Théroigne von Mericourt
Ich sah eine Ros’ am Felshang stehn
In Ungewittern;
Ich sah Lawinen vorübergehn
Und Felsen zittern.
Die Rose steht in wilder Pracht;
Die Rose trinkt den Thau der Nacht.
Zerstörung ist ihr Morgengruß;
Zerstörung ist ihr Weihekuß.
Sie wächst in der Felsen geborstenem Schooß;
In Donnern der Schöpfung ward sie groß –
Ich sah dein Bild in der ew’gen Natur,
Du wilde Rose von Mericourt.
Mit diesen Versen feierte ich in meiner vor kurzem in neuer Auflage erschienenen „Göttin“ die wildeste Heldin der französischen Revolution. Von den Einen als eine Megäre betrachtet, wird sie von den Anderen angesehen als eine jener Heroinen, von denen die Geschichte seit den Penthesileen des Alterthums berichtet hat, als eine Art Jungfrau von Orleans, welche das Schwert zieht, wie jene für das Vaterland, so für die Freiheit, obschon jeder andere Vergleich zwischen der frommen Schäferin von Dom Remy und der wilden Kämpferin des Tuileriensturmes in bedenklicher Weise hinken müßte, wenn man nicht die gefeierte Jeanne d’Arc in die zweifelhafte Beleuchtung der Voltaire’schen Pucelle rücken will. Die französische Revolution hat das Megärenthum der alten Weiber in gräßlicher Weise entfesselt. Die Tricoteuses der Guillotinen sind eine der widerwärtigsten Illustrationen jener Epoche; daß aber auch Jugend und Schönheit sich in die Schrecken derselben stürzten und sich mit blutigen Gräueln befleckten, ist eine Ausnahme, welche deshalb doppelte Beachtung fand. Auch war es nicht blos jene Freude an der Zerstörung, ein angeborenes Erbtheil leidenschaftlicher Naturen, das Entzücken über die Auflösung unbequemer bürgerlicher Verhältnisse, welche allen willkommen sein mußte, die sich aus der Gesellschaft ausgestoßen sahen; was eine Théroigne und ihre Genossinnen bewegte, war der Rachedurst, den sie für persönlich empfundene Unbill an den bevorrechteten Ständen zu kühlen suchten; es war der Geist der socialen Revolution selbst, der in ihnen pulsirte, und gerade dies giebt ihnen eine dämonische Bedeutung.
Anna Josefa Théroigne, genannt Lambertine und später die Lütticherin, wurde im Jahre 1759 in Mericourt bei Lüttich, als die Tochter einfacher Bauersleute geboren. Ihre Anmuth, Lebhaftigkeit und Schönheit machten sie zu einer Zierde ihres Geburtsortes. Doch diese Schönheit wurde auch die Ursache der frühen Zerrüttung ihrer Lebensverhältnisse. Ein reicher Schloßherr der Nachbarschaft fand Gefallen an ihr; sie erschien ihm schöner als die glänzenden Salondamen, deren Bekanntschaft er in Belgien und im Auslande gemacht hatte; auf sie selbst aber machten die vornehmen Sitten des Edelmannes, der bestechende Glanz seiner Erscheinung und seines Wesens tiefen Eindruck. Das siebenzehnjährige Mädchen gab sich ganz der erwachenden Leidenschaft hin, in vollem Vertrauen auf eine dauernde Liebe; der Unterschied der Stände berührte sie nicht, sie hatte keine Ahnung von seiner Bedeutung, gleichgültig erschien er ihr gegenüber der Macht einer großen Leidenschaft. Bald sollte sie den ersten großen Schmerz ihres Lebens empfinden; die Täuschung, welche ihrer vertrauensvollen Hingebung zu Theil wurde, warf über ihr ganzes späteres Leben ihre Schatten. Die Vorwürfe ihrer Familie, der bittere Spott, mit welchem die Dorfgenossen sie verfolgten, trieb sie in die Ferne. Wir finden sie in England wieder, wo sie an dem Prinzen von Wales eine Eroberung machte und einen glänzenden Luxus zur Schau trug.
