Treibjagd im Walde
[771] Treibjagd im Walde. (Mit Illustration auf S. 769.) Auf einer Waldtreibjagd bin ich auf einem Felsen angestellt, der wie eine Warte die Dickung überragt, welche eben getrieben werden soll. Es ist ein schöner Stand hier oben. Die Bergwellen, Schluchten und Wiesengründe – der Buchenwald, dessen vergilbte Blätter die Sonne so goldig überstrahlt – wie hat heute gerade die Natur all ihren Zauber ausgegossen über die Waldlandschaft zu meinen Füßen und in der Ferne über die Ebene mit dem blinkenden Strome, den Dörfern, der Stadt und dem dunklen Gemäuer des in bläulichem Duft fast verschwindenden Klosters – aber das Alles vermag die Blicke nur so lange zu fesseln, bis ein Hornsignal das Echo und das Geklapper und Geschrei der Treiber weckt. Die gespannte Flinte ist ein eigen Ding – sie macht Gedanken und Augen zu willigen Sklaven.
Dieser Stand hat noch seinen besonderen Reiz. Von hier aus kann man jedes hochwerdende Wild auf den kleinen Blößen und Wegen in der [772] Dickung schon lange beobachten, bevor es einen der im Halbkreis um den Trieb angestellten Schützen anläuft.
Näher und näher kommen die Treiber. Alles Wild, das in der Dickung steckt, ist hoch. Hier und dort hoppelt ein Hase über eine Schleife oder dicht an der Treiberkette entlang, aber zu dem Hochwalde, in welchem die Schützen angestellt sind, hat Lampe noch kein rechtes Vertrauen. „Wehrt sie! wehrt sie! Rehe! Rehe! wehrt sie!“ schreit es jetzt in der Dickung, und in Bogenfluchten sieht man drei graue elegante Gestalten, die weißen „Spiegel“ (Haare auf den Keulen) weit aufgebläht, das Gebüsch überfliehen.
Da sind sie auch schon im höheren Rande der Dickung verschwunden – aber nur einen Augenblick – und pfeilgeschwind stürmen sie, eins hinter dem andern, am lichten Orte zwischen den Schützen hindurch. Wie das jetzt lustig knallt da unten! wie die Treiber schreien und klappern! wie die Teckelchen so munter jagen! Da hilft kein Widerstreben – Lampe muß heraus, und mit wahrer Todesverachtung jagt er auch, die „Löffel“ an den Hals gelegt, aus den Büschen ins Freie. Hier einer, dort einer, und dort an der Ecke zwei zugleich. „Tiro – die Schnepfe!“ Alle Blicke richten sich erwartungsvoll nach oben, aber der Langschnabel dreht den Schützen den Rücken zu und streicht zurück über die Treibwehr.
Da tritt ein Reh aus dem Gebüsch auf das breite Steingeröll unter der Wand – zwei Stück folgen ihm. Aengstlich stehen die drei schmucken Thiere in ihrem grauen Winterkleide da und lauschen hinunter in das Getümmel des Treibens; dann treten sie hin und her, unsicher, wohin sie sich wenden sollen. Jetzt knallt es da unten, und in voller Flucht geht’s dicht unter dem Felsen her auf mich zu. Das letzte Stück – ist’s nicht voller auf dem Kopf? Immer näher kommen sie heran – wahrhaftig, es trägt ein Gehörn – ein starkes – weit über die Lauscher blinken die Spitzen – welch lange Enden! – es ist ein kapitaler Bock. Jetzt verschwinden sie unter dem Felsen, der einen Bogen macht, meinen Blicken. Einige lange Sekunden verrinnen – ich höre Steinchen rollen; die Fluchten der Rehe und ein grauer Streifen, das Schmalreh, fällt unter dem Felsen vor der Spalte her, auf der ich nur schießen kann – noch ein grauer Streifen und gleichzeitig Flintenknall. Wenige Augenblicke später sehe ich das Schmalreh allein weit unter mir wieder in der Dickung verschwinden.
Der Trieb ist leer; es wird abgeblasen und das erlegte Wild zusammengetragen. Wieder wird eine Dickung umstellt, wieder klappern die Treiber, jagen die Hunde, wieder knallt es in der Schützenkette. So geht es von Trieb zu Trieb, bis es Abend wird und das letzte oder Schüsseltreiben beginnt, ein Treiben, das von vielen das Haupttreiben genannt wird und in der That auch ist; und wer im Forst den Hasen oder Rehbock nicht treffen kann, darf hier aus vollster Ueberzeugung einstimmen in das schöne Jägerlied:
„Gebraten auf dem Teller
Erlegen wir sie schneller;
Da schwillt uns hoch die Brust
Vor edler Weidmannslust!“
Karl Brandt.