Der Wallfahrtgarten Thüringer Sagenbuch. Erster Band
von Ludwig Bechstein
Burgsagen um Altenstein
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[241]
129.
Bonifacius.

Ganz nahe bei dem herzoglichen Sommerschlosse Altenstein steht ein schroffer, mit einem Kreuze verzierter Felsen, vom Volke insgemein „der Bonifacius“ genannt. Vor mehr als hundert Jahren stand dort noch ein Kapellenrest, welcher der Bonifaciusthurm hieß. Die Sage kündet, und es mag wol mehr als Sage sein, daß der Apostel Thüringens, Winfried-Bonifacius, von diesem Felsen herab dem Volke dieser Gegend das Christenthum gepredigt, [242] und eine Kapelle, dicht an den Fels gelehnt, erbaut habe. Der ganze Vorberg, durch den die Straße von Schweina herauf nach Altenstein führt, hieß früher „der Kirchberg,“ und es war diese Straße einer der Hauptzüge aus Thüringen nach Franken. Bonifacius verlieh dem am Fuße seines Felsen sich anbauenden Ort Schweina am gleichnamigen Flüßchen (933 bereits urkundlich Sueinaha) den heiligen Antonius zum Schutzpatron, entweder, weil dieser auch der Patron der Schweine ist, oder weil der Ortsname auf diesen Heiligen leitete. Seine um das Jahr 724 erbaute Kapelle übereignete der Apostel Thüringens dem Stifte Fulda, und dieses zog sie in den Bereich einer auf diesem Boden erbauten Neuburg. Diese Neuburg ist häufig mit der von dem eisernen Landgrafen über Freiburg an der Unstrut erbauten verwechselt worden, und ein in der Steinbacher Flurmarkung gelegener „Landgrafenacker“ hat dieser Verwechselung scheinbar festen Halt gegeben, obschon frei steht anzunehmen, der Landgraf könne möglicherweise das dort so heilsam angewandte Heilmittel gegen Trotz und Auflehnung auch hier in gleicher Weise und mit gutem Erfolge versucht haben, wenn er in dieser Gegend Vasallen gehabt hätte.

Der heutige Flecken Schweina begeht noch alljährlich in der Christnacht ein dem heidnisch-mythischen Cult entstammendes Wintersonnenstillstandfest, jetzt freilich völlig verchristlicht. Auf einem nahen Berge, dem Töngels-(Antonius-)berge entzündet die männliche Jugend, nachdem sie mit brennenden Fackeln hinaufgezogen, ein hochloderndes Feuer, umgeht es, und singt Christnachtlieder – worauf in den Ort wieder herabgeschritten und dort nochmals zur Musik gesungen wird. Dann läuten alle Glocken, und [243] um 12 Uhr ist eine Betstunde, Nachhall der ehemaligen Christmette. Ich habe zum öftern von Salzungen aus in der Entfernung zweier Stunden von Schweina den nächtlichen Fackelzug und die Feuersäule vom Berge leuchten sehen.

Die Kirche zu Schweina war indeß nicht dem h. Antonius Eremita, sondern dem heiligen Laurentius geweiht.

Ganz eigen ist es, wie in dieser Gegend Hirten-, Ritterburg- und Kapellensagen, zwischen denen das geisterhafte Erscheinen und Wandeln unerlöster Jungfrauen getheilt ist, vorwalten, von welchen fast ganz gesondert die Bergmanns- und Jägersagen bestehen, bis die spätere Zeit mit Teufels, Hexen- und Croatensagen den phantastischen Reigen abschloß, der für sich allein genügend wäre, ein Buch zu füllen, und ehe man es sich versieht, leuchtet meteorisch aufflammend der frühe Mythus in diese nebelhafte Dämmerung. Eine Kapelle am Bonifacius, eine auf dem Antoniusberge, eine im Glasbach, eine am Fuße des Altenstein, nach der Schutzpatronin „das Katharinchen“ genannt, eine am Fuße des Windsbergs, ohnweit des Wasserfalles, eine Einsiedelei: die Eckenzelle, in welcher, wie man wissen will, der treue Eckart büßend sein Leben beschloß, welcher sonach, wenn diese Sage stichhaltig sein sollte, seines Wächteramtes am Hörseelenberge überdrüssig oder entbunden worden sein müßte. Oben auf dem Glöckner, abermals ein sein Betglöcklein läutender Waldbruder, dasselbe, das vielleicht zu Zeiten noch immer tönend die Waldleute mit hellem Silberklang fernher vernehmen, und den Schall nicht zu deuten wissen, nicht wissen, von wannen er komme.

Endlich hinter Liebenstein am „Thüringer Thale“ die ehemalige Dorf-Wüstung Atterode (Adinrode, Odinrode) [244] wo man sogar aus der versunkenen Kirche noch ein Glöcklein auffand, war es zwar keine Kirchthurmglocke, so war es doch eine Meßglocke, die immerhin noch schön lautet.