In den Gemächern des Prinzen hatte sie auch die Bekanntschaft des Herzogs von Orleans gemacht, welcher ihr Empfehlungsbriefe nach Paris und zwar an die angesehensten Führer der Nationalversammlung, auch an Mirabeau, mitgab. Gerade in diesen Kreisen galt sie, nach ihrer Uebersiedelung in die Seinestadt, für eine Schönheit ersten Ranges, und in der That ist das Bild, welches die Zeitgenossen von ihr entwerfen, von anmuthendem Reiz. Eine hochgewachsene, schlanke Gestalt, Züge mit ausdrucksvollem Gepräge und doch von hinreißender Anmuth, alles in den Glanz der Jugend getaucht – wer hätte einer so herausfordernden Schönheit gegenüber gleichgültig bleiben können? Namentlich der Glanz ihrer Augen hatte etwas Bestrickendes; es waren nicht die großen todten Augen, welche Homer an der Königin des Olymps preist, wenn er von der „stieräugigen Here“ singt; diese großen Augen hatten ein unruhiges Feuer, einen dämonischen Blick; aus ihnen sprach nicht die etwas gelangweilte Hoheit einer olympischen Herrscherin, sondern es waren die Brandfackeln eines leidenschaftlichen Gemüths. Die wachsenden Stürme der Revolution entfesselten die ganze Gluth ihrer Seele. Galt es doch den Umsturz einer Gesellschaft, gegen welche sie selbst glühenden Haß hegte, und die Vernichtung jener Vorrechte, als deren Opfer sie sich betrachten mußte! Bald stürzte sie sich mitten in die Bewegung der Zeit. Wie die schöne Cabarrus in den Clubs von Bordeaux, nahm auch sie ein Amazonencostüm an, um in den Clubs und auf den Straßen mit größerer Freiheit verkehren zu können. Ein etwas seitwärts sitzender Hut à la Henri IV. mit der Feder, ein Gewand von blauem Tuch, den Säbel umgegürtet, ein paar Pistolen im Gürtel und eine Reitpeitsche in der Hand, so erschien sie unter den Volksgruppen ähnlich einer Banditenbraut. Auch war dieses Costüm nicht die Schaustellung müßigen Schmuckes oder einer koketten Ausrüstung. Die Théroigne war stets mitten im Feuer bei den Pariser Straßenschlachten; ihr Name findet sich verzeichnet in der Chronik aller jener Ereignisse, welche damals Europa in Staunen setzten. Als nach der Vereinigung der drei Stände und nach dem Protest Mirabeau’s gegen die Ansammlung der Truppen in Paris eine große Volksmenge das Invalidenhôtel überfluthete, um alle Waffen auszuräumen und die Geschütze aus demselben auf das Rathhaus zu bringen, da befand sich die Théroigne an der Spitze der Volkshaufen, welche ihrem Befehle ebenso bereitwillig gehorchten, wie demjenigen anderer Anführer; sie ließ das ganze Gebäude durchsuchen bis unter die Gewölbe einer unterirdischen Kirche, wo sich der Hauptvorrath von Waffen versteckt fand, und vertheilte dann bewaffnete Detachements und Posten an den wichtigsten Punkten der Stadt.
Eine noch größere Rolle spielte sie bei dem Sturme auf die Bastille, die mit ihren düsteren Riesenthürmen wie ein Gespenst der Tyrannei auf die Stadt herabdrohte. Eine der Ersten erstieg sie die Thürme und zeichnete sich so glänzend aus, daß sie einen Ehrensäbel erhielt und ihr Name einen Platz unter den Besiegern der Bastille. Sie nahm selbst den Ernst und die Strenge republikanischer Gesinnungen an, sagte sich von ihren Verehrern los, welche den vornehmen und reichen Ständen angehörten, und verkehrte nur mit Gleichgesinnten. So sah man sie häufig mit dem Dichter Marie Joseph Chenier, mit welchem sie es liebte, sich über die öffentlichen Angelegenheiten und die Literatur zu unterhalten. Chenier machte sie auch mit den besseren französischen Dichtern bekannt, aus denen sie die [52] schwunghaftesten Stellen auszog, die geeignet waren, das Volk zu begeistern. Sie lernte dieselben dann auswendig und trug sie in ihrem flamländisch-französischen Accent mit Emphase vor. Denn wie die Cabarrus, die feine Aristokratin, wie Manon Roland, die geistreiche Bürgerstochter, war auch Lambertine, das Kind des Volkes, eine Clubrednerin und stand, was zündende Beredsamkeit betrifft, nicht hinter diesen vornehmen Vorbildern zurück, welche die Bildung der Salons genossen hatten. Konnte sie doch in die Wagschale volksthümlicher Geltung auch ihren Ehrendegen werfen. Gewiß lauschte man mit besonderer Andacht einer Rednerin, welche sich durch heldenmüthige Thaten ausgezeichnet hatte. Und da sie überdies mit natürlicher Beredsamkeit begabt war und besonders die zündenden Stichwörter und patriotischen Gemeinplätze mit hinreißendem Schwunge in die Menge zu schleudern wußte, so verfehlte sie nie, Enthusiasmus zu erregen.
