Taubheit mit Blindheit vertauscht

Textdaten
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Autor: Ernst Deecke
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Titel: Taubheit mit Blindheit vertauscht
Untertitel:
aus: Lübische Geschichten und Sagen, S. 296–297
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: Carl Boldemann
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Erscheinungsort: Lübeck
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Originaltitel:
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Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
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172. Taubheit mit Blindheit vertauscht.

1524 ungefähr hat sich in der Johannisstraße, wenn man hinuntergeht rechter Hand, auf einem Armenhofe folgendes Mirakel zugetragen. Es wohnten da nämlich in einigen Buden ein paar alte Mütterchen oder Wittwen, darunter eine, die seit langen Jahren so taub war, daß sie nicht hat hören können, wenn man auch noch so laut schrie. Nun weiß wohl Jeder, daß solche Leute allewege der Meinung sind, daß, wenn zwei oder drei zusammen reden, von ihnen gesprochen wird: so hat denn auch diese Frau sich heftig darüber geärgert, wenn ihre Nachbarinnen im Gespräch beisammen gestanden. Dann ist es ihr auch sehr schmerzlich gewesen, wenn Andere zur Kirche gegangen sind, weil sie selbst dort nichts hat vernehmen können. Solches hat nun die gute Frau so unrustig gemacht, daß sie einmal des Abends auf ihr Kämmerlein geht, vor dem Bett in die Knie fällt, bitterlich zu weinen anfängt, und zu dem treuen Gott inbrünstig fleht: er möge sie von ihrer Taubheit erlösen; dafern sie aber mit einem Kreuz beladen bleiben solle, wollte sie lieber mit Blindheit gestraft sein. Mit diesem Seufzen, Karmen und Beten legt sie sich zu Bette.

Was geschieht? Nachdem sie bis 7 Uhr des andern Morgens geschlafen, ist es vor ihren Augen finster, [297] als wenn es tief in der Nacht wäre. Da steigt sie aus dem Bette, hört die Nachbarinnen mit einander schwatzen, und fragt, wie es an der Zeit, und was die Glocke sei? Die sprechen: „sieben Uhr!“ – „Ei, sagt sie wieder, wie ist es denn noch so finster?“ Die Frauen werden lachen und meinen, daß sie trunken sei. Aber die plötzlich Blinde, welche noch den vorigen Tag stocktaub gewesen und so wohl als Andere hat sehen können, nun aber stockblind geworden und so wohl als Andere hören kann, fällt auf ihre Knie und danket dem allmächtigen, treuen Gott, daß er so gnädiglich ihr Gebet erhört.

Ob nun wohl des Tages Licht zu schauen eine große Gabe Gottes ist, hat doch diese Frau es viel höher geachtet, daß sie Gottes Wort hören können, zumal man um die Zeit das Evangelium zu predigen angefangen.