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151.
Die Jungfrau des Heidentempels.

Wie auch Bonifacius sich mühte, das Heidenthum in der Gegend um Ohrdruf zu überwältigen, dennoch blieb ihr ein mythischer Anhauch aus Heidenzeiten, der nicht hinweg zu tilgen war. Ueber der Stadt soll auf einem Berge ein Schloß gelegen haben, vielleicht hatten die Kevernburger dort auf der Stelle eines Fanum, heidnischen Götterkultortes, einen Bau errichtet, denn des Schloßberges Lage dicht am Walde mit freier Aussicht über das Hügelland gen Osten, nach Arnstadt und der Kevernburg und gen Norden nach Erfurt und den drei Gleichen hin, zeigt sich gar günstig und bedachtvoll gewählt, unten am Berges fuße aber quillt der Hörlingsbrunnen.

Eine alte Nachricht kündet, es sei nur zu gewiß, daß auf dem heut zu Tage also genannten Schloßberge, wo von einem Schlosse keine Spur mehr zu erblicken, ein Tempel des Thor oder des Wodan gestanden habe, d. h. ein Heiligthum (fanum) dieses Gottes gewesen sei. Der Berggipfel ist felsig, mit einem Graben umzogen, in die Felsen sind Löcher gehauen, von Mauerwerk findet sich keine Spur; von unterirdischen Gängen und Gewölben aber, wie sie häufig unter altgermanischen Tempelstätten angebracht sind, ist viel die Rede. Zu Zeiten läßt sich eine weiße Jungfrau um die Mittagsstunde mit einem

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)