Camille Desmoulins theilt uns eine Rede mit, welche Lambertine im Club der Cordeliers gehalten hat und in welcher sie zur Subscription aufforderte, um der Nationalversammlung auf dem Platze der zerstörten Bastille einen Palast zu erbauen. Bei ihrem Erscheinen verglich man sie mit der Königin von Saba – und das gab ihr willkommenen Anlaß, an den Salomonischen Tempel anzuknüpfen und eine Fülle biblischer Weisheit zu entwickeln, in welche sie mythische Anspielungen aus den Pindarischen Gesängen verwebte.
„Frankreich wartet nur auf das erste Zeichen,“ rief sie aus; „ruft die besten Werkmeister und Künstler herbei! Fällt die Cedern des Libanon, die Tannen des Berges Ida! O, wenn jemals die Steine sich von selbst bewegen könnten – es geschähe nicht, um die Mauern von Theben, sondern um den Tempel der Freiheit zu bauen. Um das Gebäude zu verschönern, zu bereichern, müssen wir alles Gold und alle Edelsteine auf dem Altare des Vaterlandes niederlegen, und ich will Allen mit meinem Beispiele vorangehen. Ihr wißt, daß die Franzosen zum Götzendienste geneigt sind, wie die Inder; das Volk bedarf der äußeren Zeichen, denen es Anbetung weiht. Wendet seine Blicke ab von dem Pavillon der Flora, von den Säulenreihen des Louvre! Zeigt ihm eine Basilika, prächtiger als diejenige des heiligen Petrus in Rom oder des heiligen Paulus in London, den wahrhaftigen Tempel des Ewigen, den einzigen, der seiner würdig ist, denjenigen, in welchem das Evangelium der Menschenrechte verkündet werden wird.“
Diejenigen, welche in der schönen Lütticherin nur eine ungebildete Straßendirne sehen wollen, müssen diesen Proben ihrer Beredsamkeit gegenüber die Waffen strecken. Ihr Verkehr mit geistreichen Männern, unter denen auch der Abbé Sieyes genannt wird, konnte nicht ohne Einfluß auf sie bleiben; ihre glühende Phantasie nahm kühne Bilder aus dem biblischen und heidnischen Alterthum mit Vorliebe auf. Doch heimischer als in den Clubs fühlte sich ihr wildes Naturell mitten in stürmischen Volksbewegungen. So sehen wir sie im Palais royal, als der Zug nach Versailles, unter den geheimen Auspicien des Herzogs von Orleans, sich vorbereitete; sie gab der Volksmenge, den Frauen der Halle die Losung; sie entzündete die Gemüther gegen die Contrerevolution, welche von der Königin und ihren Officieren dort ausgebrütet wurde; sie wandte sich nicht blos an die rohen Instincte der Menge, welche nur Brod verlangte, sie gab den gährenden Elementen eine politische Richtung. Und bei dem unheimlichen Zuge selbst stand sie auf einer Kanone, mit aufgelöstem Haar, das Gewehr auf der Schulter, den Säbel im Gürtel, mit Worten und Geberden das Volk anregend. Gleichzeitige Dichter verglichen sie mit einer Penthesilea, welche sich muthig in Gefahr und Kampf stürzt, mit einer Priesterin der Druiden, mit einer neuen Pythia, die Alles mit dem göttlichen Feuer entflammt, welches ihre eigene Brust beseelt. Wie weit sie an den gräßlichen Auftritten in Versailles selbst sich betheiligt hat, darüber fehlt der nähere Aufschluß; keineswegs gewinnt ihr Bild an anziehender Beleuchtung, wenn man sie in der Gesellschaft der rohen Megären und jenes Scharfrichters außer Dienst, des Kopfabschneiders Jourdan, erblickt. Da indeß ihre Aussagen bei der Untersuchung über diese Vorgänge für hervorragende Persönlichkeiten compromittirend werden konnten, so schickte man sie als revolutionäre