Das Oelen der See (Die Gartenlaube 1887/46)
[772] Das Oelen der See. Vor einigen Jahren wurde die Wirkung des Oels auf die Meereswogen der allgemeinen Beachtung empfohlen: eine Thatsache, welche seit uralten Zeiten den Menschen bekannt war, trotzdem aber nur wenig ausgenutzt wurde. Man hatte in Folge dessen von Neuem zahlreiche Versuche angestellt und fand in der That, daß sehr geringe Oelmengen genügen, um die Macht der Wogen zu brechen und die stürmische See so weit zu beruhigen, daß sie dem mit Wind und Wellen ringenden Schiffe nicht mehr gefährlich ist. Augenblicklich mehren sich in der Tagespresse Berichte über die großen Erfolge, welche durch das Oelen der See erzielt wurden, und bei dieser Gelegenheit möchten wir nicht nur auf einen früheren Artikel der „Gartenlaube“ über dieses Thema (vergl. „Die Besänftigung des ungestümen Meeres“, Jahrgang 1883, S. 68) hinweisen, sondern denselben noch durch einige überraschende Zahlen ergänzen. Ueber die Menge des Oels, welche nöthig ist, um die Wellen zu brechen und die aufgeregte See in eine Art Dünung in der unmittelbaren Nähe des Schiffes zu verwandeln, gingen die Ansichten ziemlich weit aus einander.
Eine Zusammenstellung von etwa 200 Berichten hat nunmehr ergeben, daß die Schiffe, welche das Oelen der See mit Erfolg anwandten, stündlich im Durchschnitt 2,20 Liter Oel verbrauchten. Aus diesen Angaben und aus der Geschwindigkeit, mit welcher ein Schiff sich mit dem Winde bewegt, versuchte der Viceadmiral G. Cloué die Dicke der Oelschicht zu berechnen, welche die Meereswellen zu besänftigen vermag. In einer Stunde durcheilt das Schiff nach seiner Annahme einen Weg von 18 250 Metern und das Oel, welches an dessen Seiten ausgetropft wird, bedeckt die See in einer Breite von etwa 10 Metern. Mit 2,20 Litern werden somit 182 500 Quadratmeter Meeresoberfläche geölt! Es läßt sich daraus leicht die „Dicke“ der Oelschicht berechnen; aber das Ergebniß ist so überraschend, daß man kaum wagt, es niederzuschreiben, denn die Dünnheit der Oelschicht übersteigt unsere Begriffe: sie beträgt ein Neunzigtausendstel (1/90000) eines Millimeters! Wir stehen hier einem jener Naturwunder gegenüber, auf welche das Sprichwort: „Kleine Ursachen, große Wirkungen“ die vollste Anwendung findet. *