Thüringer Sagenbuch. Erster Band/Der Wallfahrtgarten

Luthersfuß, Luthersborn und Luthersbuche Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Bonifacius
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[239]
128.
Der Wallfahrtgarten.

Häufig sollen auch noch in späteren Zeiten Wallfahrer hier vorbeigezogen sein, hinauf zur Wallfahrt am Glasbach, um welche einsame Waldeswildniß die Sage häufig ihre Schleiergespinnste wob. Ein wackerer Landmann zu Witzelrode (Dorf, 1 Stunde von Schloß Altenstein), schrieb bereits im Jahre 1816 in schlichter Weise folgendes nieder: „Eine Quelle entspringt bei dieser alten Ruine, wo die [240] Leute vorgeben, sie käme aus dem verborgenen Keller. Auch sollen in diesem sich große Reichthümer befinden. Eine Frau aus Steinbach, mit der ich selbst gesprochen, und die mir versicherte, die folgende Erscheinung gesehen zu haben, erzählte mir: sie wäre bei die Wallfahrt gekommen, so hätte sie vor ihren Augen einen sehr schönen Lustgarten wahrgenommen, nach der Kunst in die Höhe geleitete Johannis- und Stachelbeerbäumchen, Beeren von allen Farben, auch Bäume voll Aepfel, Birnen und Kirschen, mit reifen Früchten. Sie ging zu dem schönen nach der Kunst eingerichteten Zaun und Eingange, und sieht gleich darauf ganz erschrocken eine Gestalt, wie ein Jäger gekleidet, im grünen Rocke mit einem breiten rothen Gürtel um die Lenden. Indem sie nun mit bangem Herzklopfen fragen will, ob sie von den Früchten etwas nehmen dürfe, ist alles vor ihren Augen verschwunden. Eine andere verstorbene Frau, wurde mir von deren Schwager erzählt, kommt auch zu dieser alten Ruine und bemerkt ebenfalls diesen Garten, welcher mit unerdenklich schöner weißer Wäsche behangen ist. Nach dem ersten Schreck will sie sich von dieser Wäsche etwas zueignen, aber so wie sie die Hand nach einem Stücke ausstreckt, ist alles verschwunden. Ein Steinbacher Mann erzählte mir, vor 15 bis 20 Jahren habe er und noch mehrere bei dieser Wallfahrt ein sehr feines Geläute, wie von Silberglocken, gehört, und zwar mehrere Jahre um die Osterzeit. Und dieser Mann behauptete, man könne in dieser Waldgegend kein Geläute von Dorfglocken hören, was mir auch wahr scheint. Derselbe Mann sagte mir, sie hätten oft zur Nacht hier gearbeitet, um einen reichen Schatz zu graben; einmal hätten eine große Anzahl Schatzgräber ein Loch 6 Schuh [241] tief gegraben, so seien mehr als tausend blaue Lichter entstanden. Einer von ihnen habe ein Kästchen voll des Erdreiches mit nach Hause genommen, es wäre aber nur kießartiges Zeug gewesen.

Es geht auch eine Sage von einem Kinde, das seine Leute im Walde bei der Wallfahrt allein ließen und welches nun Beeren suchte. Da kam eine weiße Jungfrau und führte das Kind in einen schönen Garten, und gab ihm Blumen, Johannisbeeren und Kirschen, dann aber hieß sie das Kind wieder zu seiner Mutter gehen. Das Kind erzählte nun seiner Mutter alles, und begehrte immer wieder in jenen Garten zurück, aber die Mutter fürchtete sich, und ließ es nicht von sich, zumal sie von keinem Garten wußte. Da härmte das Kind sich sehnsüchtig ab – und wurde krank, und auf einmal in der Krankheit rief es: Siehst Du Mutter! Da kommt die weiße Jungfer, und bringt mir rothe Beeren und Johannisbeeren! – Und da starb es.