung des Mannes gerecht zu werden. Nur fallen einige Andeutungen auf, die angesichts des frischen Grabes nicht taktvoll und die trauernden Freunde Klees zu verletzen geeignet waren; auch die Mitveröffentlichung einer humoristischen Abhandlung Klees „über das Schlagen“, die nur zum Vortrag im engen Freundeskreise bestimmt sein konnte, war ungeschickt. – Wie ächt die Verehrung gewesen, die Klee bei seinen Schülern genoß, geht daraus hervor, daß die überlebenden von ihnen jetzt noch, ein volles Menschenalter nach seinem Tode, beschlossen haben, ihm ein Grabdenkmal zu stiften.

O. R.     


  1. Helbigs Sohn.
  2. Ernst Curtius, Professor der alten Geschichte in Berlin, gest. 1896.
  3. Hermann Sauppe, Professor der Philologie in Göttingen, gest. 1893.