Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Vom Grimmenthal

Die weiße Jungfrau mit dem Schwerte in der Brust Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Sagenhaftes von Rohr
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Vom Grimmenthal.

Ganz nahe dem Werrathale, da wo die vom Dorfe Schwarza herabkommende Hasel beim Dorfe Einhausen in die Werra fällt, liegt die merkwürdige Stätte der am Ausgange des Mittelalters weit und breit berühmt gewordenen Wallfahrt zum Grimmenthal. Das ganze schöne Seitenthal des Werrathales, welches die Hasel durchrollt, nannte man vor alten Zeiten das Grünthal, von dem Schmelze seiner grünen Wiesen, und selbst das Siegel der Wallfahrtkirche mit dem Bilde einer Madonna über dem Henneberger Wappen führte noch die Umschrift' Maria im Grinthal. Dort stand seit undenklichen Zeiten ein alter halbvergessener Bildstock mit einem Muttergottesbilde unter einer umfangreichen Linde. Ein alter Rittersmann, Namens Heinz Teufel, der früher in Kriegsdiensten des Bischofs von Würzburg gestanden, und sich in das Dorf Obermaßfeld in ländliche Ruhe zurückgezogen hatte, kam einst am Abend von einem Jagdritt das Thal herab und an die Nähe des Bildstockes und der Linde, von wo aus er noch ein Viertelstündchen nach seinem Dorfe zu reiten gehabt hätte, allein er wurde plötzlich von einem überaus heftigen Gebrest überfallen, daß er sich vom Pferde und vor dem alten Bildstock niederwarf, und herzhaft zu der Mutter Gottes flehte, ihm beizustehen. Und siehe, er fand Erhörung und widmete sich nun ganz und gar dem gnadenreichen Bilde. Erst ließ er es säubern vom Gestrippe und Dornenbüschen, die es umwucherten, dann überdachen, dann eine Kapelle darüber bauen, und prieß dankbar des Bildes Hülfe, wie er nur vermochte. Darauf wurde die [63] Marie im Grünthal berühmt nach allen Seiten hin, und es strömten Lahme, Blinde und Menschen mit jeglichem Gebreste beladen herbei, dort Hülfe zu finden, und vielen, sehr vielen hat ihr Glaube geholfen. Dann wurde eine prachtvolle Kirche erbaut vom Fürstgrafen Wilhelm von Henneberg, die hatte 14 Altäre, und es gedieh dahin, daß man in einem Jahre der Waller nicht weniger als 40000 zählte. Ja es sollen im Jahre 1503 auch 300 Ritter aus Aethiopien oder Mauretanien alldort gewesen sein, die Hülfe gegen die damals fürchterlich wüthende Krankheit der Lepra suchten, welche schlimme Krankheit nach der Homöopathen Behauptung ein jeder Mensch still und maskirt in seinem Leibe herumträgt. Uns will bedünken, die „trecenti Mauri equites“ der Ueberlieferung dürften ebenfalls Zigeuner gewesen sein.

Die Wallfahrt stand in ihrem höchsten Flor, als Luther auftrat, von ihr hörte, gegen sie eiferte – er war es ohne Zweifel, der zuerst den unschuldigen Namen Grinthal (wie man damals sprach) in das schlimme Grimmenthal umwandelte, und in seinem Grimme den Wallfahrtort ein rechtes vallis furoris, Thal des Grimmes, schalt. Schnell, wie sie aufgeblüht war, blühte die Wallfahrt ab, die alte Linde aber, deren fast erstorbener Stamm 36 Fuß im Umfang klaftert, der stärkste aller starken Bäume Thüringens – grünt dennoch jedes Jahr, und trägt noch Blüthen, und nährt noch Bienen. Er versinnbildet der Sage ewig junges Leben.