Tractat von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern
Editionsrichtlinien
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[Titelblatt]
[02]
M. Michael Ranfts
Diaconi zu Nebra,
TRACTAT
von dem
Kauen und Schmatzen
der Todten
in Gräbern,
Worin die wahre Beschaffenheit
derer Hungarischen
VAMPYRS
und
Blut-Sauger
gezeigt,
Auch alle von dieser Materie bißher
zum Vorschein gekommene Schrifften
recensiret werden.
Leipzig, 1734. Zu finden in Teubners Buchladen.
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[Widmung]
WEnn ich mich gleich nicht des sonderbahren Glücks zu rühmen hätte, daß ich ehemahls auf der hohen Schule zu Leipzig zu den Füssen Ew. Ew. Ew. Hochwürdigen Magnificentzen gesessen und den lehrreichsten Unterricht in allen Theilen der Gottes-Gelahrheit aus Dero eigenem Munde angehöret, so ist doch der hohe Nahme, den Dieselben durch Dero gründliche Gelehrsamkeit und auserlesene Schrifften in der Welt erlangt, schon sattsam vermögend, mich zu verpflichten, auff Mittel zu dencken, wodurch ich [09] ein öffentliches Denckmahl meiner tieffsten Ergebenheit und schuldigsten Danck-Begierde auffrichten möchte. Alleine die allzu hohen Verdienste, die Ew. Ew. Ew. Hochwürdige Magnificentzen um unsere Kirche und die gantze gelehrte Welt erlangt, setzen mich ausser Stand, dasjenige, was ich zu Mitteln darzu brauchen könte, ohne Vorwurff einer Verwegenheit und Unbescheidenheit zu meinem Zwecke anzuwenden. Gegenwärtige Schrifft, die ich Ihnen hiermit in tieffster Ehrerbietigkeit zuschreibe, hat demnach eine gantz andere Absicht. Denn wie der erste Anblick derselben allen, die zu Vorurtheilen geneigt sind, leichte ungleiche Gedancken erwecken und sie in Haß und Eyfer wider selbige setzen kan, so will sie das Ansehen eines schüchternen Vogels haben, der nicht eher sich in die freye Lufft waget, als biß er sich sattsam nach einem schattigten Baume umgesehen, unter dessen Zweigen er bey entstehender Verfolgung Schutz und Bedeckung finden möge. Nun würde es zwar eine grosse Verletzung der Ehre seyn, die man Ew. Ew. Ew. Hochwürdigen Magnificentzen schuldig ist, wenn man Dero hohe Nahmen [10] zu einer Schutzwand machen wolte, sich darhinter in seiner bösen Sache zu verbergen. Alleine da diese Schrifft nichts in sich enthält, das der Ehre GOttes und dem Respecte, den man grossen Gottes-Gelehrten schuldig ist, nachtheilig seyn könne, gleichwohl aber eine vorgefaßte Meinung öffters eine an sich selbst unschuldige Sache in ein böses Geschrey bringen kan; als habe zu Ew. Ew. Ew. Hochwürdigen Magnificentzen das feste Vertrauen, Sie werden nach Dero bekannten Einsicht, die Sie so wohl in die Wercke GOttes als der Natur haben, hochgeneigt geruhen, mir, als einem ehemahligen auffmercksamen Zuhörer von Ihnen, gütigst zu verstatten, daß ich durch Vorsetzung Ihrer an sich selbst sehr schätzbahren Nahmen einer unschuldigen Schrifft, die nach den Grund-Sätzen einer gesunden Philosophie abgefasset ist und ohne Nachtheil der Göttlichen Wahrheit den Aberglauben bestreitet, wider die blinden Vertheidiger abergläubischer Meinungen einigen Schutz und Sicherheit verschaffe. Ich werde solche hohe Gunst-Bezeugung unter diejenigen grossen Wohlthaten rechnen, die ich sonsten [11] schon auff andere Weise von Ew. Ew. Ew. Hochwürdigen Magnificentzen empfangen, und die so beschaffen sind, daß ich dieserhalben mich Zeit Lebens nennen muß,
[Mein Leser]
