Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Sagenhaftes von Rohr

Vom Grimmenthal Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Frau Holle und der treue Eckart
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41.
Sagenhaftes von Rohr.

Wenn man das grüne Thal von Grimmenthal aufwärts schreitet, so gelangt man durch das Dorf Ellingshausen, und von da nach dem ehemaligen Kloster Rohr, jetzt einer k. preußischen Domaine. Das war ein uraltes Kloster, und es war dort vor Zeiten ein Tempelherrensitz, wie auch einer zu Leutersdorf, zwischen Henfstedt und Vachdorf, und zu Meiningen war. Die ganze Mauer der alten Klosterkirche, einer schmalen Basilika, steht noch immer und ist in der Dachung gut erhalten, da das Steinhaus ökonomischen Zwecken dienen muß. Die Sage behauptet, daß von Rohr aus ein unterirdischer Gang bis nach Meiningen geführt habe, und zwar in das dasige Minoritenkloster am unteren Thore, dessen Hauptgebäuderest auch noch steht und wieder nutzbar gemacht wurde. Nicht weit vom ehemaligen Kloster Rohr liegt das Dorf gleichen Namens, dort hat einmal ein Schulmeister gelebt, der war sehr stark im weissagen, wenn auch nicht alles weise war, was er sagte. Dieser Politikus aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts sagte die Croateneinfälle und das Wüthen der Croaten in den Hennebergischen Städten genau voraus, aber es war mit alle diesem voraussagen nichts genützt und nichts gewonnen, und endlich legte die Regierung dem Weissager sein Propheten-Handwerk, und hieß ihm, stille zu schweigen. Vielleicht that sie daran sehr Unrecht, denn man kommt eben so weit, wenn man die Gaukler gaukeln und die Propheten prophezeien läßt.

[65] Am Fußwege von Rohr nach Meiningen findet sich im Hutrasen ein Kreuz eingegraben, von dieser Gestalt: welches ein Grabkreuz vorstellen soll, oben mit seinem Wetterdach, unten mit dem Klotz, der in die Erde kommt. Das hat ein Schäfer, der dort hüthete, mit seiner Schippe so gebildet, weil vor mehr als 50 Jahren der alte Hirschwirth aus Meiningen, von Rohr, wo er Geschäfte gehabt, heimkehrend, an jener Wegstelle umfiel und vom Schlage gerührt verstarb. Er hatte noch so eben hinter sich in Rohr Glockengeläute vernommen, und einige ihm begegnende Weiber gefragt, weshalb man drunten im Dorfe läute, da doch nicht Sonntag und kein Feiertag war – und da war ihm die Antwort geworden: „Häs is heint dronge ä Licht.“ (Es ist heute drunten eine Leiche.) Ei, selt es jo racht hüsch! Mügt og dronne ze Ruhr begrabe wär – antwortete der alte Hirschwirth in seinem unschönen Meininger Dialekt. Bann ich derhämm sterr, wird am Enn net gelüt’t on net getüt’t. – Sprachs, ging seines Weges, und nach ohngefähr 100 Schritten fiel er um und war tod, noch auf Rohrer Gebiet, und wurde dann mit Sang und Klang nach seinem Wunsch zu Rohr begraben. Darauf grub der Schäfer jene Kreuzfigur in den Rasen, und das ist etwas tief wurzelndes im Volksbrauch, daß solche Kreuze stets erneut werden. Ich sah das Kreuz zuerst auf einer Wanderung im Jahre 1836, und hörte die Sage erzählen. Im Jahre 1841 kam ich wieder dort vorbei, und das Kreuz war noch ebenso erhalten, als sei es jüngst gegraben. So ist es auch mit einem Kreuze unterhalb der Ruine des Straufhain, das man mit Steinen zum Andenken zweier Liebenden gelegt hat. Stets, wenn ein Zufall die Steine wegführt, legt [66] irgend eine Hand aus dem Volke die Form des Kreuzes wieder zurecht.