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41.
Sagenhaftes von Rohr.

Wenn man das grüne Thal von Grimmenthal aufwärts schreitet, so gelangt man durch das Dorf Ellingshausen, und von da nach dem ehemaligen Kloster Rohr, jetzt einer k. preußischen Domaine. Das war ein uraltes Kloster, und es war dort vor Zeiten ein Tempelherrensitz, wie auch einer zu Leutersdorf, zwischen Henfstedt und Vachdorf, und zu Meiningen war. Die ganze Mauer der alten Klosterkirche, einer schmalen Basilika, steht noch immer und ist in der Dachung gut erhalten, da das Steinhaus ökonomischen Zwecken dienen muß. Die Sage behauptet, daß von Rohr aus ein unterirdischer Gang bis nach Meiningen geführt habe, und zwar in das dasige Minoritenkloster am unteren Thore, dessen Hauptgebäuderest auch noch steht und wieder nutzbar gemacht wurde. Nicht weit vom ehemaligen Kloster Rohr liegt das Dorf gleichen Namens, dort hat einmal ein Schulmeister gelebt, der war sehr stark im weissagen, wenn auch nicht alles weise war, was er sagte. Dieser Politikus aus der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts sagte die Croateneinfälle und das Wüthen der Croaten in den Hennebergischen Städten genau voraus, aber es war mit alle diesem voraussagen nichts genützt und nichts gewonnen, und endlich legte die Regierung dem Weissager sein Propheten-Handwerk, und hieß ihm, stille zu schweigen. Vielleicht that sie daran sehr Unrecht, denn man kommt eben so weit, wenn man die Gaukler gaukeln und die Propheten prophezeien läßt.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/72&oldid=- (Version vom 1.8.2018)