ICh habe den 27. Sept. 1725. zu Leipzig eine öffentliche Dissertation de Masticatione mortuorum in tumulis gehalten und dabey einen gewissen wunderbahren Casum aus Hungarn zum Grunde gelegt. Weil ich aber diese Materie damahls nicht gantz ausführete, sondern mir vorbehielte, noch einmahl davon zu disputiren, woran ich aber durch meinen unvermutheten Wegzug aus Leipzig verhindert wurde, so hab ich Anno 1728. alles dasjenige, was ich davon zu Pappiere gebracht, in Form eines Tractats unter dem Titel: de Masticatione mortuorum in tumulis Liber singularis, continens duas Dissertationes, quarum prior Historico-Critica, posterior vero Philosophica est; ans Licht gestellt. Ob ich nun wohl nicht gedachte, weiter vonnöthen zu haben, in dieser Materie die Feder anzusetzen, so hat doch die Acten-mäßige Relation von denen so genannten Vampyren in Servien, die vor einiger Zeit zum Vorschein gekommen, Gelegenheit gegeben, daß meines Tractats in verschiedenen [13] dißfals ans Licht gestellten Schriften theils in guten theils in bösen gedacht worden. Hierdurch bin ich veranlasset worden, so wohl meine Hypothesin wider die ungleichen Urtheile einiger Widersacher zu vertheidigen, als auch die Geschichte von den Vampyren daraus zu erklären. Und in dieser Absicht stelle ich der curieusen Welt gegenwärtige Schrifft in die Hände, welche gleichsam aus drey Theilen besteht. Der Erste Theil enthält die Deutsche Ubersetzung meines Lateinischen Tractats de Masticatione mortuorum in tumulis. Der Andere erleutert die Acten-mäßige Relation von den Vampyren aus den Grund-Sätzen meiner hypothesis, und der Dritte stellet alle Schrifften, die bißher von den Vampyren ans Licht gekommen, in einem kurtzen Auszuge dar, wobey ich zugleich Gelegenheit genommen, mich wider einige Widersacher zu vertheidigen. Ich hoffe, es werde diese Schrifft dem Leser nicht mißfällig noch unangenehm seyn, daher ich hier nichts weiter beyzusetzen finde, als daß ich mich der Gewogenheit des vielgeehrtesten Lesers bestens empfehle.
Nebra den 10. Nov. 1733.
[Die erste Vorrede]
zu
Dem gantzen Tractate.Geneigter Leser,
HIer liefern wir in der Gestalt eines Tractats, was wir in unserer ersten Dissertation versprochen. Du darffst dich nicht wundern, daß wir uns so lange unter der Erden aufgehalten, indem die Reise dahin sehr gefährlich ist, weil sie uns durch viel unwegsame Einöden und wüste Oerter führet. Wenn uns dieses bekannt gewesen wäre, als wir uns das erste mahl in die unterirrdischen Gegenden begeben, so würden wir vielleicht den Verweiß vermieden haben, dessen uns unser Censor würdig geachtet, oder wer derjenige ist, der seine Lipsiam Literatam mit nicht glücklichern Erfolg als ehemals gewisse [15] Verfasser ihre Acta Lipsiensium Academica ans Licht gegeben. Er scheinet es vielleicht übel genommen zu haben, daß wir ihm die Materie von dem Kauen und Schmatzen der Todten in Gräbern weggenommen. Denn sonst würde er uns keiner Ruhm-Begierde beschuldiget haben, als ob wir bloß aus Verlangen nach Ruhm u. Ehre diese schwere Arbeit vorgenommen hätten. Inzwischen sind wir über den Anblick der Gräber nicht erschrocken, sondern mit gutem Glück zu denselben hinab gestiegen. Nun kommen wir von solchen wieder zurücke und sind dessen wohl eingedenck, wessen wir erinnert worden. Ob wir aber gleiches Schicksaal gehabt, als Orpheus ehemahls, da er seine Eurydicen aus der Höllen gehohlt, und selbige, ehe er sichs versehen, wieder verlohren, mögen andere beurtheilen. Denn der Geschickligkeit unsers Censoris trauen wir hierinne gar wenig zu. Er ist zur Leyer gebohren und kan durch nichts, denn wohlklingende Stimmen in Zufriedenheit gesetzt werden. Du aber, geneigter Leser, lebe wohl und bleibe unsern Studiis gewogen.