Agentin mit einem Secretair des Jacobinerclubs nach Lüttich. Es galt hier einen Aufstand zu erregen, aber der Plan scheiterte, und die Théroigne fiel in die Gewalt der Oesterreicher, die sie nach der Festung Kufstein in Tirol brachten, wo sie mehrere Monate in strenger Haft gehalten wurde. Dann erst verhörte man sie, und die Antworten, die sie gab, erregten die Aufmerksamkeit des Kaisers Leopold, der gewiß auch von ihrer Schönheit hatte sprechen hören. Er ließ sie zu sich kommen und gab ihr nach längerer Unterredung die Freiheit wieder, unter der Bedingung, daß ihr Fuß nie mehr den österreichischen Boden betreten solle. Als ein Opfer der österreichischen Tyrannei hatte sie, nach Paris zurückgekehrt, erneuerte Ansprüche auf die Gunst des Volkes und auf den Namen einer Patriotin, und sie machte diese Ansprüche mit gewohnter Beredsamkeit geltend. Oft sah man sie in der Begleitung von Danton und Camille Desmoulins, und sie selbst begründete in ihrem Hause einen Club, der eine Art Filiale der Cordeliers war.
Die royalistischen Witzblätter, an denen es in jener wild bewegten Zeit nicht fehlte, verfolgten die Théroigne von Mericourt in Wort und Bild mit bitterem Spotte; sie war eine Heldin ihrer Caricaturen und wurde mit derb cynischen Anspielungen nicht verschont. Namentlich Sulleau in seinem „Tageblatte“ machte die Lütticherin zum Ziele vergifteter Pfeile. Die persönliche Erbitterung hierüber und die wachsende Erhitzung der Zeit steigerten die Wildheit ihres Temperaments; offenbar schlummerten schon in ihr die Keime des Wahnsinns, der nicht lange darauf zum Ausbruche kam.
Neben den scheußlichen Megären der Revolution erscheint Théroigne als ihre wildschöne Furie; ja es schien, als ob sich die Rachelust, der Blutdurst jener Epoche in ihr verkörpert hätten; sie erschien selbst wie mit dem Schwerte der Nemesis gerüstet, um dann wieder für ihre eigenen blutigen Frevel dem Gottesgericht zu verfallen.
Unter bedrohlichen Anzeichen war der Morgen des 10. August emporgestiegen; Königthum und Volk, das letztere erbittet durch die Manifeste des Auslandes, standen sich drohender als je gegenüber. Um die Stimmung in den verschiedenen Stadtvierteln zu erkunden, hatten sich königliche Patrouillen gebildet. Mehrere derselben wurden vom Volke verhaftet und in die Section der Feuillants geführt. Das Schicksal wollte es, daß sich unter diesen der elegante und feurige Journalist Sulleau befand, und daß einer seiner Genossen ihn gerade beim Namen rief, als die Théroigne, die schon am frühen Morgen eines mit großen Ereignissen schwangeren Tages bei den Feuillants in ihrem Amazonencostüme Wache stand, gerade in der Nähe war. Sie hörte diesen Namen und stürzte auf Sulleau zu, ihn bei der Brust fassend. „Wie, Du bist Sulleau,“ rief sie aus, ihrer selbst nicht mehr mächtig, „Du bist es, der jeden Schimpf auf mich gehäuft hat?“ und sie erhob das Schwert; doch der kräftige und entschlossene Journalist riß sich gewaltsam von ihr los und setzte sich zur Wehr, indem er einem der Angreifenden die Waffe entriß. Im Handgemenge erlag er indes der Uebermacht und fiel mit mehreren seiner Genossen. Nach diesem Act der Rache kämpfte am 10. August Théroigne in den vordersten Reihen bei dem Sturme auf die Tuilerien und zeichnete sich durch ihre Bravour so aus, daß sie, obgleich ein Weib, mit einem militärischen Grade bekleidet wurde.
