Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band/Die Jungfrau des Heidentempels

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von Ludwig Bechstein
Der Falkenstein
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151.
Die Jungfrau des Heidentempels.

Wie auch Bonifacius sich mühte, das Heidenthum in der Gegend um Ohrdruf zu überwältigen, dennoch blieb ihr ein mythischer Anhauch aus Heidenzeiten, der nicht hinweg zu tilgen war. Ueber der Stadt soll auf einem Berge ein Schloß gelegen haben, vielleicht hatten die Kevernburger dort auf der Stelle eines Fanum, heidnischen Götterkultortes, einen Bau errichtet, denn des Schloßberges Lage dicht am Walde mit freier Aussicht über das Hügelland gen Osten, nach Arnstadt und der Kevernburg und gen Norden nach Erfurt und den drei Gleichen hin, zeigt sich gar günstig und bedachtvoll gewählt, unten am Berges fuße aber quillt der Hörlingsbrunnen.

Eine alte Nachricht kündet, es sei nur zu gewiß, daß auf dem heut zu Tage also genannten Schloßberge, wo von einem Schlosse keine Spur mehr zu erblicken, ein Tempel des Thor oder des Wodan gestanden habe, d. h. ein Heiligthum (fanum) dieses Gottes gewesen sei. Der Berggipfel ist felsig, mit einem Graben umzogen, in die Felsen sind Löcher gehauen, von Mauerwerk findet sich keine Spur; von unterirdischen Gängen und Gewölben aber, wie sie häufig unter altgermanischen Tempelstätten angebracht sind, ist viel die Rede. Zu Zeiten läßt sich eine weiße Jungfrau um die Mittagsstunde mit einem [2] Schlüsselbunde am Gürtel sehen, wandelt den Schloßberg herab, badet sich im Hörlingsbrunnen, und geht dann wieder hinauf. Solche Jungfrauenerscheinungen auf und an Schloß- und Burgbergen, zumal wenn die Sage mit ihnen das baden in einem nahen Brunnen, Weiher oder Teiche verbindet, deuten stets nach der früheren mythischen Zeit, wir aber vermögen sie kaum zu deuten. Ob diese Jungfrau gleich andern, die ihr gleichen, auch Schätzehütherin, hörte ich noch nicht aussprechen, wol aber sind der Sagen von reichem Gut in den Bergen dieser Gegenden viele vorhanden, und auch sie sind oft nur Nachhalle ungleich älterer Sagen von manchem Goldhort. Im Kienberge, hinter dem Stutzhaus im Ohrathale fand sich, nach alten Walenbüchern, Gold und Silber, Kupfer und Zinn; Quellen und die Ohra selbst werfen Goldkörner aus; bei Schwarzwald heißt ein Brunnen noch der Goldborn, bei Ohrdruf ein Berg noch der Goldberg. Auch mythische Namensanklänge fehlen der Gegend nicht. Ein Hof zwischen Ohrdruf und Wölfis heißt Herda, nahe dabei die Harth, ein Gehölz; der heilige See, eine Moorwiese. Ob der Dorfname Dietharz, thalaufwärts über Ohrdruf, wie manche früher gethan haben, auf einen Gott zu deuten sei, bleibe dahin gestellt; Diet ist mittelhochdeutsch so viel als Leute, Volk, („gerndes Diet“ Bettelleute, Spielleute, Sänger,) aber auch zu Dietharz soll Bonifacius eine Kirche gebaut haben. Ohnweit davon liegt eine Felshöhle: das Hülloch (Heulloch), wieder mit dem halbverklungnen Nachhall alter Sagen, daß man in ihm Geheul und Geschrei verdammter Seelen vernommen, was aber die verjüngende Sage weit späterer Zeit zugeeignet und so umgeformt hat, daß darinnen von vor Kriegsdrangsalen [3] in der Hünenzeit und in noch späterer hinein Geflüchteten solches Heulen und Schreien vernommen worden. Der Name des unten am Hülloch, das manche auch Hun- oder Hünenloch genannt wissen wollten, vorbeifließenden „Marterbaches“ kann auf die eine, wie auf die andere Zeit bezogen werden. Gleichwol klingt Hünensage im Volksmunde hier nicht durch, obschon in der Nähe ohnweit der hohen Linde und dem Rosengarten nicht weniger als drei Hünberge, ein vorderer, ein mittlerer und ein hinterer liegen. Im Thale der „trocknen Apfelstädt“ hinter Dietharz starrt auch ein mächtiger Fels empor, der Bilstein geheißen.