Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der steinerne Kopf

Der fromme Bäcker Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Vom Sankt Johanniskirchlein
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[282]
147.
Der steinerne Kopf.

Das Waldstädtchen Friedrichrode nahe bei Reinhardsbrunn und dicht unter der Schauenburg, berühmt durch sein herrliches Wasser, durch seine Leinwandbleichereien und seine Sommerfrischen, ist ziemlich alt. Zwei Brüder, Friedrich und Ernst, welche den Boden dieser waldigen Gegend zuerst gerodet, sollen die ersten Urheber von Friedrichrode und Ernstrode gewesen sein. Der erste Ort hatte früher vielleicht mehr als jetzt von der Spottsucht seiner Nachbarn zu leiden. Letztere dichteten auf Friedrichrode ein arges garstiges Spottlied – das hin und her auch auf Brotterode, Orlamünde und andere kleine Berg- und Landstädtlein gesungen wird. Wer es hören will, mag in Friedrichrode danach fragen, und frage daselbst insonderheit nach dem letzten Vers, der wird ihn traun erbauen.

Am Stadtthore zu Friedrichrode ist oder war ein steinerner Mannskopf eingemauert, mit weit aufgesperrtem Munde. Davon erzählen die neckelustigen Spötter: Einst kam ein fremdländischer Wanderer weit her gereist, sah Friedrichrode vor sich liegen und begegnete einem Friedrichroder Manne; den fragte er alsbald: Guter Freund! Was [283] ist das für ein Dorf? Wie heißt dieses Dorf? – Darauf antwortete der Friedrichroder beleidigt: Guter Freund! Das ist kein Dorf, und das heißt kein Dorf! Das ist die Stadt Friedrichrode! – Wie der Eingeborne selbes sagte, blieb dem Fremdling vor Verwunderung und Staunen der Mund weit offen stehen, und konnte ihn nimmer wieder zu bringen. Darauf wurde vom hochweisen Rathe zu Friedrichrode beschlossen, zum warnenden Wahrzeichen einen solchen Kopf, der das Maul vor Staunen aufsperre, am Stadtthore anbringen zu lassen, damit sich jeder ein Beispiel daran nehme.