Sulleau hatte sie nur mit der Feder verwundet; ein Anderer war’s, der ihr Lebensglück zerstört, der sie in die verhängnißvolle Bahn getrieben hatte, wo sie durch unweiblichen Heldenmuth, durch mörderischen Fanatismus sich einen Namen machen sollte. Die romanhafte Sage, die sich an die Geschicke dieses merkwürdigen Weibes knüpft, berichtet, daß sie auch den Verführer, den Edelmann, der ihre Jugendliebe war, in Paris getroffen habe. Vergebens habe er ihre Vergebung angefleht; sie habe ihm den Fluch vorgehalten, der sich seit jener Jugendliebe an ihre Fersen geheftet, die Zerrüttung ihrer Familie, die Verbannung aus der Heimath, die Verwünschungen ihres Vaters, ihr verfehltes Leben, selbst den geraubten Glauben an den Himmel und seine Gerechtigkeit, und als sie ihn zum zweiten Mal getroffen, an einem der schrecklichen Septembertage, an denen die entfesselte Volksjustiz in grauenhaften Mordthaten schwelgte, als ein todgeweihtes Opfer in der Abtei, da habe sie selbst zum Schwerte gegriffen und ihn getödtet.
Dem doppelten Frevel folgte die Strafe auf dem Fuße nach.
[53]Jenem ehrgeizigen, rührigen Journalisten Brissot, der alsbald den Tendenzen der Gironde seine Feder lieh und in gemäßigte Bahnen einlenkte, war Théroigne seit dem Bastillensturme nahegetreten; er hatte damals in dem alten Staatsgefängnisse als Gefangener gesessen; nach der Erstürmung der Bastille hatte die Théroigne ihm im Auftrage des Gemeinderaths die Schlüssel derselben überbracht, eine ehrenvolle Sühne für die schmachvolle Behandlung, die er dort erlebt hatte. Engverbunden mit dem federgewandten Revolutionsmanne, hatte die Lütticherin auch zur Feder gegriffen, als Erinnerung an ihre österreichische Gefangenschaft die bösen Absichten der verbundenen Monarchen ausgemalt, mit denen sie das republikanische Frankreich bedrohten, und zur Abwehr der Schrecken die Gironde und den Berg zur Eintracht gemahnt. So wurde die blutigste Revolutionsheldin in das Lager der Gemäßigten gedrängt, was ihr verhängnißvoll werden mußte, als der Volkssturm sich gegen die Gironde wandte und ein Kampf auf Leben und Tod zwischen den beiden Parteien entbrannte. Die Furien der Hauptstadt, die sie selbst einst nach Versailles geführt, umdrängten jetzt die Nationalversammlung mit dem Rufe: „Nieder die Brissotisten!“ und als Brissot selbst durch den Tuileriengarten ging, um sich in die Nationalversammlung zu begeben, umringten sie ihn und überhäuften ihn mit Beschimpfungen und Drohungen. Die Théroigne warf sich mit Blitzesschnelle zwischen die Megären und ihr Opfer. Wohl gelang es ihr, Brissot zu retten, aber die Wuth der Weiber wandte sich nun gegen sie. „Was, Du bist eine Anhängerin Brissot’s geworden?“ riefen sie ihr zu und fielen über sie her. „Du sollst uns für Alle bezahlen.“ Von der Uebermacht bewältigt, erlitt sie eine schmachvolle Züchtigung, welche eine durch Kriegsthaten ausgezeichnete Volksführerin doppelt empfinden mußte.
In der That konnte sie diesen Schimpf nicht verwinden; [54] sie verschwand plötzlich aus dem Gewimmel der Parteien; ein Irrenhaus der Vorstadt Saint Marceau hatte sie aufgenommen. Dort schrieb sie einen Brief an Saint-Just, an dem Abende des 9. Thermidor, der später unter den Papieren der Anstalt aufgefunden wurde; sie schrieb ihm, daß sie im Besitze wichtiger Geheimnisse sei, daß er zu ihr kommen möge; sie stellte sich als Opfer einer Intrigue hin; sie müsse zu Grunde gehen, wenn sie nicht handeln, nicht schreiben könne. In diesem Briefe zeigt sich ein krankhafter Ehrgeiz; es ist der alte Thatendrang, aber seine Federn sind gesprungen. Krampfhaft klammert sie sich an eine Vergangenheit, die für die geistig Gebrochene längst verschollen ist. Im Jahre 1807 wurde sie nach der Salpetrière gebracht. Die Stichwörter der Revolution waren unter dem Kaiserreiche längst ausgelöscht und gebrandmarkt, aber in der einsamen Zelle des Irrenhauses lebte noch die Schreckenszeit. Diese Théroigne war das Gespenst der Revolution. Sie nannte Alle, die sich ihr näherten, Gemäßigte und Royalisten und drohte ihnen mit einer Anklage bei dem Wohlfahrtsausschusse. Diese Drohung stieß sie besonders gegen eine hochgestellte Persönlichkeit aus, welche sie 1808 besuchte und welche früher ein Haupt der Volkspartei gewesen war. Anderen entgegnete sie auf ihre Fragen mit dumpfer Stimme, sich in ihren Mantel hüllend: „Ich weiß nicht; ich habe vergessen,“ und murmelte dann die Schlagwörter ihrer Jugend: „Freiheit, Comité, Revolution, Decret!“ Immer erschien sie in Gedanken versunken und wollte nicht in ihren müßigen Betrachtungen gestört sein, besonders in späteren Jahren, als sie stiller geworden war und ihre Tobsucht nachgelassen hatte. Ein wunderbarer Anachronismus, dieses irre Weib, für welches die längstbegrabene Revolution noch am Leben war; ihr Wahnsinn war gleichsam das letzte Echo derselben.
Und als ob ein verzehrendes Feuer in ihren Adern brennte, als ob der vulcanische Genius, dessen Krater längst verschüttet waren, noch in ihr fortglühte, konnte sie nicht Wasser genug finden, um ihre innere Hitze zu kühlen. Jedes Gewand verschmähend, lebte sie in der feuchten Zelle, sich selbst, ihr Bett und den Fußboden mit Wasser übergießend. Sie verschlang alles, was ihr in die Hände kam, und wie zum wilden Thier geworden, biß sie einmal ihre Gefährtinnen. In einem lichten Augenblick rief sie zum Fenster heraus einem Nachbar zu, daß sie in ungerechter Haft gehalten werde. In der That wurde ihr Zustand noch einmal untersucht, doch ihr völliger Wahnsinn blieb zweifellos und man konnte sie nicht in Freiheit setzen. Sie starb am 9. Mai 1817 im achtundfünfzigsten Lebensjahre.
Von allen namhaften Frauen der Revolution ist sie die wildeste und schrecklichste. Der böse Dämon der Zeit hat sich in ihr verkörpert. Und doch fühlt man ein menschliches Rühren, wenn man an ihre Jugend denkt, an den schönen grausam zerstörten Traum ihrer Liebe. An dem Einen wie an Allen sich zu rächen, die solchen Frevel für ein Vorrecht halten, stürzte sie sich in die Stürme der Revolution, mit unerschrockenem Muth, soldatischer Tapferkeit, aber auch grausamer Unerbittlichkeit. Schön und leidenschaftlich, gewandt in Wort und Schrift, stets zur kühnen That bereit, hätte sie ein besseres Loos verdient, aber, wie die nachtwandelnde Lady Macbeth sagt, alle Wohlgerüche Arabiens waschen die Flecken nicht ab von ihrer Mörderhand, und so bleibt sie dem Gericht der Nachwelt verfallen.
- ↑ Die Gallerie der Frauen der französischen Revolution, die wir früher in dieser Zeitschrift gebracht, bleibt unvollständig, so lange die wilde Théroigne in derselben fehlt; ihr ergänzendes Charakterbild erst schließt sie passend ab. D. Red.